Artworks und Adaptionen
Der Mann im Anzug stand wirklich in Flammen. Es war ein Stuntman, der im Hof eines Hollywoodstudios einem anderen Anzugträger die Hand gab, während er lichterloh brannte. So hatten Storm Thorgerson und Audrey Powell dieses Motiv konzipiert. Und es ist heute weltberühmt als Coverfoto des Longplayers „Wish You Were Here“, den die britische Band Pink Floyd 1975 veröffentlichte.
Inspiration für diese und weitere Fotoinszenierungen bekamen Thorgerson und Powell, die beiden Gründer des Londoner Designstudios Hipgnosis, oft von Pink Floyd selbst. Mehr noch: Die Pink Floyd-Mitbegründer Roger Waters und David Gilmour kannten Thorgerson und Powell aus gemeinsamen Schulzeiten in Cambridge.
Im Fall des Wish You Were Here-Covers ging die Visualisierung von den beiden Album-Songs Welcome to the Machine und Have a Cigar aus. Sie handelten davon, dass Plattenfirmen zu Maschinerien wurden, in denen auf’s Geld fixierte Manager Musiker ignorant behandelten.
Von 1968, dem Gründungsjahr von Hipgnosis, bis 1985 produzierte das Studio praktisch am Fließband ihre Hingucker, etwa für Genesis, 10cc, Wishbone Ash, Alan Parsons, Bad Company, AC/DC und viele, viele andere. Zahlreiche Cover sind zu Popikonen geworden, ob nun das Prisma vor schwarzem Hintergrund von „Dark Side of The Moon“, das halbzerstörte Gesicht von Peter Gabriels dritter Solo-LP oder das Kaugummi-Cover der Scorpions, um nur drei Beispiele zu nennen.
Unzählige ihrer stets aufwendigen und präzisen Fotoinszenierungen sind bis heute im Gedächtnis geblieben, zumindest bei Musikkennerinnen und Liebhabern von Cover-Artworks.
Sehenswerte Ausstellung zeugt von einer vergangenen Ära
Einblick in das umfangreiche Schaffen, den scheinbar nie versiegenden Einfallsreichtum und die Arbeitsweise von Hipgnosis bietet eine sehenswerte Ausstellung, die noch bis Ende Oktober in Berlin zu sehen ist. Sie ist Teil des europäischen Monats der Fotografie („Daring to Dream“ in der Browse Gallery, Infos dazu am Ende dieses Artikels). [Update, 22.10.: Verlängert bis 11.11.]
Sie erzählt von einer Ära, als Coverdesigner noch viel Platz bekamen – denn ein Plattencover war mindestens 32 mal 32 Zentimeter groß, bei Klappcovern und gestalteten Innentaschen kamen noch einige Flächen mehr hinzu. Aber noch wichtiger war, dass ein Cover Kunst sein durfte und sollte.
So künstlerisch verblüffend bis rätselhaft die oft surrealen, abstrakten, unwirklichen Hipgnosis-Motive auch waren – sie entstanden seinerzeit vollständig analog. Da mussten die Models in echtem Wüstensand als Freistilschwimmer agieren, die Musiker neben echten Schweinehälften im echten Kühlhaus an echten Fleischerhaken hängen oder Dutzende Akteure sich in einem Raum kunstvoll mit Telefonhörerschnüren verheddern.
Neue Konzepte für die Covergestaltung
Die Bildbearbeitung erfolgte mit Skalpellen, Schablonen, Retuschierstiften und anderen manuellen Eingriffen, auch während der lichttechnisch-chemischen Entwicklungsprozesse der Fotos. So experimentierten sie für das erwähnte Peter-Gabriel-Cover mit Polaroids, die sie mechanisch manipulierten, um den Fließeffekt zu erzeugen.
Powell, Thorgerson und das über die Jahre stetig angewachsene Team von Hipgnosis waren sowohl handwerklich-technisch als auch konzeptionell-künstlerisch innovativ. „Als wir unsere ersten Cover-Jobs machten, waren auf den Alben in aller Regel die Musiker der Band zu sehen, dazu Bandname und Albumtitel. Das machten wir ganz anders und setzten allein auf die Kraft unserer Idee und der Fotogestaltung“, erzählt Audrey Powell.
Tatsächlich kommen vor allem viele Pink Floyd- und Led Zeppelin-Cover ohne Schrift aus. Die Informationen zum Werk finden sich meist in den Innencovern. Das war aus Marketingsicht gewagt – insbesondere weil Popmusik in den 1970er Jahren dabei war, zu einem weltweit millionenfach gefragten Industrieprodukt zu werden.
Doch nicht nur das: Hipgnosis markierten ihr Copyright auf das Artwork des Tonträgers direkt neben den üblichen Credits für Komponisten, Texter, Musiker, Produzenten – auch das eher neu zur damaligen Zeit. Angesichts der aufwendig inszenierten, penibel bearbeiteten und mitunter variantenreich produzierten Verpackungen völlig zu recht.
Nachahmungen ehren die Künstler
Die künstlerisch wie materialtechnisch oft sehr anspruchsvolle Gestaltung hatte einen weiteren Vorteil: Sie war – wenn überhaupt – nur sehr schwer zu kopieren oder selbst zu machen. Somit konnten Musikliebhaber Raubdrucke oder Plagiate schnell als solche erkennen.
Auch damals agierten Bootlegger und Raubdrucker illegal und bekamen anwaltlichen Ärger. Allerdings sah Aubrey Powell das eher entspannt: „Es gab schon immer welche, die Poster oder Postkarten oder sowas produzierten, auf denen unsere Motive eingesetzt, abgewandelt, nachgeahmt wurden, aber was sollte man damals – und was soll man da heute schon groß unternehmen? Sie verfolgen?“
Das sei aufwendig und lästig und hätte meist wenig Zweck, so Powell. Dann kämen neue nach, und gerade heutzutage, passiere es doch sowieso täglich tausendfach – dank Internet und digitaler Werkzeuge. So gut wie alles werde digital gekapert, ohne nach Nutzerrechten zu fragen, ständig entstünden visuellen Remixe und Mashups, komme es zu Aneignungen, die aber meist keine großen kommerziellen Dimensionen erreichten und daher wenig anrichteten.
Es gebe allerdings Grenzen: „Sollte jemand unsere Werke für sich beanspruchen, bei einer Ausstellung etwa oder in einem Buch, oder fälschlich behaupten, etwas wäre ihm von uns zur Verfügung gestellt, dann sage ich schon mal meinen Anwälten Bescheid.“
Doch von Remixen und Adaptionen fühle er sich prinzipiell eher geehrt oder geschmeichelt: „Wenn unsere Arbeiten, die wir immerhin vor 40 oder sogar 50 Jahren schufen, das Interesse heutiger Designer, Künstler oder auch neuer Käuferschichten finden, die damit eben auch interaktiver umgehen, weil ihnen die Werkzeuge dafür zur Verfügung stehen – wenn also unsere Werke noch immer zu Nachahmungen oder Variationen inspirieren, dann ist das doch vor allem bemerkenswert.“
Webseite sammelt Originale und Adaptionen
Auf der Webseite Hipgnosis Covers, die das Gesamtwerk dokumentiert, sind zahlreiche Adaptionen zu sehen. Wohl ganz bewusst, denn Powell, der als künstlerischer Nachlassverwalter der Agentur nicht nur die Webseite, sondern auch Bücher, die Ausstellung und auch Merchandising zu Hipgnosis überwacht, zeigt damit, wie einflussreich die Fotokunst und die Cover-Artworks von Hipgnosis seit Jahrzehnten sind.
Die von John Colton und Emily Smeaton sorgfältig kuratierte Ausstellung macht deutlich, wie anders die Popmusikbranche damals aufgestellt war, wie großzügig sie gegenüber Musikern und Designer einst sein konnte. In der Musikindustrie agierten in den 1970ern noch einige Musikbesessene, die Talente förderten, aber eben auch Verkäufer, die weltweiten Vertrieb aufbauten. Für beides investierten die großen Firmen in Studiotechnik und extravagante Lebensstile, aber eben auch in Artwork.
Dauerhaftes Revival
Die stets perfektionistisch anmutenden Fotos von gewollt unwirklichen Situationen funktionieren bis heute heute – warum eigentlich? „Weil eine gute Idee eine gute Idee ist“, wiederholt Powell das damals firmeneigene Mantra.
Dazu käme, dass er und Thorgerson und viele Mitstreiter im Geist der 1968er agierten: Rebellisch, mit unbedingtem Willen, die Dinge neu und anders zu machen, auch und gerade in der Kunst. „Die Siebziger waren die große und beste Zeit für Cover-Artworks. Ich bin bis heute sehr dankbar, vor allem den Bands, aber auch einigen Managern, dass wir dies alles so machen konnten.“
Trotz dieses andauernden Revivals für die Fotokunst von Hipgnosis ist Powell mehrheitlich im hier und jetzt tätig. Als er Anfang der Achtziger genug von Albumcovern hatte, widmete er sich mit seiner neu gegründeten Filmproduktionsfirma sowohl Videoclips für Bands als auch Werbespots, später kamen auch TV-Dokumentationen dazu.
Die Popbranche meldete sich Anfang der 1990er in Person von Paul McCartney wieder bei ihm: Der Ex-Beatle wollte, dass Powell maximal aufwendige Projektionstechnik und bestaunenswerte Visuals auf seine Bühne bringt. Seitdem beschäftigt er sich auch mit riesigen LED-Wänden, experimentiert mit 3D-Visualisierungen und Augmented Reality. Vermutlich die zeitgemäße Fortsetzung des guten, alten Plattencovers.
Daring to Dream. 50 Jahre Hipgnosis. Album Cover Art und Fotodesign von Aubrey Powell und Storm Thorgerson. Ausstellung im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie, kuratiert von John Colton und Emily Smeaton, in Zusammenarbeit mit Aubrey Powell, präsentiert von der Browse Gallery Berlin.
Ausstellungsdauer: 30.9. – 28.10.2018 [Update, 22.10.: Verlängert bis 11.11.]
Öffnungszeiten: Die – So, 11:00 – 20:00 Uhr
Ort: Bergmannstr. 5, 10961 Berlin
2 Kommentare
1 Oliver am 29. Oktober, 2018 um 14:04
Hallo Henry, sehr lesenswerter Artikel. Viele der Cover habe ich aus meiner Jugend wieder erkannt (Baujahr 1964). Ich duze dich, weil wir uns bei der Fortbildung in Bovenden-Eddigehausen kennen gelernt haben.
Kleiner Hinweis: im zweiten Absatz des Artikels ist der Albumname nicht korrekt wiedergegeben, es fehlt “here” – also “Wish you were here”.
Schade, dass ich nicht in Berlin wohne, die Ausstellung hätte ich sicher besucht…
Gruß! Oliver
2 Henry Steinhau am 29. Oktober, 2018 um 14:43
@Oliver: Hallo Oliver, vielen Dank für den Hinweis (und erst recht für das Lob). Ich habe den Fehler sogleich behoben.
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