„Der Spuk ist aus“: Reaktionen auf das Scheitern von ACTA
Das Votum des EU-Parlaments fiel deutlich aus. 478 Abgeordnete stimmten am Mittwoch gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA. 165 Parlamentarier enthielten sich, nur 39 votierten dafür (Dokumentation der namentlichen Abstimmung / S.19). Zuvor lehnte das Parlament den Antrag der konservativen Fraktion ab, die ACTA-Abstimmung zu vertagen, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Vereinbarkeit von ACTA mit EU-Recht entschieden hat. Das multilaterale Handelsabkommen, das Mindeststandards für den Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzung setzen sollte, ist nun innerhalb der EU gescheitert. Nach dem Votum des EU-Parlaments ist es auch einzelnen EU-Mitgliedsstaaten nicht möglich, dem Abkommen beizutreten.
Gegen ACTA gingen Hundertausende auf die Straße. 2,8 Millionen Unterzeichner riefen die EU-Abgeordneten in einer Petition auf, ACTA abzulehnen. In der Kritik standen unter anderem die Intransparenz des Verhandlungsprozesses, der Lobbyeinfluss der Rechteindustrie auf die Entstehung des Abkommens und mögliche Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten im Internet. Die Hintergründe des Abkommens und der Debatte darum zeichnen Wikimedia Deutschland und iRights.info in einer Broschüre (Mai 2012) nach.
Die EU-Kommission hält trotz des Scheiterns an einer Prüfung des Abkommens durch den EuGH fest. Die EU-Bürger hätten ein Recht darauf zu erfahren, ob ACTA gegen EU-Grundrechte wie die Redefreiheit verstoßen würde, erklärte EU-Handelskommissar Karel De Gucht nach der Abstimmung. Nach der Prüfung werde man sich mit den internationalen Partnern darüber beraten, wie man weltweit beim Schutz des geistigen Eigentums vorankommt.
EVP: “Schwerwiegende Folgen”
Christofer Fjellner, zuständiger Schattenberichterstatter in der EVP-Fraktion, kritisierte das Votum des Plenums. “Die heutige Entscheidung, ACTA abzulehnen, hat schwerwiegende Folgen und ist unverantwortlich, da sich die Mehrheit weigerte, die rechtliche Beurteilung durch den EuGH abzuwarten”, so der schwedische Konservative. ACTA nach jahrelangen Verhandlungen strikt abzulehnen, ohne zu versuchen, konkrete Bedenken dagegen auszuräumen, trage nichts dazu bei, die ernsten Bedrohungen für europäische Arbeitsplätze und Unternehmen anzugehen, denen ACTA begegnen sollte. “Groß angelegte Verstöße gegen Rechte am geistigem Eigentum kosten Europa hunderttausende Arbeitsplätze und viele Millionen an entgangenen Einnahmen.”
Fjellner wirft den ACTA-Gegnern im EU-Parlament vor, nur “Lippenbekenntnisse” zum geistigen Eigentum abzugeben. “Das Nein zu ACTA wird die Glaubwürdigkeit der EU in künftigen internationalen Handelsverhandlungen für lange Zeit prägen, was die europäische Interessen auf unbestimmte Zeit ernsthaft verletzt.”
CSU-Netzpolitikerin: “Grandioser Triumph für die Demokratie”
Dass Europas Konservative sich in Fragen der Netzpolitik und auch in der ACTA-Frage alles andere als einig sind, zeigt die Reaktion der CSU-Generalsekretärin und Netzpolitikerin Dorothee Bär. Das Scheitern sei ein “grandioser Triumph für die Demokratie im digitalen Zeitalter”, erklärte Bär nach der Abstimmung. Erst durch die Proteste gegen ACTA sei es zu einer ernsthaften Debatte und einer Hinterfragung des Textes gekommen. “Das Scheitern von ACTA ist ein Weckruf an alle, die glaubten, das Internet sei ein abgeschlossener unwirklicher Raum für einige Wenige, die das Interesse von einigen Wenigen vertreten.”
Bär versteht das Scheitern von ACTA als “Aufruf zur Erarbeitung von Gesellschaftskonzepten, die die Freiheit des Internets sichern und alle Interessensvertreter an der Vielfalt der Chancen und Möglichkeiten teilhaben lassen”. Mit alten Denkmustern und Regelungen aus dem vordigitalen Zeitalter komme man nicht mehr weit. “Die Menschen verlangen praktikable und nachvollziehbare Regelungen.”
Sozialdemokraten: ACTA 2.0 ist ausgeschlossen
Bernd Lange, handelspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im EU-Parlament, erklärte: “Wir freuen uns, dass (…) ACTA endlich am Ende ist.” Dass ein neurlich Versuch unternommen werde, die Rechtsdurchsetzung im digitalen Umfeld in einem Handelsabkommen mit anderen Staaten wie den USA oder Japan zu regeln, hält Lange auf absehbare Zeit für ausgeschlossen. “Wir haben in der EU kein vernünftiges Urheberechtssystem im digitalen Bereich”, so Lange gegenüber iRights.info. “Wie kann man da auf die Idee kommen, ein internationales Abkommen zu diesem Thema abzuschließen?”
Lange sieht nun die EU-Kommission in der Pflicht, einen Vorschlag zur Durchsetzung von Urheberrechten im digitalen Umfeld zu machen, der die Missachtung fundamentaler Grundrechte unmissverständlich ausschließe und zugleich die berechtigten Interessen von Kulturschaffenden berücksichtigte. Geklärt werden müsse etwa, ob Abmahnwellen gegen jugendliche Fileharer wie in Deutschland der richtige Weg seien.
Lange weist den Einwand zurück , man habe die Entscheidung des EuGH abwarten sollen: “Der Versuch der konservativen Fraktion, sich vor einer politischen Entscheidung zu ACTA zu drücken und sich stattdessen auf unbestimmte Zeit hinter rechtlichen Bewertungen zu verstecken, ist gescheitert.”
Grüne: “ACTA-Spuk endlich vorbei”
Die Grünen im EU-Parlament verbuchten einen “Sieg für die europäische Demokratie”. Der ACTA-Spuk sei endlich vorbei, so der innenpolitische Sprecher, Jan Philipp Albrecht. “Wäre ACTA in Kraft getreten, würde die Rechtsdurchsetzung im Internet und an den Grenzen forciert, ohne gleichermaßen Grundrechte und Verfahrensstandards zu garantieren.” Die EU-Kommission müsse die Lehre ziehen, “dass sie intransparente Verhandlungen ohne Einbeziehung des Europäischen Parlaments und der Zivilgesellschaft zukünftig vermeiden sollte”.
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