Die Urheberrechtsdebatte: Einer geht noch
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Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Dimensionen der Urheberrechtsdebatte: Am Anfang stand ein Interview. Sven Regener beklagte im Bayerischen Rundfunk eine mangelnde Wertschätzung von Künstlern: „Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert”, sagte er im Interview. Und: „Man pinkelt uns ins Gesicht”. Gut eine Woche nach Regners Wut-Rede erscheint ein Brief im Namen von 51 Tatort-Autoren, der sich gegen Urheberrechtsreformen wendet; noch am selben Abend folgt die Erwiderung des Chaos Computer Clubs, eine Erklärung von „51 Hackern”.
In der Woche darauf sind es im Handelsblatt bereits „100 Schriftsteller, Sänger, Künstler, Werber, Softwareentwickler und Unternehmer”, die sich gegen die „Kostenloskultur” erklären. Wiederum eine Woche später folgt der Aufruf „Wir sind die Urheber” des Literaturagenten Matthias Landwehr. Dem folgen die Gegenaufrufe „Wir sind die Bürger” des Pädagogen Thomas Pfeiffer und „Auch wir sind Urheber/innen” des Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch (letzterer auch von mir unterzeichnet). Insgesamt gehen die Unterzeichnerzahlen bei den Aufrufen ins Vierstellige.
Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu
Der Wutausbruch des Sven Regener war jedoch nur der Anstoß, der das Thema Urheberrecht ins Feuilleton schwappen ließ. Das wird auch am Aufruf der Tatort-Autoren deutlich. Sven Regener findet in ihm keine Erwähnung – er richtet sich vielmehr an die Piratenpartei, die Linke, die Grünen und die „Netzgemeinde“. Die Piraten ritten nach den Berliner Landtagswahlen auf einer medialen Erfolgswelle, die „Netzgemeinde” gelangte durch die ACTA-Proteste auf die Eins der Tagesschau. Bei Linken und Grünen konkretisierten sich die Vorstellungen für eine Urheberrechtsreform.
Dahinter stehen längerfristige Entwicklungen: Die Piraten wären in Deutschland ohne die Netzsperren-Diskussion und das verschlafene Themenfeld Netzpolitik nicht gewachsen; die „Netzgemeinde” im politischen Sinn hat ihre Vorläufer in der Hackerszene oder der Bewegung gegen Softwarepatente. Wissenschaftler und auch NGOs diskutieren schon seit Jahren über eine Reform des Urheberrechts, etwa unter dem Schlagwort „Access to Knowledge” (Zugang zu Wissen).
All diese Debatten und Diskussionen gibt es also schon lange. Sie fanden allerdings, von wenigen Ausnahmen abgesehen, unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der etablierten Kulturszene statt. Erst mit den Piraten und der ACTA-Debatte gelangten sie an eine breitere Öffentlichkeit und wurden als politischer Faktor ernst genommen.
Erregungskurven
Es war der Beginn einer Urheberrechtsdiskussion, die zur Karikatur einer Debatte wurde. Man gewann den Eindruck, sie bestehe vor allem darin, die Urheber gegen Forderungen zu verteidigen, die niemand erhoben hatte: Die Abschaffung des Urheberrechts, „absolute Freiheit” im Netz oder „alles kostenlos”, versinnbildlicht im drohenden Wegfall der beliebtesten deutschen Krimireihe – dem „Tatort” – durch eine um sich greifende Gratismentalität.
Für den eigenartigen Verlauf der Debatte lassen sich mehrere Gründe ausmachen:
1. Die mediale Eigenlogik
Medien lieben Zuspitzung und Verkürzung. Das ist erst einmal kein Nachteil, führt aber zu selbstverstärkenden Schleifen: Man berichtet über neue Einlassungen einer Debatte, die man zugleich selbst weiter befeuert – ein Thema „weiterzudrehen” ist in den Redaktionen immer beliebt. Versuche, beide Seiten zumindest im Ansatz zu beleuchten – wie etwa in Frank Schirrmachers FAZ-Artikel „Schluss mit dem Hass” – waren hingegen selten.
2. Die Medien sind selbst Partei
Parteinahme muss nicht die Form einer Kampagne haben – bei den „100 Köpfen” im Handelsblatt hatte sie es. Doch auch abseits dessen wissen Journalisten, welche Haltung ihre Verlage in Urheberrechtsfragen vertreten. Nicht zuletzt sind sie selbst Urheber. Neben die Krise althergebrachter Geschäftsmodelle bei den Verlagen tritt bei klassischen Journalisten und Autoren die Angst, im Zuge der Digitalisierung kulturelle Deutungshoheit zu verlieren. Häufig trifft man auf eine Abwehrhaltung gegenüber dem gesellschaftlichen Wandel, der mit ihr verbunden ist. Keine gute Voraussetzung für professionelle Distanz und den Versuch, alle Seiten einer Sache angemessen darzustellen.
3. Nicht allen nützt Differenzierung
Dass ein Interessengegensatz zwischen Urhebern und Verwertern nicht nur behauptet ist, wie es etwa im Aufruf „Wir sind die Urheber” heißt, weiß auch dessen Initiator, der Literaturagent Matthias Landwehr. Doch wer am Status quo des Urheberrechts festhalten will oder Verschärfungen für Rechteinhaber fordert, dem ist damit nicht gedient, nuanciert über Reformen zu diskutieren.
Aus der Kulturszene wiederum ist häufig zu hören, eine solche Debatte sei überfällig gewesen, habe wichtige Dinge angesprochen. Vielleicht hatte sie für einige tatsächlich eine solche kathartische Wirkung. Eine wirkliche Debatte übers Urheberrecht aber steht noch aus. Dazu müssten erst einmal die richtigen Fragen gestellt werden, jenseits aller Aufregung und Verdächtigung.
David Pachali ist Redakteur und Autor bei iRights.info, freier Journalist zu Netzpolitik, digitaler Öffentlichkeit und Urheberrecht, konzipierte und betreute zuletzt die Publikation „Öffentlichkeit im Wandel“ (Schriftenreihe der Heinrich-Böll-Stiftung, 2012). Konzeptentwickler für Online-Formate und -Publikationen.
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