EU-Entwürfe zum Kulturerbe: Lob für die Richtung, Kritik an Beschränkungen
Mitte September präsentierte die EU-Kommission ihre Vorschläge für eine Reform des EU-Urheberrechts. Dazu liegen nun mehrere Entwürfe vor, darunter eine Richtlinie zum „Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ (PDF). Die Ausnahmeregelungen für Bildung und Wissenschaft fanden ein gemischtes Echo unter den betroffenen Organisationen.
Daneben sieht die EU-Kommission auch Neuerungen für Museen, Bibliotheken und Archive vor, die im Entwurf als „Einrichtungen des Kulturerbes“ angesprochen werden (Artikel 2, Begriffsbestimmungen)
Urheberrechts-Ausnahme für Kopien zur Erhaltung
Diesen Einrichtungen soll es durch eine urheberrechtliche Ausnahme (Schranke) künftig erlaubt sein, Werke oder andere geschützte Materialien, die sich in ihren Sammlungen befinden, unabhängig von Format oder Medium zu vervielfältigen. Voraussetzung: Sofern dies dem „alleinigen Zweck“ der Erhaltung dient (Artikel 5 des Entwurfs).
Somit könnten Museen, Bibliotheken und Archive die Werke ihrer Sammlungen fotografieren, reprografieren oder digitalisieren, ohne dass Rechteinhaber zustimmen müssten. Allerdings regelt der Entwurf keine darüber hinausgehende Nutzung der so entstandenen Kopien. Sie zugänglich zu machen oder darüber hinausgehend nutzbar zu machen, wäre nicht von der Schranke umfasst.
Hier setzt das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft seine Kritik am Kommissionsvorschlag an, die es in einer Stellungnahme (PDF) veröffentlichte: „Diese Schranke schafft zwar Klarheit über ein digitales Vervielfältigungsrecht, das an sich selbstverständlich ist, versäumt es aber festzulegen, in welcher Form, diese neuen Vervielfältigungen auch genutzt werden können.“
Bibliotheken, Archive oder Museen verstünden sich nicht mehr als nur Bewahrungseinrichtungen, sondern auch als Nutzungseinrichtungen. Insofern solle es ihnen auch erlaubt werden, die Kopien zugänglich zu machen, etwa für bestimmte Zwecke von Forschung und Ausbildung oder für private Zwecke.
Für den Museumsverband NEMO greift die geplante Regelung zu kurz, so seine Einschätzung. Sie regele zwar die Vervielfältigung und Digitalisierung innerhalb der Einrichtungen, stehe den Forderungen nach freiem Zugang (Open Access) aber entgegen.
Vergriffene Werke und digitale Bibliotheken
Darüber hinaus plant die EU-Kommission, die Nutzung vergriffener Werke durch neue Regelungen zu vereinfachen (Artikel 7 des Entwurfs). Als vergriffen gilt ein Werk demzufolge, „wenn das gesamte Werk oder der gesamte sonstige Schutzgegenstand in all seinen Übersetzungen, Fassungen und Erscheinungsformen auf den üblichen Vertriebswegen für die Öffentlichkeit nicht erhältlich ist und nach menschlichem Ermessen nicht davon ausgegangen werden kann, dass er in Zukunft erhältlich sein wird.“
In Zukunft sollen Verwertungsgesellschaften als kollektiver Rechteverwalter für vergriffene Werke dienen und dafür mit Bibliotheken oder anderen Einrichtungen entsprechende Vereinbarungen abschließen. Diese Lizenzen sollen sich auch auf solche Rechteinhaber erstrecken, die nicht von der Verwertungsgesellschaft vertreten werden. Das Modell ist aus skandinavischen Ländern als „erweiterte kollektive Lizenzierung“ (Extended Collective Licensing) bekannt und kommt etwa bei der norwegischen digitalen Bibliothek „Bookhylla“ zum Einsatz. Die Werke sollen dann in allen EU-Staaten nutzbar werden (Artikel 8)
Die EU-Staaten sollen dabei unter anderem eine „angemessene Zeitspanne“ vorsehen, bevor die als vergriffen eingestuften Werke digitalisiert und darüber hinaus genutzt oder zugänglich gemacht werden. Diese Zeitspanne soll es Rechteinhabern ermöglichen, ein Werk doch noch erhältlich zu machen. Zudem soll es Rechteinhabern gestattet sein, ein vergriffenes Werk der kollektiven Lizenzierung wieder zu entziehen, wenn sie es erneut nutzen wollen (Opt-out).
Keller: Schritt vorwärts, Wirkung beschränkt
Der europäische Verlegerverband FEP begrüßt in einer Stellungnahme diese Opt-out-Möglichkeit. Seiner Auffassung nach würden damit die Persönlichkeitsrechte der Autoren respektiert. In einem Beitrag beim „Europeana Pro“-Netzwerk um die europäische digitale Bibliothek begrüßt Paul Keller die geplanten Regelungen für vergriffene Werke und erweiterte Lizenzen zunächst als einen „wichtigen Schritt vorwärts“ für die Kultureinrichtungen. Werke, die derzeit weggesperrt blieben, könnten so wieder nutzbar gemacht werden.
Das gelte aber nur für manche Klassen von Werken, da die Wirkung kollektiver Lizenzierung im Vergleich zu einer gesetzlichen Ausnahmeregelung beschränkt sei. Somit enstünde eine neue Klasse von Werken, die weder durch bestehende noch durch geplante Regelungen nutzbar würden. Keller bringt eine Kombination des „Extended Collective Licensing“ mit einer gesetzlichen Ausnahme aus Rückfalloption ins Spiel, um vergriffene Werke online zugänglich zu machen.
Trotz Lob für die Absicht der EU-Kommission, den Kultureinrichtungen die Arbeit zu erleichtern, sehen die bislang veröffentlichten Stimmen somit noch einigen Verbesserungsbedarf bei den anstehenden Beratungen mit dem Parlament und dem Ministerrat.
Hinweis in eigener Sache: Mit dem Thema befasst sich auch die von iRights.info mitveranstaltete Konferenz „Zugang gestalten“ am 17./18.11. in Berlin.
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