Digitale Wirtschaft und Privatsphäre: Der Preis der Personalisierung
Wir befinden uns inmitten eines tiefgreifenden Wandels: Wo Händler ihre Produkte früher zum Einheitspreis an den Käufer brachten, wird es künftig Millionen unterschiedlicher Preise für die einzelnen Kunden geben. Wo früher ein einheitliches Standardprodukt angeboten wurde, wird es Millionen unterschiedlicher Versionen des Produktes geben. Wir befinden uns auf dem Weg ins Zeitalter der personalisierten Preise, Güter und Dienstleistungen, in dem jeder Preis und jedes Produkt speziell auf den Kunden zugeschnitten werden kann.
Derzeit wissen wir nur wenig über die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Datenschutz und die Privatsphäre. Zwei wichtige Aspekte, die bis vor kurzem selbst erfahrene Wirtschaftsexperten für nebensächliche Verbraucherschutzthemen hielten. Zwar gibt es immer mehr akademische Arbeiten zur Ökonomie der Privatsphäre, aber leider verstehen viele Autoren die grundsätzlichen Aspekte des Handels mit persönlichen Informationen nicht. Schon vor fast einem Jahrzehnt haben Forscher beispielsweise Widersprüche im Verhalten von Personen in Bezug auf deren Privatsphäre festgestellt. So behaupten Menschen in Umfragen, ihre Privatsphäre sei ihnen sehr viel wert, um dann in sozialen Netzwerken und beim Online-Shopping scheinbar auf sie zu verzichten.
Viele Autoren ignorieren, dass persönliche Informationen kein klassisches, sondern ein sehr eigentümliches ökonomisches Gut oder Tauschmittel sind. Es gibt Situationen, in denen persönliche Daten zunächst gar keine Gütereigenschaften besitzen wie beim Tausch in einem sozialen Netzwerk. In einer solchen Umgebung steht für die Nutzer der Tausch der Daten mit anderen Nutzern im Netzwerk an erster Stelle. Dass das Unternehmen ihre unentgeltlich bereitgestellten Daten verkauft, ist Nutzern entweder unbekannt oder es ist für sie zweitrangig. Jedenfalls spielt dieser Aspekt in ihrem Kalkül der Nutzung des Netzwerks eine untergeordnete Rolle.
Informationen als Wirtschaftsgut
Persönliche Informationen werden außerdem auf sehr unterschiedliche Art und Weise in den Märkten getauscht und gehandelt. Dies soll im Folgenden erläutert werden. Zunächst aber setzen wir zwei Definitionen voraus:
- Bei persönlichen Daten handelt es sich um Informationen, die eine Person direkt oder indirekt identifizierbar machen.
- Unter Privatsphäre verstehen wir im Folgenden eine asymmetrische Verteilung von persönlicher Information zwischen zwei Marktparteien. Sie bezeichnet also eine Situation, bei welcher ein Transaktionspartner private und persönliche Informationen besitzt, die der andere nicht hat.
Betrachtet man zunächst persönliche Informationen anhand ihrer Eigenschaften, dann zeigt sich, dass sie sich stark von herkömmlichen Gütern abheben. Informationen sind beispielsweise grundsätzlich nicht knapp, da sie theoretisch endlos kopiert werden können. Wenn jemand eine Information besitzt und diese weitergibt, bleibt sie vorhanden und wird nicht weniger. Es besteht also keine Rivalität im Konsum wie bei Äpfeln, Brot, Staubsaugern oder Autos. Diese Eigenschaft zusammen mit der nachfolgenden beschreibt sogenannte öffentliche Güter.
Auch ist es kaum möglich, andere Menschen und sich selbst von der Nutzung einmal erlangter Informationen wieder auszuschließen. Ähnlich schwierig ist es, zu beweisen, dass man Daten wirklich vollständig gelöscht hat. Die daraus gewonnenen Informationen sind quasi unkontrollierbar. Das haben die Veröffentlichungen des Whistleblowers Edward Snowden gezeigt: Wenn eine Institution mit einem Budget wie der US-Geheimdienst NSA Daten nicht sichern kann, wer kann es dann?
Persönliche Informationen sind per definitionem identitätsbezogen. Sie ermöglichen es, eine Person mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit oder mit vollständiger Sicherheit zu identifizieren. Außerdem sind Informationen nicht unendlich teilbar wie klassische Güter in der neoklassischen Theorie. Zwar können aus einem Kreditprofil einer Person Adressdaten ausgekoppelt und für Marketing-Zwecke verkauft werden, eine unvollständige Adresse dagegen ist für das Marketing so gut wie nichts wert.
Es gibt aber noch ein weiteres Problem. Einmal offengelegt, lässt sich letztlich nicht mehr kontrollieren, was mit persönlichen Informationen passiert – wie erwähnt. Daher können Angaben über persönliche Daten zum Beispiel in einem Webportal als versunkene Kosten bezeichnet werden. Die Daten lassen sich kaum mehr zurückholen, wenn man sie einmal angegeben hat.
Es lässt sich zeigen, dass ökonomisches Handeln unter Bedingungen der Anonymität andere Ergebnisse hervorbringt als unter Bedingungen der Identifikation der Marktparteien. Zum Beispiel spenden Teilnehmer in Experimenten mehr in einen Gesamttopf, sobald sie persönlich identifiziert werden. Auch zeigen sich Unterschiede, je nachdem, ob der Kunde aktiv seine Identität zu erkennen gibt oder passiv von der anderen Marktseite identifiziert wird. Eine aktive Identifikation deutet darauf hin, dass sich der Handelnde Gedanken zu Kosten und Nutzen der Identitätspreisgabe gemacht hat. Dies ist beispielsweise bei Amazon-Einkäufen der Fall, wo ohne Angabe der Adresse keine Einkäufe getätigt werden können. Solche Überlegungen finden bei einer passiven Identifikation nicht statt, sofern die Kunden nicht über sie informiert wurden.
Unterschiedliche Arten des Datentauschs
Persönliche Informationen werden auf unterschiedliche Weise getauscht und gehandelt. Während bei einem sozialen Tausch von Information gegen Information – wie etwa bei Facebook und Twitter – kein Preis besteht, kann es sich beim Online-Shopping auszahlen, wenn man persönliche Informationen angibt. Hier muss sich der Nutzer identifizieren, um die Dienstleistungen eines Webportals nutzen zu können. In diesem Fall wandern Güter und Informationen hin und her. Es handelt sich also um eine völlig andere Art der Transaktion als beim sozialen Tausch, nämlich einer sogenannten kombinierten Transaktion, bestehend aus Güter- und Informationstransaktion.
In diesem Lichte sind leider auch Aussagen der Nutzer über ihre Privatsphäre in anonymen Umfragen wenig informativ. Anonyme Umfragen gleichen einem sozialen Tausch unter Anonymitätsbedingungen. Man kann durch diese Aussagen so gut wie nicht auf das Verhalten der Befragten in anderen Arten von Transaktionen schließen, zum Beispiel dem Online-Shopping mit aktiver Selbstidentifizierung.
Rationales oder irrationales Verhalten?
Schaut man genauer hin, dann scheinen viele Aspekte des Handelns in Bezug auf Privatsphäre wenig überraschend und noch weniger paradox im Sinne von widersprüchlich. Eine direkte Frage nach Privatsphäre in einer Umfrage stellt eine Person vorab auf eine mögliche Gefahr ein. So erhält man „künstlich erhöhte“ Werte der Betroffenheit. Ist das Risiko aber aufgrund der eigenen Erfahrungen einschätzbar gering, dann ist die Informationspreisgabe durchaus rational: Die bequemeren Weihnachtseinkäufe im Internet, das größere Angebot und die besseren Preise überwiegen dann mögliche Nachteile der Informationspreisgabe.
Zudem können die meisten Menschen potentielle Nachteile der Informationspreisgabe, die sich irgendwann in der Zukunft ergeben, kaum einschätzen. Selbst in der ökonomischen Theorie sind Prognosen schwierig. So hängt es von den Details der ökonomischen Modelle ab, ob Personalisierung die Verbraucherwohlfahrt erhöht oder reduziert. Einprägsame Grundsatzaussagen oder Verhaltensregeln sind daraus kaum abzuleiten.
Nimmt man an, dass die Wahrscheinlichkeit einer Datenpanne klein ist und im Ernstfall die negativen Auswirkungen gering bleiben, dann scheint die Preisgabe von persönlichen Informationen rational. Man könnte sogar argumentieren, dass die einmal angegebenen Informationen sowieso nicht mehr rückholbar sind. Diese Informationen könnte die betroffene Person daher weiter ungeniert zu allen möglichen Zwecken preisgeben.
Diese Kalküle des Handelnden gelten zumindest bei kurzfristiger Betrachtung. Langfristig gesehen aber verhält es sich mit der Preisgabe von persönlichen Informationen wohl so wie mit dem Frosch im kochenden Wasser. Immer ein wenig mehr sorgt nach Jahren für ein retrospektives Persönlichkeitsbild, in dessen Preisgabe der Einzelne wohl lieber nicht eingewilligt hätte. Leider ist aber noch nicht einmal klar, ob das Wasser auch wirklich kocht. Denn selbst Wirtschaftsexperten können nur im Einzelfall klare Aussagen über die Wohlfahrtsauswirkungen der massiven Zunahme der Datenmengen machen.
Analyse privater Informationen zur Verhaltensprognose
Während man in der ökonomischen Theorie traditionell davon ausgeht, dass der einzelne mehr Informationen über sein Risikoverhalten besitzt als der Transaktionspartner (zum Beispiel eine Versicherung), könnte sich dieser Zustand in Zukunft umkehren.
Anhand von Big-Data-Auswertungen werden Versicherungen weit mehr als nur das Ausfalls- und Betrugsrisiko einer Person prognostizieren können. Hierbei können sich Versicherungen eine Eigenheit der Informationspreisgabe zu Nutze machen. Alle, die einen gesunden und sportlich-aktiven Lebensstil pflegen, werden mit Fitness-Trackern ausgestattet. All jene aber, die sich nicht überwachen lassen wollen, zahlen einen höheren Tarif. Für die Sportlichen ist es rational, ihren Lebensstil offenzulegen. Gleichzeitig identifizieren sie damit die Fitness-Muffel als potenziell weniger profitable Kunden, da diese keinen gesunden Lebensstil pflegen. Diese haben in der Regel aber nicht aktiv zugestimmt, ihre Lifestyle-Daten zu verwenden.
Die Versicherung wird dem Kunden künftig ein auf ihn zugeschnittenes Produkt bieten können, das sich dynamisch an seine Lebensumstände anpasst. Für Konkurrenten wird es dann aber besonders schwer, den Kunden wegzulocken. Je genauer ein Unternehmen einen Kunden mit seinen Eigenschaften und seiner Wechselwilligkeit erkennt, desto proaktiver kann es reagieren und desto mehr wächst seine Monopolmacht über den Verbraucher.
Soll der Wettbewerb und die Souveränität der Kunden erhalten bleiben, dann müssen wir schon jetzt sehr viel mehr in Aufklärung und Technologien investieren, mit denen Kunden mobiler von einem Anbieter zum anderen wechseln können.
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