Werbefinanzierte Internetkriminalität: „Problembewusstsein ist vorhanden“
Zur Person:
Bernd Nauen ist Geschäftsführer des Zentralverbands der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW). Der Interessenvertretung der Werbebranche in Deutschland gehören 43 Verbände der werbenden Unternehmen, der Medien, Agenturen, der Markt- und Sozialforschung sowie der Berufsstände an.
iRights.info: Die Rechteindustrie geht seit Jahren gegen Internetportale vor, die urheberrechtlich geschützte Werke illegal veröffentlichen. Die Portale finanzieren sich teilweise über Abo-Modelle, aber auch über Werbung. Trägt die Werbewirtschaft indirekt eine Mitverantwortung für die Urheberrechtsverletzungen?
Bernd Nauen: Es ist bekannt, dass sich Webseiten wie kino.to auch durch Werbung finanzieren. Auch wenn es valide Zahlen über die Werbeeinnahmen solcher illegalen Portale nicht gibt, unsere Haltung ist eindeutig: Der ZAW und seine Mitglieder distanzieren sich von Online-Piraterie-Aktivitäten. Dabei messen wir dem Schutz des geistigen Eigentums auch deshalb eine hohe Bedeutung zu, weil kein geringer Anteil unser Mitglieder von und mit diesem rechtlich geschützten Gut lebt. Werbungtreibende, Agenturen, technische Dienstleister und Medien bekennen sich also zu dem Ziel, unter Wahrung der Freiheit kommerzieller Kommunikation, die Finanzierung illegaler Geschäftspraktiken durch Werbung spürbar einzudämmen. Und schließlich darf auch bei den Nutzern nicht der Eindruck entstehen, bestimmte Portale seien legal, weil dort geworben wird.
Dies vorausgeschickt ist es schon heute so: Wenn Rechteinhaber werbende Unternehmen oder die für die Verteilung von Werbung beauftragten Dienstleister darauf aufmerksam machen, dass ihre Werbung auf illegalen Plattformen läuft, wird diese unverzüglich zurückgezogen. Die entsprechenden Seiten werden dann gemieden. Allerdings besteht wohl noch Raum, die Schaltungsroutinen in bestimmten Bereichen der digitalen Wertschöpfungskette zu optimieren, um solche Fehlschaltungen von vorne herein zu vermeiden.
Werbung rückt auf die Agenda
iRights.info: Ist es verboten, auf einem Portal zu werben, dass Inhalte offensichtlich unrechtmäßig veröffentlicht?
Bernd Nauen: Das ist eine sehr schwierige – von den Umständen des Einzelfalls abhängige – Frage. Es gibt hierzu meines Wissens keine obergerichtliche Rechtsprechung, die klare Orientierung gibt. Deshalb prüfen wir, losgelöst von den straf- oder zivilrechtlichen Fragen tätig zu werden, um Fehlschaltungen strukturell einzudämmen.
iRights.info: Rückt das Thema „Werbefinanzierte Urheberrechtsverstöße“ auf der Agenda nach oben?
Bernd Nauen: Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hat 2008 den “Wirtschaftsdialog für mehr Kooperation bei der Bekämpfung der Internetpiraterie” eingerichtet. Zunächst wurde vor allem die Strafverfolgung gegen illegale Anbieter diskutiert. Sie gestaltet sich bekanntlich schwierig, oftmals entziehen sich die Betreiber den Behörden, etwa weil ihre Server im Ausland stehen. Maßnahmen unter Einbeziehung der Nutzer solcher Portale, beispielsweise Warnhinweise, sind zugleich äußerst umstritten. Relativ neu in der Debatte ist die Frage, welche Rolle die Werbung im Kampf gegen illegale Portale spielt. Der ZAW hat diese Thematik bereits aufgegriffen und hierzu ein erstes Branchentreffen mit Agenturen, technischen Dienstleistern, Werbungtreibenden und Rechteinhabern organisiert.
iRights.info: Was hat das erste Treffen gebracht?
Bernd Nauen: Wir haben uns hauptsächlich mit den Bedingungen beschäftigt, unter denen die Werbeschaltung in den betroffenen Bereichen der Online-Werbung abläuft und die bereits erwähnte Thematik von Fehlschaltungen analysiert. Der Auftakt ist vielversprechend verlaufen: Das Problembewusstsein ist vorhanden, der Sachverstand auch. Sicherlich wird es für den weiteren Verlauf darauf ankommen, dass nicht nur Lippenbekenntnisse abgegeben werden.
Keine Automatismen, Werbungen auf Piraterie-Angeboten auszuschließen
iRights.info: Wie kommt es beispielsweise dazu, dass auf dem umstrittenen Streaming-Portal movie2k die Pop-Up-Werbung eines großen Sportwetten-Anbieters geschaltet ist?
Bernd Nauen: Ich kann das nicht für den Einzelfall sagen. Grundsätzlich aber gilt: Die Geschäftsmodelle in den betroffenen Bereichen der Online-Werbevermarktung sind hochgradig komplex und internationalisiert. Beim sogenannten Affiliate-Marketing etwa haben wir es mit einer komplexen Kaskade von Schaltungen und Auslieferungen über viele Stationen zu tun, bei der durch oftmals rein technisch bedingte Optimierungen von Performance-Raten Belegungen entstehen können, die für die Werbungtreibenden oder deren Dienstleister am Beginn der Kette nicht absehbar sind.
Unsichtbares Rechtemanagement
iRights.info: Warum lassen sich die Fehlschaltungen bisher nicht verhindern?
Bernd Nauen: Jedenfalls gibt es keine einfache Lösung in einem komplexen technologischem Umfeld. Transparenz kann im Einzelfall geschaffen werden, etwa indem Einschränkungen vorab festgelegt werden und die tatsächliche Schaltung ex-post nachprüfbar aufgelistet wird, um Fehlgriffe künftig in den Griff zu bekommen. Es existieren aber keine tragfähigen über alle Schnittstellen erprobten Automatismen, um im Vorhinein Belegungen auf Piraterie-Angeboten gänzlich auszuschließen. Das unsichtbare Rechtemanagement lässt sich technisch nicht einfach vorab „scannen“.
iRights.info: Was wollen Sie also tun?
Bernd Nauen: Wir haben den Handlungsbedarf erkannt und werden uns bei dem nächsten Treffen unseres Branchendialogs mit verschiedenen Ansätzen beschäftigen wie sich die Werbeschaltung auf urheberrechtswidrigen Webseiten spürbar reduzieren lässt. Die Schaltungsroutinen beim Digitalgeschäft zu verbessern ist indes technisch kompliziert. Ich kann nicht versprechen, dass ein allgemein – auch international – akzeptiertes Ergebnis kurzfristig vorliegt, aber wir arbeiten daran. Am Ende könnten technisch-organisatorische Strukturen stehen, mit denen die Werbewirtschaft das Thema selbstständig und effizient angeht.
Internationale Player sollen mitziehen
iRights.info: Was ist, wenn nicht alle Werbenden, Agenturen und technischen Dienstleister mitmachen?
Bernd Nauen: Alle Maßnahmen haben zur Bedingung, dass möglichst viele Marktteilnehmer beziehungsweise deren Vertretungen teilnehmen, auch die technischen Dienstleister in der Vermarktungskaskade, einschließlich der internationalen Player. Wir haben mit dem Dachverband ZAW bereits einen sehr hohen Organisationsgrad in der deutschen Werbewirtschaft, sind aber auch offen für alle weiteren relevanten Marktteilnehmer.
iRights.info: Wer soll entscheiden, auf welchen Seiten nicht geworben wird und welche Kriterien könnte es für den Ausschluss geben?
Bernd Nauen: Dies sind in der Tat wichtige Aspekte, die unter praktischen aber auch rechtlichen Gesichtspunkten genau geprüft werden müssen. Es wäre allerdings verfrüht, hierzu Stellung zu nehmen. Transparenz ist erforderlich, Schnellschüsse wollen wir aber doch vermeiden.
Hintergrund zum Fall “kino.to”:
Wie das mittlerweile geschlossene Internetportal kino.to funktionierte, zeichnet ein Urteil (21. 12. 2011 / Az. 200 Ls 390 Js 184/11) des Amtsgerichts Leipzig gegen einen der Mitarbeiter nach. Demnach stellten die Betreiber von kino.tokostenlosmehr als eine Million Links zu urheberrechtlich geschützten Filmen und Fernsehserien bereit, die sie selbst oder Kontaktpersonen (“Uploader”) auf Filehostern gespeichert hatten, ohne über die Verwertungsrechte zu verfügen. Einnahmen im “Millionen Euro Bereich” erzielte kino.to unter anderem durch Werbung.Der kino.to-Gründer wurde zu 4 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt.
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