ACTA-Abstimmung im EU-Parlament: Druck aus dem Netz und aus Berlin
Die EU-Parlamentarier bekommen den massenhaften Protest der Zivilgesellschaft zu spüren. „Als besorgte Bürger der Welt rufen wir Sie dazu auf, für ein freies und offenes Internet einzustehen und die Ratifizierung des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) abzulehnen“, heißt es in der Online-Petition des Kampagnen-Netzwerks AVAAZ an die EU-Abgeordneten. Innerhalb eines Tages stieg die Zahl der Unterstützer laut AVAAZ um rund 60.000 auf mehr als zwei Millionen (Stand: 10. Februar 2012).
Wartet Berlin auf das EU-Parlament?
Auch die Bundesregierung spielt in der ACTA-Debatte den EU-Abgeordneten den Ball zu. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte an, mit der deutschen Ratifizierung des Abkommens zu warten, bis das Europäische Parlament ACTA ratifiziert hat. „Jetzt muss die EU entscheiden, ob sie ACTA braucht und will“, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger am Donnerstag. „Dazu muss das Europaparlament erst einmal zustimmen. Alle kontroversen Fragen werden auf europäischer Ebene diskutiert und müssen jetzt beantwortet werden.“ Am Freitag verbreitete die Nachrichtenagentur DPA die Meldung, Deutschland werde wegen Bedenken Leutheusser-Schnarrenbergers ACTA vorerst nicht unterzeichnen, wie das Nachrichtenportal Golem berichtet.
Sollte Berlin tatsächlich auf das Votum der EU-Abgeordneten warten, könnte die deutsche Unterschrift erst Mitte 2012 erfolgen. Die Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments ist für den 12. Juni geplant, so ein Parlamentssprecher am Freitag gegenüber iRights.info. Zuvor stehen Diskussionen und Abstimmungen in den beteiligten Ausschüssen Internationaler Handel (INTA), Industrie (ITRE), Recht (JURI) und Justiz und Inneres (LIBE) an. Zuständiger Berichterstatter im federführenden Handelsausschuss ist der schottische Sozialdemokrat David Martin, der bereits bei Netzaktivistin für seine Haltung zu ACTA in der Kritik steht, wie das österreichische Online-Portal Telekom Presse berichtet.
„Die Bundesregierung bekommt kalte Füße“
Die deutschen EU-Abgeordneten zeigen sich in der ACTA-Debatte gespalten. Der handelspolitische Sprecher der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Bernd Lange, kritisierte am Freitag die Pläne der Bundesregierung, mit der Ratifizierung des Abkommens auf die EU-Abgeordneten zu warten. „Die Bundesregierung gehörte zu den großen Befürwortern des Abkommens und bekommt nun angesichts der wachsenden Proteste kalte Füße“, so Lange in einer Erklärung. „Die Verantwortung dann allein auf das Europäische Parlament zu schieben, ist dreist.“
Lange hält zwar den Kampf gegen Produktpiraterie in Europa für notwendig, um Jobs zu sichern, allerdings warnt er: „Regelungen, wie etwa für den Online-Bereich, dürfen nicht dazu führen, dass Grundrechte und die Freiheit im Internet eingeschränkt werden oder der Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufgeweicht werden.
Die SPD im EU-Parlament fordert eine genaue Prüfung des Abkommens, lehnt ACTA aber nicht kategorisch ab.
Die Grünen dagegen unterstützen die Anti-ACTA-Kampagne. „ACTA treibt eine repressive Rechtsdurchsetzung mittels der Internetprovider voran, während die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer nicht in gleichem Maße berücksichtigt werden“, erklärte am Freitag Grünen-Innenexperte Jan Philipp Albrecht (MdEP). „Wir sehen die Gefahr, dass es damit zu Filter- und Sperrmaßnahmen ohne faires rechtliches Verfahren und zu hohen Schadensersatzklagen auch bei Privatkopien kommt.“ ACTA müsse zu Fall gebracht werden.
In einem Beschluss übt auch der Bundesvorstand der Grünen scharfe Kritik am ACTA-Vertrag. „Rechtsbegriffe bleiben im Abkommen unklar und undefiniert und können genauso wie unzureichende Datenschutzstandards zu einer Verletzung der EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention führen“, heißt es darin.
Die CDU/CSU im EU-Parlament steht ACTA positiv gegenüber. CDU-MdEP Daniel Caspary, außenhandelspolitischer Sprecher der christdemokratische EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, erklärte: „ACTA ist ein Meilenstein im Kampf gegen Marken- und Produktpiraterie.“ Erstmals gingen Industrie- und Schwellenländer gemeinsam geschlossen gegen gefälschte Produkte und Markenartikel vor. „Bei den Verhandlungen wurden dabei viele Bedenken und Anregungen aus der Zivilgesellschaft aufgenommen.“ Dennoch sei ACTA durch die beschränkte Anzahl an Unterzeichnerstaaten nur die zweitbeste Lösung. „Die EU muss weiter auf ein weltweit gültiges Abkommen gegen Marken- und Produktpiraterie im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO hinarbeiten.“
Die FDP im EU-Parlament äußert sich aktuell nicht zu ACTA. Der liberale EU-Abgeordnete und Vize-Präsident des Parlaments, Alexander Alvaro (MdEP), forderte allerdings während der Verhandlungen mehr Transparenz. Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzung müssten ohne Zweifel bekämpft werden. „Dieser legitime Kampf darf jedoch nicht für die Umgehung europäischer Gesetzgebung missbraucht werden“, erklärte Alvaro.
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