Neues Archivgesetz: Die Akten bleiben geschlossen
Das Bundesarchiv ist das Gedächtnis der Bundesrepublik. Werden Akten des Bundes nicht mehr verwendet, müssen sie in der Regel dem Archiv angeboten werden. Dort können sie meist nach Ablauf einer 30-jährigen Sperrfrist eingesehen werden.
Mit der geplanten Neuregelung wird das Archivgesetz ausdrücklich auch elektronische Akten betreffen. Der Gesetzentwurf nennt hier die „Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Bundesarchivs in Zeiten des digitalen Wandels“ als Ziel. Doch zugleich soll es einige gravierende Sonderregeln geben, die den Zugang zu Informationen verschlechtern würden.
Geheimes soll für immer geheim bleiben können
Beschließt der Bundestag das Gesetz, über das es im Oktober im Kulturausschuss eine Anhörung gab, bekommt der Bundesnachrichtendienst (BND) freie Hand bei der Geheimhaltung seiner Akten über bisherige Sperrfristen hinaus. Der Grund: Der BND soll Akten nur noch dann ans Bundesarchiv übergeben müssen, wenn er selbst findet, dass „schutzwürdige Interessen“ dem nicht mehr entgegenstehen.
In der Praxis bedeutet das, dass der Geheimdienst selbst darüber entscheiden kann, unliebsame Akten auf ewig geheimzuhalten. Tabea Rößner, die Obfrau der Grünen im Kulturausschuss, kritisiert diesen Passus: „Alle öffentlichen Stellen müssen Akten an das Bundesarchiv abgeben, dies gilt auch für Nachrichtendienste. Es bestehen ausreichende Regelungen, um Unterlagen im Bundesarchiv zu schützen, die einer besonderen Geheimhaltung bedürfen.“
Tatsächlich müssen die Geheimdienste auch nach den bestehenden Regelungen im Informationsfreiheitsgesetz grundsätzlich keine Auskunft darüber geben, welche Informationen derzeit bei ihnen liegen. Doch die Sonderrechte der Dienste würden mit dem Gesetz auch auf ältere Akten ausgeweitet, die bisher im Archiv einsehbar waren.
Angefragte Akten würden wieder versperrt
Auch an anderer Stelle wartet eine Verschlechterung des Zugangs: Wird der Gesetzentwurf nicht mehr geändert, werden künftig die meisten Akten nach Übergabe an das Bundesarchiv einer Sperrfrist von 30 Jahren unterliegen. Bisher waren all jene Akten, die bereits nach dem Informationsfreiheitsgesetz zugänglich waren, auch im Archiv noch zugänglich. Das soll jetzt geändert werden.
Andrea Voßhoff, die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, kritisiert in einer Stellungnahme, dass damit nur noch jene Akten offen wären, die bereits nach dem Gesetz angefragt wurden. In der Konsequenz müssten Bürger womöglich zehntausendfach Akten vor ihrer Übergabe ans Archiv anfragen, damit sie nicht wieder verschlossen werden. Das können weder das Archiv noch die Ministerien wollen.
Aktenprivatisierung bleibt folgenlos
Neue Regelungsansätze fehlen im Gesetzentwurf ebenfalls weitgehend. So bietet er keine Lösung gegen die weit verbreitete Praxis der Privatisierung von Akten. Davon betroffen sind in erster Linie Akten der Bundeskanzler: Statt im Bundesarchiv landen sie oftmals bei politischen Stiftungen und bleiben der Öffentlichkeit verborgen. Diese Privatisierung bleibt bislang ohne Sanktionen, auch die neue Regelung würde dies nicht ändern. Hier gibt es bislang keine Pflicht für politische Stiftungen, die Unterlagen dem Bundesarchiv anzubieten.
In der Anhörung vor dem Kulturausschuss brachte Eric Steinhauer, Bibliotheksjurist und Archivrechtler, zudem den Vorschlag ein, die Schutzfrist zur Zugänglichkeit der Akten nach dem Vorbild mehrerer Bundesländer von dreißig Jahren auf zehn zu verkürzen. Ein weiteres Problem: Nach dem Gesetzentwurf dürfte nicht das Archiv allein über eine Verkürzung der Frist im Einzelfall entscheiden, sondern nur zusammen mit der abzugebenden Behörde – ein unnötig hoher Verwaltungsaufwand.
Hürden beim Informationszugang bleiben
Alles in allem: Die derzeitigen Probleme beim Zugang zu Archivmaterial würden durch das vorgelegte Gesetz nicht gelöst, sondern sogar verschärft werden. Zwei Beispiele: So hat der BND sich lange geweigert, Unterlagen herauszugeben, die zeigten, dass er lange vor dem israelischen Geheimdienst vom Aufenthaltsort Adolf Eichmanns wusste. Zeitgeschichtlich wichtige Dokumente zur Verwicklung von Springer-Redakteuren in Spionagetätigkeiten oder Atomdeals in der Regierungszeit Adenauers mit Israel in den 1960er-Jahren hält er immer noch geheim – nach der neuen Regelung vielleicht für immer.
Ob das Bundesarchivrecht mit der neuen Regelung tatsächlich nutzerfreundlicher wird, wie die Bundesregierung es verspricht, ist stark zu bezweifeln. Bis der Bundestag Ende November über den Entwurf abstimmt, sollten die größten Schnitzer noch ausgewetzt werden.
1 Kommentar
1 hmh. am 29. Juli, 2017 um 01:49
Schlimm genug, was hier geschildert wird, es ist aber noch viel schlimmer, denn dazu kommt auch noch die Tatsache, daß seit dem hitlerschen Verbot der Frakturschrift, die als “Schwabacher Judenlettern” diffamiert wurden, und dem Verbot der Deutschen Schreibschrift (beides im Ende 1940), sowieso kaum noch ein Deutscher alte Dokumente lesen kann und will.
Man muß den Informationszugang also nicht einmal mehr beschneiden, man nimmt dem Volk viel einfacher gleich die Neugier auf seine eigene Geschichte, deren Grundlagen und Quellen ihm allenfalls noch Kopfweh, aber keine Erlebnisse mehr beschert.
Deutschland wurde so wie kaum ein anderes Volk von seiner Geschichte abgeschnitten, junge Leute können deshalb heute nicht einmal mehr die handschriftlichen Liebesbriefe der Großeltern lesen, die sie vielleicht noch einmal auf dem Dachboden finden werden.
Und es kommt noch schlimmer: Wichtige Dokumente werden heute ja nicht einmal mehr aufbewahrt. So werden zum Beispiel in Bayern alle Urkunden und Dokumente, die im Zuge von Einbürgerungen vorgelegt wurden, nach 5 Jahren vernichtet, wie ich mir gerade vorige Woche von einer Landrätin sagen ließ.
Tausende von Heimatforschern schreiben in Deutschland hochinteressante Heimatkunde durch genau die Auswertung derartiger Urkunden aus früheren Jahrhunderten. Wir aber, und die Neubürger sowieso, werden ein geschichtsloser Haufen sein, ohne Vergangenheit, also auch ohne Moral für die Zukunft. Das ist offenbar genau so gedacht im Murksel- und Maaslosstaat!
Was sagen Sie dazu?