Archivgebühren: Was gemeinfrei ist, muss gemeinfrei bleiben

Foto: DRs Kulturarvsprojekt, Video tape archive storage, CC BY-SA
In öffentlichen Archiven werden umfangreiche Bestände verwahrt. Schriftstücke, Akten und andere Dokumente (Archivalien), die Zeugnis geben über die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, religiöse und kulturelle Entwicklung unseres Landes. Dabei erweist sich das Urheberrecht häufig als großes Hindernis für die Digitalisierung und die Präsentation dieser Bestände im Internet. Es ist dringend geboten, die rechtlichen Rahmenbedingungen für solche Gedächtnisinstitutionen zu ändern, wie es auch führende Vertreter der Einrichtungen zusammen mit renommierten Urheberrechtlern in der „Hamburger Note“ angemahnt haben.
Derartige Probleme sollten jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass das Urheberrecht es vielfach gar nicht behindert, die Archivalien zu nutzen, da die Objekte überhaupt nicht urheberrechtlich geschützt sind. Es sind häufig die Archive selbst, die die Nutzung gemeinfreier Werke behindern. Sie sind nicht nur Opfer der rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern vielfach auch Täter.
Das gilt vor allem, wenn sie Nutzungsbedingungen erlassen und dabei ihren – vermeintlichen – vertraglichen Gestaltungsspielraum zu Lasten der Nutzer missbrauchen. Wenn Archive darin einschränken wollen, wie gemeinfreie Werke genutzt werden können, widerspricht das sowohl ihrem öffentlichen Auftrag als auch gesetzlichen Wertungen.
1. Lizenzgebühren, damit Erlaubtes erlaubt wird?
Viele Archivalien sind gemeinfrei. Sei es, dass sie nicht urheberrechtlich geschützt sind wie etwa gewöhnliche Geschäftspost. Sei es, dass die Schutzfrist abgelaufen ist. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass urheberrechtlicher Schutz nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist – ein ausnahmsweise einem Kreativen zugestandener Monopolschutz auf Zeit.
Trotzdem verlangen viele Archive Gebühren für die Nutzung gemeinfreier Werke. Bei dieser Nutzungsgebühr handelt es sich nicht um eine „Lizenzgebühr“ – zumindest nicht in dem in Deutschland gebräuchlichen Verständnis des Begriffs. Eine Lizenz ist ganz allgemein eine Erlaubnis, Dinge zu tun, die ohne diese Erlaubnis verboten sind.
Speziell im Bereich des Urheberrechts wird der Begriff der Lizenz verwendet, wenn jemandem ein Nutzungsrecht an einem urheberrechtlich geschützten Werk eingeräumt wird. Dieses Nutzungsrecht ist erforderlich, denn die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers verboten, wenn keine andere gesetzliche Erlaubnis greift. Eine solche unerlaubte Verwertung ist nach Paragraf 106 des Urheberrechtsgesetzes sogar strafbar.
Erlaubte Nutzung wird eingeschränkt
Sind die Archivalien beziehungsweise deren digitale Abbilder gemeinfrei, bedarf es keiner Erlaubnis, damit sie genutzt werden dürfen. Ein Nutzungsvertrag, der die Nutzung auf bestimmte Zwecke beschränkt und darüber hinausgehende Nutzungen von weiteren Zahlungen abhängig macht, tut sogar das Gegenteil von dem, was eine Lizenz regelt. Ein solcher Vertrag erlaubt nicht etwas Verbotenes, sondern schränkt vertraglich etwas Erlaubtes ein – die unbeschränkte Nutzung gemeinfreier Werke.
Die Verwendung des Begriffs „Lizenz“ ist in solchen Fällen irreführend. Denn damit wird suggeriert, die „Erlaubnis“ der Nutzung sei ein besonderes Zugeständnis. Wenn Archive Dokumente gegen Entgelt bereitstellen oder digitalisieren, steht dieser vom Nutzer erhobenen Gebühr eine Leistung gegenüber. Anders bei einer Nutzungsgebühr für digitalisierte gemeinfreie Werke: Hier steht dem Entgelt keine Gegenleistung gegenüber. Gemeinfreie Werke dürfen ohnehin ohne Beschränkung genutzt werden.
Wer auf Dokumenten sitzt, ist noch kein Rechteinhaber
Allein die auf der Sachherrschaft beruhende Position der Archive bewirkt, dass sie die Bereitstellung von digitalisierten Dokumenten an Bedingungen knüpfen können, denen sich jeder unterwerfen muss, der sie nutzen will. Die Archive behaupten für sich dadurch eine Position, die einem Rechteinhaber vergleichbar ist, dem urheberrechtliche Nutzungsrechte zustehen.
Allerdings gilt diese vertragliche Verpflichtung nur gegenüber dem jeweiligen Nutzer – ein Dritter ist daran nicht gebunden. Damit werden Archivnutzer durch die Nutzungsbedingungen schlechter gestellt als Außenstehende, die später die – dann frei zugänglich gemachten – gemeinfreien Werke nutzen. Sobald die Archivalien für Dritte verfügbar sind, verliert ein Archiv denn auch die Möglichkeit, Nutzungsbedingungen vorzuschreiben.
Um es an einem Beispiel zu konkretisieren: Wenn Verlag A ein gemeinfreies, digitalisiertes Dokument erhält und sich vertraglich per Nutzungsbedingungen verpflichtet, es nur einmal, in einer Ausgabe eines Buches zu verwenden, dann gilt diese Verpflichtung nur gegenüber Verlag A. Ein Verlag B könnte das dann publizierte gemeinfreie Dokument frei nutzen, ohne dass das Archiv dies rechtlich verhindern könnte. Man spricht in diesem Zusammenhang von der „Relativität der Schuldverhältnisse“.
2. Sinn und Zweck öffentlicher Archive: Archive sind keine Wirtschaftsunternehmen
Expliziter Zweck vieler Archive ist es, ihre Bestände für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Daher erscheint es fraglich, ob der Zugang allein deshalb begrenzt werden darf, um damit ein bestimmtes Verwertungsmodell zu schützen und Einnahmen zu generieren. Dann wäre die öffentliche Finanzierung von Archiven eine Subventionierung von Wirtschaftsunternehmen und müsste ganz anderen Regelungen unterfallen. Nur weil öffentliche Archive nicht als Wirtschaftsunternehmen gesehen werden, ist ihre öffentliche Finanzierung in der jetzt üblichen Form überhaupt zulässig.
Die Satzungen der Archive sprechen meist von „Entgelten für die Benutzung ihrer Einrichtungen“. Der Begriff „Entgelt“ bezeichnet eine in einem Vertrag vereinbarte Geldzahlung für eine Gegenleistung. In diesem Sinne wird der Begriff auch im Gesetz verwendet, beispielsweise im Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Paragrafen 286 und 288 BGB). Das Besondere am Nutzungsentgelt für gemeinfreie digitalisierte Dokumente ist jedoch, dass dieser Geldleistung – wie bereits erwähnt – keine Gegenleistung gegenübersteht.
Wirtschaftsunternehmen sind in ihrer Preisgestaltung frei. Öffentliche Einrichtungen dagegen, deren Leistungen nicht ohnehin durch Steuermittel finanziert werden, sind in ihrer Gebührengestaltung grundsätzlich darauf beschränkt, sich den tatsächlich anfallenden Aufwand oder erbrachte Leistungen erstatten zu lassen.
3. Gemeinfreiheit und urheberrechtlicher Monopolschutz
Wenn öffentliche Archive Nutzungsbedingungen aufstellen, sind sie zudem verpflichtet, die objektive Rechtsordnung zu wahren; die Regeln des freien Marktes gelten nicht uneingeschränkt. Nicht alles, was faktisch möglich ist, ist zulässig, wenn es Grundgedanken der Rechtsordnung widerspricht.
Die urheberrechtliche Gemeinfreiheit ist Teil der Rechtsordnung. Gemeinfreiheit bedeutet allgemein, dass etwa Informationen, Zeichen, Inhalte, Erfindungen – und nach Ablauf der Rechte Werke, Lichtbilder und dergleichen – von jedermann frei genutzt werden dürfen, ohne dass es einer Zustimmung von Rechteinhabern oder ihren Rechtsnachfolgern bedarf. Wenn Werke gemeinfrei sind, dürfen sie frei kopiert, aufgeführt, online gestellt, bearbeitet werden.
Die Entscheidung, durch das Urheberrecht nur bestimmte Werke einem Monopolschutz zu unterwerfen und diesen auch zu befristen, ist eine Wertentscheidung des Gesetzgebers. Der überwiegende Teil unseres kulturellen Erbes ist gemeinfrei. Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu in seiner Entscheidung über Bearbeiter-Urheberrechte aus:
Das Urheberrechtsgesetz knüpft an die bisherige Rechtsentwicklung an, die nur befristete Rechte kennt. [… Die] im Urheberrechtsgesetz geregelten Befugnisse [sind] ihrem Wesen nach Rechte auf Zeit; sowohl die geistig-schöpferische als auch die wiederschaffende Leistung sind darauf angelegt, nach einiger Zeit frei zugänglich zu werden.
Urheberrecht durch die Hintertür verlängert
Es gilt ganz allgemein, dass Urheber- und andere Immaterialgüterrechte eine Ausnahme von der Gemeinfreiheit bilden, nicht umgekehrt. Daher ist jede Ausnahme von der Gemeinfreiheit begründungsbedürftig. Wenn Archive Nutzungsgebühren und Nutzungsbedingungen für gemeinfreie, digitalisierte Dokumente vorsehen, bewirken sie eine vertragliche Verlängerung von urheberrechtlichen Positionen.
Das Bestreben öffentlicher Institutionen, über Nutzungsbedingungen oder auf andere Weise ein verlängertes Urheberrecht zu schaffen, wird in der juristischen Fachliteratur – aber auch durch die Rechtsprechung – überwiegend abgelehnt. Der Bundesgerichtshof etwa führte zu entsprechenden Exklusivverträgen von Museen aus, dass
der Eigentümer des einzigen körperlichen Festlegungsexemplars eines gemeinfreien Kunstwerks durch Abschluß derartiger ‚Lizenzverträge‘ sich für einen unbegrenzten Zeitraum das Recht der gewerblichen Nutzung dieses Kunstwerkes durch Verbreitung von Kopien sichern könnte, deren Herstellung er nur von ihm ausgewählten Vertragspartnern gegen Zahlung einer ‚Lizenzgebühr‘ gestattet. Dies wäre aber unvereinbar mit dem Rechtsgedanken, der der zeitlichen Begrenzung des Urheberrechtsschutzes zugrunde liegt, wonach nach Ablauf der Schutzfrist das Werk als geistiges Gebilde der Allgemeinheit für jede Art der Nutzung frei zugänglich sein soll.
Allerdings wird vereinzelt aus dem Sacheigentum die Befugnis abgeleitet, auch über die Nutzung von Werken zu entscheiden. So argumentiert das Oberlandesgericht Stuttgart in einer umstrittenen Entscheidung, ein Museum dürfe alleine bestimmen, wer Fotos von Ausstellungsgegenständen veröffentlichen darf, wenn diese Gegenstände im Eigentum des Museums stehen. Die ungenehmigte und von der Hausordnung untersagte Verwertung der Fotografien verletze Eigentumsrechte.
Mit Blick auf die hier skizzierten Wertungen zur Befristung des Urheberrechts erscheint es jedoch zweifelhaft, ob diese Argumentation im weiteren Rechtsweg Bestand haben wird. Die Grenzen zwischen Sacheigentum und Urheberrecht werden hier in unzulässiger Weise verwischt.
4. Informationen öffentlicher Stellen: Der rechtliche Rahmen
Archive müssen zudem den rechtlichen Rahmen für Informationen des öffentlichen Sektors beachten. Die 2003 in Kraft getretene und 2013 novellierte Richtlinie über „Public Sector Information“ (PSI-Richtlinie) regelt die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen. Sie ist durch das Informationsweiterverwendungsgesetz (IWG) in deutsches Recht umgesetzt.
Kerngedanke der Regelungen ist es explizit, die kommerzielle Weiterverwendung von öffentlichen Informationen zu fördern. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass frei nutzbare öffentliche Information zu einer Stimulierung der Wirtschaft führt (Erwägungsgrund 5). Der damit verbundene volkswirtschaftliche Nutzen komme etwa im verbesserten Zugang und dem Erwerb von Kenntnissen (Erwägungsgrund 2) zum Ausdruck. Transparenz im öffentlichen Sektor diene zugleich dem „Recht auf Wissen“ als einem „Grundpfeiler der Demokratie“ (Erwägungsgrund 16). Ein solcher Nutzen überwiege regelmäßig andere Interessen.
Entgelt nur für tatsächliche Kosten
Informationen der öffentlichen Hand, die mit Steuermitteln erhoben wurden, sollen demnach grundsätzlich gebührenfrei weiterverwendet werden. Als Weiterverwendung gilt dabei „jede Nutzung von Informationen für kommerzielle und nicht-kommerzielle Zwecke, die über die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe hinausgeht“ (Paragraf 2 Nr. 3 IWG).
Die entsprechenden Stellen dürfen nur solche Kosten erheben, die tatsächlich bei der Reproduktion, dem Bereitstellen und Verbreiten von Dokumenten entstehen (Paragraf 5 Absatz 1 IWG). Seit der Novelle 2013 gilt die PSI-Richtlinie auch für Bibliotheken, Archive und Museen. Auch kulturelle Informationen sollen möglichst breit wiederverwendet werden, damit sich ihr wirtschaftliches Potenzial entfalten kann.
Bei Kultureinrichtungen sind nur solche Materialien, an denen sie Rechte des geistigen Eigentums besitzen, von diesem Grundsatz ausgenommen. Bei gemeinfreien Werken – hier bestehen keine Rechte des geistigen Eigentums – muss die Nutzung dagegen gestatten werden. Es greift der Grundsatz der Weiterverwendung (Paragraf 2a Satz 1 IWG).
Keine Pflicht für Archive, Gebühren zu erheben
Allerdings begründen Kulturinstitutionen häufig die erhobenen Gebühren für die Nutzung gemeinfreier Werke mit Verweis auf das IWG. Dabei argumentieren sie, dass Kulturinstitutionen ihre Gebühren nicht – wie sonst im Gesetz – auf die tatsächlich anfallenden Kosten deckeln müssen (Paragraf 5 Absatz 1–2 IWG sowie Artikel 6 PSI-Richtlinie). Für Archive gilt jedoch auch, dass
die Gesamteinnahmen aus der Bereitstellung von Informationen und der Gestattung ihrer Weiterverwendung in dem entsprechenden Abrechnungszeitraum die Kosten ihrer Erfassung, Erstellung, Reproduktion, Verbreitung, Bewahrung und der Rechteklärung zuzüglich einer angemessenen Gewinnspanne nicht übersteigen [dürfen] (Paragraf 5 Absatz 4 Satz 1 IWG, wortgleich Erwägungsgrund 23 PSI-Richtlinie 2013).
Diese Formulierung wird gelegentlich dahingehend interpretiert, dass Kulturinstitutionen Gebühren erheben müssten. Das ist falsch, denn es gibt europarechtlich keine Pflicht, Gebühren zu erheben. Vielmehr wird den Mitgliedstaaten das Recht zuerkannt, keine oder nur niedrigere, also unter den Kosten liegende Gebühren zu erheben (Erwägungsgrund 24 PSI-Richtlinie 2013).
Auch die EU-Kommission hat in begleitenden Leitlinien anerkannt, dass ein „Nulltarif-Ansatz“ nicht ausgeschlossen ist. Sie empfiehlt den Mitgliedstaaten, möglichst wenig Kosten in die Abrechnungsverfahren einzubeziehen und bei elektronisch übermittelten Dokumenten gänzlich auf Gebühren zu verzichten.
Richtig ist, dass der Spielraum von Kulturinstitutionen beim Berechnen der Gebührenhöhe erweitert wurde, um dem Bedürfnis nach eigenen Einnahmen und den hohen Kosten für die Bewahrung des kulturellen Erbes gerecht zu werden. Ob dieser Spielraum ausreicht, um auch für die Nutzung gemeinfreier Werke Gebühren zu verlangen, erscheint jedoch zweifelhaft.
Kein Ersatzurheberrecht durch Nutzungsgebühren
Wenn „Lizenzen“ auch dann verwendet werden dürften, wenn die öffentliche Stelle kein Schutzrecht hat, auf das sie sich berufen könnte, liefe das auf die Errichtung eines eigenen Lizenzregimes hinaus, das isoliert von urheberrechtlichen Wertungen die Weiterverwendung von Archivalien weiter einschränken würde.
Eine solche Auslegung würde dem Sinn und Zweck des Gesetzes und der Richtlinie zuwiderlaufen, welche die Nutzungsmöglichkeiten von öffentlichen Informationen erweitern sollten. Werden sie in eine Ermächtigungsgrundlage für ein eigenes Lizenzregime mit neuen Beschränkungen umgedeutet, würden die Regelungen das Gegenteil des Gewollten bewirken.
Auch die Leitlinien der EU-Kommission sprechen dafür, dass die Richtlinie kein „Ersatzurheberrecht“ für gemeinfreie Werke ermöglichen soll. Demnach sollten Archive für die Verbreitung bereits digitalisierter Dokumente keine Gebühren fordern. Für urheberrechtlich geschützte Materialien empfiehlt die Kommission, die weitere Nutzung mittels Creative-Commons-Lizenzen zu ermöglichen. Wenn aber die Nutzung urheberrechtlich geschützter Materialien freigegeben werden soll, so muss erst recht gelten, dass die Gemeinfreiheit, die keiner Freigabe bedarf, nicht eingeschränkt werden darf.
Gebühren als Umgehung der Gemeinfreiheit
Auch wenn Kultureinrichtungen in der Richtlinie ermächtigt werden, eine „angemessene Gewinnspanne“ in die Entgeltberechnung einzubeziehen, ergibt sich daraus nichts anderes. Denn diese Ermächtigung lässt sich auch nutzen, indem die Gebühren dort höher angesetzt werden, wo ihnen eine tatsächliche Leistung gegenübersteht. Dort lassen sich Kosten berücksichtigen, die über das Bereitstellen oder Digitalisieren hinausgehen und typischerweise in Archiven anfallen, etwa die Konservierung oder Rechteklärung.
Die „angemessene Gewinnspanne“ ermächtigt Archive aber nicht dazu, die Gemeinfreiheit zu umgehen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat es abgelehnt, dass öffentliche Institutionen ihre Kontrolle über den Zugang zu gemeinfreien Werken dazu nutzen, Einnahmen zu generieren. Im seinem Beschluss zur Beschwerde über den Schutz von DIN-Normen heißt es:
Die Gemeinfreiheit soll die allgemeine Kenntnisnahme der amtlichen Werke ermöglichen (§ 5 Abs. 2 UrhG). Diese kann auch durch überhöhte Preise erschwert werden. Der Ausschluß des urheberrechtlichen Schutzes soll verhindern, daß das Verbotsrecht des Urhebers als Druckmittel in Verhandlungen mit an der Nutzung des Werkes Interessierten eingesetzt werden kann. Die Möglichkeit des freien Nachdrucks soll dämpfend auf die Preise wirken.
Diese Argumentation hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 2013 in seiner Entscheidung zur „Juris“-Datenbank noch einmal unterstrichen. Dort wurde die Gemeinfreiheit im Zusammenhang mit der Informationsweiterverwendung diskutiert. Im Verfahren ging es darum, ob es einen Anspruch nach dem IWG auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts gibt, die als amtliche Werke nicht urheberrechtlich geschützt sind. Der Gerichtshof bejahte einen solchen Anspruch.
5. Politik sieht Verbote heute kritischer
Dass Kultureinrichtungen eigene Einnahmen erzielen sollen, war kulturpolitisch gewollt. Es entsprach dem Zeitgeist, dass die Kultusministerkonferenz 1992 eine Gebührenempfehlung für das Fotografieren in Museen und Archiven verabschiedete und davon ausging, dass bei gemeinfreien Werken ein „Nutzungsentgelt“ erhoben werden sollte.
Ein Gesetz war diese Empfehlung jedoch nie. Nicht erst angesichts der Neuorientierung auf europäischer Ebene durch die Regelungen zur Informationsweiterverwendung ist ihre Gültigkeit zweifelhaft, setzt sie sich doch über gesetzliche Wertungen hinweg. Heute werden Fotografieverbote in Museen und Archiven zunehmend kritisch gesehen – auch in den Bundesländern. Ein entsprechender Antrag der CDU im Landtag Nordrhein-Westfalen wurde fraktionsübergreifend begrüßt.
Dies gilt umso mehr, als das Ziel eigener Einnahmen auch gesetzeskonform erreicht werden kann. Mit der Bereitstellungsgebühr und der Digitalisierungsgebühr regeln Archive zwei Gebührentatbestände, denen jeweils eine Gegenleistung gegenübersteht. Beide Gebühren können sie entsprechend gestalten und gegebenenfalls erhöhen, um einen Einnahmeausfall durch den Verzicht auf ein Entgelt zu kompensieren.
6. Können Archive gegen Nutzer vorgehen?
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob Archive Ansprüche durchsetzen können, die daraus entstehen, dass Nutzer sich nicht an Vorgaben halten und ein gemeinfreies, digitalisiertes Dokument umfangreicher nutzen als vereinbart. Es ist zweifelhaft, ob ein solches Vorgehen gelingen wird. Zunächst einmal wird für „alle Streitigkeiten nach diesem Gesetz“ der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (Paragraf 7 IWG). Dazu wird man auch den Verstoß gegen Nutzungsbedingungen zählen müssen.
Das IWG hält allerdings für öffentliche Institutionen keine rechtliche Grundlage bereit, sich zur Rechtsdurchsetzung selbst einen Verwaltungsakt – etwa eine Untersagungsanordnung – zu schaffen, gegen den sein Adressat – der Nutzer – wiederum verwaltungsgerichtlich vorgehen könnte.
Wenn zudem die Bedingungen selbst unzulässig sind, weil sie im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen, kann auch ihre Einhaltung nicht gerichtlich erstritten werden. Ohnehin besteht gegen Dritte, die die gemeinfreien Werke verwenden, keinerlei rechtliche Handhabe, sie daran zu hindern.
7. Open Access auch für Archive zunehmend Bedingung
In der Berliner Erklärung von 2003 fand das Streben nach gebührenfreier Weiterverwendung von Wissen eine wirkmächtige Formulierung. Inzwischen haben sich 598 Forschungsinstitutionen, Bildungs- und Kultureinrichtungen weltweit der Erklärung angeschlossen (Stand 1. November 2017).
Anders als frühere Erklärungen wie diejenige der Budapester Open-Access-Initiative bezieht sie Gedächtnisinstitutionen als Verwalter des kulturellen Erbes ausdrücklich ein, um einen freien Zugang zu „Metadaten, Quellenmaterial, digitale[n] Darstellungen von Bild und Graphikmaterial“ zu ermöglichen. Das schließt das Recht ein, diese Inhalte „zu kopieren, zu nutzen, zu verbreiten, zu übertragen und öffentlich wiederzugeben“. Ebenso die Möglichkeit „Bearbeitungen davon zu erstellen und zu verbreiten, sofern die Urheberschaft korrekt angegeben wird.“
Auch bei öffentlich geförderten Digitalisierungsprojekten wird der offene Zugang zunehmend Bedingung. So heißt es in den Praxisregeln zur Digitalisierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Beispiel: „Bei der Digitalisierung gemeinfreien Materials wird die Markierung der Digitalisate als Public Domain erwartet.“
Ebenso haben viele Bundesländer die Digitalisierungsförderung mit Open-Access-Regelungen verknüpft. Auch in Archiven, die ohne solche Bedingungen gefördert werden oder institutionell finanziert sind, wird die Erschließung und Digitalisierung bestimmter Nachlässe oder Sammlungen häufig projektbezogen durch Drittmittel finanziert, die mit entsprechenden Open-Access-Vorgaben verbunden sind. Es würde einen großen Verwaltungsaufwand für ein Archiv mit sich bringen, wenn bei digitalisierten gemeinfreien Werke unterschieden werden müsste, ob sie durch Förderer ermöglicht wurde, die unbeschränkten Zugang fordern oder nicht.
Fazit
Die Nutzung gemeinfreier, digitalisierter Dokumente vertraglich zu beschränken und Nutzungsentgelte dafür zu erheben, gründet allein darin, dass die Archive die Verfügungsgewalt über die Archivalien haben. Diesen Entgelten stehen keine Gegenleistungen gegenüber. Im Gegenteil: Durch die Nutzungsbedingungen wird ein Archivnutzer schlechter gestellt als ein Dritter, der ein bereits veröffentlichtes Archivgut nutzt.
Solche Nutzungsbedingungen für die digitalen Abbilder gemeinfreier Werke stehen im Widerspruch zu einer Grundwertung des Urheberrechts, der zufolge Werke nach einer bestimmten Frist gemeinfrei werden sollen. Öffentliche Archive sind verpflichtet, gesetzliche Wertentscheidungen in ihrer Geschäftspolitik zu berücksichtigen.
Außerdem gehen die Gesetze zur Informationsweiterverwendung grundsätzlich davon aus, dass Informationen von Archiven möglichst frei genutzt werden dürfen. Nach den Empfehlungen der EU-Kommission sollen Archive und andere Kultureinrichtungen die digitalisierten Fassungen sogar dann zur freien Nutzung bereitstellen, wenn sie daran urheberrechtliche Rechte besitzen und freie Lizenzen vergeben können. Umso mehr sollten gemeinfreie, digitalisierte Archivalien ohne Einschränkungen zur Verfügung gestellt werden.
Das Preisgefüge kann dabei über Bereitstellungs- und Digitalisierungsgebühren so gestaltet werden, dass problematische Nutzungsgebühren wegfallen, aber keine Einnahmeeinbußen entstehen. Wo Archive Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen bei gemeinfreien Werken nachgehen wollen, sind zudem erhebliche Prozessrisiken sowie Zeit und Kosten damit verbunden. Die dafür notwendigen Ressourcen stehen in keinem Verhältnis zu den möglicherweise erreichbaren Gebühren.
Schließlich sehen sich öffentliche Fördergeber zunehmend dem Open-Access-Paradigma verpflichtet. Archive können Nutzungsentgelte für gemeinfreie Werke in der Folge nur dann erheben, wenn sie nicht den Förderbedingungen des Geldgebers widersprechen. Das Entgelt entsprechend zu differenzieren, würde zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen.
Daher sollten Archive sich darauf beschränken, nur für das Bereitstellen und Digitalisieren ein Entgelt zu erheben. Beiden Gebühren steht eine klare und nachvollziehbare Gegenleistung gegenüber. Bei gemeinfreien, bereits digitalisierten Archivalien dagegen sollten sie auf ein vertraglich vereinbartes Entgelt für die bloße Nutzung verzichten.
Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den Paul Klimpel auf dem Westfälischen Archivtag gehalten hat. In einer früheren Fassung ist er in Ausgabe 87/2017 der Fachzeitschrift Archivpflege Westfalen-Lippe erschienen. Lizenz dieses Artikels: CC BY.
2 Kommentare
1 Dr. Klaus Graf am 4. November, 2017 um 16:23
https://archivalia.hypotheses.org/68086
2 Sabine Pallaske am 7. November, 2017 um 15:39
die kostenfreie Nutzung von Archiven, Museen, Bibliotheken ist im UrhWissG und durch weitere Schranken geregelt.
Die Erwägungsgründe der PSI-Richtlinie sehen auch nicht vor, kommerziellen Unternehmen – zu denen auch Verlage zählen- ihre Gestehungskosten ( durch Archivierung, Erschliesseung, zur Verfügungstellung in technisch nutzbaren Formaten auf die Allgemeinheit abzuwälzen.
Wenn diese Vorleistung durch Archive, Museen und Bibliotheken erbracht wird, ist eine Inkostenstellung für kommerzielle Projekte ausserhalb der Schrankenregelung durchaus sinnvoll.
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