Ein digitales Wissensgesetz für Europa – Communia veröffentlicht Forderungen in deutscher Fassung

Communia Banner für ein digitales Wissensgesetz, freigegeben unter CC0
Justus Dreyling arbeitet als Policy Director bei Communia. Er beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Urheberrechtsgesetzen auf EU-Ebene. Gleichzeitig setzt er sich für Erhalt und Ausbau der Gemeinfreiheit („Public Domain“) ein. Bei iRights.info hat Justus Dreyling bereits darüber geschrieben, wie sich Italien über die EU-Vorgaben zur Gemeinfreiheit hinwegsetzt und was dies bedeutet.
Im Oktober 2024 veröffentlichte Communia Forderungen für einen „Digital Knowledge Act“, ein digitales Wissensgesetz in Europa. Nun gibt es auch eine deutsche Fassung, die hier als PDF zum Download zur Verfügung steht. Außerdem veröffentlicht iRights.info die Forderungen in vollständiger Länge weiter unten.
Anlässlich der Veröffentlichung der deutschen Fassung wurde Justus Dreyling von Georg Fischer befragt.
iRights.info: Communia setzt sich für die Verbesserung der Gemeinfreiheit in Europa ein. Was möchte COMMUNIA mit dem „Digital Knowledge Act“, also dem digitalen Wissensgesetz erreichen?

Justus Dreyling ist Policy Director bei Communia. Der Politikwissenschaftler befasste sich bereits in seiner Doktorarbeit mit dem EU-Urheberrecht.
Justus Dreyling: Mit dem digitalen Wissensgesetz wollen wir erreichen, dass die Potenziale der Digitalisierung im Bereich der Wissensproduktion voll ausgeschöpft werden können. Wir wollen Universitäten, Forschungs-, Bildungseinrichtungen, Bibliotheken und Archive – wir nennen diese Institutionen Wissensinstitutionen – in die Lage versetzen, die gleichen Dienste online und offline anbieten zu können. Derzeit bestehen noch zu viele Hindernisse, die Wissensinstitutionen davon abhalten, ihren öffentlichen Auftrag auch im Digitalen zu erfüllen.
Siehst Du die Gemeinfreiheit in Europa unter Druck geraten, und wenn ja, in welcher Weise? Was bedeutet das?
Wir erleben viele Versuche, Wissen, das eigentlich allen frei zugänglich sein sollte und könnte, zu privatisieren. Sei es durch neue Geschäftsmodelle oder Gesetzgebung. Die Digitalisierung, das Internet und jüngst KI haben Begehrlichkeiten geweckt. Viele Akteure, sowohl öffentliche als auch private, versuchen aus Materialien, wie Gesetzen, öffentlichen Daten oder gemeinfreien Werken des kulturellen Erbes, Kapital zu schlagen.
Was sind die Besonderheiten beim Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene?
In der EU haben wir es mit drei Co-Gesetzgebern zu tun: Kommission, Rat und Parlament. Für uns als kleine NGO ist das natürlich herausfordernd. Denn bestenfalls haben wir in allen Institutionen Kontakte und müssen diese pflegen. Zusätzlich haben diese Institutionen oft weit auseinander liegende Prioritäten, was es schwierig machen kann, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Was sind die nächsten Schritte? Was plant Communia als nächstes?
Ganz konkret ist es so, dass die Europäische Kommission derzeit einen Vorschlag für einen European Research Area Act, also ein Gesetz für den europäischen Wissensraum, erarbeitet. Dieses soll die Freizügigkeit von Wissenschaftler*innen und den freien Verkehr von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologie in der EU stärken. Wir bringen uns aktiv in diesen Prozess ein und werden auf eine Wissenschaftserlaubnis und ein starkes Zweitveröffentlichungsrecht drängen.
Die Fragen beantwortete Justus Dreyling schriftlich.

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Ein digitales Wissensgesetz für Europa
Europa investiert massiv in Forschung und Innovation und das aus gutem Grund. Allerdings haben wir es trotz aller Investitionen versäumt, Bibliotheken, Archive, Universitäten und andere Wissensinstitutionen beim digitalen Wandel zu unterstützen, und damit die europäische Innovationsfähigkeit im digitalen Zeitalter maßgeblich beschnitten.
Wir müssen zügig die Barrieren beseitigen, die Wissensinstitutionen daran hindern, ihren öffentlichen Auftrag auch im Digitalen zu erfüllen. Wir müssen Reformen priorisieren, die sich auf die Bedürfnisse dieser Institutionen konzentrieren.
Dafür benötigen wir ein maßgeschneidertes Gesetz, ein digitales Wissensgesetz, das es Wissensinstitutionen ermöglicht, online und offline dasselbe Angebot bereitzustellen. Ein digitales Wissensgesetz sollte sich auf vier Maßnahmen konzentrieren, um Wissensinstitutionen im digitalen Zeitalter zu stärken:
Maßnahme 1. Die Gemeinfreiheit schützen!
Öffentliche Dokumente, öffentliche Reden und öffentliche Daten sind wesentliche Informationsquellen, die der Öffentlichkeit oft nicht frei zugänglich sind. All diese Materialien sollten von urheberrechtlichem Schutz ausgenommen sein. Sämtliche rechtlichen Barrieren gegen die Nutzung von Reproduktionen gemeinfreier Werke müssen beseitigt werden.
Maßnahme 2. Die Forschung entfesseln!
Forschende haben oft Schwierigkeiten, Forschungsergebnisse einzusehen oder zu teilen. Eine Forschungserlaubnis im Urheberrecht und eine Verpflichtung, öffentlich finanzierte Ergebnisse Open Access zu veröffentlichen, würden erheblich dazu beitragen, das Potenzial der europäischen Forschung freizusetzen.
Maßnahme 3. Die digitale Transformation fördern!
Die Weigerung von Rechteinhaber*innen, digitale Materialien zu lizenzieren, sowie unfaire Lizenzbedingungen gehören zu den größten Herausforderungen für Bibliotheken und Forschungseinrichtungen. Wir benötigen ein EU-weites E-Lending-Recht und eine Verpflichtung, digitale Werke an Wissensinstitutionen zu lizenzieren.
Maßnahme 4. Institutionen vor rechtlichen Risiken schützen!
Aufgrund des komplexen und fragmentierten Zustands des EU-Urheberrechts schrecken viele Einzelpersonen und Institutionen vor internationalen Forschungskooperationen und anderen Aktivitäten, die eigentlich im Interesse der Öffentlichkeit sind, zurück. Ein Schutz vor Haftung und Schadensersatzforderungen für diejenigen, die nach bestem Wissen und Gewissen handeln, würde diesen abschreckenden Effekt mildern.
Die Zeit ist reif für ein digitales Wissensgesetz. Nun liegt es am europäischen Gesetzgeber, sich umfassend mit den Problemen europäischer Wissensinstitutionen zu befassen und ihr volles Potenzial zu entfesseln.
1. Die Gemeinfreiheit schützen
1.1. Die Grenzen des Urheberrechts harmonisieren
Innerhalb der EU ist nicht harmonisiert, welche Materialien vom Urheberrechtsschutz ausgenommen sind. Das führt zu rechtlicher Unsicherheit und sorgt für Probleme bei der grenzüberschreitenden Nutzung von Materialien, die nie Urheberrechtsschutz genießen sollten, wie Gesetze, Gerichtsentscheidungen und öffentliche Daten. Dies wirft außerdem grundlegende rechtliche Bedenken auf und erschwert Forschung und andere Aktivitäten, die im öffentlichen Interesse sind.
Daten, Fakten, Nachrichten und Informationen sind in zwölf Mitgliedstaaten ausdrücklich vom Urheberrechtsschutz ausgenommen, allerdings nicht im Rest der EU. Auch haben 19 Mitgliedstaaten bereits bestimmte Kategorien von amtlichen Werken vom Urheberrechtsschutz ausgenommen, doch in vielen Mitgliedstaaten sind viele dieser Materialien immer noch urheberrechtlich geschützt oder hinter Paywalls versteckt. Wo dies der Fall ist, kann der Zugang zu diesen Materialien und deren Nutzung schwierig oder sehr teuer sein.
Trotz der Bedeutung öffentlicher Reden sind auch diese nicht zwingend in der ganzen EU öffentlich zugänglich. Das EU-Recht erlaubt den Mitgliedstaaten, eine Urheberrechtsschranke für politische Reden und andere Kategorien öffentlicher Reden einzuführen. Allerdings schöpfen nicht alle Mitgliedstaaten diese Möglichkeit voll aus.
Was ist die Lösung?
Kein Urheberrecht auf Daten, Fakten, Nachrichten und Informationen
→ Das EU-Recht sollte ausdrücklich festlegen, dass Daten, Fakten, Nachrichten und Informationen keinen Urheberrechtsschutz genießen.
Kein Urheberrecht auf amtliche Werke
→ Das EU-Recht sollte festlegen, dass amtliche Werke, die für die Rechtsordnung unerlässlich sind, wie Gesetze, Gerichtsentscheidungen und Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, keinen Urheberrechtsschutz genießen. Selbiges sollte für Informationen wie öffentliche Regierungsdokumente, öffentliche Studien, öffentliche Software und öffentliche Datensätze gelten.
Kein Urheberrecht auf oder eine EU-weite Nutzungserlaubnis für öffentliche Reden
→ Das EU-Recht sollte festlegen, dass öffentliche Reden, die informierenden oder rechtlichen Zwecken dienen, wie Reden über politische und religiöse Angelegenheiten und Reden im Rahmen von Gerichts-, Verwaltungs- oder parlamentarischen Verfahren, vom Urheberrechtsschutz ausgenommen sind oder unter einer EU-weiten Urheberrechtserlaubnis genutzt werden können.
Weitere Informationen: https://communia-association.org/policy-paper/policy-paper-16-on-public-sector-documents-and-public-speeches/
1.2. Das Recht auf Nutzung des kulturellen Erbes schützen
Das Urheberrecht basiert auf der Idee, dass Werke nach Ablauf einer Schutzfrist gemeinfrei und für alle frei nutzbar sind. Allerdings wurden jüngst einige EU-Unternehmen verklagt, weil sie Abbildungen gemeinfreier Werke, wie Michelangelos David und Da Vincis vitruvianischen Menschen, auf Produkten oder für Werbung genutzt haben.
Die Kulturerbegesetze von Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal und Slowenien erfordern alle eine Genehmigung und die Zahlung einer Gebühr für die Nutzung von Reproduktionen bestimmter Gemälde, Skulpturen und anderer Kulturgüter in nationalen Sammlungen – selbst wenn ein Werk gemeinfrei ist.
Ewige Exklusivrechte an unserem gemeinsamen kulturellen Erbe untergraben die Gemeinfreiheit und haben schwerwiegende Folgen für die Ausübung grundlegender Rechte, wie der Freiheit des Kulturlebens, der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit. Es widerspricht auch Artikel 14 der EU-Urheberrechtsrichtlinie von 2019, wonach Reproduktionen von gemeinfreien Werken ebenfalls gemeinfrei sind.
Was ist die Lösung?
Keine Nutzungsbeschränkung des öffentlichen Kulturerbes
→ Das EU-Recht sollte festlegen, dass die Nutzung von Reproduktionen gemeinfreien kulturellen Erbes weder für kommerzielle noch für andere Zwecke durch nationale Kulturerbegesetze eingeschränkt werden darf.
Weitere Informationen: https://communia-association.org/policy-paper/policy-paper-20-on-the-right-to-use-public-domain-heritage/

Library of Congress, Washington (Public Domain)
2. Die Forschung entfesseln
2.1. Das Recht auf Forschung schützen
Forschungsressourcen sind oft urheberrechtlich geschützt und Rechteinhaber*innen können die Nutzung für Forschungszwecke untersagen. Die EU hat 2019 versucht, einige urheberrechtliche Beschränkungen der wissenschaftlichen Forschung zu beseitigen. Forschenden wurde das Recht eingeräumt, Werke für computergestützte Analysen zu vervielfältigen. Allerdings wurde Forschenden kein Recht eingeräumt, diese Ressourcen auch zu teilen, was für grenzüberschreitende Verbundprojekte, den Fernzugriff sowie für die Gewährleistung von Forschungstransparenz unerlässlich ist.
Die Mitgliedstaaten sind berechtigt, umfassende Forschungserlaubnisse einzuführen, doch nur acht haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Ansonsten stehen Forschende in der EU vor urheberrechtlichen Hürden, die sie entweder dazu zwingen, auf die Verwendung bestimmter Materialien zu verzichten oder in rechtlichen Grauzonen zu arbeiten.
Eine 2024 von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Umfrage zeigt, dass etwa 80% der Forschungseinrichtungen die Harmonisierung des EU-Rechtsrahmens durch die Aufnahme einer offenen Forschungserlaubnis mit grenzüberschreitender Wirkung befürworten.
Was ist die Lösung?
Eine EU-weite Forschungserlaubnis
→ Das EU-Recht sollte Forschenden unter einer verpflichtenden EU-weiten Urheberrechtserlaubnis mit grenzüberschreitender Wirkung ermöglichen, urheberrechtlich geschützte Materialien im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsaktivitäten umfassend und flexibel zu nutzen.
Weitere Informationen: https://communia-association.org/publication/nobody-puts-research-in-a-cage-researchers-perspectives-on-working-with-copyright-2nd-edition/
2.2. Den Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen sicherstellen
Veröffentlichte Forschungsergebnisse landen oft hinter Paywalls und sind vielen Forschenden und der breiten Öffentlichkeit somit nicht zugänglich. Das behindert den wissenschaftlichen – und gesellschaftlichen – Fortschritt. Es widerspricht zudem dem primären Ziel der Wissenschaft, ihre Ergebnisse so weit wie möglich zu verbreiten, um ihre größtmögliche Wirkung zu entfalten.
EU-finanzierte Forschung bildet da keine Ausnahme. In vielen Fällen müssen europäische Steuerzahler*innen zweimal zahlen: einmal für die Finanzierung der Forschung und nochmals für den Zugang zu den Publikationen. Dies beeinträchtigt den Zugang zu Wissen erheblich. In einer 2024 von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Umfrage klagten 80% der Forschenden über erhebliche Barrieren beim Zugang zu urheberrechtlich geschützten Ressourcen aufgrund fehlender Abonnements.
Eine EU-weite Verpflichtung zur Wiederveröffentlichung öffentlich finanzierter Forschungsergebnisse zusammen mit einem Zweitveröffentlichungsrecht würde Autor*innen schützen und Zugangsprobleme verringern. Forschende behielten das Recht, ihre Veröffentlichungen unabhängig von den vertraglichen Vereinbarungen mit Verlagen in Open Access bereitzustellen.
Was ist die Lösung?
Ein Rahmen für die Wiederveröffentlichung öffentlich finanzierter Forschungsergebnisse
→ Das EU-Recht sollte die Wiederveröffentlichung öffentlich finanzierter Forschungsergebnisse in einem Open-Access-Repositorium unter einer geeigneten offenen Lizenz sofort nach deren Veröffentlichung vorschreiben.
→ Das EU-Recht sollte Autor*innen ein unwiderrufliches und unveräußerliches Recht einräumen, öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse unmittelbar nach deren Veröffentlichung unter einer geeigneten offenen Lizenz in einem Open-Access-Repositorium wiederveröffentlichen zu können.
→ Das EU-Recht sollte ferner Gedächtnisinstitutionen und anderen Wissensinstitutionen das Recht einräumen, öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse unmittelbar nach deren Veröffentlichung unter einer geeigneten offenen Lizenz in einem Open-Access-Repositorium wiederveröffentlichen zu können.
Weitere Informationen: https://communia-association.org/policy-paper/policy-paper-17-on-access-to-publicly-funded-research/

Aufnahme von Theresa Babb, um 1900 (Public Domain). Quelle: Public Domain Image Archive.
3. Die digitale Transformation fördern
3.1. Das Recht auf E-Lending schützen
Heutzutage sind immer mehr Informationen digital zugänglich. Dementsprechend, erwarten Bibliotheksnutzer*innen zurecht, dass sie auch Zugang zu E-Books erhalten. Allerdings stehen Bibliotheken vor erheblichen Hindernissen bei der Umstellung von der analogen zur digitalen Ausleihe. Es ist gängige Praxis, dass Verlage und Aggregatoren den Zugang zu E-Books einschränken, indem sie Bibliotheken restriktive Lizenzbedingungen auferlegen, überhöhte Preise verlangen oder es schlichtweg ablehnen, E-Book-Lizenzen an Bibliotheken zu vergeben.
Diese Praktiken stellen viele Bibliotheken vor Herausforderungen bei der Beschaffung neuer Werke und dem Aufbau ihrer eigenen digitalen Sammlungen. Zum Beispiel sind in Deutschland nur 7% der neu veröffentlichten E-Books für Bibliotheksnutzer*innen verfügbar. Der Großteil des digitalen Katalogs, der für Bibliotheksnutzer*innen verfügbar ist, umfasst nur E-Books, die Mitte der 2010er Jahre oder noch früher veröffentlicht wurden.
Um diese Hindernisse zu überwinden, könnten Bibliotheken eigenständig digitalisieren und E-Books aus ihren Sammlungen verleihen. Allerdings fehlt es an einer klaren rechtlichen Grundlage für das E-Lending auf Grundlage digitalisierter physischer Bücher.
Was ist die Lösung?
Eine EU-weite E-Lending-Ausnahme
→ Das EU-Recht sollte eine zwingende, EU-weite Urheberrechtserlaubnis mit grenzüberschreitender Wirkung einführen, die Bibliotheken das Recht gewährt, Werke in digitaler Form (einschließlich genuin digitaler Werke und digitalisierter Werke in ihren Sammlungen) unter den Bedingungen, die in der Rechtsprechung des EuGH definiert sind, zu verleihen.
→ Das EU-Recht sollte ferner klarstellen, dass Bibliotheken das Recht haben, Werke in ihren Sammlungen zu digitalisieren.
Weitere Informationen: https://communia-association.org/policy-paper/policy-paper-19-on-e-lending/
3.2. Bekräftigung des Rechts auf Besitz und Lizenzierung digitaler Werke
Die zunehmende Abhängigkeit von Lizenzen in der Nutzung digitaler Formate hat es Wissensinstitutionen erheblich erschwert, neue Werke zu erwerben, zu bewahren und bereitzustellen. Lizenzen simulieren eine befristete Vermietung, was es Verlagen ermöglicht, ihre Veröffentlichungen stärker zu kontrollieren.
Lizenzen für Institutionen sind oft sehr teuer oder übermäßig restriktiv. Institutionen werden außerdem gezwungen, dieselben Materialien immer wieder anzuschaffen, und einige Lizenzgeber verweigern die Lizenzierung sogar vollständig. Bibliotheken sind von diesen missbräuchlichen Praktiken besonders betroffen, aber sie sind nicht die einzigen. Eine Umfrage, die 2024 von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass es mehr als 40% der befragten Forschenden nicht möglich war, die Erlaubnis der Rechteinhaber*innen zu erhalten, um auf Wissensressourcen zuzugreifen.
Diese Verschiebungen im europäischen Wissensmarkt erhöhen die Abhängigkeit von Wissensinstitutionen von einzelnen Marktakteuren. Sie beeinträchtigen Wissensinstitutionen in der Ausübung ihres öffentlichen Auftrags und in der Folge deren Nutzende in der Ausübung ihrer Grundrechte.
Was ist die Lösung?
Zugangsrechte für Begünstigte von Urheberrechtserlaubnissen
→ Das EU-Recht sollte einzelnen Begünstigten soweit erforderlich Zugangsrechte zu digitalen Werken gewähren, um die effektive Ausübung ihrer Rechte unter einer Urheberrechtserlaubnis zu sichern. Dies sollte unter der Voraussetzung geschehen, dass der oder die Urheberrechtsinhaber*in bereits derartige digitale Werke vertreibt und dass die Erleichterung des Zugangs zu digitalen Formaten für Rechteinhaber*innen keine unangemessene Belastung darstellt.
Eine Verpflichtung zur Lizenzierung an Wissensinstitutionen
→ Das EU-Recht sollte eine Verpflichtung für Rechteinhaber*innen einführen, um Wissensinstitutionen den Zugang zu digitalen Werken unter fairen und angemessenen Bedingungen zu ermöglichen, sei es durch Lizenzen oder auf anderem Wege.
Unfairen Lizenzbedingungen entgegenwirken
→ Das EU-Recht sollte festlegen, dass Lizenzbedingungen, die für Wissensinstitutionen gelten, deren Bedürfnissen angemessen sein müssen. Vertragliche Bestimmungen in Lizenzvereinbarungen, die Wissensinstitutionen daran hindern, ihren öffentlichen Auftrag zu erfüllen, rechtmäßige Nutzungen einschränken oder die Übertragung von Nutzendendaten erfordern, sollen nicht durchsetzbar sein.
Weitere Informationen: https://communia-association.org/policy-paper/policy-paper-21-on-the-right-to-license-and-own-digital-materials/

Camden Amphitheater, um 1931 (Public Domain). Quelle: Flickr.
4. Institutionen vor rechtlichen Risiken schützen
4.1. Die Haftung von Wissensinstitutionen begrenzen
Auch Personen und Organisationen, die beruflich viel mit urheberrechtlich geschützten Materialien zu tun haben, sind oft mit der Frage überfordert, was sie dürfen und was nicht. Das Urheberrecht ist schon für erfahrene Expert*innen herausfordernd und für Menschen, die sich nicht ausschließlich mit rechtlichen Fragen beschäftigen, ist es schlicht überfordernd. Dies schafft rechtliche Unsicherheit, insbesondere in grenzüberschreitenden Kontexten.
Institutionen stehen oft vor der schwierigen Entscheidung, eine potenzielle Urheberrechtsverletzung durch eine bestimmte Nutzung in Kauf zu nehmen oder auf die Nutzung und somit die Möglichkeit, Wissen bereitzustellen oder zu bewahren, zu verzichten. Eine Reihe von Umfragen verweist auf die abschreckende Wirkung, die diese Rechtsunsicherheit auf Forschende und Lehrkräfte hat. Auch Bibliotheken und Archive haben wiederholt auf die Unsicherheiten hingewiesen, mit denen sie im Umgang mit dem EU-Urheberrechtssystem konfrontiert sind.
Derzeit entscheiden die Mitgliedstaaten, ob Akteure, die sich einer Urheberrechtsverletzung nicht bewusst sind, Schadensersatz zahlen müssen. Eine EU-weite Haftungsbeschränkung und eine Begrenzung der Schadensersatzansprüche im Falle von Urheberrechtsverletzungen für Wissensinstitutionen würde die Angst vor Gerichtsverfahren lindern und somit die abschreckende Wirkung der Rechtsunsicherheit reduzieren.
Was ist die Lösung?
Eine Haftungsbeschränkung
→ Das EU-Recht sollte festlegen, dass Wissensinstitutionen nicht zur Zahlung von Schadensersatz für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke verpflichtet sind, wenn sie sich verantwortungsvoll und vorsichtig verhalten und im Glauben agieren oder vernünftige Gründe zur Annahme haben, dass sie im Einklang mit dem Urheberrecht gehandelt haben.
Weitere Informationen: https://communia-association.org/policy-paper/policy-paper-18-limitation-of-liability-for-knowledge-institutions/
Über Communia
Die COMMUNIA – Association for the Public Domain mit Sitz in Brüssel setzt sich für die Stärkung der Gemeinfreiheit und erleichterten Zugang zu und Wiederverwendung von Kultur und Wissen ein. Sie fungiert als Netzwerk von gleichgesinnten Aktivist*innen, Forschenden und Praktizierenden in Europa und den Vereinigten Staaten, die den Anwendungsbereich des Urheberrechts auf einen vernünftigen Maßstab begrenzen wollen, so dass es den Zugang und die Nutzung von Wissen nicht unnötig einschränkt. Weitere Informationen unter communia-association.org.
COMMUNIA ist dankbar für die finanzielle Unterstützung durch Arcadia, einer gemeinnützigen Stiftung von Lisbet Rausing und Peter Baldwin.
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DOI für diesen Text: https://doi.org/10.59350/sje6b-rm887 · automatische DOI-Vergabe für Blogs über The Rogue Scholar
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