Endlich Creative Commons im öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Die ARD bietet laut ihrem gesetzlichen Auftrag ein Programm rund um Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung. Ihr Ziel ist es, mit ihren Angeboten täglich möglichst viele Menschen zu erreichen.
Mit diesen Zeilen leitet die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) die Beschreibung ihres Programmauftrags auf ihrer Webseite ein. Diesem Auftrag entsprechend müsste das digitale Zeitalter eigentlich gleichzeitig zum goldenen Zeitalter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden. Noch nie war es technisch einfacher, „möglichst vielen Menschen“ öffentlich-rechtliche Inhalte zur Verfügung zu stellen.
7-Tage-Frist, ungeklärte Musik- und Bildrechte
Die Gegenwart des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zeigt jedoch ein anderes Bild:
- Von privaten Presseverlagen herbei lobbyierte Löschpflichten zwingen die Sender dazu, ihre Inhalte – oft bereits nach sieben Tagen – aus dem Netz zu löschen.
- Unzeitgemäße Jugendschutzbestimmungen sorgen dafür, dass Sendungen wie „Tatort“ oder „Polizeiruf 110“ nur von 20 bis 6 Uhr online abrufbar sind.
- Auf Grund von „ungeklärten Musik- oder Bildrechten“, wie in der FAQ der ARD-Mediathek erklärt wird, können viele Reportagen und Dokumentation überhaupt nicht online wiedergegeben werden.
- Selbst wenn Inhalte online verfügbar sind, ist damit noch lange nicht das Recht der BeitragszahlerInnen verbunden, diese weiterzuverbreiten und weiter zu nutzen. Auch für öffentlich-rechtliche Inhalte gilt das „alle Rechte vorbehalten“ des Urheberrechts.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutet deshalb öffentlich finanziert noch lange nicht öffentlich zugänglich oder sogar frei für die Öffentlichkeit nutzbar. Und es gibt viele, teils historisch gewachsene und teils aktuelle Gründe – etwa bei den 7-Tage-Fristen – für diese rechtlichen Einschränkungen. Dennoch stellt sich die Frage, warum diese Einschränkungen auch von Seiten der Runfunkanstalten selbst derart selbstverständlich hingenommen werden.
Anzeichen für ein Umdenken
Inzwischen gibt es aber erste Anzeichen dafür, dass ein Umdenken stattfindet. Bereits seit längerem kursieren Gerüchte über eine ARD-Arbeitsgruppe, die sich mit einem verstärkten Einsatz von offenen Lizenzen wie Creative Commons im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auseinandersetzt. Auch wenn Creative Commons nicht für alle Inhalte geeignet ist und nicht sämtliche genannten Einschränkungen zu beseitigen vermag, würde es entscheidend dazu beitragen, zumindest einen Teil der öffentlich-rechtlichen Inhalte zugänglich und nutzbar zu machen. Denn Creative-Commons-lizenzierte Inhalte könnten ohne aufwändige Rechteklärung weiterverbreitet, dauerhaft verfügbar gehalten und, eine entsprechend offene Lizenz vorausgesetzt, auch dafür genutzt werden, neue Werke zu schaffen (vgl. dazu ausführlich das White Paper „Creative Commons im öffentlich-rechtlichen Runfunk“, PDF).
Ein bislang noch nicht öffentlich zugänglicher Bericht der ARD-Arbeitsgruppe über „Creative Commons in der ARD“ (PDF) schätzt die Situation ähnlich ein. Gleich in der Zusammenfassung (S. 3) heißt es:
Die AG kommt zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von CC für ausgewählte ARD-Inhalte bei sorgfältiger Rechteprüfung sinnvoll ist. Die ARD hat den Auftrag, die Teilhabe an der Informationsgesellschaft zu fördern und die Mitwirkung an der Meinungsbildung zu ermöglichen. Die Nutzung von CC-Lizenzen unterstützt die Erfüllung dieses Auftrags: Der Zugang zu Bildungsinhalten oder Inhalten, die die Meinungsbildung fördern, wird erleichtert. Die ARD kann Beitragszahler, vor allem jüngere, besser erreichen. Werden mehr Menschen erreicht, erhöht sich die Beitragsakzeptanz. Redaktionen in der ARD nutzen selbst CC-lizenzierte Inhalte. Die ARD sollte daher auch Inhalte unter CC zur Verfügung stellen.
An Deutlichkeit ist diese Empfehlung kaum zu überbieten. Die Tücken liegen allerdings im Detail. Creative Commons ist modular aufgebaut und ermöglicht sehr unterschiedliche Lizenzen. Restriktive Lizenzmodule reduzieren zwar rechtliche Risiken, verhindern allerdings auch erwünschte Nutzungsszenarien.
Checkliste für CC-Lizenzierungen
Die Lizenz „Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-keine Bearbeitung“ (BY-NC-ND) ist am einfachsten anwendbar, sie minimiert rechtliche Risiken. Die Lizenz schließt aber auch viele erwünschte Nutzungsarten aus: Wikipedia könnte beispielsweise so lizenzierte Inhalte nicht verwenden. (S. 4)
Dieses Zitat ist der „Checkliste“ am Anfang des Berichts entnommen, deren einzelne Punkte auch eine gute Zusammenschau über die relevanten Fragestellungen rund um Creative Commons im öffentlich-rechtlichen Rundfunk liefern:
- Redaktionelles Konzept: Welche Inhalte sollen offen lizenziert werden?
- Geeignete Lizenzen: Welche Creative-Commons-Lizenz ist sinnvoll bzw. möglich?
- Geeignete Inhalte: Welche Inhalte kommen überhaupt für eine Creative-Commons-Lizenz in Frage?
- Arbeitsverträge: Erlauben die Verträge mit MitarbeiterInnen die Nutzung einer Creative-Commons-Lizenz?
- Wahrung von Persönlichkeitsrechten: Wurden Persönlichkeitsrechte von beispielsweise InterviewpartnerInnen geklärt?
- Kennzeichnung: Werden die Lizenzbedingungen (Nennung und Verlinkung von Lizenz sowie Nennung des Urhebers bzw. Rechteinhabers) erfüllt?
- Bereitstellung: Sind die Inhalte auch als Download verfügbar?
Angestoßen hatte die Auseinandersetzung mit diesen Fragen die so genannte Redaktionskonferenz Online. Sie hatte empfohlen, eine Arbeitsgruppe einzurichten und den Bericht „Creative Commons in der ARD“ zu erstellen.
ARD hat CC-Lizenzen bereits im Einsatz
Schon bisher kamen vereinzelt Creative-Commons-Lizenzen im Rahmen der ARD zum Einsatz. Im Bericht angeführt werden die NDR-Fernsehsendungen „Zapp“, „Extra 3“, „Kulturjournal“ sowie die BR-Sendung „Quer“. Der Bericht identifiziert ganz allgemein eine Reihe von Vorteilen, die der ARD entstünden, wenn sie Creative-Commons-Lizenzen würde:
- Public Value: Die Nutzung von Creative Commons entspreche „dem Kern des öffentlich-rechtlichen Auftrags der ARD“ (S. 8), außerdem nutze die ARD selbst Creative-Commons-lizenzierte Inhalte.
- Beitragsakzeptanz: Würde die ARD Creative Commons einsetzen, stiege die Akzeptanz bei den Bürgern dafür, dass sie Rundfunkgebühren zahlen müssen. Das könne bereits erreicht werden, wenn nur vergleichsweise kleine Teile des Programms unter CC lizenziert werden: „Allein 2012 sendete Das Erste 357.013 Sendeminuten Erstsendungen. Würde die ARD nur 0,1 Prozent dieser Inhalte unter CC stellen, wäre die ARD europaweit der größte Anbieter von CC-Inhalten.“ (S. 9)
- Rechtssicherheit für NutzerInnen, wenn sie ARD-Inhalte in eigene Publikationen, Webseiten, Blogs etc. einbinden.
- Keine Benachteiligung von BeitragszahlerInnen gegenüber kommerziellen Plattformen wie Facebook, denen heute schon regelmäßig öffentlich-rechtliche Inhalte qua AGB zur nicht-exklusiven Nutzung überlassen werden.
Besonders der letzte Punkt ist bemerkenswert und zeigt eine große Sensibilität für die aktuelle, unausgewogene Rechtslage. Wohl bewusst nicht angeführt ist ein weiterer Vorteil für die ARD: Creative-Commons-lizenzierte Inhalte bleiben zumindest potenziell länger – heißt: über Depublizierungsfristen hinaus – online verfügbar, sofern sie von dritter Seite weiterhin angeboten werden. Im Bericht der Arbeitsgruppe wird dieser Umstand nur indirekt unter dem Punkt „rechtliche Grenzen“ (S. 9-10) angesprochen. Auch wenn die ARD Inhalte von den eigenen Seiten löscht, kann sie damit nicht verhindern, dass die Inhalte zugänglich bleiben, wenn sie an anderen Stellen bereits veröffentlicht sind. Das bedeute auch, dass Persönlichkeitsrechte für diesen Fall geklärt werden müssen.
Der Bericht enthält daher einen Entwurf für ein Freigabedokument (S. 13-14). Das gilt auch für Urheberrechte an verwendetem Material: Da Creative Commons auf dem Urheberrecht aufsetzt, kann die ARD nur jene Inhalte unter Creative Commons veröffentlichen, an denen sie selbst über ausreichende Rechte verfügt.
Keine eigene „ARD-Lizenz“ geplant
Im Bericht wird keine Creative-Commons-Lizenz empfohlen, allerdings mehrfach betont, dass die rechtlichen Risiken der restriktivsten Lizenz BY-NC-ND (keine Bearbeitung und keine kommerzielle Nutzung erlaubt) am geringsten eingeschätzt werden. Erfreulich ist, dass eine eigene „ARD-Lizenz“ (S. 12) abgelehnt wird, damit die Lizenzlandschaft nicht weiter zersplittert wird, denn das würde zu größerer Rechtsunsicherheit führen. Ebenfalls begrüßenswert ist der Vorschlag des Berichts, Creative Commons in Produktionsabläufe zu integrieren, sodass bei neuen Produktionen bereits „vor der Erstellung der Inhalte die CC-Lizenzierung durch die Klärung der hierfür erforderlichen Rechte“ berücksichtigt werden kann, etwa durch entsprechende Dokumentation der Freigabe.
Bekannte Probleme ergeben sich dabei für Inhalte, die Musik von Komponisten und Interpreten verwenden, deren Rechte von der GEMA oder der GVL wahrgenommen werden, da diese Verwertungsgesellschaften – zumindest bislang – jegliche Creative-Commons-Nutzung verbieten. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zu Verwertungsgesellschaften in deutsches Recht könnte sich daran aber in naher Zukunft etwas ändern und zumindest die Verwendung von Creative-Commons-Lizenzen erlaubt werden, die kommerzielle Nutzung vorbehalten, also solche mit der „Non-Commercial“-Einschränkung. Das würde allerdings nichts daran ändern, dass für Filme Creative-Commons-Musik gesucht und verwendet werden müsste, wenn sie wieder unter CC veröffentlicht werden sollen.
Nächste Schritte: Pilotprojekte und CC-Workshops
Den Abschluss des Papiers bildet ein relativ knapper Abschnitt zu „mögliche[n] nächsten Schritten“. Sobald die Landesrundfunkanstalten redaktionelle Konzepte erstellt haben, sollen Creative-Commons-Lizenzen zunächst in Pilotprojekten zum Einsatz kommen, in denen es speziellen Informationen zur Lizenzierung gibt. Begleitend soll es Creative-Commons-Workshops geben. Diese Vorschläge scheinen dann doch relativ zögerlich, wenn man bedenkt, dass Creative Commons in Sendungen wie „Zapp“ und „Extra 3“ seit langem verwendet wird. Woran es vor allem fehlt, ist systematisch zu analysieren, wie Creative Commons jenseits von Insellösungen standardisiert genutzt werden kann. Die „redaktionellen Konzepte“ der Landesrundfunkanstalten sollten deshalb besser Teil von umfassenderen Potenzial- und Machbarkeitsanalysen sein.
Entsprechend den prinzipiellen Überlegungen des Berichts ließen sich darüber hinaus auch mittel- bis langfristige Perspektiven formulieren. Denn wie dort völlig richtig festgestellt wird, lässt es sich unmittelbar aus dem öffentlich-rechtlichen Auftrag ableiten, dass Creative Commons stärker eingesetzt werden sollte. Es müsste also begründet werden, wenn Inhalte nicht offen lizenziert werden. Mit anderen Worten: Wo rechtlich eine Creative-Commons-Lizenzierung möglich ist, sollte sie zur Regel werden; die Ausnahme müsste begründungspflichtig werden. Bis dorthin ist es wohl noch ein weiter Weg. Der Bericht der Arbeitsgruppe zu Creative Commons lässt aber auf erste wichtige Schritte in diese Richtung hoffen.
7 Kommentare
1 Subliminal_Kid am 6. Oktober, 2014 um 11:20
Ich stimme in weiten Teilen dem Artikel zu, jedoch lohnt es sich auch die Position der AG Dok zu den 7-Tage-Löschfristen zu beachten. Es ist nämlich keineswegs so, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Inhalte voll finanzieren. In der Regel sind dies zwischen 50 und 70% der Kosten, manchmal auch weniger. Den Rest müssen sich die meist ohnehin prekär finanzierten Produktionsfirmen (gerne auch idealistische ein Mann/Frau-Armeen) im Vertrieb oder aus anderen Nutzungsentgeldern holen. Wenn die Löschfrist wegfiele bedeutet dies einen spürbaren Effekt auf die Möglichkeit der Produktion gerade ästhetisch hochwertiger, politisch kontroverser und anspruchsvoller Inhalte. Es ist also nicht nur ein Ergebnis von Lobbyarbeit sondern auch der Wunsch der wahren Rechteinhaber – den Autoren oder Produzenten. Erst wenn deren Arbeit (und die Bedingung der Möglichkeit ihrer Arbeit (vgl. Handlungskosten) voll finanziert wird, ist m.E. die CC-Lizenz von Autorenseite wünschenswert.
Mit besten Grüßen, Sub_Kid
2 Paul Auster am 6. Oktober, 2014 um 11:45
Danke, Subliminal_Kid!!
Es ist in der Tat bezeichnend, dass in diesen Artikeln immer über Nutzungen, aber nie über Vergütungen gesprochen wird.
An der Stelle wird es doch aber erst für alle Beteiligten interessant.
Eine Vergütung ist keine Schande, sondern ein ganz normaler Austausch von Leistungen.
Was sagen Sie dazu?