„Dann müssten wir darüber reden, das Netz zu verstaatlichen“

Die Podiumsrunde „Chefsache Kreativwirtschaft“ beim Medienkongress 2013 in Berlin, von links nach rechts: Dieter Gorny, Stephan Scherzer, Peter-Christoph Weber, Carsten Brosda. Foto: Medienboard Berlin-Brandenburg/Uwe Völkner
„Es muss immer einen Bereich des offenen Internets geben. Inhalte dürfen nicht durch die Zugangsprovider diskriminiert und privilegiert werden, je nachdem wie viel jemand zahlt oder nicht zahlt.“ Als Peter-Christoph Weber, Justitiar des ZDF, mit diesem Bekenntnis das Thema Netzneutralität ansprach, setzte das für die Diskussion unter dem Titel „Chefsache Kreativwirtschaft! Wie geht’s weiter mit Netzpolitik und Urheberrecht?“ einen interessanten Impuls. Die fand gestern auf der Medienwoche statt, die sich jetzt „Internationaler Medienkongress” nennt. Das Panel wurde organisiert von der „Deutschen Content-Allianz“ und brachte vier Verbandsvertreter mit dem Hamburger SPD-Politiker Carsten Brosda zusammen.
In Wirklichkeit ist das Netz geschäftlich organisiert
Dieter Gorny, Chef des Bundesverbandes Musikindustrie, griff den Impuls von Weber auf. „Dann müssten wir darüber reden, das Netz zu verstaatlichen“, meinte er, weil der Staat und seine Behörden am ehesten die Wahrung der Netzneutralität verwalten und gewährleisten könnten. Aber diese Debatte finde nicht statt, so Gorny: „Realität ist doch, dass das Netz derzeit mit all seinen Freiheiten geschäftlich organisiert ist. Das ist der Ist-Zustand. Wenn wir davon prinzipiell weg wollen, müssen wir in der Gesellschaft über den Soll-Zustand reden, doch da wollen die wenigsten politisch ran.“
Diesem Eindruck stimmte der angesprochene SPD-Politiker Brosda prinzipiell zu. Für ihn gehe es erklärtermaßen darum, dass neue Gesetze oder Reformen von allen Beteiligten akzeptiert werden. Damit spielte er auf das kürzlich in Kraft getretene Leistungsschutzrecht für Presseverlage an, das nach Meinung vieler Kritiker die Interessen von Urhebern und Nutzern zu wenig berücksichtige. Stephan Scherzer, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), entgegnete: Das Leistungsschutzrecht sei richtig und wichtig, und ein erstes Zeichen der Wertschätzung durch die Politik im internationalen Maßstab.
„Aus einem kleinen Recht kann auch ein größeres Recht werden“, so Scherzer weiter, für den das Leistungsschutzrecht offenbar eine Art Schutzschild auf Vorrat ist, um sich gegen mögliche zukünftige Nutznießer des Verleger-Content wehren zu können. „In Kalifornien beschäftigen sich hundert Start-ups mit Content-Aggregation, in Israel sind es noch einmal fünfzig. Die machen mit Web-Inhalten alles, was sie können, wenn man ihnen keine Nutzungsgrenzen setzt. Aber sie kalkulieren gewiss auch 10 Prozent mehr Investitionsbedarf in ihren Business-Plan ein, wenn sie wissen, dass die Content-Aggregation durch Lizenzzahlungen etwas kostet“, erläuterte Scherzer. Es sei für die Verleger wichtig, dass sie eine rechtliche Handhabe haben, um entsprechende Leistungsschutzrechte geltend machen und sich entsprechende Nutzungen vergüten lassen zu können.
Mehr Kommunikation zwischen Wirtschaft und Nutzern
„Das Leistungsschutzrecht wird nicht gerade Bestandteil des Weltkulturerbes werden, um es mal vorsichtig auszudrücken“, konterte Carsten Brosda. Und das liege daran, dass es nicht alle Interessen hinreichend berücksichtige. Der Gesetzgeber sei in der Pflicht, künftig mehr Ausgleich zwischen Urhebern, Verwertern und Verbrauchern zu erzielen. Brosda plädierte dafür, die Gespräche neu zu beginnen und bei grundsätzlicheren Positionen anzusetzen. Denn die Perspektiven medien- und netzpolitischer sowie technik- und nutzer-affiner Interessenvertreter hätten sich zu weit voneinander entfernt: „Der erste Schritt wäre für mich, dass die Beteiligten das Gleiche meinen, wenn sie über das Gleiche reden. Wir müssen zu einer Synchronisierung der Wahrnehmung kommen.“
Darüber hinaus sei es wichtig, wirksame Werkzeuge zur Mediation und für den Interessensausgleich zu finden, um Konflikte zwischen den Interessengruppen zu lösen, sagte Brosda. Konkret nahm er dabei Bezug auf den Streit um die Tagesschau-App, bei der es um zeitungsähnliche und senderähnliche Angebote ging, für dessen Lösung es aber keine hinreichenden rechtlichen Instrumentarien gäbe, etwa weil die benutzten Definitionen der Content-Angebote zu unscharf waren. Brosda wiederholte die Idee, eine „Digital Revenue Acadamy“ einzurichten, um neue Finanzierungsmodelle in digitalen Ökonomien zu erforschen und zu evaluieren. Das hatte er schon vor einiger Zeit gemeinsam mit Dieter Gorny vorgeschlagen.
Urheberrechtsrelevante Themen ernster nehmen
Ob gesamtgesellschaftliche Diskussion oder Vermittlungsgespräche in den Branchen – die künftige Bundesregierung sei gefordert, die urheberrechtsrelevanten Themen ernster zu nehmen, betonte Jürgen Doetz vom Verband Privater Rundfunk- und Telemedien. Trotz klar definierter Ziele im Koalitionsvertrag, trotz direkter Gespräche mit Bundeskanzlerin Merkel und Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, es sei vier Jahre lang nahezu nichts geschehen. Auch die Opposition hätte während der vergangenen Legislaturperiode als Triebfeder versagt, nun müsse ein neuer, besserer Anlauf stattfinden: „Medienpolitik auf der einen und Netzpolitik auf der anderen Seite sind nicht mehr isoliert, sondern gemeinsam zu diskutieren“, so Doetz.
Für Carsten Brosda ist es an der Zeit und vorstellbar, ein neues, dem Kulturstaatsminister vergleichbares Amt zu schaffen, um diese zwei gesamtgesellschaftlich wichtigen Politikfelder zusammenzuführen. Dies könne als Staatsministerium geschehen, um zum einen die Hoheit der Länder bei der Medienpolitik zu berücksichtigen, zum anderen aber um Medien- und Netzpolitik jenseits von Ausschüssen und Enquete-Kommissionen dauerhaft zu institutionalisieren.
Dem ließe sich hinzufügen, dass in einem solchen Ministerium dann wohl auch die Frage der Netzneutraliät ganz oben auf der Agenda stehen müsste, um sie unter anderem mit Bundesnetzagentur und Landesmedienanstalten zu diskutieren, wie es Ben Scott einen Tag zuvor bei eben diesem Medienkongress anregte.
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