Die Euphorie des NASA-Ingenieurs: Der Sample-Pop von „Public Service Broadcasting“

Foto: Paul Hudson , CC BY
Alles an dieser Band scheint Konzept zu sein. Ihr Name „Public Service Broadcasting“ spielt auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, ihr erstes Album nannte die Band „Inform Educate Entertain“ – eine Art Kurzfassung des Programmauftrags der „Sendeanstalten“.
In ihren ersten Songs erzählte sie von Ereignissen wie dem Krieg („War Room“), Bergbesteigungen („Everest“) oder besonderen Flugzeugen („Spitfire“). Besser gesagt: Sie lässt erzählen. Statt Gesang und eigenen Texten verwendet die Band ausschließlich gesampelte Sprachsequenzen aus Audio- und Videoarchiven. Sie stammen etwa aus dem „British Film Institute“ (BFI) mit seinen Wochenschau- und Dokumentarfilmen, dem British Postal Museum and Archive (BPMA) sowie aus weiteren Sammlungen.
Ihr aktuelles Album geht konzeptionell noch einen Schritt weiter. „The Race for Space“ befasst sich in neun Tracks mit nur einem Thema, dem Wettlauf um den Weltraum, wie ihn sich USA und Sowjetunion von 1957 bis 1972 lieferten. Dazu gehört der Moment im Dezember 1968, als die Astronauten der amerikanischen Apollo-8-Mission erstmals den Mond umrundeten. Kaum verschwanden sie hinter ihm, herrschte echte Funkstille.
„The Other Side“ heißt der Track, in dem Public Service Broadcasting diese Ungewissheit im Schatten des Mondes großartig umsetzen. Die anfangs beschwingt tuckernde Sequenzermusik schrumpft zu einem nautischen, unheilschwangeren Wabern zusammen. Darüber liegen die verrauschten, ins Leere laufenden Funksprüche der Bodenstation. Die Reduktion auf ein Minimum macht die Anspannung greifbar – bis endlich mit dem Gitarren-Crescendo die Astronauten wieder hörbar sind.
„The Other Side“ bezieht sein Narrativ aus der Aufregung, die in den Stimmen liegt, aus den Gefühlen, die hörbar mitschwingen. Genau darauf komme es ihm bei den Samples auch an, erläutert Bandleader J. Willgoose Esq. im Interview.
Wie findet er solche Originaltöne? Das verlaufe sehr unterschiedlich, so Willgoose. Für „Race for Space“ kommen unter anderem eine Rede von John F. Kennedy, Reportagen und Dokumentationen sowie der originale Funkverkehr zum Einsatz. Dafür nutzte die Band das Archiv des BFI und das zu weiten Teilen online zugängliche Archiv der NASA. J. Willgoose:

Bandleader J. Willgoose Esq. Foto: Paul Hudson, CC BY
Es gibt dort die Apollo Flight Journals mit den Transkripten des Funkverkehrs. Ich musste mich also nicht durch die Bestände hören, bis mir irgendwas gefiel. Vielmehr konnte ich in den digitalen Transkripten durch eine Wortsuche gezielt bestimmte Passagen auffinden, um dann anhand des Timecodes auf den Bändern genau zu diesen Stellen zu springen.
Daneben gibt es beim gezielten Sichten der Archive auch Zufallsfunde, etwa für den Track „Go!“, der die Apollo-11-Mission thematisiert – die mit der berühmten ersten Mondlandung der Astronauten Armstrong, Aldrin und Collins im Juli 1969:
Apollo 11 musste bei so einem Album über den Wettlauf ins Weltall natürlich dabei sein. Aber ich wollte auch nichts erzählen, was man schon hundertmal darüber gelesen hat. Also fahndete ich nach etwas Neuem und stieß auf diese euphorischen „Go!“-Kommandos der Mission Control. Das sind ja alles rational denkende Ingenieure, fähige und vernunftbegabte Profis, die unter hohem Druck arbeiten. Aber bei diesen Aufnahmen hört man sofort die große Aufregung, die Euphorie in ihren Stimmen, daher wusste ich: Sie sind der Song!
Diese Faszination für Sprachaufnahmen mit emotionaler Kraft waren um 2008 der Ausgangspunkt seines Schaffens, sagt Willgoose. Selbst zu singen machte ihm weder Spaß noch fand er seinen Gesang überzeugend genug. So konzentrierte er sich ganz auf die Verwendung von Samples:
Irgendwann wurde mir klar, dass man auf diese Weise eine ganze Menge erzählen und auch Gefühle transportieren kann, insbesondere, wenn man historische Aufnahmen und Ereignisse verwendet. Und ich lernte, die Musik um diese Samples herum zu bauen, statt die Samples nur hier und da in die Musik zu streuen. Dieser Ansatz ist über nunmehr fast sieben Jahre gewachsen und jetzt ist das eben unsere Methode.
Das Durchforsten von Archiven und die Suche nach den richtigen Passagen macht Mühe, doch der Zugang zu Online-Archiven mit immer mehr digitalisierten Quellen kommt ihm entgegen. Hin und wieder müsse man aber auch Magnetband-Aufzeichnungen abhören. Das British Film Institute etwa zeige sich sehr kooperativ, indem es auf seine Anfragen Vorschläge erarbeite, wo qualitativ gutes und passendes Material zu finden sein könnte. Im Gegenzug ernte auch das BFI mit der Popularität der Band mehr Aufmerksamkeit und Zulauf.
Dem Bandleader, der sich öffentlich gern mit Sakko, Cordhose und gehäkelter Fliege als verschrobener Geschichtslehrer und Electro-Nerd gibt, ist bewusst, dass er den Einsatz von historischen Samples im Pop nicht erfunden hat:
Hunderte von Bands haben schon Apollo-Samples für ihre Arbeit genutzt, und das schon seit Jahrzehnten, weil es so charakteristische und markante Stimmen und Sounds sind. Etwa das NASA-Piepen oder jegliche Start-Countdowns, das kommt in so vielen Songs vor. Das NASA-Archiv ist ja weitgehend gemeinfrei, jedermann kann es nutzen – solange man nichts Falsches vorgibt, etwa, dass die NASA das eigene Vorhaben unterstütze oder Neil Armstrong persönlich etwas freigegeben oder gar an einem Song mitgearbeitet habe.
Wer genau hinhört, wird bei Public Service Broadcasting viele popmusikalische Einflüsse hören, die bis in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts zurück reichen. „Ihre Musik bewegt sich zwischen Krautrock, Synthie-Pop und Breitwand-Post-Rock im Stil von British Sea Power“, heißt es im Guardian, mit ihren Ausflügen in Sphären und Wiederholungen von Harmonien und Melodien erinnern sie an Brian Eno. Willgoose selbst nennt deutsche Bands wie Neu, Cluster und Harmonia, außerdem New Order oder Primal Scream, KLF und die Manic Street Preachers.
Mit Auftritten vor Publikum wurde Public Service Broadcasting auch für die dabei eingesetzten Videos bekannt. Auch hier kommt ausschließlich Archivmaterial zum Einsatz, stets in kurze Sequenzen zerschnitten und neu montiert. Neben den Quellen des BFI nutzt die Band alte Beiträge aus Wochenschauen. Hier war für sie besonders das Archiv von Rick Prelinger ein Segen, dessen Arbeit sie in ihren Liner Notes ausdrücklich würdigen. Auf Genehmigungen für das Material achtet die Band genau, natürlich erleichtere es aber auch diesen Teil der Arbeit, wenn das Material gemeinfrei sei oder bereits freigegeben wurde.
Alle Begrüßungen, Ansagen und Dankeschöns fährt Willgoose auf Konzerten per Tastendruck aus einer Liste von Samples ab. Daran scheint er fast kindliche Freude zu haben. Nur singen werden Willgoose, Wrigglesworth und ihre Mitmusiker auch bei Live-Konzerten ganz bestimmt nicht. Sie haben ja nicht mal Mikrofone.
Im März tourt die Band durch Europa.
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