Digital Rights Fair Trade: Ein Solidarvertrag
Die politische Landschaft ist wegen des Auftauchens und der Erfolge der Piratenpartei weiter aufgemischt worden. Die Piratenpartei und die netzaffine Community vertreten die These, dass es mit dem freien World Wide Web eine egalitäre und horizontale Plattform gibt, deren Freiheitspotenziale nicht verregelt werden dürfen. Zudem führe das geistige Eigentum im Netz in den Überwachungsstaat, so die steile These und daher auch die politische Aufladung. Die Internet-Aktivisten wollen dementsprechend keine Regeln aus der analogen Welt für die digitale, sondern eigene, freiheitliche Regeln für das Internet. Das heißt, freier Zugang zu allen gewünschten Inhalten ohne Restriktion, das Recht auf illegales Up- und Downloaden mit inbegriffen. Sie wollen konsequent eine Abschwächung oder Abschaffung des Urheberrechtsschutzes.
Manche argumentieren, die Verluste für die Content-Industrie seien keine realen Verluste, jedenfalls nicht in der von dieser behaupteten Höhe. Vielmehr handele es sich um interessengeleitete Zahlen, die der Realität nicht entsprächen. Durch den Einsatz von mehr Werbung auf den Webseiten hätte die Content-Industrie weiterhin Profite erzielt. Die Kampagne gegen illegales Downloaden würde eine alte und damit falsche proprietäre Ordnung verteidigen und einseitig die Verwerterindustrie unterstützen, aber nicht die Urheber. Die Musikindustrie würde nur ihre alten Geschäftsmodelle verteidigen wollen. Eine linke Grundattitüde kommt hinzu: Hier kämpften die Nutzer und neuen Kreativen gegen die großen Majors und deswegen sei es gut, ohne die Musikindustrie selbst im Netz aktiv werden zu können.
Verbände der Content-Industrie, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Verband der deutschen Musikindustrie vertreten die gegenteilige Position: Der Urheberrechtsschutz in seiner jetzigen Form sei richtig. Kulturelle Vielfalt und Wertschöpfung aus geistiger Arbeit sei an das Urheberrecht gekoppelt und dürfe nicht preisgegeben werden. Alle Überlegungen zu kollektiven Bezahlmodellen wie Flatrates für digitale Kulturinhalte im Internet würden die individuelle Verfügungsgewalt des Urhebers über sein Werk abschaffen und damit einem Kulturbolschewismus das Wort reden.
Dann gibt es eine dritte Position von Wissenschaftlern und Juristen, die die Vorzüge eines freien Zugangs zum Netz sehen. Open Access diene dem Interesse einer offenen Kultur. Sie argumentieren, dass die digitale Revolution einfacheren, schnelleren Zugang zu Inhalten und darüber hinaus eine neue Kreativität des Remix ermögliche. Sie plädieren für kollektive Bezahlmodelle, die keine lückenlose Überwachung bedeuten, sondern Vereinbarungen zwischen Internet Service Providern (ISP) und Urhebern oder Rechteverwertern. Dies würde einerseits einen einfachen Zugang ermöglichen, aber auch die Bezahlung von Produzenten kreativer Inhalte gewährleisten, so das Signum dieser Position. Angestrebt wird eine (Re-)Monetarisierung durch kollektive Modelle.
Einfacher Zugang für die Verbraucher – Starke Rechte für die Urheber
Einfacher Zugang für die Nutzer und starke Rechte für die Urheber sind grundlegend und schließen sich nicht zwangsläufig aus. Die Künstler und Urheber müssen endlich bessergestellt werden. Dazu zählt, dass ihre Verhandlungsmacht ausgedehnt wird und sie mehr von ihren Produkten profitieren. Dies ist auch vor dem Hintergrund unserer Wissensgesellschaft essenziell, da wir mehr denn je auf neue, kreative Inhalte angewiesen sind.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es eine Errungenschaft ist, dass Produzenten von ihrer geistigen Arbeit leben können, auch wenn das nicht für jeden Künstler zutrifft. Aber die bürgerliche Gesellschaft will dieses Potenzial fördern, und das verteidige ich. Es soll erkennbar sein, wer Urheber welcher Inhalte ist, sei es von Ideen, Texten, Musik usw. Wer diese Werke verwendet, muss sie zitieren bzw. dafür bezahlen. Die kulturelle Vielfalt stellt aus meiner Sicht einen Grundwert dar. Dieser wird auch in der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt hervorgehoben, und die Politik muss Maßnahmen ergreifen, wie man kulturelle Vielfalt – und die hängt auch am geistigen Eigentum – sicherstellen kann. Das ist meine kategoriale Setzung, damit verteidige ich auch die proprietäre Ordnung von geistigem Eigentum. Es ist nichts gegen Autoren und Künstler einzuwenden, die freiwillig ihre Werke ins Netz stellen oder mit Creative Commons veröffentlichen. Ich spreche mich aber gegen eine Zwangsenteignung aus, wenn gegen den Willen der Urheber deren Werke illegal hoch- und runtergeladen werden.
Das Modell einer gesetzlichen Kulturflatrate
Die Grünen haben in ihrem Bundestagswahlprogramm eine Kulturflatrate gefordert, um einen neuen Ausgleich zwischen den Möglichkeiten des Netzes, den Benutzerinteressen und der Bezahlung von Künstlern und Autoren sicherzustellen. Das grüne Gutachten (PDF) zu der Zulässigkeit einer nationalen und europäischen Kulturflatrate legt dar, dass europäische und nationale Gesetze geändert werden müssten. Durch die Schrankenbestimmung, die in Art. 14. des Grundgesetzes geregelt ist, wird der Urheberrechtsschutz eingeschränkt, jedoch nicht abgeschafft. Diese Schranken des Urheberrechts ermöglichen die Schaffung von neuen kollektiven Bezahlmodellen, die den Vorteil haben, dass sie für den Verbraucher legal angeboten werden können. Eine gezielte Reform des Urheberrechts würde gekoppelt werden mit neuen legalen Bezahlangeboten. Allerdings müsste es, ähnlich wie bei der GEZ, die Möglichkeit geben, diejenigen zu belangen, die nicht zahlen.
Vorteil dieses Modells ist, dass nicht die ISP-Adressen überwacht werden müssen und daher auch die staatliche Überwachung eingedämmt wird. Es ist ein politisch reguliertes Modell, das die Bezahlung von Urhebern sicherstellt und Nutzern leichten, aber nicht unentgeltlichen Zugang zu digitalen Inhalten verschaffen will. Außerdem würde das so abgeschwächte Urheberrecht das legale Remixen von Musik möglich machen. Gerade junge Leute könnten diese neue Kulturentwicklung der Neuarrangierung von bestehender Musik fortführen – auf legalem und bezahlbarem Wege. Der Nachteil der Kulturflatrate besteht darin, dass es von jedem Verbraucher bestimmte Pauschalbeiträge verlangt, auch wenn er sie nicht nutzt oder nicht ausnutzt, ähnlich wie bei der GEZ.
Die Kritik, die bisher an diesem Modell geäußert wird, ist vielfältig: Es sei zu vage, auch sei unklar, wie das Geld generiert und von wem es gesammelt werden solle, welche Kultursparten durch eine Kulturflatrate im Netz abgedeckt sein sollen und schließlich welchen Preis der Verbraucher zahlen müsse. All diese Kritikpunkte sind berechtigt und müssen ausgeräumt werden, wenn dieses Modell überzeugen soll.
Die Grünen überlegen ein Folgegutachten in Auftrag zu geben, das ermitteln soll, wie hoch das Aufkommen durch eine gesetzlich geregelte Kulturflatrate sein müsste. Weiter soll geklärt werden, ob es den entstandenen Verlust durch illegales Downloaden kompensieren könnte und wie hoch die Gebühren/Preise für die Verbraucher wären.
Faire Bezahlmodelle: Das „Media Markt“-Model
Ein zweites Modell besteht im Marktansatz vieler „Media Märkte“ im Internet. Dies bedeutet, dass alle Werke auf verschiedenen Plattformen angeboten werden müssten, deren Inhalte gegen Bezahlung erhalten werden könnten. Hierbei würde es sich um eine Art Micro Payments handeln, die den Erhalt von jeglichen Zeitungsartikeln, Büchern, Songs und Filmen gewährleisten würden. Der Urheberrechtsschutz bliebe gewahrt, und die individuelle Wertschöpfung bliebe erhalten. Die vielen neu angebotenen Business-Modelle der Content-Industrie könnten der Verbrauchernachfrage auf dem digitalen Markt entgegenkommen, ohne das Urheberrecht abzuschaffen. Wichtig ist aber zu fordern, dass der Verbraucher seine gekauften digitalen Inhalte uneingeschränkt nutzen kann. Das bedeutet, dass der gekaufte Film z. B. nicht nur auf einem Computer abrufbar, sondern auch auf eine CD übertragbar sein muss. Apple und andere Content-Industrie versehen Filme immer noch mit DRM-Kopierschutzsperren. Oder versuchen die Bindung der Kunden über spezielle Endgeräte herzustellen.
Filesharing als freier Fluss der Kultur
Das Herunterladen von illegalen Inhalten von Plattformen wie Pirate Bay in Schweden verteidigen die Piraten und die Internetaktivisten aber mit der Argumentation, es handele sich um eine Jugendkultur, eine freie Kultur, eine Filesharing-Kultur, die man im Sinne eines freien Flusses von Informationen und künstlerischen Inhalten nicht beschneiden dürfe. Schränkte man diese ein, würde die neu entstandene Kreativität zerstört werden. Ich teile diese Sorge so nicht. Aus meiner Sicht wird gerade ein Schuh daraus, wenn man gleichsam einen einfachen Zugang, aber auch starke Rechte fordert. Nach dem Motto einer offenen Kultur, keiner freien Kultur, die der „Freibiermentalität“ nachkommt. Die Überlegung muss auf einer neuen Balance basieren, die in der digitalen Welt sowohl Nutzerinteressen als auch Urheberinteressen berücksichtigt. Der Nutzer soll an möglichst viele Inhalte und Informationen kommen zu einem bezahlbaren, fairen Preis, ohne dass der Urheber zwangsenteignet wird.
Kulturflatrate – aber wie?
Inzwischen ist aus meiner Sicht klar, dass es nicht eine Kulturflatrate für alle Branchen im Internet geben kann. Dazu sind die Werke, die Bedingungen, die Märkte zu unterschiedlich. Wir brauchen passgenaue Lösungen für die einzelnen Branchen.
Zweitens müssen die Lösungen angemessen sein. So ist aus meiner Sicht das französische Modell unangemessen, nach zweifacher Verwarnung bei illegalem Downloaden den Internetzugang ohne Richterspruch zu sperren (Three-Strikes- Out). Das widerspricht dem Grundrecht auf Informationsfreiheit und würde auch die Überwachung aller ISP-Adressen bedeuten. Das französische „Three-Strikes-Out“-Modell findet jedoch große Zustimmung bei den Vertretern der Content-Industrie, insbesondere bei der Musikindustrie.
Im Gegensatz zu diesem gesetzlich geregelten Extremansatz haben freiwillige Modelle, wie über den Markt angebotene Flatrates, die versuchen, analog zu den Modellen von kollektiven Lizenzen und wie bei der GEZ für Radio und Fernsehen, kollektive Bezahlmodelle zu entwickeln, einen großen Reiz. Kernpunkt bleibt dabei, dass für geistige Produkte wie für andere Produkte bezahlt werden muss und es keinen Abschied von der Monetarisierung gibt. Vielmehr kommt es zu Lizenzvereinbarungen zwischen Urhebern bzw. ihren Rechtevertretern und den ISPs, so dass über Verwertungsgesellschaften mit einer datenschutzrechtlich geprüften Software gemessen wird, welche Inhalte aus dem Netz von Anbieterplattformen heruntergeladen werden. Auf dieser Grundlage erfolgt dann dementsprechend die Bezahlung.
Politische Schlussfolgerung und Maßnahmen
Politisch muss man auf europäischer Ebene das Vertragsrecht neu gestalten. „Buy-Out“-Verträge, wie in Deutschland und Großbritannien üblich, mit denen Künstler alle ihre Rechte an ihre Verwerter abgeben, müssen abgeschafft werden. Die Urheber müssen endlich angemessen und fair an ihren Werken beteiligt werden.
Politische Lösungen braucht man auch, wenn man kollektive Lizenzen z.B. für Fernsehanstalten will, die nicht – wegen des hohen Aufwands – alle Verträge bilateral mit allen Urheberrechtsvertretern verhandeln wollen und können.
Bei allen diesen Modellen und ihrer Kombination geht es nicht um Kulturbolschewismus noch um die Piratenhaltung, alles müsse umsonst verfügbar sein. Es geht um eine kluge Kombination aus Aufrechterhalten des Kerngedankens des Urheberrechts und Gewährleistung eines leichten Zugangs zu den Inhalten im Internet. Kollektive Lizenzen und differenzierte Paketangebote im Netz für bestimmte Inhalte in einzelnen Branchen, seien es Filme, Bücher, Musik, bildende Kunst oder Zeitungen, könnten am ehesten Lösungen sein für den gesuchten Interessenausgleich. Vieles hat der Markt in den letzten Jahren verschlafen und damit dem illegalen Downloaden Vorschub geleistet. Sicherlich gibt es auch für die Jugendkultur einen gewissen Reiz, auch illegal und umsonst an viele Inhalte zu kommen. Aber jenseits davon ist für die Gesellschaft und die Politik zentral, einen neuen Gesellschaftsvertrag für den Umgang mit digitalen Inhalten zu schaffen: Die nationale und die europäische Politik sind gefordert, hierfür kluge Modelle zu entwickeln.
Dr. Helga Trüpel ist Abgeordnete im Europäischen Parlament. Sie studierte Psychologie, Germanistik- und Religionspädagogik und promovierte 1988 in Literaturwissenschaft an der Universität Bremen. Sie ist seit 1980 Mitglied der Grünen Partei und engagierte sich als Mitglied der Bremer Bürgerschaft besonders für die Themen Kultur, Bildung und Wissenschaft. Im Jahr 1991 wurde sie Senatorin für Kultur und Ausländerintegration der Hansestadt Bremen und übte dieses Amt vier Jahre lang aus. Bevor sie 2004 in das Europäische Parlament gewählt wurde, arbeitete sie in ihrerAgentur Art, einer politisch-kulturellen Dienstleistungsfirma. Im Europäischen Parlament ist sie u. a. stellvertretende Vorsitzende des Kultur- und Bildungsausschusses.
Dieser Beitrag gehört zur Reihe „Copy.Right.Now! – Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht”, die auch als gedruckter Reader erschienen ist. Er steht unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND.
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