Die Hüter der Kultur

Marmorkirken: Werke aus dem Dänischen Nationalmuseum im Remix
Ob Repro-Fotografien gemeinfreier Bilder geschützt sind, bleibt umstritten, wie der Rechtsstreit zwischen den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen und Wikimedia, dem Verein hinter der Wikipedia, vor Augen führt. Im Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit stellen sich aber auch weitere Fragen: Wem gehört eigentlich Kunst? Wer ist verantwortlich, den Zugang zum kulturellen Erbe zu sichern? Fragen, denen auch die Konferenz „Zugang Gestalten“ am 17./18. November in Berlin nachgegangen ist.
Wer Meisterwerke der Kunstgeschichte betrachten will, muss nicht immer ins Museum gehen. Immer mehr Werke stehen in digitalisierter Form online, etwa wenn sie nach dem Ablauf von Urheberrechten gemeinfrei sind. Helge David, Gründer von openmuseum.de, nennt die dänische Nationalgalerie Statens Museum for Kunst als Paradebeispiel.
Diese stellt online über 25.000 digitalisierte Kunstwerke zur Verfügung – viele davon mit dem Hinweis, dass diese der Öffentlichkeit gehören. Diese Bilder stehen lediglich unter einer sogenannten CC0-Widmung. Nutzer dürfen die Bilder beliebig verwenden, ohne eine Erlaubnis einholen zu müssen. Das gilt sogar für kommerzielle Zwecke. Ein noch umfangreicheres Angebot an digitalisierten gemeinfreien Werken bietet das Rijksmuseum Amsterdam.
Viele Museen verstehen sich nicht mehr nur als Bewahrer, sondern auch im Netz als Vermittler, die einen möglichst umfassenden Zugang eröffnen. Helge David bezeichnet den freien Zugang zu Wissen und Kultur als „gesellschaftlichen Kitt“. Er fordert ein stärkeres Selbstverständnis der Museen als einem öffentlichen Raum. Besonders, wenn Interessierte auf die Bestände nicht vor Ort zurückgreifen können, helfen digitalisierte Werke etwa beim E-Learning, sagt Tim Moritz Hector, Präsidiumsvorsitzender von Wikimedia Deutschland.
Freie Verwendung vs. Besuch im Museum?
Warum sind dann nicht alle Museen fleißig am Digitalisieren und Hochladen? Alfried Wieczorek, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim verweist darauf, dass der unmittelbare Eindruck für die Erfahrung der Kunst wesentlich sei. Der „Weg zum Stück selbst“ werde das Verständnis des Werks immer prägen. Zudem müssten Museen „auch dafür Sorge tragen, dass damit nicht Schindluder getrieben wird oder es in falschen Zusammenhängen zu einer Veröffentlichung oder Erwähnung kommt“.
Dieser Aufgabe könne man kaum noch gerecht werden, wenn man die Werke zur freien Verwendung online stellen würde. Auch würden die digitalen Reproduktionen mit großem Aufwand hergestellt. Die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim wollen sich deswegen eine kommerzielle Nutzung der Digitalisate vorbehalten, die auch der Refinanzierung diene.
Vielleicht würde der freie Onlinezugriff auf die Werke aber einen viel größeren Beitrag zur Refinanzierung leisten. So verweist Helge David auf die Städel-Stiftung, die eine Vielzahl an Exponaten online gestellt hat und ihre Besucherzahlen habe steigern können. Das zeigt nach seiner Ansicht, dass potenzielle Besucher dadurch nicht vom Gang ins Museum abgehalten würden, sondern es „im Gegenteil einen sehr verstärkenden Charakter hat, ins Museum zu gehen“. Hubertus Kohle, Kunstgeschichtsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, pflichtet ihm bei: „Aufmerksamkeit erzeugt man heutzutage eben besonders über die digitalen Medien und über das Internet.“
Ertrag und Aufwand bei digitalisierten Werken
Tatsächlich wird man sich fragen müssen, wie groß die Missbrauchsgefahr eines historischen Wagner-Porträts wirklich ist. Die dänische Nationalgalerie fordert sogar zu einem kreativen Umgang mit den digitalisierten Werken auf und scheint damit gute Erfahrungen gemacht zu haben. Kulturmüdigkeit sieht jedenfalls anders aus.
Ob sich die Kosten für die Digitalisierung der Werke mit Einnahmen aus Bildbänden und bedruckten Kaffeetassen vom Museumsshop allerdings deutlich abmildern lassen, bezweifelt Kohle. Er „glaube nicht, dass es weltweit mehr als fünf Museen gibt, die bei einer Vollkostenrechnung den Aufwand, den sie betrieben müssen, über den Verkauf von Reproduktionen wieder hereinholen“. Eine Ausnahme sei vielleicht Dresden, „wo die lieben, kleinen Engelchen aus der Sixtinischen Madonna auf irgendwelchen Tassen zu ordentlich Geld führen“.
Nicht ausreichend beachtet wird jedoch oftmals der Aufwand, der mit der Digitalisierung der Werke verbunden ist. Insofern ist Alfried Wieczorek beizupflichten: Eine verzerrungsfreie und farbgetreue Fotografie eines historischen Gemäldes anzufertigen, ist mit erheblichen Mühen verbunden. Diese handwerkliche Leistung rechtfertigt einen Schutz als Lichtbild nach dem Urheberrechtsgesetz, auch wenn die historische Vorlage bereits gemeinfrei geworden ist.
Kulturpolitische Entscheidungen gefragt
Letztendlich könnte sich die Aufmerksamkeit durch freigegebene Bilder für die Museen aber als gewinnbringender erweisen als ein umfassender Rechtevorbehalt. Kommerzielle Nutzungen könnten sich Museen auch mit entsprechender Creative-Commons-Lizenz sichern, um das Zugänglichmachen im Internet mit eigenen Geschäfts- und Lizenzierungsmodellen in Einklang zu bringen. So ließe sich auch vermeiden, dass Dritte den Aufwand der Museen ausnutzen. Private und wissenschaftliche Nutzungen aber wären nicht mehr blockiert.
Wenn man mit Tim Moritz Hector die Überzeugung teilt, dass „die Verantwortung für das kulturelle Erbe eine gesamtgesellschaftliche“ ist, wird man eher ein Umdenken auf höherer Ebene fordern müssen. Institutionen sind weiterhin notwendig für die Bewahrung der Originale. Die Verbreitung und der Zugang zu den Werken läge dann aber maßgeblich in der Hand der Gesellschaft, wie es auch Hector fordert.
Es ist eine kulturpolitische Entscheidung, den Museen ausreichende Mittel für die Digitalisierung der Werke in die Hand zu geben. Es fänden sich dann kaum noch stichhaltige Argumente, die gegen ein Zugänglichmachen unter freien Lizenzen sprechen würden. Dem stimmt letztendlich auch Alfried Wieczorek zu.
Die Konferenz „Zugang gestalten!“ wurde von iRights.info mitveranstaltet. Hier finden Sie Vorträge und Diskussionen zum Nachhören.
3 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 25. November, 2016 um 16:11
Der Satz “Eine verzerrungsfreie und farbgetreue Fotografie eines historischen Gemäldes anzufertigen, ist mit erheblichen Mühen verbunden.” darf so nicht stehen bleiben. Die Fotografie bietet für die Reproduktion von Gemälden die einfachste um am wenigsten mit Mühen verbundene Methode. Leichter geht’s nicht. Das originalgetreue Abmalen ist viel aufwändiger, genießt aber unumstritten nach dem Urheberrechtsgesetz nicht den geringsten Schutz, wie übrigens auch die ebenfalls aufwändige (mechanische oder manuelle) originalgetreue Nachbildung dreidimensionaler Kunstwerke.
MfG
Johannes
2 Malte Baumann am 2. Dezember, 2016 um 10:28
Hallo Johannes,
der Lichtbildschutz erfordert im Gegensatz zum urheberrechtlichen Werkschutz nur ein Mindestmaß persönlicher geistiger Leistung. Es ist ein verwandtes Schutzrecht oder auch Leistungsschutzrecht. Der Name impliziert bereits, dass es eher an die Leistung, also den Aufwand, und weniger an die schöpferische Tätigkeit anknüpft. Auch Urlaubsbilder sind als Lichtbilder im Sinne des Urhebergesetzes geschützt.
Reproduktionsfotografien anzufertigen ist mehr als ein schnelles Abfotografieren. Allein die richtigen Lichtverhältnisse herzustellen, traue ich mir als Laie nicht ohne Weiteres zu. Dann sind auch Winkel, Farbsättigung etc. zu beachten. So sieht es auch das LG Berlin (Urteil vom 31.05.2016, Az. 15 O 428/15). Jedenfalls erscheint mir der Aufwand nicht geringer als bei einem spontanen Urlaubsfoto am Strand.
Fälle in denen der Lichtbildschutz verneint wurde, waren anders gelagert. In dem Bibelreproduktionsurteil des BGH ging es beispielsweise um das bloße Kopieren von bereits angefertigten Fotografien.
Dein Vergleich mit dem originalgetreuen Abmalen ist leider nicht ganz treffend. Für das Abmalen hat der Gesetzgeber schlicht kein Leistungsschutzrecht vergleichbar mit dem Lichtbildschutz geschaffen.
Letztendlich kann man sich durchaus fragen, ob der Lichtbildschutz nicht zurücktreten muss, wenn so die Gemeinfreiheit umgangen wird. Aber das Leistungsschutzrecht (Reproduktionsfotografie) und der urheberrechtliche Werkschutz (historisches Gemälde) sind eigentlich zwei Paar Schuhe. Rechtlich gesehen stehen sie nebeneinander, sodass man Wertungen nicht ohne Weiteres von dem einen Bereich in den anderen übertragen kann.
Beste Grüße,
Malte
3 Schmunzelkunst am 3. Dezember, 2016 um 18:26
Besten Dank, Malte, für die ausführliche Antwort.
Was das Abmalen anbelangt, sind wir uns – glaub ich – einig. Auch ich sag ja, dass das originalgetreue Abmalen nach dem Urheberrechtsgesetz nicht den geringsten Schutz genießt, also weder Leistungsschutz noch klassischen Urheberrechtsschutz.
Ich sehe das aber – anders als Du – genauso auch für das originalgetreue Abfotografieren zweidimensionaler Vorlagen. Auch dafür sollte und muss es keinen Schutz geben. Man kann, wie viele Kommentatoren, die Grenze für den Leistungsschutz des § 72 genau dort ziehen, wo die Kamera nur für die Reproduktion vorhandener zweidimensionaler Vorlagen verwendet wird. Das ist rechtssicher und in keiner Weise ungerecht. Der Reprofotograf muss ja nicht kostenlos arbeiten, sondern kann und sollte wie jeder andere Handwerker entlohnt oder honoriert werden – von mir aus sogar fürstlich :-).
In diesem Sinne würde ich den technischen, zeitlichen, handwerklichen Aufwand oder sonstigen Investitionsaufwand für die Herstellung der Reprofotos ganz aus der Argumentation heraus halten.
Der Leistungsschutz des § 72 UrhG ist ein sehr nah an das klassische Urheberrecht im Sinne von § 2 angelehnter Schutz, bei dem der Aufwand (im o.a. Sinne) für die Herstellung der Ergebnisse keine Rolle spielt.
Das ist z. B. anders beim Schutz von Datenbanken im Sinne des § 87a. Dort ist der hohe Investitionsaufwand für die Sammlung und Aufbereitung der Daten zwingend erforderliches Tatbestandsmerkmal und selbst der Gegenstand des Schutzes, der im Streitfall lang und breit nachgewiesen werden müsste.
MfG
Johannes
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