Engagements für Open Access und offene Bildungsmaterialien (OER) in der Rechtswissenschaft
Die Initiative „jurOA“ – „Jura und Open Access (OA)“ – will den Bestrebungen hin zu mehr Offenheit beim juristischen Publizieren im deutschsprachigen Raum ein Forum geben. Sie will zu Austausch und Vernetzung anregen und den Zugang zu wissenschaftlichen Informationen und Literatur frei und offen gestalten.
Mit diesen Anliegen veranstalteten die Initiator*innen bereits 2016 eine Fachkonferenz zum Thema, eine weitere folgte 2018. Im gleichen Jahr gründeten sie jurOA auch formell als Netzwerk. Die für 2020 geplante dritte Ausgabe der Konferenzreihe mussten die Veranstalter Pandemie-bedingt auf Herbst 2021 verschieben.
Gleichwohl organisierten die diesjährige Konferenzleiterin Ellen Euler – Juristin und Professorin für Open Access und Open Data an der Fachhochschule Potsdam – und ihr Team schon in diesem Jahr dreizehn Video-Statements von Open Access- und Rechtsexpert*innen ein, die auf die geplanten Themen eingehen.
Open Access
bezeichnet den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Open-Access-Literatur im engeren Sinn ist online kostenfrei zugänglich und unter offenen Lizenzen veröffentlicht, die die weitere Nutzung erleichtern. Es gibt mehrere Ansätze: Anderswo veröffentlichte Publikationen können online zugänglich gemacht werden („Green Road“) oder in eigenen Open-Access-Zeitschriften erscheinen („Golden Road“). Beim Diamond-Open-Access-Modell fallen weder für Autor*innen noch Leser*innen Gebühren an; finanziert wird die Publikationsinfrastruktur hier von wissenschaftlichen Einrichtungen oder Wissenschaftsverbänden. In Deutschland gilt seit 2014 unter bestimmten Voraussetzungen ein Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftler*innen.
Lawrence Lessig: Geschäftsmodell der Verlage beruht auf Verknappung
Lawrence Lessig, Begründer der Creative Commons-Lizenzmodelle, sieht in seinem Statement strukturelle Hindernisse im Weg zu mehr Offenheit beim wissenschaftlichen Publizieren: Er betont, das Problem bestünde vor allem in der machtvollen Interessensvereinigung der Verlage, „die sich durch die Verknappung von Informationszugängen ein Geschäftsmodell aufgebaut haben.“ Lessig hält dieses Geschäft für sehr profitabel.
Wissenschaftler*innen sollten sich dagegen fragen, welches Publikationsmodell sie selbst gerne hätten. Und er fügt hinzu: Das derzeitige hochkommerzielle System stünde im Widerspruch zu den Werten der wissenschaftlichen Gemeinschaft, denn es exkludiere Kolleg*innen in Entwicklungsländern, da der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur für diese oft unerschwinglich sei.
Katharina de la Durantaye: Rechtswissenschaften hängen am gedruckten Buch
In ihrem Video stellt Katharina de la Durantaye, Professorin für Bürgerliches Recht und Privates Medienrecht an der Uni Frankfurt/Oder, heraus: „Die Rechtswissenschaften sind ein sehr konservatives Fach. Und ein Fach, das sehr am gedruckten Buch hängt. Die Fächerkultur ändert sich bei uns nur sehr schwerfällig.“
Für diese Schwerfälligkeit führt de la Durantaye mehrere Gründe an: So seien die Stellenbesetzungsverfahren für Hochschullehrer*innen in der Regel von Kolleg*innen dominiert, die selbst in juristischen Verlagen ihre Dissertationen und Habilitationen veröffentlicht hätten – und daher die klassische Buchform nach wie vor bevorzugen und etablierte Verlage gewissermaßen als „Qualitätsgaranten“ für wissenschaftliche Güte wahrnehmen würden.
Demgegenüber zeige sich gerade bei jüngeren Wissenschaftler*innen zunehmend Unverständnis gegenüber den alten Verlagsstrukturen: Die nachfolgende Generation der Forscher*innen frage sich, warum Buch-Publikationen, deren Druckkosten man oft sogar selbst noch bezuschussen muss, nur einem Teil der Leserschaft zugänglich sein können, so de la Durantaye.
Weitere, frei lizenzierte Video-Statements und ein offenes Cryptpad
Neben Lawrence Lessig und Katharina de la Durantaye haben auch Thomas Eger, Raffaela Kunz, Anne-Kathrin Müller, Saskia Ostendorff, Alexander Peukert, Johannes Rux, Marc Scheufen, Christian Solmecke, Gerald Spindler, Eric Steinhauer und Andrea Wallace Video-Statements beigesteuert.
Die Statements werden nach und nach auf der Website von jurOA und auf Youtube veröffentlicht und stehen unter der offenen Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0. Damit unterstreichen die Organisator*innen ihren Wunsch nach mehr Offenheit beim wissenschaftlichen Publizieren. Zusätzlich lädt ein offen zugängliches Cryptpad Interessierte im Vorfeld dazu ein, Anregungen zu Themen und Formaten der Konferenz abzugeben.
OpenRewi: Offen und im Team schreiben
Einen ähnlich offenen, dezentralen Ansatz verfolgt die Initative OpenRewi. Ihr Ziel: Gemeinsam Open Educational Resources (OER), also offene Bildungsmaterialien, für die Rechtswissenschaften zu erstellen und damit die Kultur der Offenheit stärken.
OER
Unter „Open Educational Resources“, kurz OER, werden meist Lehr- und Lernmaterialien verstanden, die ungehinderter genutzt, kopiert, verändert und wiederveröffentlicht werden können als herkömmliche Materialien wie etwa klassische Schulbücher. Erreicht wird das durch freie Lizenzen, die den Verwendenden mehr erlauben als das Urheberrecht allein.
Zum siebenköpfigen Koordinationsteam der 2020 gegründeten Initiative junger Rechtswissenschaftler*innen, die als Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und Stipendiat*innen in der juristischen Forschung tätig sind, gehört Maximilian Petras. OpenRewi baut er im Rahmen seines Open Science-Fellowships auf. Zusammen mit Dana Valentiner veröffentlichte Petras kürzlich einen Blogpost bei „Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht“. Darin übertragen sie die OER-Prinzipien auf die rechtswissenschaftliche Lehre:
Bei OpenRewi wird im Team geschrieben, um von der Perspektive der anderen zu lernen. Dabei ist nicht das Produkt, sondern der Prozess das Ziel. Die Ko-Produktion und der gemeinsame Austausch enden nicht mit einem vorläufig „fertigen“ Text. Die Texte sollen von so vielen Menschen wie möglich vervielfältigt, verwendet, verarbeitet, vermischt und verbreitet werden.
Verschiedene Facetten von Offenheit nutzen und gestalten
Offen heißt in diesem Zusammenhang also zunächst: kollaborativ und miteinander vernetzt. Dafür verwendet OpenRewi unter anderem die Plattform wikibooks. Diese ist für alle frei zugänglich; Texte lassen sich kommentieren, verbessern, miteinander verlinken und in ihrer Versionsgeschichte nachvollziehen.
Offen bedeutet für OpenRewi explizit aber auch: divers, also multiperspektivisch, geschlechtergerecht und über Hierarchien hinweg. Daher formulieren Petras und Valentiner:
Mit OER wollen wir auch Hierarchien in der Produktion von Wissen über Recht in Frage stellen. Wichtig ist, dass sich Teammitglieder mit unterschiedlichen Perspektiven, Zugängen und Ansätzen einbringen können. Deshalb haben wir auch eine (Geschlechter-)Quote für die Zusammensetzung unserer Teams.
Offen soll nicht zuletzt die Nachnutzbarkeit der Materialien sein: Die entstehenden Inhalte stehen unter der Creative Commons-Lizenz CC-BY-SA und sollen mittelfristig via Open Access auch bei juristischen Fachverlagen erscheinen.
So will OpenRewi auch Jura-Studierende beim Lernen unterstützen. Das Projekt Strafrecht etwa soll langfristig das gesamte examensrelevante Wissen im Strafrecht abbilden.
Gebündelt wird das Wissen in Lehrbüchern, die erklären und zusammenfassen, sowie in Fallbüchern, in der beispielhafte Sachverhalte zur Übung juristisch bewertet werden.
Wie stehen Verlage, Hochschulen, Bibliotheken zu Open Access?
Wie positionieren sich die Verlage, die zu Open Access bereit sind? Wie integrieren sie Open Access in ihre Geschäftsmodelle? Was erwarten Sie von Hochschulen, Bibliotheken und Bildungspolitik? Wie gehen Wissenschaftseinrichtungen bei Open Access vor?
Auf diese und weitere Fragen suchen wir in einer losen Folge von Interviews und Beiträgen Antworten und Einschätzungen, lassen Akteur*innen zu Wort kommen.
Den Auftakt machte ein Interview mit Johannes Rux, Rechtswissenschaftler, Autor und als Lektor und Bereichsleiter beim Baden-Badener Nomos Verlag verantwortlich für zahlreiche, unter Open Access publizierte Bücher und Zeitschriften.
Darauf erörterte Amrei Bahr, Philosophin und Wissenschaftlerin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, in einem Gast-Beitrag, „Wie ein faires Publikationssystem für die Wissenschaft aussehen sollte“.
Der Bibliothekswissenschaftler Harald Müller erklärte im Interview: „Die Tätigkeiten, die die Verlage für sich reklamieren, kann die Wissenschaft auch selbst organisieren“.
1 Kommentar
1 beste Lernmethode am 8. Dezember, 2020 um 10:54
Gut! Es freut mich sehr!
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