Copyleft oder Copyfraud? Die EU-Kommission und ihre Werke
Wenn die Kommission ein Video unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht, muss das im Umkehrschluss bedeuten, dass sie grundsätzlich beansprucht, dass ihre Videos durchs Urheberrecht geschützt sind. Was uns zu einer Reihe von interessanten Fragen führt:
- Welches Recht gilt eigentlich für geistige Schöpfungen von Mitarbeitern der europäischen Institutionen?
- Kann eine supranationale Behörde wie die Kommission überhaupt urheberrechtliche Befugnisse für ihr Schaffen reklamieren? Denn in Deutschland sind amtliche Werke immerhin in gewissem Umfang vom Schutz des Urheberrechts ausgenommen.
Um die zweite Frage beantworten zu können, muss man sich zunächst einmal der ersten nähern. Denn nur das jeweils anwendbare Recht kann eine Aussage darüber treffen, ob und in welchem Umfang Werke urheberrechtlichen Schutz genießen können, wenn sie von Mitarbeitern der EU-Kommission geschaffen wurden.
Diese Fragen sind deshalb relevant, weil nur jemand, dem das Urheberrecht an einem Werk zusteht, dieses nach dem „Copyleft“-Prinzip freigeben kann. Wenn jemand hingegen Rechte an einem Werk beansprucht, die er gar nicht hat, hat sich der Begriff „Copyfraud“ (etwa: Urheberrechtsbetrug) dafür eingebürgert.
Kein spezielles Urheberrecht für EU-Einrichtungen
Dabei ist im Ausgangspunkt zu konstatieren, dass es ein spezielles Urheberrecht nur für die Bediensteten der europäischen Institutionen nicht gibt. Die Europäische Kommission kann sich – sieht man von engen Ausnahmen wie Geschäfts- und Verfahrensordnungen einmal ab – kein eigenes Recht schaffen, das nur für sie gilt. Vielmehr sind ihre Mitarbeiter bei dem, was sie tun, grundsätzlich den allgemeinen Gesetzen unterworfen, wie sie auch für jeden anderen gelten.
Fährt ein Mitarbeiter der EU-Kommission in Brüssel bei Rot über die Ampel, so wird er sich den belgischen Behörden gegenüber verantworten müssen. Schließt er einen Kaufvertrag mit einem belgischen Pralinenhändler, so beurteilt sich dessen Wirksamkeit nach dem belgischen Privatrecht. Mit dem Urheberrecht sieht es nicht sehr viel anders aus: Betätigt sich ein Mitarbeiter der EU-Kommission schöpferisch, etwa, indem er ein Filmwerk herstellt, so richtet sich der urheberrechtliche Schutz dieses Werks nach dem jeweils geltenden Urheberrecht. Das muss allerdings nicht stets und automatisch das belgische Urheberrecht sein.
Das urheberrechtliche Schutzlandprinzip
Nach welchem nationalen Urheberrecht sich ein urheberrechtlicher Sachverhalt im Einzelnen beurteilt, ist nicht ganz leicht zu sagen. Konsens besteht mittlerweile darüber, dass im Urheberrecht kein „Universalitätsprinzip“ gilt. Nach diesem in der Vergangenheit teilweise vertretenen Prinzip sollte sich der urheberrechtliche Schutz eines Werks stets nach der Rechtsordnung richten, unter deren Geltung das Werk entstanden ist. Ein in Deutschland von einem Deutschen geschaffenes Werk unterläge danach stets dem deutschen Urheberrecht. Dieses Prinzip hätte aber zu eine unübersehbaren Vielzahl von Folgeproblemen geführt; es wurde von den meisten Juristen zwischenzeitlich verworfen.
Heute besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass sich die Bestimmung des international anwendbaren Urheberrechts nach dem sogenannten „Schutzlandprinzip“ richtet. Es ist auch im internationalen Privatrecht verankert (Artikel 8 und Erwägungsgrund 26 der Rom-II-Verordnung). Danach gilt für den deliktischen Bereich – also den Bereich der Urheberrechtsverletzungen – immer das Recht des Landes, für das der Schutz beansprucht wird.
- Verwendet also ein deutscher Nutzer auf einer deutschsprachigen Website das Video der Kommission in einer Weise, die mit der CC-Lizenz unvereinbar ist, entscheidet das deutsche Recht darüber, ob der Kommission deshalb ein Unterlassungsanspruch zusteht. Es gilt dann für alle Aspekte des Streits – sowohl für die Frage, ob der EU-Kommission urheberrechtliche Befugnisse überhaupt zustehen, als auch für die Frage, ob Urheberrechte verletzt werden und ebenso für die Frage, ob der Nutzer sich auf urheberrechtliche Schranken berufen kann, die ihm die Nutzung dennoch erlauben würden.
- Verwendet hingegen ein belgischer Nutzer das Video auf seiner belgischen Website in einer lizenzwidrigen Weise, so würde sich der gesamte Sachverhalt nach belgischem Urheberrecht beurteilen.
Beurteilung anhand deutschen Urheberrechts
Bleibt man hier bei dem hypothetischen, in Deutschland spielenden Fall, so stellt sich die Frage nach dem urheberrechtlichen Schutz des Videos. Dieses könnte entweder ein Filmwerk sein oder aber Laufbildschutz genießen, sofern es nicht ganz vom Schutz des Urheberrechts ausgenommen ist. Das ist der Fall, wenn es sich bei dem Video um ein amtliches Werk handelt, das „im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht“ worden ist.
Diese Voraussetzungen dürften hier gegeben sein. Zunächst einmal wird man auch die EU-Kommission als Behörde ansehen müssen. Darunter verstehen das Gesetz und die Gerichte jede mit Verantwortungskompetenz und Hoheitsbefugnissen betraute Institution, was ohne weiteres auch für die EU-Kommission gilt. Diskutabel ist allenfalls, ob das Video „im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht“ wurde.
Maßgeblich hierfür ist, ob die Veröffentlichung nicht nur auf die Information selbst gerichtet ist, sondern gerade auf eine urheberrechtsfreie Verwertung durch jedermann. Das bedeutet, die Veröffentlichung muss nach Art und Bedeutung der Information gerade darauf gerichtet sein, dass sie für jedermann freigegeben wird. Das wird man wohl bejahen müssen, zumal die Kommission durch die Veröffentlichung unter einer Creative-Commons-Lizenz gerade die Möglichkeit eröffnen wollte, dass jeder ihr Werk weiterverwenden kann.
Fazit
Im Ergebnis spricht vieles dafür, dass das Video nach deutschem Recht überhaupt keinen urheberrechtlichen Schutz genießt. Allerdings lässt gerade das entscheidende Kriterium viel Spielraum: Wurde es zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht? Wer sicher gehen will, keine fremden Urheberrechte zu verletzen, der ist daher sicherlich gut beraten, bei der Weiterverwendung des Videos die – ohnehin vergleichsweise liberalen – Einschränkungen der Creative-Commons-Lizenz zu beachten. Dann bekommt man auch mit Blick auf andere Rechtsordnungen keine Schwierigkeiten.
3 Kommentare
1 cervo am 27. November, 2014 um 14:37
Habe das hier “© European Union, 2014” hier gefunden: http://audiovisual.europarl.europa.eu/Page.aspx?id=61&menu=aboutus
2 Schmunzelkunst am 27. November, 2014 um 18:13
Zum letzten Absatz vor dem Fazit: Die meisten Werke, die im Rahmen von Open Data von amtlichen Stellen veröffentlicht werden, sind keine amtlichen Werke, die im “amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme” (vgl. § 5 Abs. 2 UrhG) veröffentlicht werden. Bei solchen Open-Data-Werken muss man die Lizenzbedingungen beachten. Bei Werken, die dagegen gem. § 5 urheberrechtsfrei sind, wäre ein CC-Vermerk in der Tat eine Urheberrechtsanmaßung. Aber auch bei solchen Werken verlangt § 5, soweit sie unter den Abs. 2 fallen, eine Quellenabgabe. So ganz frei ist so gut wie gar nichts. Unser Urheberrecht ist für freie Lizenzen viel zu kompliziert. Ich frage mich zum Beispiel, ob jemand etwas falsch macht, wenn er im blinden Vertrauen auf die Richtigkeit eines falsch anbrachten CC-Vermerk diesen in seine eigene Veröffentlichung übernimmt.
3 Schmunzelkunst am 24. Dezember, 2014 um 13:07
In der neuen Auflage des Urheberrechtskommentars Möhring/Nicolini 2014 (kein Weihnachtsgeschenk ;-) les ich soeben, dass manche Experten nach wie vor an dem Gedanken festhalten, die Vorschriften über die Quellenangabe und das Änderungsverbot auch auf § 5 Abs. 1 (also bei Gesetzestexten und dergl.) anzuwenden, wegen der weiter reichenden Rechtsfolgen als bei den Werken des Abs. 2. Dies geht m. E. wie vieles im Urheberrecht an der Realität vorbei. Bei Gesetzestexten würden eine Pflicht zur Quellenangabe und auch das Änderungsverbot stören. Gesetzestexte werden sinnvollerweise vielfach von anderen Körperschaften wörtlich oder leicht modifiziert übernommen. Die Texte der Pressegesetze und viele andere sind in allen Bundesländern nahezu identisch. Ein Hinweis im Gesetz des Bundeslands A auf die „Quelle Bundesland B“ wäre irgendwie komisch. Und geradezu absurd wäre es, wenn die Bundesländer für gleiche Inhalte unterschiedliche Texte entwerfen würden, um Quellenangaben und Änderungsverboten aus dem Weg zu gehen. Ich würde im Gegenteil auch bei den amtlichen Werken im Sinne des Abs. 2 auf Quellenangabe und Änderungsverbot verzichten (und dies auch bei den anderen nicht durch § 5 geschützten Open-Data-Werken der Behörden). Die Open-Data-Lizenzbedingungen könnten ohne Verpflichtung zur Quellenangabe und Änderungsverboten extrem einfach aussehen. Dass veraltete Publikationen verbreitet werden, lässt sich mit dem Urheberrecht ohnehin nicht verhindern. Wenn man bei den wichtigen Werken des Abs. 1 auf Quellenangabe und Änderungsverbot verzichten kann – und die Realität zeigt ja, dass es geht – sollte man dies bei den weniger wichtigen des Abs. 2 erst recht tun. So wird ein Schuh draus :-).
Frohes Fest
Johannes
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