Datenportal des Bundes: Preußen im Internet
Bund und Länder bekommen ein Datenportal, aus dessen Namen wenige Tage vor dem offiziellen Start das Wort „Open” verschwunden ist. Verschiedene Initiativen, Organisationen und Aktivisten empören sich in einem offenen Brief beim Bundesinnenministerium. Die Unterzeichnenden wollen wenigstens nicht als Feigenblatt eines scheiternden Ansatzes herhalten. Letzteres drohte, weil die für das neue Portal „Govdata – Das Datenportal für Deutschland” Zuständigen über mehrere sogenannte „Community Workshops” versuchen, die potenziellen Nutzer des Portals in die Planung mit einzubeziehen. Dieser Ansatz wird von niemandem grundsätzlich kritisiert, er sollte vielmehr selbstverständlich sein bei staatlichen Vorhaben dieser Art. Dass die einbezogene Community sich nun aber ausdrücklich distanziert, belegt, dass der Ansatz in diesem Fall zumindest teilweise gescheitert ist.
Der Protest entzündet sich vor allem an drei Punkten:
- Erstens bekennen sich Bund und Länder mit Govdata Deutschland nicht eindeutig zu den unter Open-Data-Aktivisten international längst anerkannten Standards und Definitionen von „Open”. Stattdessen schaffen sie eine nationale Insellösung und geben damit nach Ansicht der Unterzeichner des Protestbriefs ein schlechtes Vorbild ab.
- Zweitens bleibt es den Behörden selbst überlassen, ob sie Daten zu dem Portal beisteuern – und wenn ja, welche Nutzung der Daten sie gestatten.
- Drittens halten Kritiker die bisher über das Portal verfügbaren Daten für kaum nachgefragte „Schnarchdaten”. Das, heißt es, sei die Folge von unverbindlichen oder falschen Prioritäten, welche Daten zur Verfügung gestellt werden sollen. Dass die Standortdaten von Hundekotbehältern weniger interessant sind als der Energieverbrauch öffentlicher Anlagen, liegt auf der Hand. Zusammengenommen steckt in dem offenen Brief der Vorwurf, die deutsche Politik ergehe sich in halbherzigen Schritten und täusche Innovationsbereitschaft nur vor.
Nun findet sich also kein „Open” mehr im Namen des Portals. Damit entgeht die Bundesregierung zumindest der Kritik, sie betreibe hier Etikettenschwindel und eine Verwässerung des Begriffs „Open Data”. Das verweist bereits auf eine sehr grundsätzliche Meinungsverschiedenheit zwischen Community und Bundesregierung. Dass diese erst so spät entdeckt wurde, liegt vor allem an etwas sehr banalem: Zeitdruck.
Aus informierten Kreisen ist zu erfahren, dass die Cebit 2013 die Zeitpläne regiert hat. Um bis dahin etwas in Richtung „Open Government Data” präsentieren zu können, wurde eine Studie beim Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme (FOKUS) in Auftrag gegebendem, die dem Vernehmen nach mit viel zu wenig Bearbeitungszeit ausgestattet war. Ebenso hastig ging es dann an die technische Umsetzung der Studienempfehlungen, die sich bereits in diesem Stadium zu wenig um den Bedeutungsgehalt des sensiblen Begriffs „Open Data” scherten. Das alles geschah und geschieht unter der Leitung des Bundesinnenministeriums, aber in ständiger Abstimmung mit einer bunt besetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Was auf die nächste Streitursache hindeutet.
Amtsschimmel 2.0 statt politischer Vorgaben
Schon die Trägheit eines solchen Abstimmungsprozesses ist offensichtlich. Dass er zu lauwarmen Ergebnissen neigt, ist ein Erfahrungssatz. Beides hätte einzig durch eine mit entsprechender politischer Prokura ausgestattete funktionale Leitung auf Bundesebene abgemildert werden können. Die aber gibt es nicht. Weder hat im föderalen System der Bund eine rechtliche Kompetenz, um in Sachen öffentlicher Daten „durchzuregieren”, noch gibt es bei der Bundesregierung offenbar den politischen Willen, wenigstens eine starke Leithammelfunktion jenseits der Kompetenzverteilung zu übernehmen.
In den Ländern sind verschiedene Ministerien, in einem Fall sogar das Landwirtschaftsressort verantwortlich. So kommt es, dass man auf Arbeitsebene des Bundesinnenministeriums zwar irgendwie „offene Daten” will, aber immer nur Bittsteller gegenüber den Behördenleitungen ist, die sich – mangels klarer politischer Ansage ihrer jeweiligen Landesregierung – vor allem ihren eigenen Maßstäben verpflichtet fühlen. Und entsprechend sehen dann auch die Nutzungsbedingungen für Govdata aus, deren zwei Varianten einer „Datenlizenz Deutschland” im Zentrum der Kritik der Protestierenden stehen.
Keine Standards, kein Open, so einfach ist das
Die Unterzeichner des offenen Briefes pochen auf Standards. Dazu gehören neben einigen Standardlizenzmodellen in erster Linie die von unterschiedlichen nichtstaatlichen Akteuren kuratierten Definitionen und Prinzipien unter opendefinition.org, okfn.de und freedomdefined.org. Keine dieser Quellen ist in irgendeiner Weise bindend, in überstaatliche Strukturen oder Abkommen eingebunden. Niemand hat weltweite Markenrechte am Begriff „Open Data” und kann darüber erzwingen, welche Daten wirklich „Open” sind. Aber immerhin wurden die Regeln bislang stets im Konsens einer großen Zahl von Beteiligten weltweit gefunden.
Im Fall der Freigabe von Daten öffentlicher Stellen, neudeutsch „Public Sector Information” (PSI) genannt, werden immer wieder die USA als Paradebeispiel eines bei Daten sehr freigiebigen Staates angeführt. Im Zweifel, so heißt es, seien Behördendaten dort für jede/n einsehbar und nachnutzbar, Verschlusssachen die Ausnahme. Das amerikanische Datenportal data.gov gilt als großes Vorbild bei der elektronischen Verfügbarmachung öffentlicher Daten, gefolgt vom britischen Pendant. Die staatliche Verwaltung preußischer Prägung funktioniert leider anders.
Verwaltungstradition, elektronisch gewendet
Vor der Verabschiedung des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) auf Bundesebene und entsprechender Ländergesetze galt eindeutig: Im Zweifel unterliegen behördliche Vorgänge dem Amtsgeheimnis. Wer Akteneinsicht haben wollte, musste eine besondere Berechtigung vorweisen können. Noch heute versuchen viele Behörden, Auskunftsanträge nach dem IFG und vergleichbaren Gesetzen auf Biegen und Brechen zu erschweren, indem sie die Ausnahmeregeln kreativ interpretieren. Initiativen wie „Frag den Staat” arbeiten mit modernen Mitteln dagegen an.
Die Kritiker befürchten daher, dass viele deutsche Behörden – so sie überhaupt die wirklich interessanten Daten herausgeben – die Option wählen, nach der nur eine nicht-kommerzielle Nutzung ihrer Daten gestattet ist. Diese Lizenz aber widerspricht dem für offene Daten weithin anerkannten Grundsatz, wonach die Daten auch kommerziell nachnutzbar sein müssen. Im Grunde ist es aber noch schlimmer.
Zwar sind auch die Datenportale anderer Länder nicht ohne Fehl und Tadel im Sinne der reinen Lehre von „Open Data“. Aber Govdata geht – der Fraunhofer-Studie folgend – einen ganz besonders eigenwilligen Weg. Statt die Nutzung der Daten vertraglich zu regeln, wie es alle Standardlizenzmodelle im Open-Content-Bereich von Wikipedia bis Linux tun, verlässt man sich lieber auf das deutsche Verwaltungsrecht und setzt damit eine weitere Ursache des entbrannten Streits. Juristischen Laien ist das Problem nur schwer zu vermitteln – hier ein Versuch.
Fakten sind frei, außer wenn deutsche Behörden sie verwahren
Wer sich irgendwie mit dem sogenannten „geistigen Eigentum” befasst, kann sich üblicherweise an einen Grundsatz halten: Ideen und Fakten sind frei. Sie sind schlicht nicht „schutzfähig”, werden also nicht erfasst vom automatischen Schutz des Urheberrechts. Dieser Grundsatz gilt zwar nicht allumfassend, denn wer es darauf anlegt, kann technische Ideen in engen Grenzen durch Patente schützen lassen. Der europäische Datenbankenschutz überzieht große Teile der Datenlandschaft mit einem problematischen indirekten Investitionsschutz. Die Bundesregierung ist mit dem Plan für ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger gerade sogar dabei, kleinste Textschnippsel lizenzpflichtig zu machen. Aber ein einzelnes Faktum, eine schlichte Information wie etwa die Tageshöchsttemperatur in Berlin an Heiligabend 2012 ist frei verwendbar – selbst wenn sie in einer ansonsten insgesamt geschützten Datenbank enthalten sein sollte. Doch wer sich auf diesen Grundsatz verlässt, hat die Rechnung ohne die schier unbegrenzten Möglichkeiten des deutschen Verwaltungsrechts gemacht.
Das Urheberrechtsgesetz ist Teil des Zivilrechts, nicht des Verwaltungsrechts. Alle, die sich in zivilrechtlichem Rahmen bewegen müssen (etwa Privatpersonen und Unternehmen), müssen mit den Werkzeugen auskommen, die ihnen das Zivilrecht anbietet. Im Urheberrechtsgesetz ist ein Schutzrecht für einzelne Fakten nicht vorgesehen, also besteht kein geeignetes Werkzeug, um rechtlich durchsetzbare Kontrolle über einzelne Fakten auszuüben. So weit, so klar. Staatliche Stellen aber können sich statt des zivilrechtlichen Rahmens einen anderen aussuchen, nämlich den des Verwaltungsrechts, innerhalb dessen sie sich gewissermaßen ihre eigenen rechtlichen Werkzeuge bauen können. Das geht so:
Sofern eine Behörde nicht gesetzlich verpflichtet ist, in einer bestimmten Weise zu handeln, kann sie für alles, was sie tut, fast beliebige Regeln aufstellen. Diese Regeln werden dann in einem sogenannten „Verwaltungsakt” festgelegt und durchgesetzt mittels amtlichen „Verwaltungszwangs”. Ein Verwaltungsakt wirkt darum wie ein Gesetz im Miniaturformat. Auch Nutzungsbedingungen können in dieser Form definiert werden. Der oben genannte Grundsatz, dass Fakten frei und nachnutzbar sind, sobald man sie hat, kann dadurch umschifft werden. Govdata schlägt genau diesen Weg ein, um den Behörden die Möglichkeit zu geben, die Verwendung der von ihnen bereitgestellten Daten noch kleinteiliger kontrollieren zu können, als es nach dem Zivilrecht möglich wäre. Bis hinunter zum einzelnen Faktum. Ob diese Kontrolle überhaupt aktiv ausgeübt werden soll, darüber sind sich wahrscheinlich noch nicht einmal die Teilnehmer der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Klaren. Schon das spräche dagegen, sie überhaupt vorzusehen.
Datenprojekte notfalls halb illegal?
Dies alles lässt verständlich werden, warum die gegenwärtige Debatte sehr grundsätzlich geführt wird. Nicht nur schafft sich Deutschland gerade seine eigenen Datenregeln, die bei der Vermischung mit Daten von anderswo zusätzlich beachtet werden müssen. Das erhöht den Aufwand für Datenprojekte und dehnt die rechtlichen Grauzonen aus. Zu allem Überfluss wird auch noch die Reichweite der Datenregeln über die bekannten Grenzen des Zivilrechts hinausgetrieben. Dass das einen spürbaren Dämpfer für die Open-Data-Community bedeuten wird, ist möglich, aber keineswegs ausgemacht. Manch ein Projekt wird es schlicht aufgeben, sich um die rechtlichen Fragen seiner Arbeit Gedanken zu machen. Und einfach loslegen. Wenn es Ärger geben sollte, kann das auch eine willkommene Marketinghilfe sein. Dennoch hätte der gegenwärtige Streit vermieden werden können und sollen. Er lässt den Start von Govdata als verpasste Chance erscheinen.
In gekürzter Form zuerst erschienen im Data Blog bei Zeit Online. Dieser Text wird unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung 3.0 de veröffentlicht. John Hendrik Weitzmann gehört zu den Unterzeichnern von not-your-govdata.de.
Was sagen Sie dazu?