Denn sie wissen nicht, was sie fordern
Wie der Titel „Internet und Digitalisierung – Herausforderungen für die Zukunft des Urheberrechts“ verspricht, analysieren die Autoren darin, wie diese Technologien ihrer Ansicht nach die Welt verändert haben – vor allem aber, was das für diejenigen bedeutet, die davon leben, so genannten immaterielle Güter herzustellen: Schriftstellerinnen, Journalisten, Musikerinnen und andere. Viele davon sind bei Verdi organisiert.
Die Autoren halten es für „notwendig, um illegale Nutzungen zu vermeiden, auf den Schutz des Urheberrechts und die Gefahr einer Verletzung eindeutig hinzuweisen“, indem Nutzern ein Warnhinweis angezeigt werden soll, wenn sie eine Seite mit illegalen Angeboten aufrufen wollen.
Allerdings kann man nur erkennen, ob Nutzer bestimmte Webseiten aufrufen, wenn der gesamte Internet-Datenverkehr überwacht wird. Denn „nur dann kann festgestellt werden, dass ein Nutzer tatsächlich eine Website aufruft, auf der rechtswidrige Inhalte angeboten werden“, so Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur).
Stoppschilder und Warnschilder
Markus Beckedahl hatte bei netzpolitik.org geschrieben, Höhepunkt des Papiers sei die „Idee, die im vergangenen Jahr als ‘Stoppschild’ Furore machte”. Und hatte sich dabei auf den Vorschlag bezogen, Warnhinweise zu schalten: Sie seien vergleichbar mit der Technik, die durch das so genannte Zugangserschwerungsgesetz ermöglicht werden soll. Danach sollen Seiten gesperrt werden, die Bilder und Videos von sexuellem Missbrauch von Kindern („Kinderpornographie“) anbieten. Gegen dieses Gesetz hatten sich in einer Online-Petition mehr als 134.000 Bürger ausgesprochen; der damalige Bundespräsident Horst Köhler hatte es erst nach langer Prüfung und Rückfrage über das geplante Vorgehen der neuen Bundesregierung unterzeichnet. Zwar ist es im Februar 2010 in Kraft getreten, doch wies das Bundesinnenministerium das BKA per Erlass an, bis auf Weiteres keine Sperrlisten zu erstellen.
Verdi wirft netzpolitik.org und iRights.info nun vor, „bewusst oder unbewusst irreführend” zu berichten. Im Mitgliederbereich der Gewerkschaft, in dem das Papier ebenfalls veröffentlicht wurde, ist zu lesen:
Der Einwand, damit wachse die Gefahr, dass eine Kontrollinfrastruktur errichtet werden könne, die sich missbrauchen ließe, geht ins Leere, weil auch ver.di einen solchen Missbrauch strikt ablehnt und dies auch ausgeschlossen werden soll.
Einem Gewerkschaftsmitglied, das nachgefragt hatte, was es mit den Plänen auf sich habe, antwortete Verdi in einer Mail, die auf netzpolitik.org veröffentlicht wurde:
Wenn nun in diversen Beiträgen die Sorge heraufbeschworen wird, mit der Einführung einer technischen Möglichkeit der Seitenkennzeichnung wachse die Gefahr, dass damit die Grundlage einer Kontrollinfrastruktur geschaffen werden könne, dann haben die Autor/innen solcher Beiträge unser Positionspapier – wie gesagt: bewusst oder unbewusst – nicht hinreichend durchdrungen oder verkürzt zitiert.
Den Vorwurf, man habe den Vorschlag, Warnhinweise einzurichten, „nicht hinreichend durchdrungen”, müssen sich allerdings die Autoren des Papier selber gefallen lassen. Denn es ist schlicht keine Technik vorstellbar, bei der Zugriffe auf Websites umgeleitet werden können – egal, ob auf ein „Stoppschild“ oder einen Warnhinweis –, ohne vorher festzustellen, dass ein solcher Zugriff erfolgen soll.
Die Mechanismen, die dazu nötig wären, sind mit denen vergleichbar, die Länder wie China oder Saudi-Arabien nutzen, um zu verhindern, dass Netz-Nutzer auf Websites mit Informationen zugreifen, die Informationen enthalten, deren Verbreitung die Regierungen verhindern wollen.
Kontrolle ohne Kontrolle, Speichern ohne Speichern
Einen Zugriff auf eine bestimmte Website verhindern, ohne den Datenverkehr zu kontrollieren, das könnte nur der Betreiber dieser Website – indem er selber einen derartigen Warnhinweis schaltet. Da das nahezu ausgeschlossen ist, weil es den Interessen des Website-Betreibers natürlich völlig zuwider laufen würde, bleibt kein anderer Weg: Internetprovider müssten gezwungen werden, zu beobachten, welche Seiten ihre Nutzer aufrufen wollen, um sie dann umzuleiten.
Dieser Zusammenhang ist den Verdi-Autoren ganz offensichtlich nicht klar. Auf der einen Seite Warnhinweise zu fordern und zu schreiben, dass Verdi „einen solchen Missbrauch“ – also eine Kontroll-Infrastruktur – „strikt ablehnt und dies auch ausgeschlossen werden soll“, widerspricht sich.
Das ist zwar die wichtigste Ungereimtheit des Papiers, jedoch bei weitem nicht die einzige. Im folgenden Absatz fordert die Gewerkschaft,
nach anlassbezogener Kontrolle durch eine nicht gewinnorientiert und im Interesse der Urheber und Urheberinnen handelnde Einrichtung, Nutzer/innen, die das Urheberrecht verletzen, nach einer richterlich angeordneten Herausgabe der entsprechenden Zugangsdaten mit einem maßvollen Ordnungsgeld zu belegen.
Es ist aus dem Papier nicht erkennbar, ob der Anlass der Kontrolle darin bestehen kann, dass Nutzer die Warnhinweise ignorieren und das Urheberrecht verletzen. Sollte das gemeint sein – was durch die Abfolge der Absätze im Dokument nahe liegt – müssten zu diesem Zweck die Daten registriert werden, von denen die Autoren das Papiers an anderer Stelle schreiben, dass sie nicht gespeichert werden sollen, allen voran die IP-Adresse der Nutzer.
Ziel des Verfahrens sei, so das Positionspapier, „Auswüchse im derzeitigen Abmahnwesen einzudämmen“. Es ist allerdings nahezu ausgeschlossen, dass dieses Ziel mit den vorgeschlagenen Mitteln erreicht werden kann, da es den Rechteinhabern weiterhin unbenommen wäre, gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Um das zu verhindern, müssten weit reichende Gesetzesänderungen vorgenommen werden. Im Zweifel müssten Betroffene also ein Ordnungsgeld und die Kosten einer Abmahnung zahlen.
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