Erdbeertörtchen für Alle
Seit die Digitalisierung auch hierzulande die Buchbranche erreicht hat, legt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sich kräftig ins Zeug. Auf der letzten Leipziger Buchmesse hat er beispielsweise einen „Forschungsüberblick zum Unrechtsbewusstsein von Jugendlichen“ erstellt, für den er 313 Personen zwischen 12 und 19 Jahren befragt und Erstaunliches herausgefunden hat. Zum Beispiel: „Knapp zwei von drei Befragten haben schon einmal Dateien an andere weitergegeben.“
Geschäftsführer Alexander Skipis lässt sich dazu in einer Pressemitteilung mit den Worten zitieren, viele junge Leute glaubten, „sich Bücher illegal im Netz zu besorgen, sei etwas anderes als einen Roman in der Buchhandlung zu stehlen. Da fehlt ihnen jedes Unrechtsbewusstsein. Hier müssen wir Aufklärungsarbeit leisten.“ Denn immerhin sei 87 Prozent der Jugendlichen durchaus bewusst, heißt es in der Presseerklärung, „dass sie beim Filesharing gegen das Gesetz verstoßen“.
Dateien an andere weiterzugeben, ist verboten. Kopieren ist dasselbe wie Stehlen. Tauschbörsen sind grundsätzlich illegal. Die Erde ist eine Scheibe. Und beim Börsenverein kennt man sich aus mit dem Urheberrecht.
Selbsternannte Aufklärer
Der propagandistische Eifer wird lediglich von der medienpädagogischen Kompetenz der selbsternannten Aufklärer übertroffen. Seit dem Abend des 16. April gibt es das Online-Urheberrechts-Adventure Cat Protect. Worum geht es? Wir zitieren aus der Pressemitteilung:
„Cat Protect entführt Kinder zwischen acht und zwölf Jahren in die Welt von Wuuzelhausen. Hier leben und arbeiten die Wuuzel, kleine und höchst kreative Wesen. Sie schreiben Bücher, komponieren Lieder und malen Bilder. Eines Tages jedoch werden die Wuuzel krank, sie haben keine Ideen mehr. Um der rätselhaften Krankheit auf den Grund zu gehen, engagieren sie die Privatdetektivin Cat Protect. Diese findet nach und nach heraus, was geschehen ist: Die Werke der Wuuzel werden gestohlen und vervielfältigt, Kopien machen die Welt von Wuuzelhausen grau und verhindern, dass die kleinen Künstler ihre Belohnungen erhalten. Der Auftrag an Cat Protect ist klar – sie muss die Ideendiebe finden und dingfest machen.“
Dazu muss die Spielfigur ein Spukschloss betreten und sich dort zunächst mit dem Bildhauer-Wuuzel unterhalten: „Schau mal, was passiert, wenn man das Werk in die Werktauschmaschine wirft.“ Man soll nun mit der Maus ein Icon grabben, das aussieht wie eine Skulptur, und es auf das Ding ziehen, das aussieht wie ein Böllerofen: die „Werktauschmaschine“. Und dann? „Nichts! Es passiert nichts. Keine Erdbeertörtchen … schnüff.“
Die Botschaft: Wer Werke tauscht, also Dateien in Filesharing-Netzwerke einstellt, ist schuld, wenn Künstler keine Erdbeertörtchen mehr bekommen. Das Spiel richtet sich nach Angaben des Börsenvereins an Kinder zwischen acht und zwölf Jahren. Mit dem Begriff „Werk“ gibt es da sicher keine Probleme. Und dass die „Werktauschmaschine“ ein Filesharing-Network sein soll – nun, das ist nicht ganz so klar, wie sich im Laufe des Spiels noch zeigen wird.
Sprich mit dem Maler-Wuuzel
Bis dahin dauert es aber, denn die meiste Zeit verbringt Cat Protect damit, in vier bis fünf Räumen hin und her zu laufen und Aufträge abzuarbeiten, die sie von den Erwachsenen-Figuren aufgedrückt bekommt. „Sprich mit dem Maler-Wuuzel“, heißt es dann zum Beispiel, aber das „Gespräch“ verläuft nicht interaktiv, sondern man kann bloß den vorgegebenen Pop-up-Dialog mit einem OK-Klick abnicken. So wird Cat Protect dazu verdonnert, einen Eimer Wasser und eine Flasche „Leim-Super-Wischi-Weg“ zu suchen, um damit den Leim aufzuwischen, den der Maler-Wuuzel auf dem Boden verkleckert hat.
Da freuen sich auch die Hausfrauen, denn Respekt vor geistigem Eigentum ist ja schön und gut, aber ab und zu mal im Haushalt helfen, wäre noch besser. Leider ist das Spiel nicht dazu angetan, die entsprechende Motivation zu steigern, denn bis man sowohl das Spüli als auch den Wassereimer gefunden hat, ist man dreimal durch das ganze „Schloss der Ideen“ hindurchgeirrt. (Lieber Börsenverein, bei uns zu Hause gibt es Wasserhähne auch innerhalb des Hauses!)
Besonders frustrierend – aber wohl kein Zufall – ist dabei, dass an allen Ecken und Enden kleine Verbotsschilder auftauchen, welche signalisieren, dass der entsprechende Bereich nicht betreten werden darf. Cat Protect trippelt dann nervös auf der Stelle und kommt nicht voran. (Kleiner Tipp: nicht zu nahe an den Dichter-Wuuzel kommen, sonst stürzt das Spiel ab!) Auch wird ein gutes Gedächtnis nicht belohnt, denn wo in der ersten Runde kein Zugang war, kann sich in der zweiten durchaus noch einer eröffnen. Vermutlich ist auch das pädagogisch gemeint: Man soll nicht überall seine Nase hineinstecken, wo man nichts zu suchen hat.
Nachdem Cat Protect den Leim aufgewischt, die Ritterrüstung geölt und den Fahrstuhl abgelenkt hat, indem sie ihm einen Walkman aufgesetzt hat (sic!), kann sie ins Obergeschoss fahren und mit dem Musik-Wuuzel sprechen. „Nein, nein, nein. So kann ich nicht arbeiten!“, sagt der. Merke: Papa nie bei der Arbeit stören!
Aber dann: „Du kannst mir sicher helfen, mein Musikstück zu reparieren, irgendwie klingt es ganz schrecklich. Ich glaube es liegt an diesen CDs hier. Eine scheint eine Kopie zu sein, und ich weiß nicht, welche mein Original ist.“ Kopierte CDs klingen nach Überzeugung des Börsenvereins ganz anders als Originale. Es folgt die Anweisung: „Finde die Original-CD und benutze sie.“ Die kryptische Formulierung heißt nicht, dass man anfangen soll zu remixen, sondern nur: Man soll die CD per Drag & Drop auf den CD-Player ziehen. Ausnahmsweise befindet sie sich sogar im selben Raum.
Die Werktauschmaschine ist kaputt
Daraufhin wird Cat Protect weitergeschickt zum Dichter-Wuuzel, der „die gefürchtete Schreibblockade“ hat, aber dabei helfen soll, verschiedene Teile einer Landkarte zusammenzusetzen. An dieser Stelle hat uns vor allem die Grafik überzeugt:
Wie bei einem Puzzle soll man jetzt die Teile richtig zusammenfügen. Leider geht das nicht mit Drag & Drop, sondern nur mit Mausklicks auf benachbarte Felder, dauert also etwas länger. Das Spiel ist nur was brave, geduldige Kinder.
Wenn man fertig ist, bekommt man von den Wuuzeln noch einmal das Problem erklärt: „Ich glaube, dass unsere Werktauschmaschine kaputt ist. Wir stecken dort unsere Werke hinein und diese werden dann nach Wuuzelhausen transportiert. Normalerweise bekommen wir von den Wuuzelhausenern dafür Erdbeertörtchen. Jetzt funktioniert das nicht mehr.“
Die Werktauschmaschine ist also gar kein Filesharing-Netzwerk, sondern eher eine Art Verwerter-basiertes Vertriebssystem: Kunstwerke werden zu Waren gemacht, die Waren werden an Konsumenten verkauft. Aber die Maschine ist kaputt, sie funktioniert nicht mehr. Da ist was Wahres dran. Auch wenn es vom Börsenverein kommt.
Big Pikk klaut uns die Werke
Leider setzt sich der Gedankengang nicht so luzide fort. Stattdessen wird gefragt, „wer uns die Werke klaut“. Die Antwort darauf gibt der Film-Wuuzel: „Na, Big Pikk, ganz klar! Er hatte mal eine kleine Rolle in einem meiner Filme. Er wollte immer selber gern kreativ sein, aber dafür ist er einfach viel zu faul.“ Wie der typisch faule, unkreative Filesharer aussieht, zeigt das nächste Bild (rechts unten):
Big Pikk hat „die Werktauschmaschine so umprogrammiert“, dass die Werke direkt an den Übeltäter Daark umgeleitet werden, der im Kellergeschoss sein Unwesen treibt. „Umgeleitet, soso“, tadelt Cat Protect. „Ist dir eigentlich klar, dass es nicht in Ordnung ist, wenn du andere beklaust? Die Wuuzel bekommen deinetwegen kaum noch Erdbeertörtchen.“
Big Pikk bekundet Reue und schickt Cat Protect zu den Wissenschaftlern ins Dachgeschoss. Durch ein Teleskop erblickt sie sich selbst als Kopie. Der Dialog ist E.T.A. Hoffmann auf Speed: „Hallo Cat Protect, ich bin du!“ – „Ich will aber nicht mal eben so kopiert werden! Das darf man doch nicht …“ – „Du hast recht. Illegale Kopien wie ich zerstören den Wert der Originale.“ Ob Kinder zwischen acht und zwölf das nach etwa anderthalb Stunden Spielzeit noch komisch finden, sei dahingestellt.
In den unterirdischen Kellergewölben stößt Cat Protect alsbald auf Daark:
„Haha …“, ruft Daark, „ich benutze die Kreativität der Wuuzel, um Energie zu bekommen!“ Darauf Cat Protect: „Nein, Ideen gehören ihren Erfindern! Ich werde dich daran hindern, weiter ihre Werke zu stehlen.“
An dieser Stelle wird der Ablauf für ein kleines Geschicklichkeitsspiel unterbrochen, bei dem man mit Mausklicks verschiedene Röhrenteile aneinanderschrauben muss: „Stelle mit den Röhren eine Verbindung von oben nach unten her, damit die kreative Energie wieder fließen kann und die Werktauschmaschine endlich wieder funktioniert.“
Das ist aus Sicht des Börsenvereins natürlich die richtige Reaktion auf den digitalen Wandel. Man muss es nur schnell genug schaffen. Vor allem die Hierarchien sollen erhalten bleiben: oben die „Schöpfer“, unten die Konsumenten, dazwischen die „Werktauschmaschine“, die Verwerterindustrie, die angeblich dafür sorgt, dass „die kreative Energie fließen kann“.
Dass kreative Energien auch andersherum fließen können, von unten nach oben, vielleicht auch kreuz und quer, kommt in diesem Weltbild nicht vor. Dass man vielleicht gar keine Tauschmaschinen braucht, dass die Wuuzelhausener die Künstler zum Beispiel auch unter Umgehung der Werktauschmaschine bezahlen könnten, ist ebenfalls undenkbar. Ein Spiel, in dem man solches hätte erproben können, war freilich vom Börsenverein nicht zu erwarten.
Für alle Ewigkeit als abschreckendes Beispiel gefangen
Das Spiel endet damit, dass Daark in einem Marmeladenglas gefangen wird. „Wenn du das Glas auf das Bild schiebst, wird Daark dort für alle Ewigkeit als abschreckendes Beispiel gefangen sein. Das soll allen eine Lehre sein, die unerlaubt Kopien machen!“
Fazit: Der Posten für medienpädagogische Beratung war im Produktionsbudget offenbar nicht der größte. Doch die herausragende Grafik und die fantastischen interaktiven Möglichkeiten machen diese kleine Schwäche mehr als wett.
iRights.info wünscht gutes Gelingen beim Ausprobieren des Spiels. Und für ganz Eifrige haben wir noch einen Extra-Auftrag: „Finde das Godzilla-Poster, das in einem der Räume an der Wand hängt. Frage beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels nach, ob sie dafür die Rechte geklärt haben.“ Viel Spaß!
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