„Bild TV“ übernimmt Inhalte von ARD und ZDF ohne Zustimmung – Debatte um CC-Lizenzen im öffentlichen Rundfunk
Der Privat-Sender „Bild TV“, der seit dem 22. August 2021 unter dem Dach des Axel-Springer-Konzerns sendet, hat am Abend der Bundestagswahl minutenlange Passagen aus dem Programm von ARD und ZDF übernommen.
Bild TV hatte vor allem Passagen aus der sogenannten „Elefantenrunde“ benutzt. In diesem bekannten Format diskutieren Parteichef*innen und Spitzenkandidat*innen nach der Wahl. Auch Grafiken mit den Prognosen und ein Interview mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil übernahm Bild TV direkt ins eigene Sendeprogramm.
Teilweise wurden dabei auch die Logos von ARD beziehungsweise ZDF vom Bild-Logo überblendet, wie der obige Screenshot des Journalisten Boris Rosenkranz zeigt (Quelle).
Bild TV stellte die Livesendungen von ARD und ZDF in einer Art Konferenz sogar zeitgleich nebeneinander: Die ersten Prognosen der Sender um 18 Uhr wurden, ähnlich wie bei einem spannenden Sportevent, per Countdown anmoderiert und dann live besprochen. Das zeigt dieses Video des kritischen Medienportals Übermedien:
„Elefantenrunde“ nicht zur Nachnutzung freigegeben
ARD und ZDF hatten die Übernahme von Bildmaterial allerdings nicht vorab erlaubt. Die öffentlich-rechtlichen Sender sollen nun rechtliche Schritte gegen den Privatsender prüfen, berichten etwa t-online.de und die Süddeutsche Zeitung.
Dass das Vorgehen von Bild TV auf Kritik stößt, liegt nicht zuletzt daran, dass der Axel Springer Verlag besonders vehement seine eigenen Urheberrechte durchsetzt, auch gerichtlich.
Zudem macht sich das Medienunternehmen seit Jahren dafür stark, dass Verlage ihre Rechte auch im Internet gegen die kostenlose Nutzung ihrer Angebote durchsetzen können sollen.
Öffentliches Geld, öffentliches Gut?
Seit einiger Zeit werden Stimmen laut, die fordern, dass es ohnehin mehr lizenzfreie Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender geben sollte. Dass gerade die ungefragte Übernahme von Bild TV der Anlass für diese Forderungen sind, hat natürlich eine gewisse Ironie.
Neu sind die Rufe nach mehr Offenheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aber nicht. Wikimedia e.V. fordert bereits seit Jahren mehr Creative-Commons-Lizenzen für Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Verein bekräftige die eigene Position aufgrund des aktuellen Anlasses.
Gemeinsam unter anderem mit dem Bundeselternrat, der Bundesschülerkonferenz, dem Deutschen Lehrerverband, dem Deutschem Bundesjugendring und der Klassik Stiftung Weimar hat Wikimedia unter dem Titel „Öffentliches Geld: Öffentliches Gut“ eine Kampagne gegründet.
Diese setzt sich dafür ein, dass Beiträge, deren Erstellung durch öffentliche Gelder finanziert werden, der Öffentlichkeit dauerhaft zur Verfügung stehen sollen. Dafür sollen, wo immer möglich, freie Lizenzen eingesetzt werden.
Kompliziert: Urheberrechte im Fernsehen
Der Großteil der Sendungen in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender steht unter dem Schutz des Urheberrechts – und darf ohne Erlaubnis nicht weiterverbreitet oder -verwendet werden.
Dadurch können die meisten Sendungen auch nicht zu Bildungszwecken, etwa als Anschauungsmaterial im Unterricht, genutzt werden. Das war in der Corona-Pandemie ein großes Problem, weil digitale Bildungsangebote stark an Bedeutung gewonnen hatten.
Das Urheberrecht macht es den Sendern aber auch nicht leicht: Denn selbst wenn sie Inhalte frei lizenzieren möchten, sind sie darauf angewiesen, dass die Urheber*innen oder Rechteinhaber*innen die Inhalte freigeben. Diese haben bei der Gestaltung der Lizenzen ein Mitspracherecht. Wikimedia macht sich deshalb auch für eine angemessene Vergütung stark, die Urheber*innen und Rechteinhaber*innen für freie Lizenzen erhalten sollen.
Öffentlich finanziert, aber nicht frei zugänglich
Gerade weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch öffentliche Rundfunkbeiträge, die jede*r einzelne zahlt, finanziert ist, leiten die Kritiker*innen der derzeitigen Situation auch eine Pflicht zu mehr Offenheit der Inhalte ab.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe einen Bildungs- und Grundversorgungsauftrag, so die Kritik weiter, der gerade in Pandemiezeiten sicherstellen müsse, dass Inhalte online genutzt werden können. Für Lehrende etwa bieten die Inhalte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen entscheidenden Vorteil: Die Inhalte sind professionell erstellt und fachlich geprüft.
Auch Leonhard Dobusch, der seit 2016 im ZDF-Fernsehrat den Bereich „Internet“ vertritt und regelmäßig bei netzpolitik.org dazu bloggt, fordert mehr Offenheit:
In der Tat stellt sich bei öffentlich-rechtlicher Berichterstattung über zeithistorische Ereignisse die Frage, warum diese Bilder nicht ganz allgemein unter freien Lizenzen bereitgestellt werden. Auf diese Weise könnten nämlich nicht nur Bild TV, sondern auch freie Medien, Wissensplattformen wie die Wikipedia oder auch Blogger:innen die Bilder nutzen.
Insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Eigenproduktionen sollten die Sender viel mehr auf freie Lizenzen setzen, so Dobusch weiter. Denn dort gäbe es keine Verwertungsketten, die miteinbezogen werden müssten. Zudem ließen sich dadurch viel mehr Menschen erreichen.
ÖRR und CC: Was geht? Und (wie) geht es weiter?
Dass diese Forderungen bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (abgekürzt: ÖRR) zunehmend Gehör finden, zeigen einige Entwicklungen: Das ZDF stellt bereits seit einigen Jahren ausgewählte Videos von Terra X unter CC-Lizenz zur Verfügung. Damit können auch Plattformen wie Wikipedia die Videos teilen. Und das mit großem Erfolg: Die Clips wurden über Wikipedia bereits mehr als 15 Millionen Mal angeklickt.
Auch die Tagesschau veröffentlicht einzelne Videos via Creative Commons. Diese erscheinen jedoch unter der besonders restriktiven CC BY-NC-ND 4.0-Lizenz. Diese Lizenz verbietet jegliche Bearbeitungen und verträgt sich weder mit den OER-Konventionen noch mit den Wikipedia-Vorgaben.
Seit dem Sommer 2021 stellt erstmals auch die Deutsche Welle einige Inhalte unter Creative-Commons-Lizenz zur Verfügung, die sich ebenfalls in den entsprechenden Wikipedia-Artikeln wiederfinden.
Es bleibt aber kompliziert: Auch wenn es darum geht, nachträglich CC-Lizenzen auf älteres und bereits veröffentlichtes Material anzuwenden. So öffnete im Herbst 2020 die ARD einige ihrer Archive, versah das Material allerdings größtenteils mit restriktiven Lizenzbedingungen, die eine Nachnutzung erschweren.
Was sagen Sie dazu?