Anti-Open-Access-Strategie von US-Verlagen enthüllt
„Die Koalition sieht sich mit der entmutigenden Aufgabe konfrontiert“, heißt es dem Papier, „Unterstützung für…einen weiterhin kostenpflichtigen Zugang zu wissenschaftlichen Zeitschriften zu gewinnen.“ Das sei besonders schwierig, weil der „Gegner“ die „bessere Botschaft“ hätte: „Freie Informationen.“
Um das Ziel trotzdem zu erreichen, sollten die Verlage laut Dezenhall „die mit Open Access verbundenen Risiken“ betonen und die staatliche Unterstützung für Open Access mit „Zensur gleichsetzen“ und als „Gefahr für freie Unternehmen“ darstellen. Schließlich empfiehlt der PR-Spezialist, in führenden Medien „Meinungsartikel zu platzieren“ und „Anzeigen zur Kommunikation der Schlüsselargumente zu schalten“. Die Kosten für eine sechsmonatige Kampagne veranschlagt Dezenhall auf 300.000 bis 500.000 US-Dollar.
Verlage wollen lukratives Geschäftsmodell retten
Konfrontiert mit zunehmenden Forderungen nach offenem Zugang zu wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln (Open Access), die mit Steuermitteln finanziert wurden, hatte der US-Verlegerverband Anfang des Jahres den PR-Berater Eric Dezenhall angeheuert. Dezenhall soll den Verlagen dabei helfen, ihr lukratives Geschäftsmodell des hochpreisigen Verkaufs mit Steuern finanzierter Forschungsergebnisse abzusichern.
Ende August hatte AAP dann die PRISM – Partnership for Research Integrity in Science & Medicine gegründet. Über die Homepage von PRISM machen die AAP-Verlage Stimmung gegen Open Access. Die dabei zum Einsatz kommenden Formulierungen folgen erkennbar den Vorgaben von Dezenhall.
Auf der PRISM-Homepage heißt es unter anderem: „Es werden Regeln vorgeschlagen, nach denen sich die Regierung unzulässigerweise in den Prozess des wissenschaftlichen Publizierens einmischen soll, wodurch die Integrität wissenschaftlicher Forschung folgendermaßen gefährdet würde:
– der Peer-Review-Prozess würde untergraben, indem die Überlebensfähigkeit von nicht kommerziellen und kommerziellen Fachzeitschriften in Frage gestellt würde;
– wissenschaftlicher Zensur in Form von ausgewählten Zusätzen oder Auslassungen zu wissenschaftlichen Aufzeichnungen würde Tür und Tor geöffnet;
– wissenschaftliche Aufzeichnungen würden im Ergebnis von wechselnden Budget-Prioritäten und bürokratischer Einmischung Ungewissheiten ausgesetzt;
– durch die Einführung von Duplikationen und Ineffektivitäten würden unnötig Ressourcen gebunden, die anderweitig in die Forschung fließen würden.“
Gemeint sind damit Regeln wie die der National Institutes of Health (NIH), der größten Forschungsförderungseinrichtung in den USA. Die NIH hatten mit Wirkung vom 2. Mai 2005 bestimmt, dass von allen mit Mitteln der NIH zustande gekommenen Artikeln für Fachzeitschriften eine Kopie bei PubMed Central, der von den NIH getragenen Online-Bibliothek, zu hinterlegen sei.
Proteste von Wissenschaftlern
Die Aussagen der PRISM-Koalition stoßen unter Wissenschaftlern und Universitätsverlagen auf heftige Kritik. So hat der Verband der Forschungsbibliotheken einen öffentlichen Brief publiziert, in dem der PRISM-Koalition vorgeworfen wird, in ihren Äußerungen „regelmäßig das Bild über die Natur und die Substanz der Diskussion über Open Access und Public Access zu öffentlich geförderten Forschungsergebnissen zu verzerren“.
Auch einzelne Wissenschaftler haben sich gegen die AAP und PRISM gewandt. Der Evolutionsbiologe Jonathan A. Eisen hat Ende August in seinem Blog zum Boykott der PRISM-Initiative aufgerufen. Tom Wilson, Gründer und Herausgeber des renommierten International Journal of Information Management, hat sogar öffentlich seinen Rücktritt als Herausgeber erklärt. Zur Begründung führt er unter anderem an: „Insbesondere die Behauptung, dass Open Access den Peer-Review-Prozess gefährden würde, ist nichts anderes als eine riesige Lüge – eine Propaganda-Technik, die von Dr. Goebbels stammt – und ich kann es nicht länger zulassen, dass mein Name mit einem Verlag in Verbindung gebracht wird, der sich solcher Taktik bedient.“
Wilson kündigt in seinem Brief weitere Konsequenzen an: „Eine der Behauptungen auf der PRISM-Website lautet, dass die Verlage große Summen dafür ausgeben, den Peer-Review-Prozess zu finanzieren. Ich selbst und andere Wissenschaftler haben aber niemals an dem von uns durchgeführten Peer Review verdient. In Zukunft werde ich das Peer Review nur noch für Open-Access-Zeitschriften durchführen.“
Bundesregierung gegen Open Access
Während in den USA der Streit immer mehr hochkocht, haben die kanadischen Institutes of Health Research (CIHR), das Gegenstück zu den NIH in den USA, ebenfalls eine neue Open-Access-Policy erlassen. Ab Anfang 2008 werden alle Forscher, die Mittel von den CIHR in Anspruch nehmen, dazu verpflichtet, wissenschaftliche Artikel spätestens sechs Monate nach ihrem ursprünglichen Erscheinen kostenlos online verfügbar zu machen.
In Deutschland stießen vergleichbare Vorschläge bei den Verlagen und in der Regierungskoalition auf Ablehnung. Dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels gelang es, den Verband deutscher Schriftsteller zusammen mit dem deutschen PEN-Zentrum zum Kampf gegen Open Access ins Boot zu holen. Im Mai 2007 veröffentlichten die Schriftsteller zusammen mit dem Börsenverein eine „Frankfurter Mahnung“, in der Vorschläge für Open Access zurückgewiesen wurden. Stattdessen wurden Subventionen für „die Wissensbereitstellung und -aufbereitung“ gefordert. Am Ende setzten sich die Verlage durch und die ursprünglich in der Urheberrechtsnovelle vorgesehene Open-Access-Regelung wurde gestrichen.
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