Auf dem Weg zu einer entwicklungspolitischen Ausrichtung
Eine Entwicklungsagenda für die WIPO
„Der Schutz des geistigen Eigentums ist kein Selbstzweck“, heißt es in dem Vorschlag einer Entwicklungsagenda für die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO). „Es ist ein Instrument, dessen Einsatz in der Praxis sowohl Nutzen wie auch Kosten erzeugt, die jeweils vom Entwicklungsstand eines Landes abhängen.“ Diese Vor- und Nachteile, so fordern Argentinien und Brasilien mit Unterstützung von zwölf weiteren Entwicklungsländern in ihrem Grundsatzpapier sollen bei allen Aktivitäten der WIPO gegeneinander abgewogen werden – ob bei der Schaffung neuer internationaler Regelwerke, bei ihrer Durchsetzung oder bei den Entwicklungshilfemaßnahmen der Organisation.
Mehr noch: das gemeinsame Papier verweist auf die entwicklungspolitischen Potentiale, die die digitale Medienumwelt bietet und fordert die WIPO auf, die Möglichkeiten der offenen, kooperativen Erstellung von öffentlichen Gütern zu erkunden, wie sie sich an den Beispielen des Humangenomprojekts und der freien Software zeigen. Bestehende Verträge wie das WIPO-Urheberrechtsabkommen und derzeit verhandelte Verträge wie das Patentrechtsabkommen und das Abkommen zum Schutz von Rundfunkorganisationen sollen auf ihre entwicklungspolitische Verträglichkeit und Förderlichkeit hin überprüft werden. Darüber hinaus schlägt das Papier ein eigenständiges Abkommen für den Zugang zu Wissen und Technologie vor.
Als der Vorschlag der beiden lateinamerikanischen Länder für eine Entwicklungsagenda im Oktober 2004 von der WIPO Generalversammlung beschlossen wurde, glich das einer Revolution. Dabei verabschiedete die Generalversammlung nicht etwa die inhaltlichen Vorschläge selbst, sondern beschloss lediglich, sich auf zwischenstaatlichen Sondersitzungen näher mit den aufgeworfenen Fragen und Lösungsvorschlägen zu befassen. Doch allein, dass thematisiert werden soll, ob mögliche Einschränkungen von Schutzrechten sinnvoll für die Föderung von Kreativität und damit für kulturelle, soziale und wirtschaftliche Entwicklung sein können, ist in den marmornen Hallen des geistigen Eigentums unerhört und radikal. Die erste dieser Sitzungen hat nun vom 11. bis 13. April in Genf stattgefunden. Ziel ist es, bis zur kommenden Generalversammlung im September 2005 eine Beschlußvorlage für eine Strukturreform der WIPO zu erarbeiten.
USA: Entwicklungsagenda nicht nötig, eine Website reicht
Ob es soweit kommt oder doch alles beim Alten bleibt, ist jedoch noch offen. Die USA hatten im Vorfeld der Sitzung dem Vorschlag der Entwicklungsländer das Modell eines Partnerschaftsprogramms entgegen gestellt. Die Argumentation verlief folgendermaßen: Einerseits sei die WIPO keine Kernentwicklungsorganisation wie die UN Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) oder das UN Entwicklungshilfeprogramm (UNDP). Andererseits habe sie bereits eine „Entwicklungsagenda“. Aufgabe der WIPO sei der Schutz des geistigen Eigentums. Wo er gestärkt wird, das könne man an einer Fülle von Beispielen weltweit zeigen, folge wirtschaftliche Entwicklung, ob im kulturellen oder im Technologiesektor. Diese wiederum ziehe steigende Beschäftigung und damit Steuereinnahmen nach sich. Länder, in denen Rechte geschützt und durchgesetzt werden, zögen ferner ausländische Direktinvestition und Technologietransfers an.
Allein bei den so genannten technischen Hilfsdiensten, die vor allem juristische Beratung und Schulung für Beamte der für geistiges Eigentum zuständigen Behörden, Mitarbeiter von Verwertungsgesellschaften und bestimmter Wirtschaftskreise umfassen, sehen die USA Bedarf nach Steigerung der Effizienz. Hier gehe es in erster Linie darum, Überschneidungen mit Entwicklungshilfeaktivitäten andererer UN-Agenturen und damit Vergeudung von UN-Ressourcen zu vermeiden. Als Alternative zu einer Strukturreform schlugen die USA ein Partnerprogramm vor. Dabei handelt es sich um eine Website mit einer Datenbank, die als Kontaktbörse für Entwicklungshilfegeber und -nehmer fungiert, sowie eine Sammlung von Erfolgsgeschichten. Ein Partnerschaftsbüro soll die Ausstauschprozesse verwalten.
Auf der Agendasitzung stellten sich Länder wie Mexiko, Kolumbien, der Sudan, Singapur und Japan hinter den Vorschlag der USA. Gemeinsam mit den Organisationen von Rechteinhabern wie der British Copyright Council insistieren sie, dass die WIPO bereits eine Entwicklungsagenda habe. Der Auftrag der WIPO müsse daher nicht verändert werden. Gerade die ärmsten, am wenigsten entwickelten Länder seien reich an traditionellem Wissen, biologischen Ressourcen und Folklore, und diese könnten nur wirtschaftlich erschlossen werden, wenn sie den Schutz des geistigen Eigentums erhielten.
Mexiko, England, Australien und die Russische Föderation lehnten ausdrücklich die Schaffung neuer entwicklungspolitischer Gremien ab, obwohl das gar nicht gefordert war. Die Agenda zielt darauf, Entwicklungsaspekte gerade nicht in Ausschüsse abzuschieben, sondern in alle WIPO-Aktivitäten einfließen zu lassen.
Die deutsche Delegation meldete sich selbst nicht zu Wort. Im Namen der Gruppe B, zu der auch Deutschland gehört, betonte aber der italienische Sprecher die Beutung von geistigem Eigentum als Wirtschaftsfaktor. Einen Entwicklungshilfeauftrag habe die WIPO seit ihrer Gründung. Die Zusammenarbeit auf diesem Feld mit anderen UN-Agenturen könne verbessert werden. Handlungsbedarf sieht die Gruppe B ebenso wie die USA allein bei der Überprüfung der technischen Unterstützungsangebote der WIPO. Für die Europäische Gemeinschaft äußerte sich Luxemburg in die gleiche Richtung. Auftrag und tatsächliche Arbeit der WIPO seien ausgewogen. Verbesserungen seien bei der strategischen Entwicklungshilfe erforderlich. Dazu befürworte die EU die Vorschläge der USA.
Freunde der Entwicklung: klarer Auftrag, klare Leitlinien
Auch die „Gruppe der Freunde der Entwicklung“, also die 14 Unterstützer der ursprünglichen Entwicklungsagenda (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Kuba, die Dominikanische Republik, Ecuador, Ägypten, der Iran, Kenya, Peru, Sierra Leone, Südafrika, Tanzania und Venezuela), hatten im Vorfeld ein weiteres Papier vorgelegt, in dem sie vier Aspekte präzisierten.
Der erste betrifft das Mandat der WIPO. Die WIPO-Konvention von 1967, durch die die Organisation ins Leben gerufen wurde, nennt als ihren Auftrag, „den Schutz des geistigen Eigentums zu fördern“. Eine enge Auslegung dieses Mandats, so die „Freunde der Entwicklung“, sei immer wieder herangezogen worden, um zu verhindern, dass sich die WIPO mit Fragen von Wettbewerbsverstößen, Technologietransfer, Schranken und dem Schutz und der Förderung des gemeinfreien Wissens befasst. Dagegen wurde im Abkommen mit den Vereinten Nationen von 1974, das die WIPO zu einer spezialisierten Agentur innerhalb der UN-Familie machte, festgeschrieben, dass die Organisation „kreative geistige Aktivität“ fördern und den „Technologietransfer an Entwicklungsländer“ ermöglichen sollte, „um die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung voranzutreiben“. Dieser klare, umfassende UN-Auftrag werde häufig, so die „Freunde“, auf technische Hilfe reduziert, die vor allem darauf abzielt, die Empfängerländer in die Lage zu versetzen, gegen Urheberrechts- und Patentverstöße vorzugehen.
Die „Freunde“ schlagen daher vor, der WIPO unmissverständlich den Auftrag in die Konvention zu schreiben, eine Entwicklungsdimension in all ihren Aktivitäten zu berücksichtigen. Der „Ständige Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit in Bezug auf geistiges Eigentum“ (PCIPD) könne einen Teil der Aufgabe übernehmen, doch müsse verhindert werden, dass die anderen Foren ihre Entwicklungsfragen in diesen Ausschuss abgeschieben. Dass diese Befürchtung nicht unbegründet ist, haben die Erfahrungen mit dem Thema Biodiversität gezeigt: Seit der Etablierung eines Ausschusses für genetische Ressourcen, traditionelles Wissen und Folklore ist wenig Fortschritt zu sehen. Zur Überprüfung der Qualität der Arbeit der WIPO und ihres Sekretariats schlagen die Freunde ein unabhängiges Evaluationsbüro vor, das der Generalversammlung berichtet. Schließlich sollen auch Nichtregierungsorganisationen im öffentlichen Interesse regelmäßig als Berater an WIPO-Prozessen beteiligt werden.
Eine ausgewogenere Herangehensweise bei der Schaffung neuer internationaler Regelwerke ist der zweite Punkt, den die „Freunde der Entwicklung“ ausführten. Prinzipien und Richtlinien seien dafür erforderlich, wie sie beispielsweise in der Welthandelsorganisation (WTO) bereits zur Anwendung kommen. Dazu schlagen sie unter anderem eine Folgenabschätzung der Aktivitäten der WIPO vor. Ähnlich wie heute an vielen Stellen Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgeschrieben sind, sollte eine Verträglichkeitsprüfung für eine nachhaltige Entwicklung allen Verträgen und anderen Maßnahmen der WIPO vorangehen und sie begleiten. Dabei sollen nicht nur ökonomische, sondern auch kulturelle und soziale Auswirkungen einbezogen und ausdrücklich auch Alternativen innerhalb und jenseits des Systems des geistigen Eigentums berücksichtigt werden: „Die Schaffung neuer oder Ausweitung bestehender Rechte des geistigen Eigentums sollte nur beschlossen werden, wenn sie sich sozial und wirtschaftlich gegenüber Lösungen als überlegen erweisen, die auf der Schaffung von öffentlichen Gütern beruhen.“ Da geistiges Eigentum kein Wert an sich sei, dürfen ihm gegenüber die unantastbaren und universellen Menschenrechte unter keinen Umständen zurücktreten. In den Instrumenten der WIPO und bei ihrer Durchsetzung müssten Unterschiede im Entwicklungsstand, in der Kultur und andere spezifische Bedürfnisse eines Landes berücksichtigt werden. Die UNCTAD hat hierzu in ihrem „Sao Paulo Konsens“ das Konzept des „Policy Space“ etabliert – also Flexibilität und Raum für politische Entscheidungen, statt Einheitsregeln, die faktische Unterschiede ignorieren.
Dass bei der technischen Hilfe einiges im Argen liegt, haben alle Parteien auf dieser Sitzung anerkannt. Die Unterstützung durch die WIPO für Entwicklungs- und am wenigsten entwickelte Länder reicht von Internetanschlüssen für die zuständigen Behörden über Modellgesetze, die helfen sollen, WIPO-Verträge umzusetzen, bis zu juristischer Beratung und Schulung, die von WIPO-Mitarbeitern oder externen Beratern durchgeführt werden. Doch während es den entwickelten Ländern um mangelnde Effizienz, also ums Geld geht, sprechen die Entwicklungsländer von nationaler Souveränität. Ihre Regierungen würden verständlicherweise gern am Lenkrad ihrer Länder sitzen und nicht nur unterschreiben, was ihnen von der WIPO bezahlte privatwirtschaftliche Berater vorlegen.
Die „Freunde“ fordern daher auch für die Entwicklungshilfe der WIPO klare Prinzipien und Richtlinien, Transparenz und eine Überprüfung von Wirksamkeit und Folgen. Ihre Bestandsaufnahme zeichnet ein erschütterndes Bild. Durch eine sehr enge Auslegung von geistigem Eigentum werden Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Bildung, Innovations- und Wettbewerbspolitik und Zugang zu Wissen und Technologie unterschlagen. Häufig vergessen die WIPO-Berater, auf bestehende Flexibitäten wie verlängerte Umsetzungfristen für Entwicklungsländer oder Zwangslizenzen für lebenswichtige Medikamente hinzuweisen. Hilfsempfänger ist nur eine kleine Gruppe von Behördenvertretern und bestimmte Wirtschaftsgruppen. Modellgesetze werden ohne eine Analyse ihrer möglichen Auswirkungen auf Handel, Wirtschaft und Entwicklung präsentiert. Das Papier der „Freunde“ deutet gar an, dass technische Hilfe oft als Belohnung dafür erteilt werde, dass das Empfängerland bestimmte Positionen in WIPO-Verhandlungen einnimmt. Auch hier fordern sie, dass die technische Hilfe der WIPO in allen Aspekten öffentlich dokumentiert und einer regelmäßigen unabhängigen Evaluierung unterzogen werden müsse.
Der vierte Punkt in der Vorlage der „Freunde der Entwicklung“ betrifft den Technologietransfer. „Tatsächlich üben Rechteinhaber die Monopolrechte, die ihnen Patente und andere Formen von geistigem Eigentum gewähren, häufig auf eine Weise aus, die den erklärten Prinzipien und Zielen des Systems zuwiderlaufen, zu denen auch der Transfer und die Verbreitung von Technologie gehören.“ Auch hierzu macht das Papier eine Fülle konkreter Vorschläge. So sollten die Kriterien für Patentierbarkeit, die Schutzdauer und die Ausnahmen überprüft und öffentliche Werkzeuge ausgeweitet werden, wie die Offenlegung von Erfindungen in Patentanmeldungen sowie Zwangslizenzen. Steuerliche Anreize könnten den Technologietransfer, gemeinsame Forschung und Entwicklung und die Ausbildung von Wissenschaftlern, Technikern und Managern aus Entwicklungsländern fördern. Als großen Fortschritt sähen es die „Freunde der Entwicklung“, wenn die Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung offen zugänglich publiziert würde.
Entwicklungsländer nehmen Benachteiligung nicht länger hin
Die überwiegende Mehrheit der Nationen, die auf der zwischenstaatlichen Sondersitzung das Wort ergriff, sprach der Entwicklungsagenda ihre volle Unterstützung zu. Die Delegierten von Argentinien und Brasilien betonten, dass die Vorschläge der USA und Englands die Entwicklungsproblematik unzulässig verkürzten und die angesprochenen Fragen als ständige Punkte auf die Tagesordnung der WIPO gehörten.
Indien, das sich noch nicht der „Gruppe der Freunde“ angeschlossen hat, lieferte in Genf gleichwohl eines der stärksten Plädoyers für eine Ausgestaltung der globalen Wissensordnung, die Entwicklung fördert und nicht hemmt. Der Beweggrund für den Schutz geistigen Eigentums sei die Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung durch die Ermutigung von Innovation und Kreativität. Das gesetzliche Monopol, das Rechteinhabern zugestanden wird, sei eine außergewöhnliche Abkehr vom allgemeinen Prinzip, dass Wettbewerbsmärkte der beste Garant für die Interessen der Gesellschaft sind. Der Beweggrund für die Ausnahme sei nicht, dass die Erzielung von Monopolprofiten durch den Innovator als solche gut sei für die Gesellschaft. Angemessen kontrolliert könne ein solches Monopol ein Anreiz für Innovation sein, die der Gesellschaft hinreichenden Nutzen bietet, um die unmittelbaren Verluste der Konsumenten auszugleichen, die sich aus einem Monopolmarkt ergeben. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Transaktionen zwischen stark asymmetrischen Partnern dürfe der Schwächere, also das Entwicklungsland, nicht gedrängt werden, in noch weitergehende Verpflichtungen einzuwilligen, als das TRIPS-Abkommen ihm ohnehin schon auferlegt. Genau das sei jedoch die Strategie der entwickelten Länder in der WIPO. „Die Botschaft der Entwicklungsagenda ist deutlich: Die Entwicklungsländer sind nicht länger bereit, diese Strategie oder die Fortsetzung des status quo zu akzeptieren“, so der indische Delegierte.
Andere Länder stellten sich nicht vollständig hinter die Entwicklungsagenda, unterstützen sie gleichwohl der Sache nach. So sagte der Vertreter von Pakistan, es gehe weder um das förmliche Mandat oder die politische Struktur der WIPO noch um die Effektivität ihrer technischen Entwicklungshilfe. Den Kern der Problematik stelle der politische Handlungsraum dar, den die internationalen Abkommen bieten, um den spezifischen Entwicklungsbedürfnisse eines Landes entgegenzukommen.
Essentielle Güter wie Medikamente, Lehrbücher und Software müssen, so Pakistan, zu Bedingungen verfügbar sein, die es denjenigen, die sie am dringendsten benötigen, erlauben sie zu benutzen. Auch der Zugang zu Technologie, der es einem Land erlaubt Innovationen hervorzubringen und zu konkurrieren, darf nicht durch eine Ausweitung der Geltung und Dauer von Patenten, durch restriktive Lizenzierung, unzulängliche Offenlegung der Patentansprüche und die wettbewerbsfeindlichen Auswirkungen von Patentpools behindert werden. Entwicklungsländer, so der pakistanische Delegierte, würden nicht nur vom Wissen der entwickelten Welt ausgeschlossen, sondern zusätzlich zum Opfer des Raubbaus an traditionellem Wissen, an den biologischen Ressourcen und der Folklore der ökonomisch armen, aber kulturell reichen Länder. Hier seien Regelungen erforderlich, die sicherstellen, dass nicht nur eine Seite von der Verwertung profitiert.
NGOs: Zwangslizenzen, Schrankenfreiheiten und kein DRM
Nach zwei Tagen von Äußerungen der nationalen Delegationen und der zwischenstaatlichen Organisationen kamen auch die NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, zu Wort. 41 von ihnen waren vertreten. Dazu zählten auch Industrieverbände der Musik- und Filmindustrie oder die deutsche Patentanwaltskammer. Sie schlossen sich in ihren Äußerungen der Position der USA an.
Auf Seiten des öffentlichen Interesses sind traditionell die Bibliotheksverbände, die Weltblindenunion und die Nothilfeorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ vertreten. Eine Reihe weiterer NGOs aus den Bereichen Bürgerrechte, Verbraucherschutz und Entwicklungspolitik sind erst seit Kurzem in WIPO-Prozessen aktiv. NGOs ohne permanenten Beobachterstatus war zunächst der Zugang zu der Sitzung verwehrt worden. Eine Petition und die breite Unterstützung von Länderdelegierten führte jedoch dazu, dass ihnen eine ad hoc-Akkreditierung ermöglicht wurde.
Der zivilgesellschaftliche Flügel der NGOs präsentierte sich bereits am Dienstag in der Mittagspause mit einem Panel. Dort sprach unter anderem Ellen ‘t Hoen, Direktorin für Politikberatung und Forschung bei der Kampagne für lebenswichtige Medikamente von „Ärzte ohne Grenzen“. Sie wies darauf hin, dass aufgrund der Tatsache, dass Indien keine Patente auf Medikamente anerkannt hat, dort der Preis für HIV/AIDS-Medizin von 10.000 US-Dollar auf 300 US-Dollar pro Person und Jahr gesenkt werden konnte. Die Einschränkung des Schutzes von geistigem Eigentum rettet somit Leben. Als einen Durchbruch bezeichnete sie die Doha-Erklärung zum TRIPS-Abkommen und öffentlicher Gesundheit, die die Welthandelsorganisation WTO 2001 verabschiedet hat. Darin sei zum ersten Mal anerkannt worden, dass geistiges Eigentum ein Problem sein kann und der Zugang zu Medikamenten Vorrang haben müsse. Die WIPO, so ‘t Hoens zentrale Aussage, solle sich die Doha-Entwicklungsagenda zum Vorbild nehmen.
Der Bibliotheksverband „International Federation of Library Associations and Institutions“ (IFLA) erinnerte daran, dass Bibliotheken den Bürgern Zugang zu Information und Wissen bieten. Wenn geistige Eigentumsrechte nicht durch Ausnahmen und Rechte der Nutzer aufgewogen würden, stellten sie eine Barriere für weitere Kreativität und Entwicklung dar. Da diese Gefahr in Entwicklungsländern besonders groß sei, warnte IFLA diese davor, dem WIPO Urheberrechtsabkommen beizutreten: „Die Spaltung zwischen den digital Fortgeschrittenen und den digital Benachteiligten wächst. Die gegenwärtigen Urheberrechtsregeln fördern die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den entwickelten Ländern.“ IFLA warnt vor allem vor Freihandelsabkommen und bilateralen Verträgen, die von Entwicklungsländern verlangen, Urheberrechtsgesetze zu erlassen, die weit über die Anforderungen in UN-Abkommen hinausgehen.
Die Electronic Fontier Foundation (EFF) befasste sich in ihrer Stellungnahme wie andere NGOs mit den technischen Maßnahmen zum Urheberrechtsschutz, für die das WIPO-Urheberrechtsabkommen von 1996 einen besonderen Schutz vorschreibt. Diese Systeme zum digitalen Rechtemanagement (DRM) hätten sich in der entwickelten Welt als unwirksam erwiesen, Urheberrechte zu schützen. Trotzdem hätten sie den Konsumenten, der wissenschaftlichen Forschung, der Redefreiheit, dem Wettbewerb und der technischen Innovation erheblichen Schaden zugefügt. Umgehungsverbote für DRM-Systeme in Entwicklungsländern würden den Zugang zu Wissen noch weiter einschränken, indem sie Technologietransfer und den Einsatz von freier Software blockieren und Schrankenfreiheiten ausschalten.
Der TransAtlantic Consumer Dialgoue (TACD) hatte schon im September 2004 eine Konferenz über die Zukunft der WIPO organisiert. In einer gemeinsamen Stellungnahme mit Consumers International (CI) unterstützte TACD den Vorschlag eines Abkommens für den Zugang zu Wissen und empfahl den ständigen WIPO-Ausschüssen für Patente und für Urheberrecht die Elemente eines solchen Abkommens zu diskutieren. Obligatorische Schranken und Ausnahmen von Patent- und Urheberrechten, öffentlich zugängliche Archive für öffentlich geförderte Forschung und eine Beschaffungspolitik der öffentlichen Hand, die freie Software und offene Schnittstellen fördert, gehörten laut TACD zu den wichtigen Themen.
Nach drei Tagen Plenarvorträgen und intensiven Beratungen fand die Sitzung am Mittwochabend ein langwieriges Ende. Der anderthalbseitige Abschlussbericht des Vorsitzenden enthielt kaum mehr als die Feststellung, dass der Vorschlag einer Entwicklungsagenda diskutiert wurde und dass Bedarf besteht, die Diskussionen fortzusetzen. Bei der Frage, ob es noch eine, zwei oder keine weitere Sitzung zu diesem Thema geben solle, schieden sich erneut die Geister. Das Lager um die USA hatte schon die erste Sitzung für überflüssig gehalten. Zwei Stunden verhandelten die Sprecher der regionalen Blöcke und das Präsidium hinter verschlossenen Türen, bevor eine neue Fassung des Abschlussberichts verteilt wurde. Demnach wird es zwei weitere Sitzungen geben, am 20.-22. Juni und im Juli 2005. Ziel soll es sein, implementierbare Formulierungen zu finden, die in eine Beschlussvorlage an die Generalversammlung im Herbst münden sollen.
Über dieser schwierigen Entscheidung wäre beinahe die Frage vergessen worden, ob die ad hoc-Akkreditierung der nicht-permanenten NGOs nur für diese oder auch für die nächsten beiden Sitzungen gelten sollen. Der Vorsitzende wollte diese Frage bereits vertagen, als ein beherzter Vorschlag, vier Wörter im Abschlussbericht zu streichen, zu einer schnellen Antwort führte. Die NGOs werden auch bei den nächsten Malen wieder dabei sein.
Als sich die noch verbliebenen Teilnehmer müde und hungrig zum Ausgang begaben, sagte der Delegierte einer südpazifischen Inselnation zu einigen Zivilgesellschaftsvertretern, dass er dankbar für ihre Anwesenheit sei. Ohne sie wären wichtige Aspekte in diesem Forum ungesagt geblieben, die die Länderdelegierten nicht aussprechen können.
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