Das verlorene Potenzial von Forschung
Es ist ein zynisches Schauspiel, welches Subskriptionsverlage immer dann wieder vorführen, wenn der freie Zugang zu Forschungsresultaten ein bisschen höher auf der Agenda ist als sonst. So zum Beispiel bei der aktuellen Zika-Epidemie.
Plötzlich zeigt sich Elsevier von seiner freundlichen Seite und macht entsprechende Inhalte frei zugänglich:
Am 10. Februar 2016 haben zudem das British Medical Journal (BMJ), das Journal of the American Medical Association Network (JAMA), Science Journals, Springer Nature und das New England Journal of Medicine (NEJM) zusammen mit vielen Forschungsförderen ein „Statement on data sharing in public health emergencies“ verfasst, in dem sich unter anderem die Journals zu freien Zugang verpflichten:
Journal signatories will make all content concerning the Zika virus free to access. Any data or preprint deposited for unrestricted dissemination ahead of submission of any paper will not pre-empt its publication in these journals
Letztlich bestätigt dieses positive Ausnahmeverhalten, wie viel Potenzial von Forschung durch das noch vorherrschende Closed-Access-Geschäftsmodell im Publikationswesen verloren geht. Die in der Berliner Erklärung festgehaltene Bemerkung, dass „die Wissenschaft“ ihre Aufgabe nur halb erfüllt, wenn es ihr nicht gelingt, Information für die Gesellschaft in umfassender und einfacher Weise zugänglich zu machen, hat an ihrer Gültigkeit leider nichts verloren.
Selbstverständlich kennen wir diese Art von zynischem Schauspiel auch von anderen Teilen unseres Lebens auf der privilegierten Seite der Welt. Doch anders als bei den Themen Hunger, Flüchtlinge oder Klimawandel ist die Lösung des beschränkten Zugangs zu wissenschaftlicher Information relativ einfach. Dies deshalb, weil digitale Information im Gegensatz zu anderen Ressourcen (Kapital, Öl, Boden, Nahrungsmittel) eine spezifische Eigenschaft hat, welche für minimale Interessenskonflikte sorgt. Eine Eigenschaft, für welche inzwischen sogar Elsevier selber Werbung macht:
Ein solches Zitat aus dem Munde von Elsevier ist blanker Hohn. Denn Elsevier sträubt sich mit Klagen und Parteispenden gegen ein Geschäftsmodell, bei welchem genau dieser Vorteil zum Tragen kommt. Sei es, dass Elsevier sich weigert, Subskriptionszeitschriften in ein Gold-Open-Access-Geschäftsmodell umzuwandeln oder sei es, dass Elsevier seine Sharing Policy verschärft.
Open Access
bezeichnet den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Open-Access-Literatur im engeren Sinn ist online kostenfrei zugänglich und unter offenen Lizenzen veröffentlicht, die die weitere Nutzung erleichtern. Es gibt mehrere Ansätze: Anderswo veröffentlichte Publikationen können online zugänglich gemacht werden („Green Road“) oder in eigenen Open-Access-Zeitschriften erscheinen („Golden Road“). Beim Diamond-Open-Access-Modell fallen weder für Autor*innen noch Leser*innen Gebühren an; finanziert wird die Publikationsinfrastruktur hier von wissenschaftlichen Einrichtungen oder Wissenschaftsverbänden. In Deutschland gilt seit 2014 unter bestimmten Voraussetzungen ein Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftler*innen.
Aber noch schlimmer als das Beharren auf einem überholten Geschäftsmodell der Subskriptionsverlage – und Elsevier ist nur der größte davon – ist das passive und über weite Strecken widersprüchliche Verhalten wissenschaftlicher Institutionen, welche sich dies in den Rollen als Käufer (Bibliotheken) und als Zulieferer (AutorInnen) nahezu widerstandslos bieten lassen.
Viele von ihnen haben zwar schon seit Jahren die Berliner Erklärung unterzeichnet und streben auf dem Papier eigentlich Open Access an, doch im alles entscheidenen Punkt, dem Geld, hat sich seit Jahren nichts geändert. Das wissenschaftsfeindliche Subskriptionsmodell wird trotz offensichtlicher Nachteile und trotz vorhandenen und erfolgreichen Alternativen von vielen Institutionen künstlich am Leben erhalten, ausgebaut, und gegen Versuche, Transparenz bei den Kosten herzustellen, von den wissenschaftlichen Institutionen geschützt.
Wenn man einmal weiß, dass zumindest im STM-Bereich (Science, Technology, Medicine) die Kosten des jetzigen Subskriptionsmodell zu 100 Prozent von wissenschaftlichen Bibliotheken bezahlt werden, ist es besonders schwer nachvollziehbar, weshalb diese Bibliotheken es selbst 13 Jahre nach der Berliner Erklärung immer noch nicht auf die Reihe bekommen, Open Access zu Publikationen herzustellen.
Gewiss, mit Open Access zu Publikationen (und Daten) wird nicht alles automatisch besser. Doch wenn wir es als Gesellschaft, die Wissenschaft für wichtig hält, nicht einmal schaffen, in dem Bereich etwas zu ändern, wo es uns außer weltweiter Koordination überhaupt nichts kostet – wie weit entfernter dürften da Lösungen sein, die tatsächlich auf Problemen bei der Verteilung von nicht vermehrbaren Ressourcen beruhen.
Dies ein Crosspost von wisspub.net. Der Beitrag steht unter der Lizenz CC BY.
Was sagen Sie dazu?