Die Lobbyisten der Unfreiheit
„Der Copypreis der Zukunft ist das Copyright“ – mit dieser Formulierung machte Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, in einem Spiegel-Interview Anfang März das erste Mal öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam, dass sein Konzern Hilfe vom Gesetzgeber erwartet: „Es kann nicht sein, dass die einen – die Verlage – heute mit viel Geld und Aufwand Inhalte schaffen. Und andere – Online-Anbieter und Suchmaschinen – bedienen sich für lau und vermarkten es.”
Döpfners Lösung: „Ein gesetzlich zu schaffendes Leistungsschutzrecht muss künftig dafür sorgen, dass die Mehrfachverwertung professionell erstellter Inhalte auch bezahlt wird.” Wie das aussehen soll? „Es gibt noch keine konkreten Vorstellungen. Wichtig ist, dass der Gesetzgeber das Problem erkennt.”
An dieser Aussage wird das Motiv erkennbar, das sich seit Monaten durch die von den Verlagen forcierte Diskussion zieht: Es geht offenbar darum, in der Öffentlichkeit Druck aufzubauen und den Gesetzgeber dazu zu bringen, den Verlagen neue Rechte einzuräumen – Rechte, die weit über den bisherigen Schutz des Urheberrechts hinausgehen.
Faxe mit dubiosem Gutachten
Döpfners Interviewaussage war nicht der Beginn dieser Kampagne. Bereits Monate zuvor hatte der Verlag öffentlich und hinter den Kulissen daran gearbeitet, dass das Leistungsschutzrecht seinen Platz auf der öffentlichen Agenda findet.
So lief Anfang April dieses Jahres in den Büros einiger Bundestagsabgeordneter ein Fax der Axel Springer AG ein. Absender war das Büro des „Konzerngeschäftsführers Public Affairs”, Christoph Keese. Der Inhalt: Neun Seiten „Memorandum” unter dem Betreff „Leistungsschutzrecht für Presseverleger”. Der Verfasser: Jan Hegemann, Partner der deutschen Dependance der weltweit tätigen Anwaltskanzlei „Hogan & Hartson Raue L.L.P”. In Deutschland gehört die Firma zu den bekannteren Kanzleien, die sich mit Medienrecht beschäftigen.
Hegemann selbst ist Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin; zu seinen Klienten gehören große deutsche Verlage, darunter immer wieder die Axel Springer AG. In dem Papier argumentiert Hegemann, dass der Schutz nicht ausreicht, den Presseverleger durch das Urheberrecht derzeit erhalten. Daher müsse ein neues Recht eingeführt werden, das nicht vom Recht der Autoren abgeleitet ist und den Verlagen ein eigenes Recht an Veröffentlichungen einräumt. Veröffentlicht wurde dieses Gutachten nicht.
FAZ-Autor als Lobbygutachter
Am 9. April erschien unter der Überschrift „Kopierte Inhalte – Schutzlos ausgeliefert im Internet” in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein ausführliches Essay. Der Autor behauptet darin, dass eine Analyse des geltenden Zivil- und Urheberrechts zu der Erkenntnis führe, „dass es an einem durchsetzbaren originären Investitionsschutz für den Presseverleger fehlt. Ein Schutz der Leistungen des Presseverlegers in der digitalisierten Welt muss aber vom Gesetzgeber garantiert werden, da eine Demokratie ohne Presse und Pressevielfalt nicht lebensfähig ist. Dazu bedarf es eines Leistungsschutzrechts der Presseverlage.”
Unter dem Artikel wird der Verfasser vorgestellt: „Professor Dr. Jan Hegemann ist Rechtsanwalt in Berlin. Er lehrt als Honorarprofessor Urheber- und Medienrecht an der Freien Universität.” Kein Wort davon, dass Hegemann deutsche Großverlage vertritt und dass er Autor des Lobby-Gutachtens ist.
Reinhard Müller, Leiter des FAZ-Ressorts, in dem Hegemanns Text erschienen ist, erkennt kein Problem darin: „Jeder Autor hat Interessen oder vertritt welche. Der Versuch, darauf hinzuweisen, wird schnell zum uferlosen Unterfangen, so das denn überhaupt möglich ist: So verschweigen auch renommierte Hochschullehrer gelegentlich ihre bezahlten Gutachtertätigkeiten. Letztlich steht ein Artikel für sich; man muss sich mit seinen Argumenten auseinandersetzen. Und man kann natürlich widersprechen.”
Hegemann selbst ist der Ansicht, dass informierte Leser von Qualitätszeitungen gut einschätzen können, vor welchem Hintergrund derartige Stellungnahmen gedruckt werden: „Wenn die FAZ meine Funktion als Rechtsanwalt nennt, dann weiß jeder kundige Leser der Seite ‚Staat und Recht’, dass ein Rechtsanwalt Parteiinteressen wahrnimmt. Das fand ich eigentlich ausreichend deutlich.”
„Leistungsschutzrecht überfällig”
Genau vier Wochen später, am 7. Mai, erklärt der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) per Pressemitteilung, seine Delegiertenversammlung habe ein Leistungsschutzrecht für die Presse von der Politik gefordert.
Diese Forderung kommt zu einem günstigen Zeitpunkt. Am 7. und 8. Mai lädt das Bundesjustizministerium Experten aus aller Welt ein zu einer internationalen Urheberrechtstagung in die Berliner Repräsentanz der DZ-Bank am Pariser Platz. Titel der Veranstaltung: „Die Zukunft des Urheberrechts – Was ist der richtige Schutz?” BDZV-Präsiden Helmut Heinen kann das in der Pressemitteilung bereits beantworten: Die Presseunternehmer müssten sich gegen eine „unentgeltliche Ausnutzung” ihrer Online-Angebote wehren. Um diese zu erstellen, bedarf es eines hohen finanziellen Aufwands. Ein Leistungsschutzrecht, das einen sachgerechten Ausgleich garantiere, sei daher überfällig.
Weltgrößte PR-Agentur im Hintergrund
Beim Bundesjustizministerium ist zu diesem Zeitpunkt die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht bereits bekannt. Der Springer-Verlag hatte sie wiederholt ins Spiel gebracht, etwa bei der Tagung „Digitale Revolution – Chance oder Bedrohung für die Kreativwirtschaft” am 5. Februar 2009. Veranstaltet wurde die Konferenz von der Europa-Union, einer Organisation zur Förderung der europäische Idee, und ICOMP, der „Initiative for a Competitive Online Marketplace” (Initiative für einen wettbewerbsfähigen Online-Markt).
Als Sekretariat der ICOMP agiert PR-Agentur Burson Marsteller, die bereits die Belange der Regierungen Nigerias während des Biafra-Kriegs vertrat, Indonesien nach den Massakern in Ost-Timor beriet und für Rumänien während der Ceausescu-Diktatur arbeitete. ICOMP ist nach eigenen Angaben „eine Industrie-Initiative für Organisationen und Unternehmen, die im Internet-Geschäft tätig sind, vor allem Online-Verlage und -Werbetreibende, Internet-Service- und Netzwerk-Provider und Agenturen für Online-Werbung”.
Paragraf korrigieren
Kein schlechtes Umfeld für Springers Konzerngeschäftsführer Christoph Keese, um das erste Mal öffentlich das Thema Leistungsschutzrecht anzusprechen. Das Online-IT-Magazin Heise Online (5.2.2009) berichtet, Keese sei vor allem Paragraf 44a des Urheberrechtsgesetzes ein Dorn im Auge gewesen. Diese Regelung erlaubt „vorübergehende Vervielfältigungshandlungen” bei der Datenübertragung im Netz und damit auch das kurze Zwischenspeichern geschützter Werke bei Zugangsprovidern. Dies geschieht in so genannten Proxy-Servern oder im Zwischenspeicher (Cache) des Browsers auf den PCs der Nutzer.
Für Keese seien diese Proxy-Server „Vervielfältigungsmaschinen”. Providern per Gesetz das Zwischenspeichern zu erlauben, bedeute, dass das Urheberrecht „komplett vom Tisch runtergeschoben” würde. Ein Vorgehen gegen Proxy-Betreiber innerhalb von Unternehmen sei so nicht möglich: Eine Bank zahle zwar 80.000 US-Dollar für den Zugang zu Informationen des Wirtschaftsnachrichtendienstes Bloomberg – suche der Direktor des Finanzhauses dagegen im Internet nach Presseberichten über einen Mittelständler, der bei ihm um einen Kredit nachfrage, zahle er dafür keinen Cent. Dabei „bereichert er sich mit den von uns zur Verfügung gestellten Informationen”, klagte Keese. Der Paragraf 44a müsse daher korrigiert werden.
Nicht gewusst oder verschwiegen?
Inhalte des World Wide Webs auf einem PC darzustellen, ist allerdings technisch nur möglich, wenn sie auf diesem PC auch gespeichert werden. Aus diesem Grund war Paragraf 44a überhaupt ins Urheberrechtsgesetz aufgenommen worden, wie die Bundesregierung in ihrer Begründung zur zweiten Novellierung des Urheberrechtsgesetzes deutlich gemacht hatte, die 2003 in Kraft trat: „Solche Vervielfältigungen können zum Beispiel die ständigen Speichervorgänge auf den Datenspeichern (Servern) der Zugangsvermittler sein, über die ein Nutzer Werke und Schutzgegenstände weltweit abrufen kann und ohne die eine Übermittlung an den Nutzer nicht möglich ist.”
Ob Keese das verschwieg oder nicht wusste – weder das eine noch das andere wäre eine gute Grundlage für öffentliche Forderungen. Auch das Bloomberg-Beispiel verwundert, denn niemand hat Springer oder einen anderen Verlag jemals daran gehindert, seine Inhalte ebenfalls kostenpflichtig zu veröffentlichen.
Wie genau das Leistungsschutzrecht aussehen soll, ist mehr als ein halbes Jahr später immer noch völlig unklar. Auf Nachfrage von Message, wie es in der Praxis aussehen kann, sagt Christoph Keese: „Wir treten im Moment für ein Leistungsschutzrecht ein. Dieses Recht liegt dann beim Verlag. Der Verlag kann dann entscheiden, was er damit machen will, etwa indem er sagt: ‚Wir möchten, dass unsere Inhalte kostenlos zur Verfügung stehen. Genauso könnte er sagen: Wir möchten die Rechte an der gewerblichen Nutzung kostenpflichtig machen.” Da aber im Moment nicht einmal ein Gesetzesvorschlag für ein Leistungsschutzrecht vorliege, sei auch nicht konkret klar, was die Verlage mit einem solchen Recht anstellen würden.
Kein Hinweis auf die Tätigkeit für den Verlag
Bevor ein Gesetzesvorschlag erarbeitet werden kann, muss dem Justizministerium und der interessierten Öffentlichkeit klar sein, dass ein solches Gesetz notwendig ist. Das führt zurück zu Springers Gutachter Hegemann. Am 10. Mai veröffentlichte Die Welt ein Interview mit ihm unter dem Titel „Die wichtigsten zehn Fragen zum Urheberrecht”.
Auf die Frage „Wie sollte das geistige Eigentum künftig geschützt werden?”, antwortete Hegemann: „Die Leistung des Presseverlegers ist nach geltendem Recht unzureichend geschützt. Musiklabels, Sendeunternehmen und Konzertveranstalter gewährt das Urheberrecht eigene Leistungsschutzrechte. Dahinter steht der Gedanke, dass diese Firmen organisatorische, wirtschaftliche und kreative Leistungen erbringen, die für sich genommen schutzwürdig sind.”
Und weiter heißt es: „Die Tätigkeit der Presseverleger steht dem in nichts nach. Es ist deshalb nicht einsichtig, dass das Urheberrecht ihnen Leistungsschutz vorenthält. Ein eigenes Leistungsschutzrecht der Verleger ist gerade wegen der digitalen Vervielfältigungsmöglichkeiten für den Erhalt der Presselandschaft unabdingbar.” Mit den „Leistungen der Presseverleger” ist gemeint, dass sie unter anderem eine Themenauswahl treffen, Beiträge in Auftrag geben, sie redigieren, gestalten, veröffentlichen oder das finanzielle Risiko übernehmen.
Der Autorenhinweis unter dem Text: „Antworten stammen von Professor Jan Hegemann. Er ist Anwalt bei der Kanzlei Hogan & Hartson in Berlin”. Kein Hinweis darauf, dass er als Gutachter für den Springer-Verlag tätig ist, in dem die Welt erscheint.
Konzerngeschäftsführer Keese gesteht ein, dass es angebracht gewesen wäre, hält das Fehlen aber nicht für problematisch: „Das hätte man drunter schreiben können, aber das ist sicher nicht mit bösem Willem geschehen, denn Hegemann ist einer der fünf bis zehn Leute die man fragt, wenn man etwas zum Urheberrecht wissen will.”
Es müsste wohl heißen: Leute, die Springer fragt, wenn es ums Urheberrecht geht. Hegemann ist zwar ein bekannter Medien- und Presserechtler. Er gehört aber nicht zum Kreis der Juristen, die regelmäßig das Urheberrecht kommentieren. Seine Selbstdarstellung auf den Seiten von Hogan & Hartson Raue verzeichnet eine einzige Publikation zum Thema: „Für ein Leistungsschutzrecht der Presseverleger”, erschienen im August 2009 in AfP, einer Fachzeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht. Darin: die selben Argumente, die er auch schon im Springer-Gutachten ausgearbeitet hat.
„Danaergeschenk für Verleger”
Hegemanns Argumente sind nicht besonders überzeugend. Er schreibt, dass sich in der juristischen Kommentarliteratur „die Mehrheit für die Einführung eines Leistungsschutzrechtes der Verleger” ausspricht. Für Ansgar Ohly, Professor für Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht an der Universität Bayreuth, ist das „recht undifferenziert”. Der zitierte Michael Grünberger von der Uni Köln verweise nur knapp darauf, dass es in anderen Ländern ein solches Verlegerrecht gibt; und der ebenfalls zitierte Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum in München, kritisiere den bestehenden Schutz für Verleger und möchte ihn durch ein Leistungsschutzrecht geringeren Umfangs ersetzen, meint Ohly: „Das wäre ein Danaergeschenk für die Verleger”.
Ein reines Lobbying-Gutachten also? Ohly: „Die Argumente für ein Leistungsschutzrecht verweisen auf die Notwendigkeit eines Investitionsschutzes für Verleger, gerade angesichts der Kopiermöglichkeiten durch digitale Technologien. Das Memorandum erklärt aber nicht, warum der gegenwärtig bestehende abgeleitete Schutz nicht ausreicht.”
„Übernahme einer fremden Leistung”
Im Dunkeln bleibt auch, was mit dem Leistungsschutzrecht erreicht werden soll. Soll es Google zu Abgaben zwingen? Hegemann gegenüber Message: „Nein. Das Ziel ist nicht, dass Google oder andere News-Aggregatoren Abgaben zahlen. Ich stelle mir die Frage der Abgaben in der ersten Stufe der Prüfung noch nicht, sondern ich stelle mir die Frage: Wie können die Verleger ihre Leistungen schützen, die von anderen genutzt werden? Sie müssen das gedanklich trennen – die Entstehung eines Schutzrechts und der Möglichkeit zu sagen: ‚Ohne meine Einwilligung dürfen bestimmte Dinge nicht von Dritten übernommen werden’ – und die Monetarisierung.”
Diese zweite Stufe könne über eine Flatrate erfolgen, über eine Verwertungsgesellschaft oder über Einzelverträge, so Hegemann. „Das ist kein Generalangriff auf Google; aber wir müssen uns rechtlich in den Stand versetzen, mit Google mit durchsetzbaren Rechtspositionen verhandeln zu können. Google bedient sich aus der Fülle der von den Presseverlegern aufbereiteten Nachrichten mit Kurz-Zusammenfassungen, so genannten Rip-Offs; oder indem Google die einführenden Sätze einer Meldung übernimmt, die – wenn sie gut gemacht sind – immer darauf abzielen, besonders neugierig zu machen. Dieses Angebot von Google ist Übernahme einer fremden Leistung.”
Die suggerierten Rip-Offs gibt es nicht
Es lohnt sich, Hegemanns Argumentation näher zu betrachten. „Rip-Off” bedeutet, Texte, die von einer Nachrichtenagentur oder einer Tageszeitung stammen können, umzuschreiben und ohne weitere Recherche erneut zu veröffentlichen.
So weit die Theorie – es ist aber kein deutsches Angebot bekannt, das Rip-Offs gewerblich veröffentlicht und Konkurrenz zu den Angeboten der Verlage darstellt. Google veröffentlicht gar keine Rip-Offs, wie von Hegemann und anderen immer wieder suggeriert. Die angezeigten Nachrichtentexte mit einer Länge von maximal 250 Anschlägen werden nicht redaktionell bearbeitet. Auch die Veröffentlichung selbst, die Hegemann als „Übernahme fremder Leistung” bezeichnet, ist nach geltendem Recht legal. Das liegt daran, dass Texte eine gewisse Schöpfungshöhe erreichen müssen, um überhaupt als urheberrechtlich schützbar zu gelten. Bei derartigen Schnipseln ist das nicht der Fall.
Aussagen wie die Hegemanns suggerieren dennoch den Eindruck, es handele sich um einen Rechtsverstoß von Google. Zu unrecht, sagt Udo Branahl, Professor für Medienrecht an der Universität Dortmund. „Was Google tut, entspricht geltendem Recht.”
„Beschränkung der Gemeinfreiheit”
Die Intention derjenigen, die ein Leistungsschutzrecht fordern, dürfte die Ausweitung des Urheberrechts sein, um gegen das derzeit urheberrechtlich Erlaubte vorzugehen. Doch der Sinn des Urheberrechts besteht nicht darin, Verlage vor Konkurrenz zu schützen oder dafür zu sorgen, dass der Journalismus funktioniert. Das Urheberrecht sorgt vielmehr für einen Ausgleich der Interessen dreier Gruppen: erstens Urhebern, in diesem Fall also Journalisten, zweitens Verwertern, also den Verlagen und drittens der Öffentlichkeit, den Lesern.
Wie ein Leistungsschutzrecht das Verhältnis zwischen diesen Gruppen aus der Balance bringen könnte, skizziert der Bayreuther Urheberrechtler Ohly: „Ein Leistungsschutzrecht würde möglicherweise gemeinfreie Werke erfassen, deren fotomechanischer Nachdruck bisher aus gutem Grunde grundsätzlich erlaubt ist. Diese Beschränkung der Gemeinfreiheit erscheint problematisch.” Denn in der Praxis könnte das bedeuten, dass ein Verleger bereits ein Schutzrecht an einem Text erwirbt, weil er ihn abdruckt oder im Internet veröffentlicht – etwa dann, wenn 70 Jahre nach dem Tod des Autors der ursprüngliche urheberrechtliche Schutz seiner Texte abgelaufen ist.
Bruch mit sämtlichen Freiheitstraditionen
Bei Google News wird kein „Druckbild” vom Originalanbieter übernommen, auch nicht im übertragenen Sinne eines Website-Layouts. Um also gegen Google vorzugehen, müsste ein Leistungsschutzrecht wesentlich weiter formuliert sein.
Medienrechtler Branahl nennt verschiedene Möglichkeiten, wie dies aussehen könnte. Erstens den Grundsatz des Urheberrechts ändern. Der lautet: Information als solche sind nicht schützbar. Die zweite Möglichkeit wäre, die Regelung aufzugeben, das Meldungen vermischten Inhalts nicht unter den Urheberrechtsschutz fallen. Als drittes könnten die Anforderungen an den Urheberrechtsschutz herabgesetzt werden – etwa, indem die Überschrift eines Artikels schutzfähig wird. Dann dürfte auch eine Überschrift, etwa aus der New York Times, nicht mehr ohne Erlaubnis verwendet werden, um auf den entsprechenden Artikel hinzuweisen.
„Das wäre in etwa das, was Herr Burda ein erweitertes Nutzungsrecht nennt. Damit soll offenbar ein Urheberrecht eingeführt werden, das es in dieser Form noch nicht gibt: der Schutz von Überschriften und Nachrichten.”, sagt Branahl. „Es käme außerdem der Schutz von Informationen in Betracht – wenn etwa die DPA als erste Informationen hat und sie verbreitet, und dann ein anderer diese Informationen nutzt, um eigene Texte zu schreiben.”
Branahl weiter: „Auf diese Weise nicht mehr schöpferische Leistungen zu schützen, sondern die darin steckende Information, wäre ein Bruch mit sämtlichen kontinentalen Freiheitstraditionen. Jemand, der eine Nachricht als erster verbreitet, hätte eine Monopolstellung und könnte die Verbreitung von Informationen verhindern.”
„Fairen Anteil” von Netzpublikationen
Google jedenfalls wäre mit einem derart weit gefassten Recht beizukommen. Aber wollen die Verlage das? Roland Gerschermann, Geschäftsführer des FAZ-Verlags, möchte in jedem Fall einen „fairen Anteil von dem bekommen, was von uns im Internet veröffentlicht wird.” Ein Leistungsschutzrecht sollte so gefasst sein, dass es „auch für entsprechende Verweise im Internet hilfreich ist”, sagt er.
Bei der Frage, wie ein Leistungsschutzrecht konkret aussehen kann, ist er ähnlich zurückhaltend wie Christoph Keese: „Die Ausgestaltung wird sicher in den Feinheiten noch überlegt werden müssen. Ich habe dafür jetzt kein perfektes Konstrukt.” Es müsste wohl lauten: Niemand hat eine Vorstellung davon, wie ein neues Schutzrecht aussehen kann. So sieht es jedenfalls Udo Branahl: „Es sollte erstmal einen handhabbaren Vorschlag geben, was mit einem Verlegerrecht gemeint sein soll, dann kann man darüber inhaltlich diskutieren. Im Moment ist das nur ein Versuchsballon, ohne dass man weiß, was die Betroffenen mit ihm erreichen wollen.”
Zypries: „Die Verlage wollen Geld”
Für Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ist die Sache nicht ganz so unklar. Auf die Frage, wozu ein Leistungsschutzrecht dienen soll, sagte sie gegenüber Message: „Die Verlage wollen schlicht und ergreifend auch mit ihren Online-Auftritten Geld verdienen können. Und nicht nur zusehen müssen, wie andere das tun. Fakt ist: Die Verlage wollen sich zu diesem Zweck die Zusammenstellung der Zeitung – also ihren organisatorisch-finanziellen Aufwand – als schutzwürdige Leistung anerkennen lassen. Und dafür wollen sie Geld.”
Ob damit eine Abgabe auf Links im Internet gemeint ist? Nein, sagt Zypries: „Ziel einer möglichen gesetzlichen Regelung kann sicher nicht eine Abgabe auf Links im Internet sein. Wenn man überhaupt ein Leistungsschutzrecht für Verleger einführt – was ja noch völlig offen ist – dann muss man erst mal über dessen konkrete Ausgestaltung diskutieren.”
Burda: „weiter gefasst als geplant”
Mit der Frage, ob es überhaupt ein Schutzrecht geben wird, hält sich zumindest einer der Befürworter schon nicht mehr auf. Verleger Hubert Burda, der auch als Präsident des Verbands deutscher Zeitschriftenverleger agiert, sagte im Interview mit dem Manager-Magazin (22.7.2009): Das Leistungsschutzrecht solle „im Sinne einer größeren Transparenz weiter gefasst werden als bisher geplant”. Bisher geplant? Da weiß Burda offenbar mehr als die Justizministerin. Für die Verleger gilt offenbar, was Lewis Carroll in seinem Gedicht „Die Jagd nach dem Schnatz” den Captain rufen lässt: „Ich hab’s dreimal gesagt: Was ich dreimal euch sage, ist wahr.”
Dieser Text erschien zuerst in Message 4/2009 – Internationale Zeitschrift für Journalismus
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