Die Zukunft von DRM
Rosenblatt ist Autor des Buches „Digital Rights Management: Business and Technology“” und bloggt unter Copyright and Technology. Er arbeitete für Sun Microsystems und große US-Verlage wie McGraw-Hill und Times Mirror, bevor er sein eigenes Beratungsunternehmen Giantsteps gründete. Matthias Spiekamp traf ihn beim Virtual-Goods-Workshop in Nancy.
DRM galt einst als Zukunftsmarkt, war aber zugleich immer sehr umstritten. Nun wird für Musikdownloads fast nirgendwo mehr DRM verwendet. Auch in anderen Branchen hat die Technologie einen schweren Stand. Wie ist es dazu gekommen?
Ein wichtiger Grund ist, dass es bei Firmen, die digitale Inhalte im Netz anbieten, immer zwei völlig entgegengesetzte Anforderungen gegeben hat. Die Rechtsabteilung hat gesagt: Sorgt dafür, dass unsere Inhalte im Internet sicher sind. Daraufhin wurden Texte zu verschlüsselten PDFs und CDs zu verschlüsselten Musikdateien gemacht. Gleichzeitig hat die Marketingabteilung gefordert, neue Geschäftsmodelle für digitale Inhalte zu entwickeln: Pay per View, Abomodelle und Ähnliches. Aber Rechts- und die Marketingabteilungen haben nicht zusammengearbeitet.
Mindestens ebenso wichtig ist, dass die Inhalteanbieter nicht für DRM zahlen wollten oder aber DRM-Anbieter ihre Technologien viel zu teuer gemacht haben – oder beides. Da hat die Einstellung vorgeherrscht: Wenn wir, die Inhalteanbieter, Euch, den Internetfirmen, Inhalte geben, dann sorgt dafür, dass der Schutz funktioniert – wir werden niemals aus unseren Einnahmen DRM bezahlen! Deshalb wurden keine Geschäftsmodelle entwickelt oder angeboten.
Aber es gab um das Jahr 2005 einen zweiten Boom, als es um DRM für mobile Geräte ging.
Damals wurde zum Beispiel SDMI gegründet, die Secure Digital Music Initiative. Ich könnte Ihnen den Rest des Tages erklären, wie das zu einer völligen Pleite wurde. Inhalteanbieter und Gerätehersteller konnten sich nicht einigen, wie das funktionieren sollte. Am Ende wurde ein einziges Gerät auf den Markt gebracht, bei dem SDMI implementiert war. Und das war nicht zufällig von Sony – einer Firma, die nicht nur Geräte herstellt, sondern auch ein Musiklabel und ein Filmstudio besitzt.
Dennoch haben DRM-Systeme überlebt. OMA DRM von der Open Mobile Alliance ist auf etwa einer Milliarde Geräten installiert. Aber DRM in der Musikindustrie hat nur bei Abomodellen wie Napster oder Rhapsody überlebt, oder bei Nokias Comes with Music-Service, bei dem Musik mit dem Gerät gebündelt wird und im Verkaufspreis enthalten ist.
Und außerhalb der Musikindustrie?
Im Videomarkt gibt es Apples Fairplay-System für den iTunes Musicstore und eine Variante des US-Videounternehmens Blockbuster, für E-Books gibt es verschiedene Anbieter: Mobipocket von Amazon für den Kindle-E-Book-Reader und die anderen kompatiblen Geräte, E-Reader von Barnes & Noble, dem größten Buchhändler der USA, und Adobe, deren DRM von Sony, iRex, Plastic Logic und anderen genutzt wird. Außerdem gibt es noch den Markt für DRM in Unternehmen, und die sind bereit, dafür Geld zu bezahlen. Das Department of Veterans Affairs in den USA beispielsweise hat gerade DRM-Lösungen auf 250.000 Rechnern installieren lassen.
Endnutzer mögen DRM überhaupt nicht. Woran liegt das?
Zum einen sind viele DRM-Lösungen schwer zu verstehen und schwer zu nutzen. Denken Sie nur an das Lizenzmanagement. Es ist für Firmen schwer, das über den Support zu unterstützen. Dazu kommt, dass Nutzer den Anbietern nicht unbedingt vertrauen. Außerdem spielt eine Rolle, was “thought leader”, besonders bekannte Menschen in der Szene, sagen. Cory Doctorow oder Robert Scoble lehnen DRM vehement ab und sind damit ständig in den Medien. Nicht zuletzt kommt es darauf an, welches Ziel sich Hacker zum Attackieren aussuchen. Das waren in der Vergangenheit immer wieder DRM-Technologien, die den Zugang zu bestimmten Daten verhindern sollten.
Die Nutzer haben also gute Gründe, DRM abzulehnen.
Es gibt viele offene Fragen. Zum Beispiel, ob es überhaupt gelingen kann, bestimmte gesetzliche Regelungen in einem System der Rechteverwaltung angemessen abzubilden. Es ist bekanntlich schwer, die US-Regelung zu Fair use in einem DRM-System zu automatisieren. Mit den EU-Regelungen zum privaten Kopieren ist das einfacher. Aber es bleibt die Frage, ob ein Nutzer solche Regelungen überhaupt verstehen kann und wie sie ihm erläutert werden.
Nutzer werden auch dahingehend beeinflusst, sich rechtswidrig zu verhalten. Die Medien haben sich die Definitionsmacht über DRM verschafft, und sie definieren es viel enger, als es eigentlich gedacht war, nämlich nur als Zugangskontrolle. Nicht zuletzt werden die Taten der Hacker und sogenannten Piraten romantisiert.
Sind die Unternehmen daran unschuldig?
Es ist zumindest ein Fehlschluss zu denken: DRM ist gleich Big Media, Big Media ist böse, darum ist DRM böse. Und auch umgekehrt wird kein Schuh daraus: Apple zum Beispiel ist nicht Big Media, aber eine sehr böse Firma – im Sinne der DRM-Kritiker.
Wird sich die Beurteilung von DRM ändern?
Ein Problem ist, dass es zu wenig Forschung zu neuen Systemen gibt. In den USA gibt es das zum Beispiel überhaupt nicht. Die Beschäftigung mit DRM-Technologien ist dort nicht politisch korrekt. Niemand arbeitet dort an DRM-Systemen. Die Forschung findet anderswo statt: in Europa, Singapur und Korea…
Woran liegt das?
Neben der negativen öffentlichen Meinung zu DRM gibt es noch andere Gründe. Erinnern sie sich nur an den Fall, in dem Wissenschaftler aufgefordert wurden, das SDMI-DRM zu knacken. Das ist völlig vernünftig, denn nur so lassen sich Schwachstellen finden.
Aber als Ed Felten, ein Verschlüsselungsexperte aus Princeton, auf einer Konferenz zeigen wollte, wie er die SDMI-Wasserzeichen erfolgreich geknackt hatte, drohten ihm das SDMI-Konsortium und der Interessenverband der Musikindustrie RIAA mit einer Klage. Das gehört zum Dümmsten, was die RIAA je getan hat. Denn nun fasst in den USA niemand mehr diese Technologien an. Entweder, weil die Forscher nicht verklagt werden wollen, oder aus Solidarität mit Felten.
Es gibt auch nur sehr wenige, meist sehr kleine Firmen, die mit DRM Gewinne machen. Die haben kein Geld für Forschung. Und das Risikokapital ist von den negativen Medienberichten abgeschreckt. DRM ist einfach als Thema nicht gerade sexy.
In den USA und in Europa wird oft die Gesetzgebung kritisiert, die es unter Strafe stellt, Kopierschutzsysteme zu umgehen. Was halten Sie davon?
Ich halte diese Gesetze auch für sehr problematisch, aber wahrscheinlich aus einem anderen Grund, als Sie denken. Der juristische Schutz hat den Anreiz verringert, effektive Kopierschutzmechanismen zu entwickeln. Denn die Verantwortung für einen geknackten Schutz wird nur beim Hacker gesucht, nicht beim Hersteller der Technik.
Gibt es überhaupt erfolgreiche DRM-Systeme?
Ja, zum Beispiel Apples Fairplay, das eigentlich ein “cheap and dirty”-DRM ist. Es war die Grundlage des ersten erfolgreichen Geschäftsmodells für den digitalen Musikvertrieb. Aber die meisten Anbieter unterschätzen die Summen, die sie investieren müssen, um Kunden über neue Möglichkeiten aufzuklären. Die meisten Kunden sehen keinen Nutzen in neuen Modellen, und Apple hat Millionen in Kampagnen investiert, um Kunden zu zeigen, was sie davon haben, Musik pro Song kaufen zu können, statt immer gleich das komplette Album. Napster und Rhapsody haben es nicht geschafft, genug Nutzer von Abomodellen zu überzeugen. Apples Beispiel hat gezeigt, wie Gerätehersteller von DRM profitieren können.
Ein anderer Fall ist die Firma Overdrive, die in den USA erfolgreich ein System anbietet, mit dem Bibliotheken E-Books verleihen können. Das ist ein kleiner Markt, der von einem einzigen Anbieter versorgt wird. Die Lektion, die man hier lernen kann, ist: DRM kann die Wahlmöglichkeiten der Nutzer vergrößern.
AACS, die Blue-ray-Verschlüsselung, gilt als ein Beispiel für eine neue große Pleite.
Das ist falsch. AACS ist nicht geknackt. Die Auswirkungen der Hacks werden in den Medien völlig übertrieben dargestellt. AACS ist ein erfolgreiches System. Woraus man lernen kann: Bessere DRM-Systeme kosten Geld. Die Musikindustrie hat das nie begriffen und wollte nie Geld ausgeben. Am Ende haben sie bekommen, wofür sie bezahlt haben.
Wie sehen Sie denn die Zukunft von digitalen Inhalten?
Ich glaube, dass in zwei Jahren digitale Inhalte kostenlos verfügbar sein werden. Abgesehen von Filmen, aber das liegt an der Bandbreite, die man braucht, um sie zu verteilen. Außerdem waren die Filmfirmen erfolgreicher darin, den Kunden verschiedene Auswertungsformen anzubieten, also Videos für zu Hause auf VHS und DVD, Ausstrahlung im Fernsehen und anderes. Das hat die Musikindustrie nicht hinbekommen.
Ist damit DRM nicht am Ende?
Im Gegenteil. Ich komme wieder darauf zurück, dass DRM oft verwechselt wird mit Zugangsschutz. Aber wenn es darum geht, digitale Rechte zu verwalten, dann sind zum Beispiel die von Nutzern erzeugten Inhalte (User-generated Content, UGC) ein Zukunftsmarkt. Die “Rights Expression Languages”, also Systeme, die Rechte formalisieren, die an Inhalte geknüpft sind, sind problemlos ohne Verschlüsselung oder Zugangskontrolle einsetzbar. Um UGC zu Geld zu machen oder auch nur die Nutzung zu verfolgen und Inhalte zu identifizieren, braucht man eine Rechteverwaltung. Das ist kein Gegensatz zu “profit from abundance”, dem “Gewinn aus dem Überfluss”, den wir laut Jonathan Zittrain von der Harvard Law School erzielen können, wie er in seinem Buch “The Future of the Internet: And How to Stop It” (Die Zukunft des Internets: Und wie man sie aufhalten kann) schreibt.
Woran denken Sie genau?
Zum Beispiel an die Kombination aus Creative Commons und Open Digital Rights Language (ODRL). Die ODRL ist wie geschaffen dafür, die Rechte auszudrücken, die mit CC-Lizenzen vergeben werden.
Aber DRM im Sinne von Zugangskontrolle ist tot?
Nicht zwangsläufig. Es wird da überleben, wo es neue Geschäftsmodelle ermöglicht. Auch Techniken zur Identifizierung von Inhalten, wie Fingerprinting und Wasserzeichen, wird es weiter geben. Mit der Verbreitung von Streaming-Modellen wird das Geschäft auch einfacher werden, weil die Nutzer nicht mehr so stark davon ausgehen werden, dass sie ein Eigentum an Inhalten haben.
Wird dann Zugang wichtiger sein als Eigentum?
Im Moment ist Eigentum psychologisch klar im Vorteil. Aber das wird abnehmen, je besser die Connectivity wird, hin zum permanenten Onlinezugang. Die Digital Natives haben ohnehin schon ein ganz anderes Verhältnis zum Eigentum an unkörperlichen Gütern. Und mir geht es ja ähnlich. Meine Frau und ich lieben und sammeln Musik. Wir haben einige tausend CDs und LPs. Aber wir hören sie nie.
Was bedeutet das für die Zukunft von DRM?
Das sogenannte Sphärenmodell (Domain Model) ist sehr interessant. Firmen werden anbieten, Inhalte für Geräte einer bestimmten Sphäre zu registrieren, also etwa “zu Hause”. Das werden so viele Geräte sein, dass der Nutzer sich nicht eingeschränkt fühlt. Wer die Nutzer einschränkt, wird vom Markt verschwinden.
Wird das auf lange Sicht funktionieren?
In zehn Jahren wird es kein Geschäftsmodell mehr geben, das darauf aufbaut, für Bits Geld zu verlangen. Es wird darum gehen, mit den Dingen um die Bits herum Geld zu verdienen. Es wird einen Markt geben für die, die herausfinden werden, wie man mit User-generated Content Geld verdienen kann, mit Metadaten, Empfehlungen, Social Communities.
Wie sieht es bei Büchern aus? Sie haben ein Whitepaper zum Google Book Settlement veröffentlicht, sehr bald, nachdem der Vertrag bekanntwurde. Darin beschreiben Sie, wie man mit der Kombination aus digitalisierten Büchern und DRM Geld verdienen kann.
Bei Google sind Print-on-demand und Bücher zum Herunterladen denkbar, beides ist recht simpel. Darüber hinaus gibt es komplexere Möglichkeiten. Man kann etwa Teile von Büchern nehmen und sie neu zusammensetzen – entweder zu einem Buch, einem E-Book oder zu etwas Ähnlichem, das online nutzbar ist. Worauf ich in dem Whitepaper hinaus wollte, ist, dass Google derzeit nicht in der Lage ist, das zu tun. Aber die Verlage auch nicht. Denn sie müssten erstmal ihre Inhalte in Komponenten aufteilen, also etwa in strukturiertes XML, so dass man etwas damit anfangen kann. Alle Ideen basieren auf der Existenz der Book Rights Registry, also der Datenbank, die aufgebaut werden soll und in der verzeichnet ist, wer welche Rechte an welchen Inhalten besitzt.
Wäre es nicht unglaublich teuer, diese Metadaten zu erzeugen? Und ist es das wert?
Die Verlage müssen es ohnehin machen. Es ist ihr Geschäft, Inhalte in verschiedenen Formen zu verwerten. Dafür brauchen sie gute Metadaten und gute digitale Entsprechungen ihrer Inhalte. Derzeit tun das viele nicht so gut wie möglich, wodurch ihnen Einnahmen entgehen, oder sie tun es, aber viel langsamer und teurer, als es möglich wäre, wenn sie eine bessere Infrastruktur dafür hätten.
Gilt das auch für Unterhaltungsliteratur? Man kann ja nicht ein Kapitel eines Romans von Tom Clancy verkaufen.
Aber man kann den neuesten Roman von Tom Clancy oder wem auch immer in einen Social-Networking-Zusammenhang bringen, wo man interaktiv damit umgehen kann. Dafür muss man ihn in Teile zerlegen. Schauen Sie sich mal das Amanda Project an. Das ist eine Reihe von Mystery-Geschichten, die von Grund auf darauf angelegt wurden, in Social Networks verwendet zu werden. Leser können zur Geschichte beitragen, sie können Teil davon werden und noch mehr. Wenn man das mit bekannten Büchern oder Charakteren machen will, dann geht das nicht mit “Shovelware”, also indem man einfach den Inhalt unverändert oder ohne digitale Verbesserung reinschaufelt.
Aber im STM-Markt (Scienctific, Technical, Medical) gibt es einen wesentlich konkreteren Bedarf, Inhalte zu strukturieren. Große STM-Verlage wie Elsevier haben sich schon früh an die Spitze der Entwicklung hin zu XML und guten Metadaten gestellt. Die Fachverlage mit ihren Inhalten für Architektur, Rechts- und Ingenieurwissenschaften hinken hinterher.
Welche Auswirkungen wird die Eingabe des US-Justizministeriums haben?
Es ist ungefähr so: Microsoft und Yahoo haben Gary Reback engagiert, eine Art Superanwalt, der als die Nummer eins unter den Kartellrechtlern gilt, wenn es um Technik geht. Er vertritt Klienten, die Monopolverhalten bekämpfen wollen. Ironischerweise hat er jahrelang gegen den vorgeblichen Monopolisten Microsoft gekämpft – jetzt wurde er von Microsoft engagiert. Jemand wie er spricht das US-Justizministerium an und sagt: Schaut euch das an, das ist eine große Bedrohung des Wettbewerbs, hier sind einige Belege, die zeigen, dass wettbewerbsfeindliches Verhalten vorliegt. Ihr solltet den Deal verhindern. Die Kartellabteilung des US-Justizministerium ist nicht gerade der eifrigste Verfolger von Wettbewerbsidealen. Man muss sie schon ganz schön anschieben, damit etwas passiert. Dass das Department of Justice (DoJ) nun aktiv geworden ist, ist ein direktes Ergebnis davon, dass Reback sich eingeschaltet hat.
Muss das Settlement neu verhandelt werden?
Wenn das DoJ involviert bleibt, können sich die Verhandlungen über Jahre hinziehen. Das würde Googles Konkurrenten freuen. Sie möchten, dass Google möglichst lange damit zu tun hat und möglichst viel Geld für Anwälte ausgeben muss. Microsoft war vom ersten Tag an gegen das Settlement, es hat getan, was es konnte, um es zu verhindern, weil es sich vom Settlement benachteiligt fühlt.
Viele Beobachter sagen: Wunderbar, dass Google Zugang zu Büchern schaffen will, auf die man derzeit nicht zugreifen kann. Aber die Monopolbefürchtungen sind nicht unbegründet. Daher wäre es das Beste, das Settlement zu genehmigen, aber nur in veränderter Form.
Das Settlement hätte großen Nutzen für Menschen in der ganzen Welt. Der größte Streitfall sind die verwaisten Werke, also Bücher, die urheberrechtlich geschützt sind, auf die aber niemand Anspruch erhebt. In seiner aktuellen Form würde Google eine Art Exklusivgenehmigung bekommen, diese Bücher online zugänglich zu machen. Die Verlagsindustrie hat das nicht im Geringsten interessiert, als das Settlement verhandelt wurde. Die verwaiste Werke gehören ihnen nicht, also sind sie ihnen egal. Wer Einspruch erhoben hat, waren Verbraucherschützer und Akademiker, und auf einmal kommen Yahoo und Microsoft und sagen: Was ist denn eigentlich mit verwaisten Werken? Das haben sie genutzt, um die Sympathie des Richters und der Öffentlichkeit zu bekommen.
Wie wird Google reagieren?
Meine Information ist, dass Google bereit ist, die exklusiven Rechte aufzugeben. Wenn das passiert, wäre der größte Widerstand gegen das Settlement weg. Es wird anderen Widerstand geben: Manche Autoren sind mit den finanziellen Bedingungen nicht einverstanden, aber es wird schwer sein zu begründen, dass man alles zunichte machen und sich jahrelang vor Gericht streiten muss – so, wie es vor dem Settlement war. Das wäre keine gute Idee. Google hat riesige Summen in die Digitalisierung gesteckt. Das Unternehmen wird davon profitieren, aber die Allgemeinheit ebenfalls.
Sie haben an anderer Stelle gesagt, dass die Klage Viacoms gegen Youtube großen Einfluss auf Googles Buchprojekt haben kann. Wie hängen diese beiden Fälle zusammen?
Viacom hat Youtube auf circa zwei Milliarden Dollar Schadenersatz verklagt, um zu verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Videos bei Youtube gezeigt werden. Viacom will, dass Youtube jedes Video daraufhin kontrolliert, ob Rechte verletzt werden oder nicht. Die Inhalte sollen also daraufhin gefiltert werden, ob sie urheberrechtlich geschütztes Material enthalten oder nicht. Youtube, das Google gehört, widerspricht und sagt, dass man alles tut, was das US-Recht verlangt.
Zum einen, indem jeder Rechteinhaber den sogenannten “Notice and takedown”-Weg gehen kann: Wenn Youtube darauf aufmerksam gemacht wird, dass ein Video Urheberrechte verletzt, wird es sofort gelöscht. Zum anderen sagt Youtube, dass es Fingerprintingsysteme bereits einsetzt, um Videos zu filtern, aber es gibt viele Zweifel daran, wie engagiert das gemacht wird und wie effektiv es ist. Viacom geht das ohnehin nicht weit genug. Es will erreichen, dass Youtube jedes Video, das dort veröffentlicht wird, vorab auf seine Rechtmäßigkeit prüft. Youtube müsste also eine Art Haftung für das Verhalten Dritter übernehmen.
Und warum will Viacom das erreichen?
Weil es verhindern will, dass die Inhalte überhaupt auf Videosites landen, und weil es Youtube zwingen will, die Kosten zu übernehmen. Viacom zahlt Millionen und Abermillionen Dollar dafür, Videos daraufhin zu prüfen, ob seine Rechte verletzt sind – nicht nur bei Youtube, sondern auch bei Dailymotion und woanders. Es gibt tatsächlich Räume voll mit Menschen, meist Studenten, die auf Youtube herumsuchen. Das ist eine Sisyphosaufgabe, die eine Menge Geld kostet.
Die Hoffnung, dass der Kongress ein Gesetz zugunsten von Viacom erlässt, hat die Firma im Moment aufgegeben, also ist sie vor Gericht gezogen. Wenn das Gericht zugunsten von Viacom entscheidet, dann sind auch bei Google Books die Karten neu gemischt. Es kann aber noch Jahre dauern, bis eine Entscheidung fällt. Das Verfahren läuft seit zwei Jahren und das Gericht ist noch immer bei der Beweisaufnahme. Wahrscheinlich wird es eine außergerichtliche Einigung geben, denn ein Gerichtsverfahren ist ein Glücksspiel.
Der Buchmarkt ist noch aus einem anderen Grund in Aufruhr – wegen des E-Books. Die Verlage betonen, dass sie nicht die gleichen Fehler machen werden wie die Musikindustrie.
Sie machen nahezu die gleichen Fehler. Amazon hat im Buchmarkt die Rolle eingenommen, die Apple im Musikmarkt hatte. Jeff Bezos ist fast ein Anagram von Steve Jobs. Die Buchindustrie ist dabei, den Schlüssel zum Himmelstor des E-Book-Markts Amazon auszuhändigen, indem sie Amazon die Kontrolle über die Plattform und die wirtschaftlichen Bedingungen, etwa die Preisgestaltung, überlässt. Man muss sich zwei Fragen stellen: Wer sind Amazons ernstzunehmende Konkurrenten und welchen Einfluss haben die Verlage auf Amazon? Die Musikindustrie hat alle Hebel, die sie gegen Apple hatte, aus der Hand gegeben. Der letzte war, DRM aufzugeben und damit – ironischerweise – Amazon zum Apple-Konkurrenten aufzubauen.
Warum hat Amazon eine so große Macht im E-Book-Markt?
Weil das Unternehmen E-Books auf alle Plattformen liefern kann: nicht nur auf den Kindle, sondern auf Smartphones, den Blackberry. Die Technik dafür haben sie bekommen, indem sie Mobipocket gekauft haben, eine französische E-Book-Technik-Firma, die ihr eigenes DRM entwickelt hat. Die Fachverlage werden Amazon nicht erlauben, ihre populären Bücher für Mobipocket-Plattformen anzubieten, im Gegensatz zum Kindle. Das ist ein Hebel, den die Verlage in der Hand haben. Wenn ich Verleger wäre, würde ich Amazon niemals dieses Recht einräumen, denn dann hätte Amazon nicht nur die Kontrolle über den Kindle, der nur eins unter vielen E-Book-Lesegeräten ist. Sondern dann würde Amazon auch den Markt für Blackberrys und Smartphones bekommen, deren Darstellung immer besser wird. Daran können die Verlage festhalten, so lange E-Books mit DRM ausgerüstet sind.
Wer sind Amazons Konkurrenten?
In den USA haben die Verleger gerade einen ernstzunehmenden Konkurrenten geschaffen, indem Barnes & Noble, die größte Buchhandelskette der USA, eine Partnerschaft mit eReader eingegangen ist. Das könnte ein Konkurrent zu Amazon sein, weil Barnes & Noble so eine große Reichweite hat. Der andere Konkurrent könnte Adobe sein. Adobe ist für den E-Book-Markt das, was Microsoft für den Musikmarkt war: Die Firma stellt Software zur Verfügung, verkauft aber selbst keine Inhalte.
Adobes wichtigster Hardwarepartner ist Sony, aber die beiden haben keinen ernstzunehmenden Shop für E-Books. Adobe könnte dann zum Amazon-Konkurrenten werden, wenn die Firma sich mit einem großen Einzelhändler zusammentut, etwa Walmart. Oder, indem einer der Adobe-Hardwarepartner ein tolles neues Gerät herausbringt. Es gibt einen großen Hype um ein Gerät von Plastic Logic, das Anfang 2010 auf den Markt kommen soll. Wenn das Gerät so toll ist wie angekündigt und sie ein gutes Verkaufsangebot haben, dann haben sie eine Chance.
Aber selbst wenn es zwei Konkurrenten zu Amazon gibt, was bekommt man? Drei inkompatible Plattformen für E-Books. Das werden die Kunden nicht mögen, denn es gibt Kopierschutz und Inkompatibilität – die E-Book-Industrie hat sich Gedanken gemacht über interoperables DRM und sich entschieden, sich nicht drum zu kümmern.
Werden wir also E-Books ohne DRM bekommen?
Ich denke schon. Wenn man sich Technologie anschaut, dann gibt es fast nie nur eine Plattform. Als es bei Betriebssystemen im Grunde nur einen Anbieter gab, gab es auch ein Kartellverfahren. Bei Datenbanken gibt es Konkurrenz und auch auf beinahe jedem anderen Gebiet. Meist arbeiten die Konkurrenzprodukte nicht zusammen. Das mögen Kunden nicht. Vielleicht werden sie sich daran gewöhnen, aber noch ist das nicht der Fall. Wenn E-Books populärer werden, wird es auch mehr unerlaubte Kopien geben, wie es auch bei Musik der Fall war. Die Verleger werden ihren Hebel verlieren, aber den Markt erweitern wollen, so dass sie dann in der gleichen Situation sein werden wie die Musikindustrie – also wird DRM verschwinden.
Was sagen Sie dazu?