Alexander Alvaro (FDP): „Die ACTA-Verhandlungen waren desaströs”
iRights.info: Der Fraktionschef von der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, Joseph Daul, erklärte vergangene Woche, das umstrittene Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) sei am Ende. Das Europäische Parlament werde dem Abkommen nach den öffentlichen Protesten nicht zustimmen. Teilen Sie diese Auffassung?
Alexander Alvaro: Joseph Daul hat seine Aussage inzwischen revidiert. Die EVP-Fraktion hat klargestellt, dass sie das Abkommen einer genauen Prüfung unterziehen will. Dieser Haltung kann ich mich insofern anschließen, dass wir die Kritik aus der Bevölkerung ernst nehmen und mit dem Text des Abkommens abgleichen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass wir etwas übersehen haben oder auch eine falsche Interpretation des Textes haben. Aber dass ACTA am Ende ist – das würde ich nicht unterschreiben.
„Das Verhandlungsmandat lag eindeutig bei der EU-Kommission”
iRights.info: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat die deutsche Ratifikation des Abkommens gestoppt, bis das EU-Parlament über ACTA entschieden hat. Ist das der richtige Schritt?
Alexander Alvaro: Erstmal die Entscheidung des Europaparlaments abzuwarten, ist sicherlich sinnvoll. Wir würden uns natürlich wünschen, dass auch in anderen politischen Bereichen die Aufmerksamkeit für das Europaparlament so hoch wäre wie jetzt bei ACTA.
iRights.info:Deutschland hat ACTA mitverhandelt und stand zunächst hinter dem Abkommen. Stiehlt sich die Bundesregierung nicht aus der Verantwortung, wenn sie jetzt plötzlich auf das „Ja“ anderer warten möchte, während andere EU-Staaten schon unterschrieben haben?
Alexander Alvaro: Es ist fraglich, inwieweit Deutschland und andere EU-Staaten die Verhandlungen haben beeinflussen können. Das Verhandlungsmandat lag eindeutig bei der EU-Kommission, bei der Generaldirektion Handel. Deutschland hatte eine Beobachterfunktion. Mangels Transparenz ist uns nicht ersichtlich, inwieweit die EU-Staaten bei den aktuellen Verhandlungen mitbestimmen konnten.
iRights.info: Müssen solche Verhandlungen künftig transparenter ablaufen?
Alexander Alvaro: Das steht außer Frage. Ich habe die EU-Kommission 2010 mit anderen EU-Abgeordneten aufgefordert, uns Zugang zu den Dokumenten zu gewähren. Nur Transparenz sorgt dafür, dass keine Legenden und Ängste entstehen. Dieser Verhandlungsprozess von ACTA war desaströs.
„Sehr hohe Einflussnahme aus der Wirtschaft”
iRights.info: DieNGO Lobbycontrol kritisiert den Einfluss der Unterhaltungs- und Softwareindustrie auf die Verhandlungen. Augenscheinlich wurden deren Branchenvertreter im Gegensatz zur Öffentlichkeit über den Verhandlungsprozess unterrichtet. Gab es einen starken Lobby-Einfluss aus der Privatwirtschaft?
Alexander Alvaro: Bis zu dem Moment, als wir 2010 im EU-Parlament das Augenmerk auf ACTA gelegt haben, hätte man das noch so sagen können. In dem Moment, in dem das Interesse des Parlaments an den Verhandlungen wuchs, ist der Lobby-Einfluss einzelner Branchen massiv zurückgedrängt worden. Das erkennt man daran, dass der ursprüngliche Text von 2010 noch Formulierungen enthielt, die kein vernünftiger Mensch hätte unterschreiben können. Sie wurden inzwischen rausgenommen. Der Text, den wir damals gesehen haben, lässt den Schluss nahe, dass es eine sehr hohe Einflussnahme aus der Wirtschaft gab.
iRights.info:Welche Lehren sind für künftige Verhandlungen zu ziehen?
Alexander Alvaro: Natürlich muss sich an diesen Prozessen etwas ändern und ich hoffe, dass die EU-Kommission wie auch die Mitgliedstaaten ihre Lehren gezogen haben. Ich bin mir aber nicht sicher, wie gut das Gedächtnis in diesen Dingen ist.
EuGH-Prüfung: „Kein Grund zur Eile”
iRights.info: Sie haben einen Faktencheck zum aktuellen Vertragstext ins Internet gestellt. Darin heißt es: „Bis zum Abschluss der Verhandlungen ist es der FDP im Europäischen Parlament gelungen, die EU-Kommission hinsichtlich der Gefahren der möglichen Einschränkung bürgerlicher Freiheiten zu überzeugen und die kritisierten Punkte aus dem Abkommen zu entfernen.” Würden Sie dem Abkommen jetzt zustimmen?
Alexander Alvaro: Ich halte die Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) für ausgesprochen wichtig. Es muss tatsächlich so sein, dass die Vertragsparteien, also die Mitgliedstaaten und die EU durch das Abkommen nicht zu Gesetzänderungen gezwungen werden. Das muss juristisch wasserdicht sein. Wir wollen nicht das böse Erwachen, dass wegen ACTA etwas geändert werden muss. Ich glaube, der Europäische Gerichtshof könnte noch in diesem Jahr eine Prüfung vornehmen, so dass wir 2013 eine Entscheidung im Parlament treffen können. Es gibt auch keinen Grund zu besonderer Eile. Es wäre auch kein gutes gesetzgeberisches Handwerk, wenn man ein Abkommen verabschiedet, wenn nicht sicher ist, ob es mit bestehenden Rechtsvorschriften vereinbar ist.
iRights.info:Wenn der Gerichtshof grünes Licht gibt, und für ACTA keine EU-Verträge geändert werden müssen, würden Sie dann zustimmen?
Alexander Alvaro: Wenn unsere Gesetze nicht geändert werden müssen und keine Gefahren für die Grundrechte in Europa und die Freiheit des Internets festgestellt werden, sehe ich keinen Grund, nicht zuzustimmen.
Urheberrechtsschutz im Netz: „Die Quadratur des Kreises”
iRights.info:In Ihrem Faktencheck heißt es bereits: „Das Abkommen enthält keine Punkte mehr, die die Freiheit des Internets einschränken“. Halten Sie die massive Kritik an ACTA für verfehlt?
Alexander Alvaro: Wenn ich mir die Kritikpunkte anschaue, ist es schwer, sie tatsächlich am aktuellen Text des Abkommens fest zu machen. Ich kann durchaus verstehen, dass man sagt, es bestünde die Möglichkeit, die Intention hinter dem Abkommen aufzugreifen, und dann bedenkliche Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen. Aber selbst wenn das passiert, können die Parlamente dem einen Riegel vorschieben. Ich halte den Text rein sachlich nicht für schädlich. Die Intention dahinter muss man allerdings im Blick haben.
Prinzipiell ist es so, dass die technischen Entwicklungen in den vergangenen Jahren deutlich schneller gewesen sind als der gesetzgeberische Prozess, der dahinter steht. Wir müssen den Urheberrechtsschutz und den Schutz des geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter mit Werten wie der Privatsphäre, dem Schutz des Internets, und der freien Meinungsäußerung in Einklang bringen. Das ist die Quadratur des Kreises und wird noch eine Zeit dauern.
Anti-ACTA-Position der Grünen: „Populistische Trittbrettfahrerei”
iRights.info: Die Grünen unterstützen die Anti-ACTA-Kampagne. „ACTA treibt eine repressive Rechtsdurchsetzung mittels der Internetprovider voran, während die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer nicht in gleichem Maße berücksichtigt werden“, erklärte beispielsweise der Grünen-Innenexperte Jan Philipp Albrecht (MdEP). Und: „Wir sehen die Gefahr, dass es damit zu Filter- und Sperrmaßnahmen ohne faires rechtliches Verfahren und zu hohen Schadensersatzklagen auch bei Privatkopien kommt.“ Wie bewerten Sie diese Kritik?
Alexander Alvaro: Ich halte das Verhalten der Grünen für politisch unverantwortlich. Ich sehe, dass dort Ängste geschürt werden, die sich am aktuellen ACTA-Text einfach nicht festmachen lassen. Natürlich müssen wir darauf achten, dass die Provider nicht verpflichtet werden, ihre Kunden zu überwachen oder zu sperren, und das tun wir auch. Aber da gibt es keinen Sachzusammenhang mit ACTA. Die Grünen im EU-Parlament haben sich 2010 nicht daran beteiligt, Transparenz über ACTA herzustellen und die Kritikpunkte abzuarbeiten. Ich ärgere mich deshalb so sehr über diese populistische Trittbrettfahrerei, weil die Grünen die Chance nicht genutzt haben, sich in den Prozess einzubringen.
iRights.info: Waren Sie von der Heftigkeit der Proteste überrascht?
Alexander Alvaro: Ich war überrascht, wie plötzlich ACTA an Aufmerksamkeit gewonnen hat, nachdem wir uns als EU-Abgeordnete bereits zwei Jahre kritisch, auch öffentlich, damit auseinandergesetzt haben. Im Protest kam leider auch mangelnde Information über diese Prozesse zum Ausdruck.
Was sagen Sie dazu?