Dirk von Gehlen: „Der Zugang zum Prozess kann sehr wertvoll sein“
Dirk von Gehlen leitet bei der Süddeutschen Zeitung die Abteilung „Social Media/Innovation“, zu der auch das mehrfach ausgezeichnete junge Magazin jetzt.de zählt. 2011 veröffentlichte er bei Suhrkamp „Mashup – Lob der Kopie“, in dem er sich mit der Ungeheuerlichkeit der digitalen Kopie befasst. In diesem Winter startete der Diplom-Journalist das Crowdfunding-Projekt „Eine neue Version ist verfügbar“, in dem er beschreiben und selber zeigen will, wie die Digitalisierung Kunst und Kultur verflüssigt.
iRights.info: Sie schreiben gerade ein Buch. Um was geht es und was ist das besondere daran?
Dirk von Gehlen: Das Besondere an „Eine neue Version ist verfügbar“ ist, dass die Leser das Buch nicht erst kaufen, wenn ich lange in meiner Dichterstube gesessen und feste nachgedacht habe, sondern von Anfang an am Entstehungsprozess teilhaben können, sogar bevor ich überhaupt zu schreiben begonnen habe. Genau das ist das Thema des Buches: Es beschreibt, wie die Digitalisierung Kunst und Kultur verflüssigt. Wir müssen sie – und das will ich in dem Buch beschreiben – eher wie Software denken. Dazu zählt, dass wir in Versionen denken und den Prozess in den Blick nehmen müssen.
iRights.info: Haben Sie denn schon angefangen? Wie kann ich als Unterstützer Teil des Produktions- und Schreibprozesses werden?
Dirk von Gehlen: Das Projekt wird über die Crowdfunding-Plattform startnext.de (startnext.de/neueversion) abgewickelt. Dort kann man Buch vorab kaufen und damit bekommt Zugang zum Schreibprozess. Dieser startet mit Abschluss der Funding-Phase am 20. Dezember. Es gibt gestaffelte Kaufmöglichkeiten von der Basisunterstützung für 5 Euro, über das limitierte Premium-Buch mit individualisiertem Cover bis zum Sponsoring.
Der Prozess ergänzt das Produkt
iRights.info: Wie sieht ihr Geschäftsmodell aus? Was erwarten und erhoffen Sie sich von Ihrem neuen Buch? Und: was erwartet den Leser?
Dirk von Gehlen: Das Geschäftsmodell, das ich ausprobieren möchte, ergänzt das reine Produkt um einen Prozess. Der Zugang zu diesem Entstehungsprozess kann für Fans sehr wertvoll sein, ohne dass er für den Künstler mit hohen Kosten verbunden wäre. Betriebswirtschaftlich gesprochen könnte hier also ein Geschäftsmodell stecken, das vergleichbar mit Live-Konzerten oder Lesungen ist. Journalistisch gesprochen sehe ich aber zunächst die Möglichkeit, durch eine veränderte Art zu schreiben, bessere Bücher und Texte herzustellen. Ob das gelingt und was den Leser erwartet, kann ich allerdings noch nicht sagen. Deshalb meine Einladung an alle, mich beim Ausprobieren zu begleiten.
iRights.info: Verschwindet dabei nicht der Inhalt des Buches – das Leseerlebnis – hinter dem Erlebnis des Produktionsprozesses?
Dirk von Gehlen: Ich glaube, dass der Prozess das Produkt ergänzt. Ich habe mir diese These selbst mit Hilfe einer Fußballmetapher erklärt: Bei einem Spiel verliert das Resultat ja auch nicht deshalb seine Bedeutung, weil die Zuschauer daran teilhaben wollen, wie es zustande kommt. Gleiches gilt auch für Kunst und Kultur. Es ist heute technisch möglich, die Entstehungsbedingungen offen zu legen: den Zugang zu einem Tonstudio möglich zu machen oder Lesern zu erlauben, den Schreibprozess eines Buches zu verfolgen. Das heißt nicht, dass es jeder will, aber es ist möglich. Und dabei werden unkopierbare Momente geschaffen, die dem Endprodukt einen Wert hinzufügen können.
Das Bedrucken von Papier ist der geringste Teil
iRights.info: Sie haben keinen Verlag. Warum haben Sie sich dagegen entschieden?
Dirk von Gehlen: Ich habe mich zunächst gegen einen Verlag entschieden, weil ich alle Facetten des Experiments selber er- und durchleben wollte. Nur so kann ich selbst verstehen und analysieren, was funktioniert und was nicht funktioniert. Ich weiß aber schon jetzt, dass ich Folgeprojekte sehr viel lieber mit einem verlegerischen Partner realisieren will. Die organisatorischen Fragen lenken ein wenig vom zentralen Punkt – dem Schreiben – ab.
In meinem Fall sind sie allerdings Bestandteil des Schaffensprozesses, weil Thema und Entstehung zusammenfallen. Wenn Selfpublishing sich weiter entwickelt, sehe ich große Chancen für Verlage, die sich auf besondere Unterstützung spezialisieren: Das Wichtigste ist dabei die Öffentlichkeitsarbeit, Marktbeobachtung und Auswahl von erfolgversprechenden Projekten, Lektorat und Organisation. Das Bedrucken von Papier ist am Ende der geringste Teil.
iRights.info: Was passiert, wenn die Leser, die Ihren Produktionsprozess verfolgen, zentrale Ideen, die Sie aufschreiben wollen, als nicht relevant betrachten. Ändern Sie dann den Inhalt des Buches?
Dirk von Gehlen: Um beim Fußballbild zu bleiben: Wenn die Fans hartnäckig den Rauswurf des Trainers fordern, wird ein Verein darauf reagieren müssen. Soll heißen: Wenn ich tatsächlich gegen das Interesse meiner Leser anschreiben würde, müsste ich nach Lösungen suchen. Meine ersten Erfahrungen sind aber gegenteilig: Ich habe zahlreiche gute Hinweise und Literaturtipps bekommen, die ich sonst vermutlich nicht entdeckt hätte, wenn ich mich für die einsam-im-Kämmerlein-Denken-Variante entschieden hätte.
Nur wer ausprobiert, findet Antworten
iRights.info: Welches waren die spannendsten Reaktionen, die Sie auf Ihr Projekt bekommen haben?
Dirk von Gehlen: Spannend im Sinne von erfreulich ist der riesige Zuspruch, den ich auf Startnext erfahre. Das gesetzte Ziel von 5000 Euro wurde in nur fünf Tagen erreicht. Mittlerweile sind wir sehr nah an den 10.000 Euro. Damit hätte ich niemals gerechnet.
iRights.info: Ihr Konzept könnte auch Vorbildcharakter für andere Autoren haben. Welche Fehler und Fettnäpfchen sollten vermieden werden?
Dirk von Gehlen: Ich will niemandem Vorgaben machen. Ich habe aber schon jetzt sehr viel gelernt. Eine ganz wichtige Lehre bezieht sich auf das Scheitern: Es wird hierzulande als ehrenrührig angesehen, mit einem Projekt zu scheitern. Crowdfunding zieht aber genau daraus seine Spannung: Ein Projekt kann auch in die Hose gehen. Bei klassischer Kulturproduktion geschieht das nicht so öffentlich wie beim transparenten Produzieren. Ich wollte dieses Risiko aber aus zwei Gründen bewusst eingehen: Zum einen weil ich nur so daraus lernen kann, was man besser machen kann, und zum zweiten, weil ich glaube, dass wir eine Kultur des Scheiterns brauchen, um mit den Herausforderungen der Digitalisierung umzugehen. Nur wer ausprobiert, findet Antworten.
Alle Informationen zum Buch „Eine neue Version ist verfügbar“ sind auf der Website www.enviv.de zu finden. Angepeilter Erscheinungstermin ist der Mai 2013. Aktuell kann man das Projekt durch einen Vorabkauf unter www.startnext.de/neueversion weiter unterstützen.
Was sagen Sie dazu?