Christiane Frohmann: „Digitales Publizieren sollte sich von der klassischen Buchkultur emanzipieren“
Christiane Frohmann ist E-Book-Verlegerin und eine der Initiatorinnen der „Electric Book Fair“, die am Samstag, dem 21. Juni im Supermarkt Berlin stattfindet. Wir haben mit ihr im Vorfeld der Veranstaltung gesprochen.
iRights.info: Was und wen wollen Sie mit der „Electric Book Fair“ erreichen?
Christiane Frohmann: Wir möchten untersuchen, was das Spezifische am digitalen Publizieren ist. Die Begriffe und die Ästhetik rund um E-Books beruhen auf der klassischen Buchkultur: Die Leseapp knistert beim Umblättern, hat digitale Eselsohren, einen Buchumschlag und so weiter. Das digitale Publizieren sollte sich von der klassischen Buchkultur emanzipieren und aufhören, das Verlegen immer von dort her zu denken. Am Anfang war es eine Vorstellungshilfe, als alles so neu war, aber jetzt scheint es eher ein Denkknebel zu sein. Das E-Book wird bislang als schlechteres Buch angesehen. Dabei haben E-Books ganz eigene Möglichkeiten, sie können Dinge, die Print-Bücher nicht können. Und die wollen wir ausloten.
Aber auch die wirtschaftlichen Aspekte sind wichtig. Ein Panel der Electric Book Fair wird zum Beispiel über Flatrates und E-Book-Piraterie gehen. Auf der anderen Seite soll es aber auch eine ausdrückliche Literaturveranstaltung sein. Wir wollen nicht nur über Technik reden, sondern zeigen, dass eine tolle literarische Szene entstanden ist.
iRights.info: Im Moment enstehen viele neue digitale Verlage. Warum gerade jetzt?
Christiane Frohmann: Ich habe mit dem „Eriginals Berlin“-Verlag angefangen, den es inzwischen nicht mehr gibt. Sascha Lazimbat, ein Freund aus der Musikindustrie, der im digitalen Vertrieb tätig war, meinte, wir sollten einen Verlag machen – jetzt, wo es mit E-Books losginge. Er konnte sich das damals schon vorstellen, weil er aus einer anderen Warte aufs Verlegen blickte.
Für die originären Literaturleute hat das ja noch etwas länger gedauert. Erst als sie es selber erlebten, wie einfach der Content zugänglich ist, wenn man ihn auf seinem E-Book-Reader, Tablet oder Smartphone hat, kam das Gefühl auf, dass eine neue Zeit anfängt, die man mitgestalten, in der man eine neue Lesekultur prägen kann.
iRights.info: Wie unterscheidet sich Ihr Verlag vom Vorgänger „Eriginals“?
Christiane Frohmann: Der Frohmann-Verlag ist im Prinzip die Weiterführung von Eriginals Berlin. Eriginals war etwas startup-mäßiger aufgezogen. Wir wollten die Möglichkeiten ausloten: Was kann man als E-Book veröffentlichen? Wofür ist der Markt schon da? In welche Richtung entwickelt er sich und wie kann man das beeinflussen?
Das war mir nach anderthalb Jahren doch etwas zu breit aufgestellt, obwohl wir sogar Verkaufserfolge hatten, von denen ich heute mit dem Frohmann-Verlag nur träume. Deshalb habe ich noch einmal neu angefangen. Der Frohmann-Verlag hat einen doppelten Schwerpunkt: Einerseits neue Literaturen, wie sie im Netz entstehen, zum Beispiel Twitter-Literatur – andererseits kulturwissenschaftliche Beschreibung von neuen kulturellen Phänomenen, etwa Internetmemen.
iRights.info: Die Digitalisierung ändert nicht nur die Formate, sondern die gesamten Geschäftsmodelle. Welches verfolgt Ihr Verlag?
Christiane Frohmann: Das ist wie bei einem klassischen Verlag eine Mischkalkulation. Im Augenblick finanziere ich das quer, indem ich externe Geldjobs mache. Seit ich mit dem Verlag bekannter werde, bekomme ich häufiger bezahlte Vortragsjobs innerhalb meiner Themen, muss also nicht mehr so häufig artfremde Aufträge annehmen. Die mittelfristige Perspektive ist allerdings, mit dem Verlag selbst wirtschaftlich zu arbeiten. Das würde bedeuten, dass meine Arbeit und externe Honorare davon bestritten werden können, aber das wird bestimmt noch ein bis zwei Jahre dauern.
iRights.info: Wenn man ein E-Book kauft, kauft man nach den Vorstellungen vieler Verlage nur eine Lese-Lizenz. Die Datei gehört einem nicht, man darf sie nur auf bestimmten Geräten lesen und bei Kopierschutz gar nicht oder nur eine bestimmte Anzahl mal kopieren.
Christiane Frohmann: Ich bin jetzt seit insgesamt dreieinhalb Jahren E-Book-Verlegerin und hab noch nie DRM benutzt. Ich lehne das kategorisch ab. Man ist am ehesten bereit, sich fair zu verhalten, wenn man faire Angebote bekommt. Wenn die Leser günstigen, leicht zugänglichen und qualitativ hochwertigen Content angeboten bekommen, dann glaube ich, dass sie die Bücher auch kaufen. Außerdem glaube ich nicht, dass DRM schützt. Ich weiß, wie schnell man ein DRM knacken kann. Ich will meine Kunden und Leser mit Vertrauen und Respekt behandeln.
iRights.info: Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren – man muss vielleicht inzwischen sagen: Jahrzehnten – eine neue Kultur des Teilens entwickelt: Open Content, freie Lizenzen, Remixe.
Christiane Frohmann: Ich sehe mich zu hundert Prozent als Teil dieser Kultur. Die Zeit des Originalgenies ist vorüber, das haben nur noch nicht alle bemerkt. Das war eine Entwicklung der Moderne, die jetzt nicht mehr zeitgemäß wirkt und von einer transpersonalen Kreativität abgelöst wird. Wenn man keine Angst davor hat, sich vom klassischen Autordenken zu verabschieden, dann ist die Kultur des Teilens eine einzige Befreiung. Das Urheberrecht, wie es sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, ist der totale Knebel für die Kreativität.
Wo es gedehnt oder auch mal verletzt wurde, sind die ästhetisch ganz großen Dinge passiert, zum Beispiel in der Remix-Kultur. Die Verwerter von künstlerischen Inhalten haben da irgendwann ein Problem konstruiert, das vorher keines war. Wäre es früher nicht vollkommen normal gewesen, sich an bereits vorhandenen Stoffen und Motiven kreativ zu bedienen, hätte mein Literaturwissenschaftsstudium einen ziemlich spärlichen Gegenstand gehabt. Jede Kultur ist hybrid, besteht aus alten Elementen in neuen Kombinationen.
iRights.info: In der Literatur scheint die Remix-Kultur aber weniger angekommen zu sein, als bei Musik, Videos oder auch in der bildenden Kunst.
Christiane Frohmann: Die Literaten machen das auch alle, aber ihnen ist es nicht bewusst. Es geht immer um die Re-Kombination von älteren Elementen. Das ist zwar schon längst durchtheoretisiert – von Michel Foucaults „Was ist ein Autor?“ bis Roland Bartes’ „Der Tod des Autors“ aus den 1960ern – , aber bei vielen Leuten dringt dies einfach nicht ins kreative Bewusstsein. Sie wissen es, aber es kommt ihnen nicht plausibel vor.
Als DJ kannst du total unreflektiert sein und trotzdem weißt du, dass du Mixe machst. Bist du aber Autor, ist die Chance, dass du dich ungeachtet deiner Bildung und Reflexionsfähigkeit für ein Genie hältst, relativ groß. Viele Musiker sind diesbezüglich eher Literaten als DJs.
iRights.info: Was würden Sie dann ändern wollen im Urheberrecht?
Christiane Frohmann: Ich finde, dass das Zitatrecht oder auch das Bearbeitungsrecht sehr stark gelockert werden sollte. Es ist absurd, wenn ich ein kleines Stück aus einem Buch übernehme – mit Quellenangabe! – und es ist kein wissenschaftlicher Kontext, dass ich langatmig den Verlag um Erlaubnis bitten muss. Ich mache das im Gespräch ja die ganze Zeit. Es ist natürlich moralisch problematisch, wenn man nur Inhalte nimmt und selber kaum was beisteuert – wie Leute, die Webseiten mit herauskopiertem Texten füllen und gar nichts Eigenes in dieses System schreiben, aber wenn Leute den Flow mit eigenem Content füttern, dann sollte das sehr viel großzügiger gehandhabt werden.
iRights.info: Die Kampagne „Recht auf Remix“ fordert das. Im deutschen Urheberrecht ist es nur in Ausnahmefällen möglich, ohne Erlaubnis des ursprünglichen Urhebers neue Werke zu schaffen.
Christiane Frohmann: Das Recht auf Remix sollte es meiner Meinung nach geben. Natürlich muss man dann auch ertragen können, dass Sachen entstehen, die man ästhetisch und vielleicht auch ideologisch nicht so gut findet. Wenn per Gesetz nur die zehn angesehensten Künstler der Republik Werke zum Remixen benutzen könnten, würden wahrscheinlich viele Menschen geschmeichelt zustimmen, dass ihr Content freigegeben wird.
Anders sähe die Sache aus, wenn ein persönlich wenig geschätzter Künstler damit herumstümpern dürfte. Das wäre aber Teil des Spiels und bei näherem Hinsehen auch der ästhetisch und sozial revolutionäre Part. Loslassen: das Werk und den Werk-Gedanken. Zulassen: etwas, das ein (Mit-)Wirken ist und größer ist als man selbst. Den eigenen Tod des Autors annehmen und mit den anderen feiern. Das Netz ist eine gute Übung, es ein bisschen lockerer zu nehmen.
iRights.info ist Medienpartner der Electric Book Fair am 21. Juni im Supermarkt Berlin.
2 Kommentare
1 Michael Kühnapefl am 23. Juni, 2014 um 09:30
Endlich mal jemand, der verstanden hat und es auch vertritt, dass E-Buch eigenständige Produkte sind, die eine eigene Behandlung, Vermarktung, Gestaltung benötigen und keine reine Zweitverwertung gedruckter Texte.
Was sagen Sie dazu?