Andy Warhols farbige Prince-Porträts sind doch nicht erlaubte Foto-Bearbeitungen [Update]

Foto: Andy Warhol mit Hund, fotografiert von Jack Mitchell, Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0
Update, 25. Mai 2023: In einem kürzlich verkündeten Urteil revidierte der Oberste Gerichtshof der USA (Supreme Court) die Entscheidung von 2019 (siehe unten). Nach Auffassung des Supreme Court habe Andy Warhol das Urheberrecht der Fotografin Lynn Goldsmith sehr wohl verletzt, als er eine Reihe von Siebdrucken schuf, die den Musiker Prince darstellten. Die ursprüngliche Berufung auf das US-amerikanische Fair-Use-Prinzip wiesen die Richter*innen zurück, wie das Online-Magazin „Okayplayer“ mit Bezug auf eine Meldung von CNN berichtet. Demnach heißt es in der Begründung der Richterin Sonia Sotomayor, „Goldsmiths Originalwerke haben wie die anderer Fotografen Anspruch auf Urheberrechtsschutz, auch gegenüber berühmten Künstlern“. Sie habe eine „faire Nutzung“ verneint, weil Warhols Gemäldeserie „im Wesentlichen denselben Zweck” verfolgte wie die Originalfotos, auch wenn Prince’ Aussehen verändert sei.
Eine andere in der Meldung zitierte Richterin äußert die Sorge, dass diese Entscheidung neue Kunst, Musik und Literatur behindern werde. Damit spricht sie an, dass das Urteil der höchsten Instanz für künftige Rechtsstreits prägend sei, zumindest in den USA. Das dort gesetzlich verankerte „Fair Use“-Prinzip gibt es im deutschen Urheberrecht nicht, doch es enthält seit Sommer 2021 die Pastiche-Regelung. Diese, auch auf Remixe und Memes zielende gesetzliche Ausnahme ermöglicht es, eine künstlerische Verfremdung geschützter Werke unter bestimmten Bedingungen erlaubnisfrei zu nutzen. Sie könnte in Fällen, die dem Warhol-Goldsmith-Streit vergleichbar sind, zur Anwendung kommen.
Der Fall Warhol-Goldsmith
Der Pop-Art-Künstler Andy Warhol ist zwar schon 1987 gestorben, steht aber immer noch vor Gericht. Es geht im aktuellen Fall um eine 1984 entstandene Serie von Porträtbildern, die den Musiker Prince in für Warhol typischen grellen Farben und reduzierten schwarzen Konturen zeigen. Als Vorlage für die 16-teilige „Prince Series“ von Siebdrucken und Papierzeichnungen diente ein Schwarz-Weiß-Bild der Fotografin Lynn Goldsmith, das bereits Ende 1981 entstanden ist.
Wie unter anderem die New York Times und Artnet News unter Berufung auf eine Agenturmeldung berichteten, erwarb die Zeitschrift „Vanity Fair“ 1984 für 400 US-Dollar Lizenzen für das bis dahin unveröffentlichte Schwarz-Weiß-Foto von Goldsmith und gab dieses an Warhol weiter. Er war beauftragt, eine Illustration für einen Vanity-Fair-Artikel über Prince zu erstellen. Als der Artikel erschien, wurde bei der Warhol-Illustration auch Goldsmith als Urheberin des Ausgangsfotos genannt.
Der Artikel in der Vanity Fair mit dem Prince-Porträt von Andy Warhol als Reproduktion, wie sie im Gerichtsverfahren vorgelegt wurde. Bildquelle: artnet News
2017 klagte die Fotografin, die für einzigartige Porträts berühmter Musiker bekannt ist, nachdem sie von der Andy Warhol Foundation for the Visual Arts wegen geschäftsschädigendem Verhaltens verklagt wurde. Sie argumentierte, dass ihr mit einer 2016 erfolgten Veröffentlichung der Warhol’schen Prince-Porträts durch die Warhol Foundation die Möglichkeit genommen worden sei, ihr Foto zu „hochkarätigen“ Konditionen für ähnliche Zwecke zu lizenzieren. Die 1984 Vanity Fair eingeräumten Nutzungsrechte am Foto bezogen sich vermutlich nur auf die Veröffentlichung in dieser Zeitschrift. Deshalb sah Goldsmith ihr Urheberrecht verletzt. Das Gericht in Manhattan sollte dies nun prüfen.
Der zuständige Bezirksrichter entschied, Warhols Kunstwerke stünden mit ihren „lauten, unnatürlichen” Farben im „starken Kontrast“ zur ursprünglichen Schwarz-Weiß-Fotografie. Während das Goldsmith-Porträt Prince als „unbequeme Person“ und „verletzlichen Menschen“ zeigte, hätten Warhols Bilder dem Foto das „Menschliche“ entzogen und Prince zu einer ikonischen, überlebensgroßen Figur gemacht. Damit würden Warhols Kunstwerke die gegenteilige Stimmung von Goldsmiths Fotos vermitteln. Daher seien die Bilder dem Fair-Use-Prinzip folgend keine Urheberrechtsverletzung, weil Fair Use eben gerade derartige Bearbeitungen erlaube.
Ein Werk aus der „Prince Series“ von Warhol und die Originalfotografie von Goldsmith im Vergleich, wie sie im Gerichtsverfahren vorgelegt wurden. Bildquelle: Artnet News
Im deutschen und europäischen Urheberrecht gibt es keine Fair-Use-Regelungen. Obwohl von mehreren Seiten gefordert, fanden entsprechende Regelungsvorschläge bei der kürzlich in Kraft getretenen EU-Urheberrechtsrichtlinie keine Mehrheit. Gleichwohl sind nach geltendem Urheberrecht sogenannte „freie Benutzungen“ von geschützten Inhalten ohne Erlaubnis möglich (siehe Paragraf 24 des Urheberrechtsgesetzes). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das neue Werk sich so sehr von dem Ausgangswerk entfernt hat, dass dessen Verwendung in der Bearbeitung „verblasst“ ist. Nur so entsteht ein neues und eigenständiges Werk, das im Rechtssinn keine Bearbeitung des Ausgangswerkes mehr darstellt, sondern eine unabhängige eigene Schöpfung des späteren Urhebers.
Ob ein deutsches oder europäisches Gericht in diesem Fall im Sinne des New Yorker Richters entscheiden würde oder in Warhols Porträts eine Verletzung der Urheberrechte von Goldsmith sehen würde, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen, sondern hängt von den Beurteilungen der damit betrauten Juristen ab.
Der Anwalt der Fotografin kündigte an, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Aus seiner Sicht würden „kosmetische Änderungen“ von berühmten Künstlern genügen, um den urheberrechtlichen Schutz von Fotografien mittels der Fair-Use-Regel zu umgehen. Lynn Goldsmith versteht die juristische Auseinandersetzung auch als Kampf für alle professionellen Fotografen, deren Werke ihrer Meinung nach zunehmend missbräuchlich genutzt würden.
Dieser Artikel erschien zuerst am 4. Juli 2019 und wurde am 23.5.2023 aktualisiert.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 4. Juli, 2019 um 16:31
Voraussetzung für eine „freie Benutzung“ im dt. Urheberrecht ist in der Tat nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung, “dass das neue Werk sich so sehr von dem Ausgangswerk entfernt hat, dass dessen Verwendung in der Bearbeitung „verblasst“ ist”. Dies aber heißt nicht, dass das auf dem Foto abgebildete Objekt verblassen muss. Verblassen muss nur die schöpferische Leistung des Fotografen, der ja die abgebildeten Objekte i.d.R. nicht geschaffen hat. Bei vielen Personen- und Sachfotos kann von einer schöpferischen Leistung im Sinne des Urheberrechts keine Rede sein. Deshalb gibt es ja den zusätzlichen Lichtbildschutz des Paragrafen 72 UrhG der auch die einfachen (nicht schöpferischen) Fotos schützt (z. B. vor identischem Kopieren).
Noch ein Hinweis zur neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie. Siehe
https://ec.europa.eu/germany/news/20190322-urheberrecht_de
Die Ausführungen im Abschnitt “Memes, Parodien u.a. sind in Zukunft EU-weit erlaubt” kommen dem Fair Use schon ziemlich nahe. Immerhin werden neben GIFs und Memes auch Pastiches (Nachahmungen) genannt. Ich bin gespannt, wie das bei uns einigermaßen rechtssicher umgesetzt wird.
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