Alles prima mit PRISM
Politik ist Tat. Ob Autobahnabschnitte eröffnet oder Gesundheitssysteme umgekrempelt werden, ist dabei gar nicht so wichtig, Hauptsache, es gibt etwas zu erledigen, etwas zu regeln, oder wenigstens etwas zu sagen. Wer Politiker fragt, warum sie sich den Stress und den Frust antun, hört eigentlich immer denselben Satz, dass sie „gestalten wollen“. Lenken, handeln, Chef sein, Macht haben und sie zu demonstrieren, darum geht es.
Und wir Wähler wollen das auch. Wir geben unsere Stimme nicht den Leisen, die lange überlegen und im Zweifel lieber nichts tun als das Falsche. Gewählt werden die, die sofort losrennen, egal in welche Richtung. Gewählt werden diejenigen, die immer und überall irgendetwas unternehmen, die Eckpunkte vorstellen und Aktionspläne bauen und Gesetzesvorhaben schreiben und die auch, wenn sie eigentlich keine Ahnung haben, so tun, als hätten sie schon vor Jahren begriffen, worum es geht. Wir wollen geführt werden, wir wollen das Gefühl haben, dass die da oben wissen, was sie tun.
Deswegen ist politische Sprache voller Begriffe, die Betriebsamkeit suggerieren: Da werden Schwerpunkte gesetzt, Schritte unternommen, Nägel mit Köpfen gemacht, Karren aus dem Dreck gezogen, da wird unterstrichen, betont (mit Nachdruck), aufgeklärt (schonungslos) und immer wieder gehandelt (umgehend). Und wenn das nicht geht, dann wird wenigstens noch Handlungsfähigkeit bewiesen oder zumindest Handlungsbedarf gesehen. Natürlich geschieht das alles stets konstruktiv und sachlich und ohne Wenn und Aber.
Denn sie wollen Überwachung
Der schlimmste Zustand, der einem Politiker zustoßen kann, ist Ahnungslosigkeit, Ohnmacht. Die Snowden-Dokumente und die Überwachung der Mobiltelefone der Bundesregierung müssen daher für die Mitglieder derselben wie Waterboarding sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Innenminister Hans-Peter Friedrich, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, sie alle konnten wochenlang nur zuschauen, wie immer neue Enthüllungen einen grenzenlosen Überwachungsapparat zutage förderten.
Was konnten sie tun? Gegen die Urheber der Geschichten vorgehen, sie erpressen, damit diese mit einem Winkelschleifer ihre Festplatten zerstören, wie die britische Regierung von James Cameron? Ihnen mit lebenslanger Haft drohen und behaupten, all das müsse so sein und sei der einzige Weg, um gegen böse Terroristen zu kämpfen, wie die amerikanische Regierung von Barack Obama? Oder gar Edward Snowden Asyl geben und so auf Jahre hinaus mit den USA, dem wichtigsten außenpolitischen Partner, brechen?
Für Merkel und ihre Truppe war das alles keine Option. Denn sie wollen Überwachung. Sie wollen Geheimdienste und immer neue Polizeigesetze, um ihr Volk bei jeder Bewegung beobachten zu können, sei es im Bett oder auf dem Klo. Sie wollen spähen, spionieren, lauschen, denn sie profitieren davon. Überwachung bedeutet Kontrolle, Freiheiten hingegen bedeuten für Regierende Gefahr. Wir haben Macher gewählt, nun machen sie und sorgen vor allem dafür, dass ihnen niemand gefährlich werden kann.
Was also tun angesichts immer neuer Geschichten über abgehörte Telefone, angebohrte Datenleitungen, ausgeschnüffelte E-Mails? Anfangs, als die Auswüchse der Spionage nur den gemeinen Bürger betrafen, taten sie das Einzige, das ihnen blieb: Sie beschwichtigten und wiegelten ab. „Ich gehe davon aus, dass die US-Sicherheitsbehörden unsere Entscheidungsträger nicht ausforschen. Alles andere wäre inakzeptabel“, sagte Innenminister Hans-Peter Friedrich am 5. Juli der Bild.
Es blieb nur kleinreden
Wenn du einen kühlen Kopf behälst, während alle um dich herum ihn verlieren, verstehst du einfach das Problem nicht, sagt ein Spontispruch. Merkel & Co. sind Politiker, aber sie sind nicht dumm, sie verstehen das Problem sehr wohl. Sie wollen es nur nicht lösen. Es soll nicht weniger Überwachung geben, sondern mehr. Blieb nur kleinreden.
Einen kurzen Moment lang flackerte so etwas wie Trotz auf. Als das Leugnen begann, albern zu wirken, versuchte Friedrich die flächendeckende Überwachung zu rechtfertigen. Sicherheit sei schließlich ein Supergrundrecht, sagte er am 16. Juli nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums – das eigentlich die Geheimdienste kontrollieren soll, aber auch nichts gegen die NSA tun kann. Die Nummer mit dem Über-Grundrecht war pure Verzweiflung, nicht einmal ein Innenminister kann mal eben das Grundgesetz umschreiben. Es kam auch nicht gut an, das Gelächter wurde nur noch lauter. Friedrichs Supergrundrecht hat eine gute Chance, zum Unwort des Jahres zu werden.
Wenn Leugnen nicht hilft, tut der gemeine Politiker, was er am besten kann, er simuliert Aktivität. Kanzlerin Merkel versprach, sich um Aufklärung zu bemühen. Das klingt schließlich immer gut. Das hat schon Roland Koch vorgemacht, als er einst die „brutalstmögliche Aufklärung“ erfand. So weit wollte Merkel offensichtlich nicht gehen, sie schickte lieber Friedrich in die USA. Der reiste nach Washington, palaverte und kehrte mit den Worten zurück, nun sei aber wirklich alles geklärt, versprochen.
Das Ganze sei viel Lärm um nichts
PRISM sei „ein Programm, das ganz gezielt nach Begriffen wie ,Terrorismus‘ sucht“, sagte der Minister anschließend im Heute Journal des ZDF. 45 Anschläge seien dank dieser Suche der NSA weltweit verhindert worden. „Dieser edle Zweck, Menschenleben in Deutschland zu retten, rechtfertigt zumindest, dass wir mit unseren amerikanischen Freunden und Partnern zusammenarbeiten, um zu vermeiden, dass Terroristen, dass Kriminelle in der Lage sind, unseren Bürgern zu schaden.“ Nach der Glorifizierung kam schnell noch etwas Beschwichtigung: Es gebe keine Bestätigung, dass deutsche Behörden durch Spähprogramme des US-Geheimdienstes abgehört wurden. Alles prima mit PRISM.
Kein Mensch glaubte ihm. Ein symbolischer Akt, niemand hatte ernsthaft angenommen, die NSA werde ihm ihre Datenbanken öffnen, wohl nicht einmal Friedrich selbst. Trotzdem blieb er – tapfer oder stur – bei der verabredeten Linie: Noch am 16. August sagte Friedrich in einem Interview mit der Rheinischen Post: „Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind ausgeräumt. Fest steht: Es gab keine ‚massenhaften Grundrechtsverletzungen‘ amerikanischer Geheimdienste auf deutschem Boden, wie behauptet wurde.“ Das Ganze sei „viel Lärm um falsche Behauptungen und Verdächtigungen, die sich in Luft aufgelöst haben“. Man habe auch „keine Anhaltspunkte“, dass deutsche Regierungsstellen abgehört wurden. Merkel assistierte und sagte am 14. Juli in ihrem Sommerinterview: „Mir ist nicht bekannt, dass ich abgehört wurde.“
Die drei Aktivisten mit den Festplatten von Edward Snowden interessierte das nicht, sie veröffentlichten weitere Geschichten aus dem finsteren Imperium NSA. Das bittere Gelächter der Zuschauer war groß. Ein neuer Plan musste also her, irgendwas, das weniger nach Hilflosigkeit und mehr nach Tat aussah.
No-Abkommen statt No-Spy-Abkommen
So entstand die Idee vom „No-Spy-Abkommen“. Klasse! Deutschland und die USA wollen sich darin gegenseitig versprechen, sich nicht auszuspionieren. Der Inhalt ist selbstverständlich Blödsinn. Denn in dem Abkommen soll nur geregelt werden, dass sich beide an die Gesetze des jeweils anderen Landes halten und sowohl Regierung als auch Wirtschaft des anderen nicht ausspähen. Von den Bürgern ist darin nicht Rede, nur von Terroristen. Die aber können leider überall sein. Und gegen Gesetze verstoßen BND und NSA auch nicht, wenn sie Bewohner des anderen Landes überwachen, denn das ist ihnen als Auslandsgeheimdiensten ausdrücklich erlaubt. Ein No-Abkommen also.
Erst im Oktober änderte die Bundesregierung ihre Haltung – als sie feststellte, dass sie selbst Opfer des großen Partners USA ist. Das Handy der Kanzlerin werde abgehört, berichtete der Spiegel und das schon seit Jahren. Das war nun wirklich dumm gelaufen, alles hätte sich kleinreden lassen, sogar Folter. Aber das Handy der Kanzlerin? Das ging gar nicht.
Jetzt, nach vier Monaten voller Berichte über Spionage in jedem Lebensbereich und in jedem technischen System forderte Kanzleramtsminister Pofalla „vollständige Aufklärung“. Sogar der amerikanische Botschafter in Deutschland wurde herbeizitiert, das diplomatische Pendant einer Ohrfeige. Nur leider, es war zu spät, es nutzte nichts mehr. Im Gegenteil, das Bild einer bigotten, an ihren Wählern desinteressierten Regierung verstärkte sich dadurch nur.
Wunschliste: Überwachen, was sich überwachen lässt
Das BKA, das Innenministerium und ein paar Sicherheitsfanatiker aus der Union halfen kräftig dabei. Denn was fordern sie angesichts weltweiter, grenzen- und anlassloser Überwachung? Richtig, mehr Überwachung. Ihre Wunschliste für die Koalitionsverhandlungen ist ein Katalog aller Schrecklichkeiten, die in den vergangenen Jahren gerade noch so von Gerichten und Kritikern verhindert werden konnten: Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung, Mautdatenauswertung – überwachen, was sich überwachen lässt.
Das BKA assistiert dabei gern. Spiegel Online zitiert einen Herrn aus dem Innenministerium: „‚Auch wenn ich mir damit gerade keine Freunde mache‘, sagt wenig später Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche mit Blick auf die NSA-Enthüllungen, ‚aber wir brauchen Daten.‘“ Begründung ist dieses Mal die Kriminalität, nicht der Terrorismus.
Worum es wirklich geht? Innenminister Friedrich sagte es am 18. November im Bundestag, wo er die Aufklärung der Bundesregierung öffentlich verteidigte: „Über allem steht, dass wir eine enge Partnerschaft mit den USA brauchen.“
Wie schreibt Sascha Lobo? „Ihre Botschaft lautet offiziell: Vertraut uns, wir missbrauchen unsere Macht schon nicht und der Rest ist geheim. Zu lesen als: Schnauze, ihr Ahnungslosen.“
Sie leugnen und lügen, weil sie ihre Wähler nicht mehr ernst nehmen, sie haben keine Angst mehr vor ihnen. Daher ein Satz, den die Ärzte in „Deine Schuld“ singen: „Geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren. Denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen, kann nur verlieren. Die dich verarschen, die hast du selbst gewählt. Darum lass sie deine Stimme hör’n, weil jede Stimme zählt.“
Dieser Text ist im Rahmen des Heftes „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ erschienen. Sie können es für 14,90 EUR bei iRights.media bestellen. „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ gibt es auch als E-Book, zum Beispiel über die Affiliate-Links bei Amazon und beim Apple iBookstore, oder bei Beam.
Was sagen Sie dazu?