Bildung und Wissenschaft nur mäßig begeistert über EU-Urheberrechtsentwurf

Foto: Jim Killock CC BY-SA 2.0
Mitte September präsentierte die EU-Kommission ihre Vorschläge für eine Reform des EU-Urheberrechts, die sich in die im Mai 2015 vorgestellte „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt“ fügen. Dazu liegen nun mehrere Entwürfe vor, vor allem derjenige für eine Richtlinie zum „Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ (PDF).
Weitere Entwürfe enthalten Regelungen zur Online-Weiterleitung von Radio- und Fernsehprogrammen (PDF) sowie eine Richtlinie (PDF) und eine Verordnung (PDF), um den WIPO-Vertrag von Marrakesch umzusetzen, der Blinden und Sehbehinderten besseren Zugang zu geschützten Werken ermöglicht.
Im Bereich Bildung und Wissenschaft plant die EU-Kommission vor allem zwei Schritte: eine Ausnahmeregelung für den digitalen und grenzüberschreitenden Unterricht, außerdem soll das Text- und Data Mining, die automatisierte Auswertung großer Datenmengen, urheberrechtlich geregelt werden. Weitere Regelungen sind für das Kulturgut in Bibliotheken, Archiven und Museen geplant, über die iRights.info an separater Stelle berichten wird.
Ausnahmen für „digitalen und grenzüberschreitenden Unterricht“
Die Kommission schlägt vor, dass die EU-Länder eine verpflichtende Ausnahmeregelung für Bildungseinrichtungen einführen, damit „geschützte Werke und sonstige Schutzgegenstände“ auch digital genutzt werden dürfen, sofern dies dem „alleinigen Zweck der Veranschaulichung im Unterricht“ dient (Artikel 4).
Diese digitale Nutzung muss dabei entweder in den Räumlichkeiten der Bildungseinrichtung stattfinden oder in einem geschlossenen Netz, etwa einem Intranet. Allerdings will die Kommission erlauben, diese Freiheit für Bildungseinrichtungen wieder einzuschränken. So sollen die Mitgliedstaaten festlegen können, dass die Nutzung auf Grundlage einer gesetzlichen Ausnahme nicht zulässig ist, wenn für die betreffenden Werke auf dem Markt angemessene Lizenzen leicht verfügbar sind.
Die europäische Urheberrechtsinitiative Communia kritisiert diesen geplanten Vorrang von Lizenzen vor einer gesetzlichen Ausnahme als „unglückliche Hintertür“ für Rechteinhaber. Somit könnten diese den Schulen und Hochschulen weiterhin separate Lizenzzahlungen auferlegen, die ihnen den Umgang mit digitalen Werken bislang schwer machten. Zudem würde die Beschränkung auf „Veranschaulichung in Klassenräumen“ und Intranets die Nutzung der Inhalte für andere moderne Lehrformen ausschließen, etwa offene Online-Kurse.
Für Länder, in denen das Lernen mit digitalen Plattformen und urheberrechtliche Ausnahmen für Bildungszwecke bereits weit entwickelt seien, wie etwa Estland, würde die geplante EU-Richtlinie sogar ein Rückschritt bedeuten, so Communia. Der europäische Journalistenverband IFJ/EFJ sowie der europäische Verlegerverband FEP begrüßen hingegen den vorgeschlagenen Vorrang von Lizenzen. Sie sehen in der Direktive ein klares Signal dafür, auch nicht-kommerzielle Nutzungen geschützter Werke in der Lehre als Zweitverwertungen zu sehen, für die Urheber und Rechteinhaber vergütet werden müssen.
Der Deutsche Bibliotheksverband (DBV) erkennt in dem Kommissionsvorschlag zwar einen erfreulichen Ansatz zu Verbesserungen in der Lehre. Wenn jedoch gleichzeitig jeder Verlag die Möglichkeit erhalte, durch einseitige Lizenzangebote die Verwendung in Lern- oder Forschergruppen faktisch zu verbieten, würde dies die beabsichtigte Wirkung ausbremsen, kritisiert der DBV.
In Deutschland, wo eine ähnliche Norm bereits in Kraft ist, wüssten zahlreiche Hochschulen nicht, wie sie praktisch sicherstellen sollen, ob es nicht bei irgendeinem Anbieter passende Lizenzangebote gibt. „Eine solche nicht praktikable Regelung ist sicher kein Vorbild für andere EU-Staaten“, erläutert Armin Talke, der Vorsitzende der Rechtskommission des Verbands. Zudem kritisiert der DBV am Kommissionsentwurf das Fehlen von Regelungen für die Fernleihe und die komplizierten Einzelabrechnungen mit Verwertungsgesellschaften.
Ausnahmen für „Text und Data Mining“
Unter Text- und Data-Mining versteht man das systematische Durchsuchen und Auswerten großer Datenmengen. Die EU-Kommission will zugunsten von Forschungseinrichtungen eine Urheberrechtsausnahme schaffen, die immer dann greift, wenn bereits rechtmäßiger Zugang zu Inhalten besteht (Artikel 3).
Auch hier sieht der Entwurf eine Einschränkung vor. So müsste es Rechteinhabern ermöglicht werden, den Zugriff auf ihre Netze und Datenbanken, in denen die Werke gespeichert sind, ausreichend zu sichern. Allerdings dürften entsprechende Sicherungsmaßnahmen – auf die sich Rechteinhaber und Forschungsorganisationen einigen sollen – nicht über das notwendige Maß hinausgehen.
Der Verlegerverband FEP bedauert, dass die Kommission hier eine gesetzliche Ausnahme schafft, statt der Lizenzierung Vorrang zu geben. Communia hingegen kritisiert, dass die Ausnahmeregelung für Forschungseinrichtungen im Umkehrschluss bedeute, dass andere Nutzerkreise, etwa Datenjournalisten, Lizenzen erwerben müssten.
Aus Sicht von Allied for Startups, einem internationalen Dachverband von Startups und ihren Vereinigungen, würde die geplante Regelung zudem auch moderne Gründerfirmen benachteiligen. Die Geschäftsideen heutiger Startups basierten oft auf Data-Mining und sie entwickelten sich im universitären Umfeld. Erfolg und Wachstum würde so behindert.
Kritik an den Regelungsvorschlägen zu Text- und Data-Mining übt auch das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft. Da es Rechteinhabern möglich sei, Maßnahmen zu ergreifen, wenn sie die „Sicherheit und Integrität“ ihrer Systeme bedroht sehen, könnten sie die Text- und Data-Mining-Ausnahme damit aushebeln, so Rainer Kuhlen, Sprecher des Aktionsbündnisses, in einer Stellungnahme (PDF).
Ähnliche Bedenken äußert Armin Talke vom DBV: „So könnte die Nutzung dieser Regelung schnell durch unüberprüfbare Behauptungen torpediert werden. Laut Rainer Kuhlen sei es zudem fraglich, ob Sicherheitsfragen über das Urheberrecht geregelt werden sollten. Nicht zuletzt führe die Aufforderung, dass sich Rechteinhaber und Data-Mining-Anwender über solche Maßnahmen verständigen sollen, zu langwierigen Verhandlungen.
Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Richtlinien und Verordnungen müssen mit dem EU-Parlament und dem EU-Rat abgestimmt werden. Im Zuge dieser Beratungen sind zahlreiche Änderungen und Anpassungen in den einzelnen Kapiteln und Absätzen der Gesetzesvorlage zu erwarten. Ein konkreter Zeitplan für die nächsten Verfahrensschritte liegt derzeit noch nicht vor.
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