Alle Macht der VG Wort?
Vor wenigen Wochen hatte Telemedicus das letzte Mal zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger berichtet. Der Stand damals war: Auf den ersten Blick sieht Google wie der Sieger aus – auf den zweiten Blick aber nicht. Denn die Verlage können noch „den Spieß herumdrehen“ und Google in eine deutlich schlechtere Position bringen, indem sie eine Verwertungsgesellschaft gründen.
Genau in diesem Zusammenhang sieht nun die VG Wort ihre Chance: Sie hat eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie ankündigt, zukünftig auch das Presse-Leistungsschutzrecht wahrnehmen zu wollen. Für die Presseverlage stellt sich nun die Frage, ob sie dieses Angebot annehmen sollen.
Die VG Wort ist eine Verwertungsgesellschaft, die sich auf die Verwertung von geschriebenen Texten spezialisiert hat. Traditionell nimmt sie die Rechte von Buchautoren, Journalisten und Verlagen wahr. Der Vorstand der VG Wort ist nun auf den naheliegenden Gedanken gekommen, dass die Verwertungsgesellschaft auch das neue Leistungsschutzrecht für Presseverleger wahrnehmen könnte. In ihrer Pressemitteilung schreibt sie unter anderem:
Der Vorstand der VG WORT hat beschlossen, zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung Ende November 2013 in München einzuladen, um über eine zukünftige Wahrnehmung des Leistungsschutzrechts des Presseverlegers und des Beteiligungsanspruchs des Urhebers zu beraten. […]
Der Vorstand der VG WORT wird den zuständigen Gremien vorschlagen, den Wahrnehmungsvertrag dahingehend zu erweitern, dass – falls von den Rechteinhabern gewünscht – in Zukunft das Leistungsschutzrecht der Presseverleger und der Beteiligungsanspruch der Urheber durch die VG WORT wahrgenommen werden können. Eine solche gemeinsame Rechtewahrnehmung innerhalb einer Verwertungsgesellschaft bietet sich an, um das neue Recht effektiv durchsetzen zu können.
Damit ist noch nicht vollständig klar, ob die VG Wort das neue Presse-Leistungsschutzrecht tatsächlich wahrnehmen wird. Das Angebot liegt aber nun auf dem Tisch. Für die Presseverlage stellt sich damit die Frage, ob sie die VG Wort mit der Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragen sollen.
Was werden die Verlage tun?
Es liegt nun an den Verlagen, sich zu entscheiden. Schlüpfen sie unter den Mantel der VG Wort und überlassen sie dieser ihre Leistungsschutzrechte? Oder gründen sie lieber eine eigene Verwertungsgesellschaft, die „VG Presse“? Für beide Seiten gibt es gute Argumente.
Gegen einen Beitritt zur VG Wort spricht, dass dort die Rechte einer vielfältigen Landschaft von Rechteinhabern wahrgenommen werden; unter anderem auch von vielen Journalisten. Die Verlage sind aber Verwerter von Autorenrechten – und damit in einem strukturellen Interessengegensatz zu den bei ihnen angestellten Journalisten. Häufig gibt es Streitigkeiten zwischen den Journalisten-Vertretungen (DJV, Verdi, Freischreiber) und den Verlagen über die Frage, ob Journalisten gut genug bezahlt werden. Ein solcher Konflikt lauert auch unmittelbar im Leistungsschutzrecht: Falls die Presseverlage nämlich Erlöse aus dem Leistungsschutzrecht erzielen, müssen sie die Journalisten hieran „angemessen beteiligen“ (§ 87h UrhG). Der Streit zu der Frage, was eine angemessene Beteiligung ist, steht im Raum.
Auf der anderen Seite kann aber die Rechtewahrnehmung in einer gemeinsamen Verwertungsgesellschaft auch helfen, solche Konflikte zu schlichten: Statt sie zwischen Verwertungsgesellschaften (und dann später vor Gericht) auszutragen, kann man die Verwerter und die Produzenten unter ein Dach holen und die Konflikte „hausintern“ lösen. Gerade die VG Wort hat unter ihren Mitgliedern schon seit jeher auch Verlage (was, da diese Verlage bisher nicht originäre Rechteinhaber waren, ein Problem für sich ist). In jedem Fall: Die VG Wort ist den Spagat zwischen Autoren- und Verlagsinteressen gewohnt.
Die VG Wort bringt durch ihr Vorgehen die Verlage in eine Zwickmühlenposition: Kommen die Presseverlage zu ihr, kann sie ihnen das „Konfliktmanagement“ als Serviceleistung anbieten. Gehen die Verlage mit ihrem Leistungsschutzrecht aber zu einer eigenen „VG Presse“, würde die VG Wort zum Gegner (beziehungsweise Geschäftspartner) dieser Verwertungsgesellschaft. Denn in diesem Fall würde die VG Wort die „angemessene Beteiligung“ der bei ihr vertretenen Journalisten gegen die „VG Presse” geltend machen. Die strategisch denkenden Verlage werden diese Sachlage einbeziehen: Die Wahl der Verwertungsgesellschaft entscheidet zwischen Feind und Freund, zwischen Feind-meines-Feindes und Freund-meines-Freundes.
Die VG Wort und Google: Eine lange Geschichte
Für die VG Wort spricht außerdem, dass sie viel Erfahrung mit der Vertretung von Wortrechten mitbringt – gerade gegenüber Google. Die VG Wort hat die Rechte der deutschen Textschaffenden und Verlage auch schon (weitgehend erfolgreich) gegen „Google Books Search“ verteidigt.
Auf der anderen Seite wieder würde eine „VG Presse“, im Unterschied zur VG Wort, viel deutlicher und akzentuierter die Interessen der Presseverlage vertreten. Dies ist kein ganz unwichtiger Faktor: Der Streit mit Google ist nicht vorbei, sondern geht gerade erst los. Fast alle Tatbestandsmerkmale des Presseverleger-Leistungsschutzrechts sind offen, über vieles wird wahrscheinlich prozessiert werden. Auch kartellrechtliche Untiefen lauern. Für die Verlage ist es in dieser Situation wichtig, dass sie von ihrer Verwertungsgesellschaft nicht nur eine simple Rechtewahrnehmung erwarten können, sondern auch ein strategisches Vorgehen – und vor allem den Willen, in einen Streit mit Google gegebenenfalls erhebliche Ressourcen zu investieren. Hier könnte eine kleinere, nur an die Interessen der Presseverlage gebundene Vertretungsgesellschaft Vorteile haben.
Wie geht’s weiter?
Die Entscheidung darüber, welche Verwertungsgesellschaft das Presse-Leistungsschutzrecht wahrnimmt, wird voraussichtlich in den Chefetagen der einzelnen Verlage fallen. Deren Verbände (BDZV, VDZ) müssen sich an dieser Stelle zurückhalten: Eine Verbandsempfehlung, das heißt die Empfehlung eines Branchenverbandes an seine Mitglieder, das eigene Marktverhalten in die eine oder andere Richtung auszurichten, wird schnell zu einem Verstoß gegen § 1 GWB. Denn wenn zum Beispiel der VDZ seinen Mitgliedern die Gründung einer eigenen „VG Presse“ empfiehlt, dann sieht das aus Sicht der VG Wort wie ein Boykottaufruf aus.
Vermutlich wird es aber ohnehin anders kommen. Christoph Keese vom Springer-Verlag hat vorletzte Woche bereits gesagt, der Springer-Verlag stehe „in fortgeschrittenen Verhandlungen” mit einer bereits bestehenden Verwertungsgesellschaft über die Wahrnehmung der Springer-Rechte: Damit kann eigentlich nur die VG Wort gemeint gewesen sein. Nicht auszuschließen ist auch, dass sich die gut vernetzte Verlagsbranche ohnehin schon auf die VG Wort eingeschossen hat – auch ohne Verbandsempfehlung. Wenn die wichtigsten Verlage sich für die VG Wort entscheiden, dann fehlt den kleineren Verlagen das Kapital und die Organisation, um eine eigene Verwertungsgesellschaft zu gründen.
Auf den ersten Blick sieht es für die VG Wort also ganz gut aus. Ob die Mitgliederversammlung der VG Wort die Wahrnehmung des Presse-Leistungsschutzrechts beschließt, und ob die Verlage dieses Angebot annehmen, ist aber noch offen. Für die Beobachter am Spielfeldrand heißt es also erst einmal: abwarten.
Update, 25.9.2013:
Wie ich gerade erfahre, mutmaßt die „Initiative Urheberrecht”, Christoph Keese habe mit seiner Ankündigung, sich in Gesprächen mit einer Verwertungsgesellschaft zu befinden, nicht die VG Wort gemeint, sondern die VG Media. Die VG Media nimmt bisher die Rechte bestimmter Fernsehprogrammveranstalter wahr, vor allem aus der ProSieben/Sat.1-Gruppe. Telemedicus wird berichten, sollten sich die Mutmaßungen in die eine oder andere Richtung konkretisieren.
Dieser Artikel wurde am 23. September 2013 bei Telemedicus veröffentlicht unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-SA 3.0 Deutschland.
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