Die Kulturflatrate als dritter Weg
Im Internet wird längst ein Kulturkampf um die Freiheit ausgetragen. Die einen definieren Freiheit darüber, im Netz immer alles – und das auch immer umsonst – bekommen zu können, die anderen sehen sich ihrer Freiheit beraubt, wenn sie nicht Nutzung und Wertschöpfung ihrer Rechte unter Kontrolle haben. Beide Positionen sind stark ideologisiert und stehen sich unversöhnlich gegenüber. Beide Positionen sind aber auch in ihrer absoluten Ausprägung ein wenig realitätsfremd.
Setzt sich der logische und im Sinne der Ressourcen wünschenswerte Wandel vom physischen Produkt (CD, DVD, Buch, Zeitung) zum Download fort und hebt man – wie von Teilen der Netzwelt propagiert – zugleich Eigentumsrechte im Internet auf, gibt es bald keinen Anlass für Kulturproduzenten mehr, in die Herstellung von Kulturgütern zu investieren.
Freiwillige Zahlungen (wie bei der britischen Rockband Radiohead), Spenden (wie bei manchen Filmprojekten) und Sekundäreinnahmen (Auftritte, Aufführungen, Productplacement und Merchandise) können in der Regel nicht ersetzen, was an Einnahmen im alten Kerngeschäft wegfallen würde, wenn alle Schranken fallen. Eine Fokussierung auf potenzielle Nebenerlöse jenseits des Verkaufs ihres Produkts führt die Kreativen zudem inhaltlich weg von ihrer Idee oder Kunst.
Konsument muss mitgestalten dürfen
Ein Verbot der Privatkopie und eine totale Kontrolle im Internet, wie von den meisten Verbänden der Urheber- und Leistungsschutzberechtigten gefordert, stellen auch keine Lösung dar. Raubt der Produzent den Konsumenten die Möglichkeit, sein Gut digital mitzugestalten und zu verleihen, wie sie es in Form von Mixtapes und an Freunde weitergegebene Bücher und Filme in der analogen Welt schon ewig tuen, werden sie erbitterten Widerstand leisten und nahezu herausgefordert, Umgehungslösungen zu ersinnen. Das ist spätestens seitdem bewiesen, seit der Versuch der Musikwirtschaft einen Kopierschutz durchzusetzen gescheitert ist.
Längst bedarf es auch keiner gestützten Server oder lokalen Schnittstellen mehr, damit Daten getauscht werden können. Dank Bluetooth muss dies sogar nicht einmal mehr über das Internet stattfinden. Davon abgesehen, dass eine Überwachung des Datenaustauschs nur mit tiefen Einschnitten in die Bürgerrechte möglich ist, wäre eine echte Kontrolle technisch niemals umsetzbar.
Da beide Extrempositionen nicht durchsetzbar erscheinen, bietet sich die Kulturflatrate als dritter Weg an. Sie würde ermöglichen, dass reales Tun zum legalen Tun wird und gleichzeitig Einnahmen generiert werden, die eine Vergütung der Kulturproduzenten ermöglichen könnten.
Kulturflatrate – Angebot oder Zwang?
Die Kernfrage ist jedoch, ob eine Kulturflatrate fakultativ angeboten werden sollte oder als fixe, steuerähnliche Gebühr mit jedem Internetanschluss einhergeht. Die Frage lautet also: Angebot oder Zwang? Letzteres wäre zwingend, wenn bewiesen wäre, dass ein Markt für Kulturgüter im Internet nicht herzustellen ist. Der Staat müsste dann einspringen, um ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk via Gebühr die Versorgung von Konsumenten und die Vergütung von Produzenten sicherzustellen.
Aber ist der Markt im Netz denn schon gescheitert? Wurde bislang seitens der Produzenten (den Labels) und Distributoren (den ISPs) überhaupt ernsthaft versucht, einen Markt aufzubauen? Tatsache ist, dass zuerst Musikkonsumenten ihren Bedarf an Kulturprodukten über das Internet decken wollten. Sie sind im Schnitt 32 Jahre alt und deshalb die jüngste und Innovationen gegenüber am meisten aufgeschlossene Gruppe aller Kulturkonsumenten. Zudem stellt Musik vergleichsweise kleine Datenmengen dar, hat mit MP3 1996 früh eine effektive Datenkompression gefunden und mit dem iPod ab 2001 ein aufregendes Endgerät zur mobilen Nutzung.
Ernstzunehmende, weil halbwegs vollständige Angebote für Inhalte gab es aber bis 2004 nur über illegale Quellen. Erstaunlicherweise brauchte die Musikwirtschaft nämlich fünf Jahre, um mit iTunes eine Antwort auf den Filesharing-Service Napster zu finden. Dieses erste legale Angebot aller Labels kam dabei nicht einmal von der durch den freien Datenaustausch betroffenen Industrie, sondern von einem Dritten, nämlich Apple, der mit Hilfe des propäritären Systems iTunes seine iPods verkaufen wollte.
Musikwirtschaft hängt am analogen Geschäftsmodell
Die Musikwirtschaft zögert bei der Entwicklung neuer Märkte, weil sie ein erfolgreiches analoges Geschäftsmodell hat. In Form von CD-Alben verkauft sie Musik als Bundles, also im Paket. Egal ob der Konsument nun 2 oder 5 Songs der Platte mag, er muss 10 bis 12 kaufen – und das zum doppelten Preis einer Schallplatte aus Vinyl.
Während die CD-Single fast gänzlich vom Markt verschwunden ist, machen Alben in Form von CD, Vinyl und DVD immer noch fast 90 Prozent des 1,5 Milliarden Euro großen Marktes für Musikkonserven aus. Solange nicht bewiesen ist, dass es eine Möglichkeit gibt, ein für die Musikwirtschaft mindestens ebenso gutes Modell zu etablieren, wird sie ihre alte Einnahmequelle und Systematik verteidigen und schützen.
Das Problem mit dem Chartsystem
Um Tonträger zu verbreiten, werden außerdem Charts erstellt. Für die Produzenten ist wichtig zu wissen, wie viele Einheiten pro Woche verkauft werden, da so der Handel zuverlässig dazu gebracht werden kann, viele Exemplare des jeweiligen Produktes zu kaufen. Eine höhere Aufmerksamkeit der Medien ist damit ebenfalls garantiert.
Da die Charts abbilden, wie viele Einheiten in sechs Tagen verkauft werden, muss für einen hohen Eintritt in die Charts der Bedarf der Konsumenten aufgestaut und auf einen Schlag befriedigt werden. Wochen und Monate vor der eigentlichen Veröffentlichung gehen die Titel und Alben deshalb an Presse, Funk und Fernsehen, um mit einer andauernden Präsenz einen Bedarf zu schaffen.
Die Schallplattenhändler, Elektromärkte, Versandhändler und Downloadportale bekommen die Titel aber erst, wenn der Druck zum Kauf auf den Konsumenten durch Bedarfsstau so groß geworden ist, dass es zum Einstieg in die Charts reicht. Übersehen wird dabei, dass sich die betroffenen Titel bereits seit der ersten Aufführung im Internet vorhanden sind, nur eben nicht auf legale Art und Weise.
Weil sich die Musikwirtschaft auf die Charts fixiert, um das eigene Geschäftsmodells zu stützen, hat sie bis heute einen echten Markt im Internet behindert – oder sogar verhindert. Gemäß der Gesetze der Marktwirtschaft wird sich dieser jenseits der aktuellen 9-Prozent-Marke (der Rest des ausgewiesenen Anteils von Downloads im Markt sind Klingeltöne) nur mit einem Angebot etablieren können, das mindestens so gut wie die illegale Konkurrenz ist – die sich mit Torrent-Trackern im Netz jederzeit finden lässt.
Faktisch stellt dieser illegale Markt bereits eine Flatrate dar, die zeitgenau – also ohne Verzögerung durch Vorlauf im Radio oder Kino – alles bietet, was als Kulturgut auf dem Markt ist.
Musikkäufer geben im 12,99 Euro im Monat aus
Dies geschieht allerdings ohne Beratung und oft in zweifelhafter Datenqualität. 17,9 Prozent aller Bundesbürger sind laut Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zum Beispiel Musikkäufer, und geben als solche im Schnitt bis zu 12.99 Euro für Musik im Monat aus.
Bis heute gibt es seitens der Branche, die als erste von der Digitalisierung betroffen war, kein Angebot, das es dem Konsumenten ermöglicht, pauschal zu zahlen und damit legal alle Musik, die er mag, in bester Qualität zu downloaden und unabhängig von einem Abo zu behalten – und das auch dann, wenn sie gerade erst im Radio läuft. Das Oligopol der Musikindustrie bietet dergleichen nicht an, weil sie die Chartlogik und die Fokussierung auf ihren Hauptumsatzträger CD nicht aufgeben möchte.
In andern kulturwirtschaftlichen Bereichen verhält sich das ähnlich. Würde zum Beispiel die Filmwirtschaft ihre vierstufige Auswertungskette von Kino, Verleih, Verkauf und Aufführung im Free-TV mit einer Flatrate gefährden wollen, die sofort nach der ersten Aufführung ihrer Werke greift? In der Konsequenz ist ein wirklich attraktives legales Musik-, Film- und Buchangebot, das dem illegalen im Netz klar überlegen wäre, bis heute nicht entstanden – und deshalb sind sowohl die ehrlichen Konsumenten, als auch die Künstler die Dummen.
Marktversagen der Mittler und Verwerter
Im übertragenen Sinne kann man von einem Marktversagen sprechen, das weder von den Künstlern als Produzenten, noch von den Konsumenten als Nachfragenden, sondern von den Mittlern und Verwertern – also Labels, Verlagen und Vertrieben – erzeugt wird. Da der Markt nur durch ein vollständiges und zeitgleiches Angebot der Kulturgüter wieder hergestellt werden kann, muss der Staat hier als Mediator zwischen den vermeintlichen Partnern agieren, nämlich den Apologeten des prinzipiellen freien Zugangs und den Verbänden mit ihrem Ruf nach Verbot und Verfolgung.
Vor 60 Jahren tat er das bereits bei der Einführung des Senderechts. Die Sender sahen als Mittler von Musik nicht ein, dafür zu bezahlen, die Musikwirtschaft wollte die Aufführung ihrer Aufnahmen in den Umsonstmedien Radio und Fernsehen steuern und kontrollieren.
In der Konsequenz darf jeder Rundfunksender Musik aufführen, ohne Label oder Verlag fragen zu müssen, sobald diese veröffentlicht ist. Im Ausgleich verpflichtet er sich einen Teil seiner Umsätze an die Leistungsschutz- und Urheberrechtsorganisationen gemäß der Nutzung abzuführen. Über die Höhe müssen sich die Partner einigen. Tun sie es nicht, greift der Staat mittels einer Schiedsstelle ein.
Modelle fürs Internet
Übertragen auf das Internet würde das bedeuten, dass alle Produzenten von Inhalten verpflichtet wären, die Nutzung dieser Inhalte im Netz zu legitimieren, vom Zeitpunkt der Erstveröffentlichung oder der ersten Aufführung an.
Im Gegenzug müssten sich die Internet-Service-Provider (Deutsche Telekom, Vodafone etc.) dazu bereit erklären, für all diesen Content Angebote in Form von Flatrates zu entwickeln, ihren Kunden zusammen mit ihren Anschlüssen anzubieten und mit den Produzenten bzw. Rechteinhabern gemäß realer Downloadzahlen „pro rata numeris“ (im Verhältnis zur Anzahl) abzurechnen.
In der Konkurrenz der Anbieter zueinander ist wahrscheinlich, dass sich die jeweiligen ISPs in der Aufbereitung des Angebots überbieten würden, um Kunden an sich als Internetprovider zu binden oder neue Kunden zu werben, oder – so wie Apple bei iTunes – Musik und andere Entertainment-Flatrates als Lossleader unter Einstandspreis abgeben würden.
Für den potentiellen Nutzer, der heute schon für Stützungssoftware oder Mitschnittdienste bis zu 19,99 Euro im Monat aufwendet, wäre eine fakultative, auf einem Kontrahierungszwang zwischen Rechteinhabern und den Kanalbetreibern basierende Flatrate, ein sehr attraktives Angebot.
Diejenigen, die heute noch CDs kaufen, ins Kino gehen oder Zeitungen als Druckwerk lesen, obwohl sie sich die Inhalte auch kostenlos im Internet beschaffen können, würden ihr Tun nicht durch eine legale Flatrate zwingend ändern. Für die Künstler und deren Verwerter entstünde ein neuer Markt. Wenn dieser Markt den Nutzern erlauben würde, ihn auf ihre Bedürfnisse hin abzustimmen, wenn er ein faires und einfaches Angebot vorhielte, wäre er ein härterer Schlag gegen Internetpiraterie, als jede Art von Verfolgung, die am Ende doch technisch nicht umsetzbar wäre.
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