Ein Deckel mit Löchern
„Die Pornobranche hat sich weitestgehend zurückgezogen”. Weniger Arbeit hat der Mainzer Rechtsanwalt Tobias Röttger dadurch aber noch lange nicht. „Es gibt weiterhin viele, viele Fälle von Menschen, die wegen angeblichen Herunterladens von Filmen oder Musik aus dem Internet abgemahnt werden.“ Röttger hat sich auf Urherberrechts-Abmahnungen im Netz spezialisiert, oder genauer gesagt: Auf die Verteidigung von Beschuldigten. Mehrere tausend Fälle landen jedes Jahr in seiner Kanzlei. Warum es weniger Porno-Abmahnungen gibt, weiß Röttger auch nicht.
Die Zahl der Abmahnungen in Deutschland ist nicht genau bekannt, Schätzung gehen in die Hunderttausende. Das bedeutet, dass Internetnutzer von Anwälten aufgefordert werden, für unerlaubte Verbreitung von Musik, Fotos, Filmen oder Serien zu zahlen. Und sich zu verpflichten, das nie wieder zu tun. Neben dem Schadensersatz werden noch Anwaltskosten fällig, die in der Vergangenheit oft höher waren als der geforderte Schadensersatz. Eine Abmahnindustrie sei entstanden, kritisierten Verbraucherschützer. Nicht selten gingen die Forderungen an die – meist jugendlichen – Beschuldigten in die zehntausende Euro für ein Album.
Änderung sollte Abmahnungen eindämmen
Die Wende sollte eine Gesetzesreform bringen. Im Oktober 2013 traten im Rahmen des „Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ Neuregelungen am Urheberrecht in Kraft. Die Idee: Abmahnkosten sollten stark begrenzt werden, wenn es sich um „einfache“ und „erstmalige“ Verstöße handelte, die Person also zum ersten Mal von dem Rechteinhaber abgemahnt wird. Der Gegenstandswert wurde im Gesetz auf 1000 Euro begrenzt, das entspricht Anwaltskosten von rund 150 Euro.
Filesharing
Wer fremde Werke im Internet verbreitet, muss mit Abmahnungen rechnen. Tauschbörsen oder Torrent-Dienste funktionieren so, dass Dateien beim Herunterladen zugleich allen anderen Nutzern zugänglich gemacht werden. Wer das ohne Genehmigung von Rechteinhabern tut, verletzt Urheberrechte – der Großteil der Urheberrechts-Abmahnungen im Internet basiert darauf. Auch der Download zum Beispiel von Filehostern ist dann nicht erlaubt, wenn die Quelle „offensichtlich rechtswidrig“ ist. Mehr zum Thema: Post vom Anwalt, was tun?
Und heute, mehr als ein Jahr später? Es hat sich viel getan – doch das Ergebnis scheint das gleiche: „Wir haben jetzt weniger Player, die aber dafür häufiger abmahnen”, sagt Tobias Röttger. Von den 1000 bis 3000 Fällen, die er Jahr für Jahr bearbeitet, handelt es sich bei rund 80 Prozent um Abmahnungen der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Waldorf Frommer. Die verritt große Buch- und Hörbuchverlage, Plattenfirmen und Filmstudios. Abmahnungen sind für manche offenbar immer noch ein gutes Geschäft.
Der Hamburger Rechtsanwalt Alexander Wachs sieht es ähnlich nüchtern, die Kostenbeschränkung habe in der Praxis kaum Einfluss. „Die Kanzleien und Rechteinhaber haben einfach die Reduzierung auf Seiten der Anwaltskosten dadurch aufgefangen, dass die Schadensersatzsummen erhöht wurden. Es wurde also einfach an einer anderen Schraube gedreht. Das Ergebnis bleibt aber fast gleich.”
Fortschritte im Kleinen
Was großen Einfluss hat, ist eher ein vermeintlich kleines Detail: Die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes bei solchen Abmahnfällen. Fliegender Gerichtsstand bedeutet, dass die Rechteinhaber dort klagen können, wo sie wollen – oder eher gesagt: Wo sie davon ausgehen können, dass die Richterinnen und Richter in ihrem Interesse entscheiden. Vor allem die Gerichte in München, Köln und Hamburg sollen in Anwaltskreisen bekannt dafür gewesen sein, im Sinne der Film- und Musikfirmen zu entscheiden.
Nun müssen die Verfahren am Gerichtsort des Beschuldigten stattfinden. Das bedeutet, dass sich die Anreise für die abmahnenden Anwälte nur lohnen würde, wenn sie sich sicher sein können, dass sie gewinnen. Und das ist längst nicht mehr der Fall. Nur für große Abmahn-Kanzleien wie etwa Waldorf Frommer scheint sich das Geschäft noch zu lohnen. Eine Anfrage an die Kanzlei blieb bislang ohne Antwort.
Forderungen zum Nachbessern
Auch wenn die Zahl der Abmahnungen offenbar nicht wesentlich gesunken ist, haben sich die Möglichkeiten der Verteidigung verbessert. Aber noch immer gibt es Lücken. So sieht das Gesetz keine Deckelung der Abmahnkosten bei besonderen Umständen vor. „Das birgt natürlich Rechtsunsicherheit”, kritisiert Rechtsanwalt Florian Bischoff. Vor allem das Anbieten von Filmen, die vor dem Kinostart in Tauschbörsen landen, werde von machen Gerichten als besonders schweres Vergehen eingestuft.
Bischoff fordert: „Diese Regelung könnte man schon etwas konkreter fassen, zum Beispiel mit einer Aufzählung von Fallbeispielen.“ Auch sollten abmahnende Kanzleien genau darlegen, warum und für wen sie die Rechte vertreten. „Eine grobe Beschreibung der Rechtekette sollte notwendiger Inhalt einer Abmahnung sein.”
Alexander Wachs sieht ebenfalls Nachbesserungsbedarf, allerdings vor allem bei den Gerichten: „Die Schadensersatzsummen sollten nicht, wie momentan oft der Fall, geschätzt, sondern berechnet werden. Derzeit ist ein zu großes Gefälle zwischen den Schadensersatzsummen erkennbar.“
Musik-Abmahnungen sinken, Serien bleiben
Eine ganz andere Lösung für das Abmahn-Problem sieht Tobias Röttger: „Wir haben in letzter Zeit gesehen, dass die Zahl der Abmahnungen wegen Musik-Downloads extrem gesunken ist. Das liegt vor allem daran, dass es mittlerweile einfache, kostengünstige und vor allem legale Anbieter gibt.“ Wer für ein paar Euro bei iTunes, Spotify und Co. Musik hören kann, macht sich nicht auf die qualvolle Suche nach Bittorrents oder Dateien von One-Click Hostern.
Was für die Musik funktioniert, ist bei Filmen und Serien noch Zukunftsmusik. „Wir haben eine Vielzahl von Abmahnungen für US-Serien, die nicht gleichzeitig zur Ausstrahlung in den USA bei uns legal verfügbar sind (…). Könnten sich die Serienfans die Folgen am Tag der Erstausstrahlung auch in Deutschland legal kaufen, würde die Zahl der Fälle wahrscheinlich sinken“, so Röttger.
Der Kampf gegen illegale Verbreitung im Netz: Die Unterhaltungsindustrie hat es selbst in der in der Hand, das Problem zu lösen.
Update: In einer früheren Version dieses Textes wurde „Game of Thrones“ als Beispiel dafür genannt, dass eine Serie nicht verfügbar ist. Das stimmte nicht, diese Serie gibt es mittlerweile auch im vorgezogenen Download-Angebot. Vielen Dank an Christian Sommer für den Hinweis.
2 Kommentare
1 Frithjof Meyer am 11. März, 2017 um 01:27
Unter denjenigen, die an der Kommerz-Musik interessiert sind, verschafft sich sicherlich immer wieder ein gewisser Anteil Möglichkeiten, die dafür nicht bezahlbaren Kosten dadurch zu umgehen, dass er sich die Inhalte auf illegalem Wege verschafft. Wer glaubt, dadurch entstünde ein großer Schaden, übersieht, dass der Aufwand, diese illegalen Tätigkeiten zu unterbinden mittlerweile sicherlich um ein vielfaches höher liegt als die Kosten, die die Nutzer aufwenden könnten, wenn es für die illegale Beschaffung keine Möglichkeit gäbe. Davon profitiert dann eine ganze Industrie juristisch gebildeter Personen, deren Mitgliedern es letztlich egal ist, welchen negativen Einfluss ihr Bestreben, als Wegelagerer an den Schmuggelwegen der minder-bemittelten für die Kultur bedeutet. Ihnen ist es letztlich egal, ob die Täter geschnappt werden. Sie schämen sich auch nicht denjenigen in die Tasche zu greifen, die nicht Böses wollen sondern den vielen ehrlichen Menschen ein kostenloses Internet zur Verfügung zu stellen. Sie beschneiden damit die Kultur der Nächstenliebe durch Ihre Einkommens-Bestrebungen. Vielleicht haben sie sonst nichts besseres zu tun.
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