Eine E-Mail aus dem Nahen Osten
Ich kannte die Frau nicht, hatte ihren Namen noch nie gehört. Sie schrieb mir über die E-Mail-Adresse, die auf meiner Homepage angegeben war. Sie schrieb aus Teheran, und zwar in etwa Folgendes: Ich habe Ihr Buch, Wüstenhimmel Sternenland, ins Persische übersetzt. Ich dachte, das interessiert Sie vielleicht, und wollte Sie, da es mir ausnehmend gut gefallen hat, davon in Kenntnis setzen. Derzeit arbeite ich an der Übersetzung Ihres zweiten Buches. Mit freundlichen Grüßen.
Ich las die Mail zwei Mal, drei Mal, ein viertes Mal, aber daran, dass ich völlig perplex war, änderte sich nichts. Schließlich schrieb ich zurück: Herzlichen Dank für Ihr Interesse an meiner Arbeit. Wäre es möglich Referenzen zu der Ihrigen zu erhalten? Und bitte wenden Sie sich doch wegen der Rechte an meinen Verlag. Ebenfalls freundliche Grüße.
Keine internationalen Rechte im Iran
Keine fünf Minuten später landete die zweite Mail aus der iranischen Hauptstadt in meinem Posteingang, ihrerseits nun auch einigermaßen irritiert: Wie ich das meinte, das mit den Rechten? Im Iran werde übersetzt, was die Übersetzer übersetzen wollten, da würde mit niemandem über Rechte und Lizenzen verhandelt. Dass sie mich überhaupt informiert hätte, sei lediglich eine Geste der Anerkennung und Freundlichkeit von ihr, der Übersetzerin, gewesen. Es sei keineswegs üblich. Ob ich denn nicht wüsste, dass der Iran kein internationales Urheberrechtsabkommens unterzeichnet hätte?
Nein. Das hatte ich nicht gewusst. Und nur Minuten später begriff ich, dass es noch etwas gab, was ich nicht gewusst hatte, etwas über mich selbst und mein Weltbild: Bis zu diesem Moment hatte ich mein Anrecht auf von mir Erschaffenes für eine Selbstverständlichkeit gehalten, ebenso wie ich die globale Gültigkeit des Schutzes meiner Werke als eine Tatsache angesehen hatte.
Nun erfährt man immer allerlei Neues über sich selbst, wenn man Unbekanntem begegnet, das ist nicht viel mehr als eine Binsenwahrheit. Das Verrückte an der Situation war aber, dass ich mich freute – freute, obwohl ich keinen Cent an diesen speziellen Büchern aus meiner Feder verdienen würde, die nun also bald in den Teheraner Buchhandlungen ausliegen sollten, immer vorausgesetzt, die iranische Zensurbehörde gäbe grünes Licht für die Veröffentlichung; freute auch, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie fachkundig die Übersetzung durchgeführt worden war, geschweige denn, ob die Dame, die mir geschrieben hatte, überhaupt irgendeine Art von Lizenz oder wenigstens Kompetenz fürs Übersetzen besaß.
Berichte aus der alten Heimat
Der Band, um den es hier ging, enthält, unter mehreren anders gelagerten, zwei Erzählungen, die von Teheran handeln beziehungsweise dort angesiedelt sind. Sie berichten von einem Teheran, das ich persönlich noch kannte, das aber tatsächlich längst von der Geschichte verschluckt worden ist und seit dreißig Jahren nicht mehr existiert, dem vorrevolutionären, monarchistischen Teheran bis 1979.
Die Vorstellung, dass diese Texte in meiner, wie ich wusste, inzwischen gänzlich veränderten Geburtsstadt, deren Sprache ich kaum noch sprach und die ich seit Jahrzehnten nicht mehr besucht hatte, gelesen werden würden, war eine durch und durch beglückende. Auch die Tatsache, dass ich keinen Finger für dieses Geschenk hatte rühren müssen, erschien mir, um es salopp zu sagen, wie pures Verwöhnaroma. Zu diesen ersten Freuden gesellte sich dann später noch jene darüber, dass die Übersetzung, wie mir von mehreren Literaturübersetzern versichert wurde, hervorragend war. Als I-Tüpfelchen erfuhr ich schließlich, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens meines Erzählbandes in Teheran ein ganzseitiger Artikel über meine Arbeit im Feuilleton einer der größten Zeitungen des Landes erschienen war (ebenfalls aus dem Deutschen übersetzt).
Das Problem ist das Geld
Rückblickend erscheinen mir sowohl die Situation selbst als auch meine widersprüchlichen Reaktionen auf sie für symptomatisch, wenn es um Fragen rund ums Urheberrecht geht, denn: Wirklich problematisch wird es meiner Erfahrung nach nicht in dem Moment, in dem geklärt werden soll, wer genau was genau erschaffen hat, sondern eigentlich immer erst in dem Moment, in dem es darum geht zu klären, wer genau wie viel genau an Geld für etwas bereits Erschaffenes bekommt, das nun veröffentlicht werden soll. Das Urheberrecht wird, wie fast alles andere auch, nicht immer, aber doch in den meisten Fällen, erst dann zu einem Problem, wenn es sich mit Fragen ums Pekuniäre verbindet.
Niemand hat etwas dagegen, dass ein guter Text von der einen Sprache in die andere übersetzt wird, zumal wenn die Übersetzung etwas taugt. Kein Autor, keine Schriftstellerin hat etwas dagegen, dass ihr oder sein Werk eine größere Verbreitung erfährt.
Tatsache ist, und ich halte mich in diesem Punkt für ein recht durchschnittliches Beispiel, dass ich (noch!) nicht zu den beneidenswerten Kollegenundinnen zähle, die ganz und gar vom reinen Verkauf ihrer Bücher und Texte leben können. Es ist kein Geheimnis, dass das die wenigsten unter uns sind. Ein nicht unbeträchtlicher Teil meiner Einnahmen speist sich aus Literaturstipendien, die es mir ermöglichen, in Ruhe zu arbeiten, und die ein Segen sind, den es beileibe nicht einmal in jedem europäischen Land auf dem Niveau gibt, das wir hier in Deutschland haben. Der Rest ergibt sich aus Honoraren für Lesungen, literarische Schreibwerkstätten oder Vorlesungen an Universitäten und Hochschulen, die mir alle Spaß machen, die aber auch sämtlich mit meiner eigentlichen Arbeit, das heißt mit meiner Schreibzeit, konkurrieren, insbesondere da sie häufig ein wenig wie Touren von Musikbands ablaufen nur ohne die Bandkollegen zum Zeitvertreib im Tourbus nach der Show.
Verschiedene Geldquellen
Faktisch bin ich während dieser Lesereisen tage- oder wochenlang fern von meinem Schreibtisch, verbringe die Nächte in zwar ausreichend mit Sternchen versehenen, aber doch wenig inspirierenden Hotelzimmern, die Tage auf und in Bahnhöfen, Flughäfen, Taxis und Zügen und meine Bücherregale sind in diesen Zeiten so weit von mir entfernt, dass sie sich übergangsweise in schemenhafte Erinnerungsbilder verwandeln. Selbstverständlich ist Reisen auch nicht der schlechteste Zeitvertreib und zum Journalschreiben oder Notizenfesthalten kommt man allemal auch auf Bahnhöfen und in Flugzeugen, aber ich gehöre nun einmal zu den Schriftstellern, die am liebsten und am besten zu Hause arbeiten. Um die Sache noch deutlicher zu machen: Hätte ich Kinder, wäre ich, selbst mit einem unterstützenden Kindsvater an meiner Seite, kaum in der Lage all die Lesereisen zu absolvieren und könnte lediglich reine Arbeitsstipendien annehmen. Aufenthaltsstipendien kämen vermutlich gar nicht erst in Frage.
Die Tatsache also, dass meine Bücher vom Urheberrecht geschützt sind, hat nicht wirklich zur Folge, dass ich mein Geld allein durch sie verdienen kann. Das ist viel eher eine Frage der Vermarktung durch den Verlag, der Nähe oder Ferne meines Schreibstils zum derzeit gängigen Geschmack der Feuilletonmacher und Leser oder zu den Themen, die auf dem Markt gerade en vogue sind. Trotzdem bin ich natürlich dankbar für jeden Cent, den ich mit meinen Büchern verdiene, ebenso wie auch dafür, dass niemand in Zweifel ziehen kann, wer meine Bücher geschrieben hat und auf wen verwiesen werden muss oder zumindest sollte, wenn sie zitiert oder (weiter-) verwendet werden.
Aufmerksamkeit erregen
All das ist aber auch in Teheran geschehen. Das Buch ist unter meinem Namen erschienen, der Artikel unter Angabe des deutschen Journalisten, der ihn verfasst hat, und der Zeitung, in der er zuerst erschienen ist, und im Gegensatz zur deutschen Ausgabe des Buches gibt es in der persischen sogar einen Hinweis auf meine Homepage. Einige Wochen nach Erscheinen erhielt ich ein Päckchen mit Belegexemplaren. Die Aufmerksamkeit, die das Buch in Teheran erregte, hat dann nur kurze Zeit später hier in Deutschland zu mehreren neuen Lesungseinladungen, Besprechungen und ähnlichem geführt, die mir in der Folge dann wiederum Honorare und (deutsche) Buchverkäufe eingebracht haben.
Sofern es also „nur“ um die Klarstellung der Urheberschaft geht, um die Anerkennung der einmaligen schöpferischen Leistung, sind die Schwierigkeiten, glaube ich, noch halbwegs überschaubar und auch zu bewältigen. Und für die andere Angelegenheit, die mit dem Verdienst nämlich, bietet das Urheberrecht ohnehin nur sehr bedingt eine Lösung, wie gesagt: Die allerwenigsten Schriftstellerundinnen weltweit leben allein vom Erlös ihrer Bücher. Da liegen die Probleme in ganz anderen Bereichen, wie wir sie teilweise auch aus dem Musikbusiness kennen: Verlagspolitiken, Märkte, Marketing, Zeitgeist etc.
Im Übrigen gibt es inzwischen genug Beispiele sowohl aus der Musikbranche als auch aus dem Bereich der Literatur, wo Werke, die vollständig frei ins Netz gestellt werden, sich gleichzeitig hervorragend im Print verkaufen. Stellvertretend für die Musik sei hier beispielsweise die neue CD der Nine Inch Nails genannt, die bei Erscheinen kostenlos aus dem Netz geladen werden konnte; stellvertretend für die Literatur, die Bücher von Cory Doctorow, die sämtlich unter einer Creative Commons Lizenz online zu haben sind.
Freiräume und Anerkennung
Inzwischen habe ich eine, zwar ausschließlich im Äther sich abspielende, aber um so freundlichere Verbindung zu meiner iranischen Übersetzerin aufgebaut, einer alleinerziehenden Mutter, die, wie ich mittlerweile erfahren habe, auch schon Goethe, Hegel und Adorno ins Persische übersetzt hat und die für die Übersetzung meines Buches sowie des Zeitungsartikels, die Suche nach einem Verlag und die Verhandlungen mit der iranischen Zensurbehörde umgerechnet insgesamt 300 Euro an Honoraren erhalten hat.
Auf diesem Hintergrund gesehen zeigt sich, wie ich meine, recht deutlich, wieso es nicht allein entscheidend ist, dass das Urheberrecht möglichst stark und weitreichend ist. Tatsächlich entscheidend ist, dass es mir einerseits ermöglicht, mit meinen Werken Geld zu verdienen, denn ich brauche es zum Beispiel, um einen Verlag dazu zu bringen, mir ein Autorenhonorar und eine Beteiligung zu bezahlen; dass es andererseits aber auch Freiräume lässt, die es meinen Werken ermöglichen, möglichst weite Kreise zu ziehen und möglichst viele Leute zu erreichen. Wenn das Urheberrecht in diesen Fällen dafür sorgt, dass ich als Autorin anerkannt und genannt werde, werden auch sie sich letztendlich auf die eine oder andere Art in klingelnder Form bezahlt machen.
Was sagen Sie dazu?