Die Musikwirtschaft im 21. Jahrhundert
Musikwirtschaft ist mehr als der Verkauf von Tonträgern. Zur Musikwirtschaft gehören neben den vier großen Labels Universal Music Group, Warner Music Group, EMI und Sony-BMG und ihrem jeweiligen Musikverlagsgeschäft nicht nur unabhängige Labels und Tonträgerhersteller mit ihrem seit Jahren wachsenden Marktanteil, sondern auch Musikverlage, unabhängige Produzenten, Künstlermanager, Konzertveranstalter und ein umfangreiches Merchandising- und Werbegeschäft. Auch die Verwendung von Musik im Rundfunk, Film- und Fernsehgeschäft, spielt eine wichtige Rolle.
Die industrielle Organisation der Musikbranche erfolgte im 20. Jahrhundert entlang der im Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte festgeschriebenen Rechte. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Urheberrechten für Kompositionen und Liedtexte auf der einen Seite und Leistungsschutzrechten, beispielsweise für Darbietungen und Tonaufzeichnungen, auf der anderen Seite. Auf das Geschäft mit urheberrechtlichen Lizenzen haben sich die Musikverlage spezialisiert. Das Geschäft mit den Leistungsschutzrechten liegt überwiegend in der Hand der Labels und Tonträgerhersteller.
Neue technologische Entwicklungen führten dabei immer wieder zu einer Ausweitung der Urheberrechte, herbeigeführt durch den Lobbyismus von Branchenvertretern, oft in Zusammenarbeit mit anderen Branchen wie Film- oder Verlagswirtschaft. Die bekanntesten Beispiele dafür aus der jüngsten Vergangenheit sind das „Recht auf öffentliche Zugänglichmachung“, mit dem auf die zunehmende Internetnutzung reagiert wurde, und das Umgehungsverbot für Kopierschutzverfahren und digitales Rechtemanagement (DRM), das nötig wurde, weil immer mehr Privathaushalte CD-Brennern verwenden.
Aus Sicht der Musiker spielen Einnahmen aus Live-Konzerten und dem Verkauf von Live-Aufnahmen und Merchandising-Artikeln eine immer größere Rolle, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Im Unterschied zum rückläufigen Geschäft mit Tonträgern expandieren der Live- und Merchandising-Bereich bereits seit Jahren. In jüngerer Zeit sind darüber hinaus große Zuwächse bei der Online-Vermarktung von Musik zu verzeichnen, allerdings ausgehend von einem niedrigen Niveau.
Neben der Erstverwertung findet im Musikbereich auch eine Zweitverwertung von geschützten Werken im nennenswerten Umfang statt, die über die Verwertungsgesellschaften erfasst und abgerechnet wird.
Digitalisierung, Marktentwicklung und Strukturwandel
In Pressemitteilungen der großen Tonträgerhersteller wird immer wieder auf die Umsatzeinbrüche der vergangenen Jahre verwiesen. Diese werden in der Regel auf die illegale Verbreitung von Musik in Tauschbörsen und den großen Umfang von Privatkopien zurückgeführt. Unabhängige wissenschaftliche Studien, die das zweifelsfrei belegen können, gibt es jedoch nicht. Schon wenn man die Marktentwicklung des vergangenen Jahrzehnts statt nur der letzten 5 Jahre berücksichtigt, wird man die Umsatzverluste relativieren müssen. So betrug der US-Markt für Tonträger nach Listenpreis[1] im Jahr 1989 rund 6,58 Milliarden. Neun Jahre später, 1998, hatte sich der Markt auf rund 13,72 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt. Weitere neun Jahre später, 2007, war der Markt wieder auf rund 10,32 Milliarden US-Dollar geschrumpft – und lag damit immer noch deutlich über dem Volumen von 1989.
Dass die großen Plattenfirmen mit relativ großen strukturellen Kosten zu wirtschaften haben, erschwert ihnen die Anpassung an die neuen Markterfordernisse. Statt den Strukturwandel aktiv mitzugestalten, verlegten sie sich auf eine Strategie, die den Erhalt der von der Technologieentwicklung überholten Marktstrukturen zum Ziel hatte. Die Strategie fußte dabei auf drei Säulen: Einerseits wurde weltweit Druck auf die Gesetzgeber ausgeübt, um das Urheberrecht zu Gunsten der Inhaber von Urheber- und Leistungsschutzrechten zu verschärfen. Andererseits wehrte man sich mit Abschreckungskampagnen, Klagen und Schadensersatzforderungen gegen die nicht autorisierte Verbreitung von Musik im Internet. Und schließlich sollten technische Schutzmaßnahmen wie CD-Kopierschutz und digitales Rechte-Management (DRM) die unerwünschte Vervielfältigung von Musik durch die Verbraucher verhindern. Betrachtet man die Markt- und die Umsatzentwicklung der vergangenen Jahre, muss man feststellen, dass die Strategie vollumfänglich gescheitert ist.
Diese Erkenntnis setzt sich seit 2007 zunehmend auch in den Chefetagen der Major-Labels durch. Die Unternehmen haben begonnen, ihre Geschäftsbereiche neu zu ordnen und durch strategische Partnerschaften mit Konsumgüterproduzenten neue Vermarktungswege zu erschließen. Sie haben angefangen, die Online-Nachfrage nach DRM-freier Musik im MP3-Format breit zu bedienen und durch vertikale Integration ihren Anteil an der Wertschöpfungskette zu vergrößern. Auch das Verhältnis zu den von ihnen betreuten Musikern ist im Prozess sich zu verändern: Die Beziehungen zwischen Label und Band werden durch neue Verträge gefestigt. Für Verbraucher setzt die Musikindustrie auf mehr Vielfalt im Angebot, um die zunehmend fragmentierte Nachfrage[2] zu befriedigen. Selbst Flatrate-Modelle, die nach Zahlung einer Pauschalgebühr die zeitlich und/oder räumlich unbegrenzte Musiknutzung im Rahmen eines Abonnements ermöglichen, finden zunehmend Akzeptanz bei den Rechteinhabern.
Arbeit und Arbeitsverhältnisse
In der Musikwirtschaft gibt es eine ganze Reihe teils hoch spezialisierter Berufsbilder, darunter A&R-Manager, Arrangeur, Instrumentalist, Komponist, Textdichter, Sänger, Tonmeister, Tontechniker, und Produzent. Nicht selten überschneiden sich in der Praxis die ausgeübten Berufe der Kreativen.
Der Musikerberuf ist und bleibt trotz der vergleichsweise schlechten Verdienstaussichten attraktiv. Der überwiegende Teil der Kreativen ist freiberuflich oder in Kurzzeitengagements tätig, oft nur in Teilzeit. Der Beruf des Musikers ist in der Regel schlecht bezahlt[3] und wird kombiniert mit weiteren Jobs aus einem breiten Spektrum, darunter diversen Lehrberufen oder auch der sprichwörtlichen Beschäftigung als Taxifahrer. Trotz der prekären Berufsaussichten hat sich die Anzahl der Musiker in den vergangenen 15 Jahren praktisch verdreifacht[4].
Musikern bringt die Digitalisierung der Musikproduktion – Komposition und Produktion mit Hilfe von digitalen Loops, Samples, Klangsynthese am heimischen PC und so weiter – und der Musikvermarktung die Chance, große Teile der Wertschöpfungskette selbstbestimmt zu kontrollieren. Die Abhängigkeiten von Produzenten, Tonstudios und Plattenfirmen sinkt, so dass Musikern zumindest potentiell als eigenständige Unternehmer in der neuen Musikwirtschaft auftreten können.
Damit stehen Musiker aber auch vor der Herausforderung, weitere Qualifikationen jenseits der Musikausbildung zu erwerben. Das Berufsbild wird vielfältiger. Der „Musiker 2.0“ ist immer häufiger zugleich Musiker, Agent, Werbefachmann, Produzent, Tontechniker und Manager. Auf Musiker ausgerichtete Bildungseinrichtungen wie zum Beispiel die Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim stellen sich mit neu gestalteten Studien- und Weiterbildungslehrgängen auf die veränderten Bedürfnisse der Musiker ein.
Anmerkungen
[1] Zahlen von der Recording Association of America (RIAA), aus dem 1998 Consumer Profile bzw. dem 2007 Consumer Profile. Die Daten sind zum Teil online erhältlich: www.riaa.org/keystatistics.php.
[2] Die Individualisierung der Nachfrage, der „Wandel…vom passiv rezeptiven Verbraucher zu vielseitig wählenden, aktiven Konsumenten, die am Markt ein immer differenzierteres, qualitativ verbessertes Angebot verlangen“, die sich seit vielen Jahren beobachten lässt, hat auch vor dem Medienkonsum nicht halt gemacht. Vgl. Helmut Keims und Heiko Steffens (Hrsg.): Wirtschaft Deutschland. Daten – Analysen – Fakten, Köln: Wirtschaftsverlag Bachem: 2000, S. 26.
[3] Der durchschnittliche Musiker nimmt laut Statistik der Künstlersozialkasse (KSK; 2007) nicht mehr als 10.754 EUR pro Jahr ein. Vgl. http://www.kuenstlersozialkasse.de/wDeutsch/
ksk_in_zahlen/statistik/durchschnittseinkommenversicherte.php
[4] Waren im Jahr 1992 nur 14.649 Musiker bei der KSK versichert, waren es 2007 bereits 42.198. Vgl. http://www.kuenstlersozialkasse.de/wDeutsch/
ksk_in_zahlen/statistik/versichertenbestandsentwicklung.php
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