Der lange Weg zur Informationsfreiheit
Der Ursprung des modernen Prinzips „Freedom of Information“ ist vermutlich eine Feststellung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1946: „Freedom of information is a fundamental human right and is the touchstone for all the freedoms by which the United Nations is concerned.“
Die Bürgerrechts- und Demokratiebewegung der 1960er-Jahre in den USA hat sich besonders für die Informationsfreiheit eingesetzt. Auf sie geht das bahnbrechende Informationsfreiheitsgesetz der USA zurück, der Freedom of Information Act (FOIA) aus dem Jahr 1966. Das – in Deutschland erst 2006 auf Bundesebene eingeführte – Recht auf Zugang zu bei öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen wirkt sich auf das Machtgefüge aus. Es handelt sich um ein neues „Jedermannrecht“, das nicht an eine bestimmte Rolle oder Funktion gebunden ist.
Insbesondere in osteuropäischen Staaten, die erst nach der Beendigung der Blockkonfrontation zwischen Ost und West zur Demokratie (zurück)gefunden haben, besteht ein durch die Verfassung verbriefter Anspruch auf Informationszugang. In Deutschland enthält nur die Verfassung des Landes Brandenburg von 1992 ein ausdrückliches Informationszugangsrecht: „Jeder hat nach Maßgabe des Gesetzes das Recht auf Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen der Behörden und Verwaltungseinrichtungen des Landes und der Kommunen, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen.“
Es ist naheliegend, dass die Erfahrungen mit dem DDR-Staatsapparat, die damals noch sehr präsent waren, zu diesem Verfassungsartikel beigetragen haben.
Verpasste Chance: Informationszugang als Grundrecht
Kurz nach der „Wende“ – es muss im Sommer 1990 gewesen sein – hatte ich die Möglichkeit, ein Gebäude zu besichtigen, das zuvor vom statistischen Amt der DDR genutzt wurde. Die Gebäudesicherung ging über alles hinaus, was ich von den westlichen Statistikämtern kannte. Vor allem die Innentüren waren mit auffälligen, vor die Schlösser gesetzten Sperreinrichtungen versehen.
Auf meine Frage nach dem Sinn und Zweck dieser sehr aufwändigen Abschottungsmaßnahmen bekam ich eine überraschende Antwort: In den betreffenden Räumlichkeiten lagerten die Ergebnisse statistischer Erhebungen. Alle Informationen, die Einblick in die tatsächliche Lage des Landes hätten geben können, wurden als Staatsgeheimnisse behandelt und waren nur wenigen Stellen in Partei und Staat zugänglich. Dagegen galten die statistischen Einzelunterlagen, insbesondere die personenbezogenen Daten über die DDR-Bürger, als wesentlich weniger schützenswert.
Folglich war es für das neue ostdeutsche Bundesland naheliegend, sowohl den Datenschutz als auch den Anspruch auf Informationszugang im Grundgesetz abzusichern. Vorschläge zur Einfügung dieser Grundrechte in das Grundgesetz, die an dem runden Tisch zur Verfassungsreform im Zuge der Wiedervereinigung diskutiert wurden, fanden aber leider nicht die erforderlichen verfassungsändernden Mehrheiten. Immerhin gibt es inzwischen im Bund und den meisten Bundesländern Informationsfreiheitsgesetze. In Bayern, Sachsen, Hessen, Baden-Württemberg und Niedersachsen gibt es bisher keine entsprechenden Regelungen.
Stasi-Akten hätten geschlossen bleiben können
Bei der Auflösung von Geheimdiensten und bei der Aufarbeitung autoritärer Regime hat sich das Aufhellen von Strukturen, Daten und Aktivitäten bereits bewährt („Lustration“). Sowohl bei der Aufbereitung der Akten des Staatssicherheitsdienstes der DDR als auch später bei der südafrikanischen „Wahrheits- und Versöhnungskommission“, die das Erbe des Apartheidsregimes aufarbeitete, war es von entscheidender Bedeutung, dass die Opfer umfassende Kenntnis von den Vorgängen erhielten.
Dabei war die Öffnung der Stasi-Akten zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung Deutschlands durchaus umstritten. Die damalige Bundesregierung fürchtete offenbar menschliche und rechtliche Konflikte und hätte es gerne gesehen, wenn die Akten geschlossen worden wären. Schließlich sorgten DDR-Bürgerrechtler mit der Besetzung des Zentralarchivs der Stasi für einen Passus im Einigungsvertrag, der die Nutzung der Stasi-Akten vorsah.
„Dies war ein historisches Ereignis. Denn damit war die Grundlage geschaffen, dass erstmals in der Welt die Akten einer Geheimpolizei für die Gesellschaft transparent gemacht wurden. Die Akten der Geheimpolizei der DDR wurden demokratisiert“, erinnerte sich der für die Verwaltung der riesigen Aktenbestände des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR heute zuständige Roland Jahn.
Geheimdienste bleiben blinder Fleck
Mehr Transparenz bei Nachrichtendiensten ist nicht erst dann notwendig, wenn sich die Folgen gravierender Fehlentwicklungen in der Öffentlichkeit zeigen. Sie darf sich nicht auf die nachträgliche Aufarbeitung der Hinterlassenschaften von Unrechtsstaaten beschränken. Vielmehr kann verbesserte Transparenz auch bei den Nachrichtendiensten demokratischer Staaten dazu beitragen, dass solche Fehlentwicklungen gar nicht erst eintreten.
In dem vom Deutschen Bundestag im Sommer 2005 kurz vor Toresschluss mit Mehrheit der seinerzeitigen rot-grünen Koalition beschlossenen Bundes-Informationsfreiheitsgesetz blieben die Geheimdienste ein blinder Fleck. Gegenüber Nachrichtendiensten besteht – anders als bei allen Bundesbehörden – generell kein Anspruch auf Informationszugang. Während also jedermann – ohne Nachweis einer persönlichen Betroffenheit – vom Verkehrsministerium, dem Bundeskanzleramt und auch von der Bundespolizei Einblick in deren Akten oder den Zugang zu elektronisch gespeicherten Daten verlangen kann, besteht ein solches Recht nicht gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichtendienst.
Sicher – auch ansonsten werden viele Anträge auf Informationszugang abgelehnt, aber jede Ablehnung muss begründet werden, und die Antragsteller können die ablehnenden Entscheidungen gerichtlich überprüfen lassen – in vielen Fällen mit Erfolg. Bei den Nachrichtendiensten hätten die Antragsteller auch vor Gericht keinen Erfolg, denn hier greift die einzige „Bereichsausnahme“ des Informationsfreiheitsgesetzes: Hier und nur hier laufen Informationsbegehren stets gegen die Wand.
Den Schutzschirm für Geheimdienste einklappen
Warum enthält das deutsche Informationsfreiheitsgesetz – anders als etwa der US-amerikanische Freedom of Information Act – eine solche generelle Ausnahmebestimmung gegen die Transparenz von Geheimdiensten? Als das Gesetz formuliert wurde, bestanden das von Otto Schily geführte Bundesinnenministerium und das Bundeskanzleramt Gerhard Schröders darauf. Ohne den „Welpenschutz“ für die Geheimdienste hätte es kein Informationsfreiheitsgesetz gegeben.
Es ist an der Zeit, diesen besonderen Schutzschirm für die Geheimdienste endlich einzuklappen. Spätestens seit der Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre immer mehr Einzelheiten über die Verwicklung deutscher Geheimdienste in die globalen Überwachungsaktivitäten ans Licht gebracht hat, wird immer deutlicher, dass hier vor allem zwei Dinge nötig sind: mehr Transparenz und bessere rechtsstaatliche Kontrolle.
Ein erster Schritt könnte darin bestehen, endlich die generelle Ausnahmeregelung im Informationsfreiheitsgesetz für die Geheimdienste zu streichen. Dort, wo vitale Sicherheitsinteressen entgegenstehen, müssten die Dienste auch dann keine Interna herausgeben – das mag man bedauern oder auch nicht. Trotzdem ginge von einer solchen Änderung das wichtige Signal aus, dass sich auch deutsche Geheimdienste innerhalb unserer Rechtsordnung bewegen. Es würde klargestellt, dass sie sich an die Grundrechte des Grundgesetzes und an die Gesetze halten müssen – im Inland wie im Ausland.
Der Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus Peter Schaars neuem Buch „Das digitale Wir. Unser Weg in die transparente Gesellschaft“, das diese Woche in der Edition Körber-Stiftung erschienen ist, hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung. Peter Schaar stellt das Buch auch am heutigen 3. Juni um 19 Uhr in der Europäischen Akademie Berlin vor.
1 Kommentar
1 Walter Keim am 9. Juni, 2015 um 21:21
Dieser lange Weg ist gut beschrieben und aus internationaler Perspektive schwer zu verstehen. Mehr als 100 Länder mit mehr als 5,5 Milliarden Einwohnern weltweit haben Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet, mehr als 50 Staaten garantieren die Informationsfreiheit in der Verfassung. Ca. 125 Staaten mit mehr als 5,9 Milliarden Einwohnern haben entweder Informationsfreiheitsgesetze oder entsprechende entsprechende Verfassungsbestimmungen. http://informationsfreiheit.org/woanders/europa-welt/
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