„Das ist ein enorm anfälliges System”
Mario Sixtus wundert sich über die Methoden der GVU. Foto: Julius Endert, CC by nc sa
Am 9. August waren sie mit einem Mal weg: vier Episoden des „Elektrischen Reporters“, einem bekannten Format der Journalisten Mario Sixtus und Julius Endert. Die die Münchner Firma OpSec Security GmbH, meist im Auftrag der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) tätig, hatte den Video-Hoster Vimeo aufgefordert, die Videos vom Netz zu nehmen, weil sie vermeintlich gegen Urheberrechte der Firmen verstoßen, in deren Auftrag die GVU handelt, darunter Sony, Sky, Walt Disney und Warner Brothers und viele andere. Das ist nicht nur falsch, sondern besonders pikant, weil alle Episoden des Elektrischen Reporters unter einer Creative-Commons-Lizenz stehen, die es explizit erlaubt, die Filme weiter zu verbreiten.
Die Aufregung im Netz ist groß, und obwohl inzwischen die Videos wieder zu sehen sind, ist Sixtus alles andere als zufrieden damit, wie die GVU reagiert hat. Er hat eine Unterlassungserklärung von der GVU und ihrem Dienstleister OpSec Security gefordert, die OpSec Security auch abgegeben hat. Die GVU weigert sich, weil sie bestreitet, ihren Dienstleister beauftragt zu haben, die Videos zu löschen.
Herr Sixtus, kam es für Sie überraschend, dass die Filme entfernt wurden, oder hatten Sie schon früher Ärger wegen Ihrer Videos?
Ich hatte noch nie irgendeinen Ärger und es kam für mich aus heiterem Himmel. Mit der GVU hatte ich zu tun, als wir einen Zweiteiler über Urhebererrecht im digitalen Zeitalter gedreht und dazu auch eine Vertreterin der GVU befragt haben. Dieser Zweiteiler war auch unter den betroffenen Filmen; die GVU hat sich also selber gesperrt.
Eine Sprecherin der GVU hat nun die Sperrung versucht zu rechtfertigen mit der Aussage: „Es ist für uns ein kleines bisschen überraschend, dass manchmal Leute über Portalseiten auffindbar sind, die wir eher zu den massiv urheberrechtsverletzenden Angeboten zählen”. Was halten Sie davon?
Das ist der Hammer. Es zeigt, wie uneinsichtig sie sind. Ähnlich wie die Pressemitteilung, in der die GVU sagt, es handle sich um fünf Fälle von fünf Millionen, weil sie fünf Millionen Takedown-Aufforderung verschickt haben. Keine Silbe, die irgendwie als Entschuldigung gedeutet werden könnte. Stattdessen sprach aus allem die Überzeugung, das Richtige zu tun. In dem Sinn: Wenn der Sixtus sich da auf so komischen Seiten verlinken lässt, dann muss er sich nicht wundern, dass seine Videos weg sind. Daraus spricht auch ein tiefes Unverständnis über die Mechanismen des Webs. Also: wer setzt Links auf wen, wer ist dafür verantwortlich? Oder: wo ist der Unterschied zwischen einem eingebetteten Video und einem gehosteten Video? Ich bin mir nicht sicher, ob bei der GVU solche „Feinheiten“ eine Rolle spielen.
Das ZDF und ich haben es ja bewusst unter Creative-Commons-Lizenzen zu stellen, und das dann auch bewusst breit gestreut. Man findet den Elektrischen Reporter in sämtlichen Torrent-Suchmaschinen, auf Pirate Bay, Mininova – es ist sogar gewünscht von uns, dass wir neben illegal angebotenem Material zu finden sind.
Warum?
Weil man die Leute sonst nicht erreicht. Es gibt Leute, die verbringen den halben Tag auf Torrent-Websites und ziehen sich da legal und illegal kopierten Kram runter, warum sollen sie sich nicht auch unseren Kram anschauen. Dafür ist er ja da.
Die GVU könnte sagen: Das verschafft diesen Angeboten nur ein besseres Image, mehr Reputation und Rechtfertigung.
Wir geben unsere Inhalte auf möglichst vielen Kanälen, Plattformen, Wegen frei. Was nebenan passiert, darauf haben wir keinen Einfluss. Das wäre so, wie einen Fernsehsender dafür verantwortlich zu machen, dass sein Programm in einem Bordell mit Zwangsprostiutierten gezeigt wird.
Sie haben von Anfang an auf ein rechtlich schwieriges Formart gesetzt, eine Art Mashup mit viel Material, das nicht selbst gedreht ist. Welche Vorkehrungen haben Sie getroffen, um nicht in Schwierigkeiten zu kommen?
Wir holen die meisten Filme aus den Prelinger Archives, einer Untersammlung des Internet Archive. Rick Prelinger sammelt seit Jahr und Tag Public-Domain-Filme, also Filme, die gemeinfrei sind: alte Schulfilme, Anleitungsfilme, PR-Filme – da bedienen wir uns.
Betrifft Sie also das Thema Rechteklärung nicht, das ja in der Praxis sehr schwierig, aufwändig und dadurch teuer ist?
Ja und nein. Wir müssen beim ZDF ein elektronisches Produktionsprotokoll abgeben, in dem jeder Schnipsel, der ungefähr länger als drei Frames ist, aufgelistet wird – mit Quelle, Filmtitel, Länge, Inhalt. Das ist sehr mühsam; wir haben hier eine Studentin, die Sekunde für Sekunde die Filme durchschaut und das alles aufschreibt. Dem ZDF gegenüber haften wir dafür, dass alles seine Richtigkeit hat. Die Rechte noch mal mit den Urhebern zu klären ist faktisch unmöglich, die Firmen gibt es nicht mehr, die Regisseure sind tot oder im Altenheim.
Sie verlassen sich demnach darauf, dass die Filme, die im Prelinger Archiv als gemeinfrei angeboten werden, gemeinfrei sind.
Ich verlasse mich auf die Rechteabteilung der Filmindustrie, weil die garantiert mindestens 20 Leute hat, die sich den ganzen Tag durchs Internet Archive klicken und gucken, ob da irgendwas zu sehen ist, woran sie Rechte haben. Wenn solch ein Film also über ein Jahr, oder ein halbes Jahr im Internet Archive zum Download bereit steht, dann kann man davon ausgehen, dass alle großen Filmfirmen schon mal drüber geguckt haben. Ich verlasse mich also auf Leute wie die GVU.
Es gibt immer noch die Rede vom Internet als rechtsfreiem Raum. Das hat nie gestimmt, wenn es um gesetzliche Regulierung ging, aber durchaus, wenn man sich ansieht, wie erfolgreich das Recht durchgesetzt werden kann. Zeigt Ihr Fall, dass das auch anders herum gehen kann: dass es immer schwieriger wird, seine Rechte zu verteidigen gegen übereifrige Kontrolleure?
Wenn es so weitergeht, muss man wahrscheinlich demnächst beweisen, dass man Rechteinhaber an einem selbst geschaffenen Werk ist. Es ist ja auch schon freie Musik bei LastFM verschwunden, weil irgend jemand meinte, das muss doch GEMA-pflichtig sein. Das ist natürlich absurd. Wie soll ich als Urheber meine Urheberschaft beweisen? Im Grunde muss ja mir nachgewiesen werden, dass ich nicht Urheber bin. Wenn ich eine Platte veröffentlicht habe, dann musste mir nachgewiesen werden, dass ich etwas geklaut habe. Im Netz kommen wir jetzt langsam in eine Situation, in der diese Beweislast umgekehrt wird. Das merkt man auch daran, wie Vimeo einknickt: so bald sie eine Takedown-Aufforderung bekommen – fupp, schon ist der Kram weg. Das ist ja ein enorm anfälliges System. Da könnte die NPD ihr Jungvolk vor die Rechner setzen und dafür sorgen, dass sämtliche Beiträge, die sich kritisch mit Neonazis beschäftigen, aus dem Netz verschwinden.
Ist das denn nicht auch eine Folge davon, dass so viel Material rechtswidrig zur Verfügung gestellt wird?
Es ist einfach so. Genauso kann man sich über Regen beschweren. Das Internet und die Digitalisierung werden nicht verschwinden, und Menschen werden Medien, die sie mögen, untereinander tauschen. Das haben sie schon immer gemacht, und sie machen es im Netz, weil es da noch viel einfacher ist.
Fürchten Sie denn, dass Mashups und Remixes verschwinden?
Ich habe Anfang der 90er Jahre Musik gemacht, da war es völlig normal, dass jeder alles von jedem gesampled hat, wenn einer eine lustige Drum-Loop produziert hat, dann hat der andere sie umgedreht und verhackstückt. Man hat das als Ehre empfunden; das ist so wie zitiert zu werden. Das ist ziemlich verschwunden, die Angst ist groß, dass man Post vom Anwalt bekommt mit einer absurden Forderung.
Wird sich das auf Videos übertragen?
Die Gefahr besteht. Wir brauchen eine neue Regelung, die auch das Bildzitatrecht klärt. Es gibt ja durchaus die Möglichkeit, in künstlerischen Collagen fremdes Material zu verwenden. Aber das ist alles sehr schwammig. Wenn man da mal konkretisieren könnte, was erlaubt ist und was nicht, würde das uns allen sehr gut tun. Warum nicht sagen: Ausschnitte bis zehn Sekunden Länge in anderen Werken zu verwenden, ist ok. Oder bis fünf Sekunden.
Brauchen wir so etwas wie das Projekt „Chilling Effects“, in dem in den USA die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation gemeinsam mit prominenten Universitäten wie Harvard, Stanford, Berkeley und anderen überprüft und dokumentiert, welche Videos aufgrund von Takedown-Aufforderungen verschwunden sind, um darauf hinzuweisen, welche Auswirkungen die Takedown-Aufforderungen haben?
Natürlich. Die Lücken im Bild zu dokumentieren, wäre sehr hilfreich.
Zum Thema: Symposium “Verbotene Filme”
iRights.info veranstaltet gemeinsam mit der Deutschen Kinemathek am 9. und 10. September das Symposium “Verbotene Filme”:
Ein Spielfilm verschwindet im Giftschrank, weil er – vermeintlich oder tatsächlich – gegen Gesetze verstößt. Eine Dokumentation wird erst gar nicht gedreht, weil das Justiziariat sagt, man könne die zu erwartenden Klagen nicht durchstehen. Zugleich: Filme, die nach geltendem Recht verboten sind, können weltweit angeschaut werden – drei Aspekte des selben Themas. Das Symposium „Verbotene Filme“ wird sich damit auseinandersetzen, welche rechtlichen Beschränkungen von Filmen es gibt und wie sie sich auf die Produktion, Distribution und Rezeption auswirken.
Mehr Informationen, auch zur Anmeldung, gibt es hier.
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