Bundesgerichtshof: Plattformen haften für ihre Nutzer*innen – manchmal
Der Bundesgerichtshof (BGH) behandelte kürzlich sieben verschiedene Verfahren, die alle dieselbe Frage betreffen: Wann haftet eine Plattform für Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer*innen? Konkret ging es um die Verantwortung der Plattformen YouTube und uploaded. Beide machen ihren Nutzer*innen kostenlos Musik, Videos oder – wie im Fall von uploaded – Dateien in allen Formen zugänglich.
Gegen die Plattformen geklagt hatten verschiedene Rechteinhaber*innen, darunter die Verwertungsgesellschaft GEMA, ein Verlag und der Produzent der Sängerin Sarah Brightman. Sie alle sahen ihre Urheberrechte verletzt, weil auf den Plattformen zum Beispiel Konzertmitschnitte oder Auszüge aus Fachbüchern ohne Erlaubnis hochgeladen worden waren.
Ähnlich wie bei dem (nicht enden wollenden) Verfahren „Metall auf Metall“ liegen diese Urheberrechtsverletzungen lange zurück – manche bereits 14 Jahre. Die Kläger*innen verlangten von den Plattform Schadensersatz und die Verpflichtung, Urheberrechtsverstöße zukünftig zu verhindern.
Bundesgerichtshof fordert „geeignete Maßnahmen“ von Plattformen
Der BGH hatte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) schon 2018 mehrere Fragen zu diesen sieben Fällen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das macht der BGH immer dann, wenn die zu beurteilenden Rechtsfragen europäisches Recht betreffen, denn für die Auslegung von EU-Recht ist der EuGH zuständig. Konkret ging es um die Frage, ob die Plattformen nach europäischem Recht selbst dafür haften, wenn Nutzer*innen unberechtigt Inhalte hochladen.
Der EuGH hatte 2021 entschieden, dass Plattformen nur dann haften, wenn sie von urheberrechtsverletzenden Inhalten wissen und diese Inhalte nicht unverzüglich löschen oder den Zugang zu ihnen sperren. Allerdings betonte der EuGH, dass dies nicht gelte, wenn das Geschäftsmodell der Plattform bereits darauf ausgelegt sei, unerlaubte Inhalte bereitzustellen, wenn Nutzer*innen also hauptsächlich und regelmäßig illegale Inhalte hochladen. Gleiches gelte, wenn die Plattformen keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um Urheberrechtsverletzungen zu bekämpfen.
Das greift der BGH in seinem aktuellen Urteil vom 2. Juni 2022 auf: Er verweist die Entscheidungen an die Vorinstanzen zurück. Außerdem trägt er ihnen auf, zu prüfen, ob YouTube und uploaded in den konkreten Einzelfällen solche geeigneten Maßnahmen in ihren Systemen eingebaut hatten.
Hohe Anforderungen – Meldeformulare nicht ausreichend
An diese Maßnahmen stellt der BGH hohe Anforderungen:
„Lediglich reaktive technische Maßnahmen, die Rechtsinhabern das Auffinden von bereits hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalten oder die Erteilung von darauf bezogenen Hinweisen an den Plattformbetreiber erleichtern, genügen für die Einstufung als Maßnahmen zur glaubwürdigen und wirksamen Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen nicht“,
so der BGH in der Pressemitteilung zum Urteil. Das bedeutet, dass zum Beispiel Meldeformulare, mit denen Nutzer*innen auf Rechtsverstöße aufmerksam machen können, nicht ausreichen.
Damit hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung abgeändert. Statt – wie früher ausreichend – auf bereits begangene Urheberrechtsverletzungen zu reagieren, sollen Plattformen danach aktiv und vorab gegen mögliche Verstöße vorgehen.
Entscheidung nach alter Rechtslage
Die aktuelle BGH-Entscheidung (und bereits die EuGH-Entscheidung von 2021) zeigen, wie es vor der europäischen Urheberrechtsreform war: Sie wurden beide noch nach alter Rechtslage entschieden.
Mit dem Inkrafttreten des Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) hat sich die Rechtslage für Upload-Plattformen stark verändert. Upload-Plattformen sind nun für sämtliche Inhalte, die sie ihren Nutzer*innen zugänglich machen, verantwortlich. Daher setzen die Plattformen zunehmend technische Systeme ein, die verhindern sollen, dass illegale Inhalte hochgeladen werden: die umstrittenen Upload-Filter. Dass diese in engen Grenzen zulässig sind, hatte der EuGH vor kurzem entschieden.
Die Auswirkung des Urteils für die Urheberrechtspraxis dürfte daher nicht besonders groß sein. Die Frage, ob Plattformen für die auf ihnen hochgeladenen Inhalte verantwortlich sind, ist nämlich mittlerweile gesetzlich geregelt.
Für die Kläger*innen geht es noch weiter: Jetzt müssen die Vorinstanzen unter Berücksichtigung des BGH-Urteils entscheiden, ob ihnen der begehrte Schadensersatz zusteht.
Führen Upload-Filter zu Overblocking?
Unklar ist dagegen nach wie vor, ab wann genau die Verantwortung der Plattformen nach der neuen Rechtslage besteht und wie die Upload-Filter dabei wirken (dürfen). Diese Fragen hat auch der BGH nicht beantwortet.
Die Upload-Filter sind nach wie vor umstritten. Kritiker*innen befürchten, dass die automatisierten Systeme nur offenkundig illegale Inhalte identifizieren können. Unter bestimmten Bedingungen, etwa aufgrund gesetzlicher Schranken (wie zum Beispiel der Zitierfreiheit oder dem Pastiche), dürfen aber auch fremde Werke ohne Lizenz genutzt werden.
Die Gefahr bestehe, so die Kritik weiter, dass mehr gefiltert werde als rechtlich notwendig – es also zu „Overblocking“ komme. Das schränke die Kreativität der Nutzer*innen und die Meinungsfreiheit ein.
Verbraucherzentrale und GFF sammeln Fälle von Overblocking
Wie hoch die Gefahr von Overblocking wirklich ist und wie häufig es vorkommt, wollen auch die Verbraucherzentralen durch Marktbeobachtung herausfinden. Die Marktbeobachtung ist ein Instrument, mit dem die Verbraucherzentralen strukturelle Probleme analysieren. In diesem Falle durch Meldungen von Verbraucher*innen selbst: Diese können über ein Formular Blockierungen urheberrechtlich zulässiger Inhalte melden.
Die Nutzer*innen können angeben, auf welcher Plattform Inhalte gesperrt wurden, worum es dabei ging und ob weitere Maßnahmen wie Accountsperrungen von den Plattformen erfolgten. Wann die Ergebnisse ausgewertet werden, ist noch nicht bekannt.
Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) betreibt eine Sammelstelle für mutmaßliche Fälle von Overblocking. Nutzer*innen können ihre Beobachtungen und Erfahrungen zu Overblocking, untermauert beispielsweise durch Screenshots, der GFF per Email mitteilen. Es geht dabei beispielsweise um nutzergenerierte Inhalte durch Sampling, Pastiche oder Parodien. Die Einsendungen bilden die Grundlage, um eine sogenannte Verbandsklage einzureichen.
iRights.info informiert und erklärt rund um das Thema „Urheberrecht und Kreativität in der digitalen Welt“.
Wir sind auch in den Sozialen Medien zu finden: Folgen Sie uns auf Twitter, Facebook oder Telegram!
Was sagen Sie dazu?