WIPO: „Verhandeln bis kein Staat mehr widerspricht“
Zur Person
Dr. Johannes Christian Wichard ist Deputy Director General im Global Issues Sector der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO). Die WIPO mit Sitz in Genf wurde 1967 gegründet, um Rechte an immateriellen Gütern weltweit zu fördern. 1974 wurde die WIPO Teilorganisation der Vereinten Nationen.
iRights.info: Die Frage des geistigen Eigentums im Internet ist mit der Debatte um das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommens ACTA in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Wie erlebt die WIPO als für geistiges Eigentum zuständige UN-Institution die ACTA-Diskussion?
Johannes Christian Wichard: Aus WIPO-Sicht können wir zu ACTA nichts sagen. Wir waren nicht beteiligt, und es steht den Staaten frei, sich das aus ihrer Sicht geeignetste Forum für internationale Normsetzung im Bereich der Rechtsdurchsetzung zu suchen. Bei ACTA handelt es sich um eine plurilaterale Vereinbarung, die nur eine begrenzte Anzahl von Vertragsstaaten hat. Die WIPO bietet ein Forum für multilaterale Diskussionen unter 185 Mitgliedstaaten. Allerdings hat es innerhalb der WIPO seit Jahrzehnten keine Verhandlungen über internationale Normen im Bereich der Rechtsdurchsetzung gegeben.
Praktische technische Zusammenarbeit
iRights.info: Teilen Sie die Kritik, die ACTA-Verhandlungspartner hätten den transparenteren Weg über die WIPO wählen sollen, um Fragen der Rechtsdurchsetzung im Internet zu klären?
Johannes Christian Wichard: Ich kann das weder gut noch schlecht finden. Wenn die Mitgliedstaaten für ihre Zwecke Verhandlungen außerhalb der WIPO zu führen, steht ihnen das frei. Natürlich steht die WIPO jederzeit für multilaterale Verhandlungen zur Verfügung, wenn die Mitgliedstaaten diesen Weg gehen wollen.
iRights.info: Welche Rolle kann die WIPO bei Fragen des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld spielen, wenn Verträge wie ACTA an ihr vorbeiverhandelt werden?
Johannes Christian Wichard: Es geht im Bereich der Rechtsdurchsetzung ja nicht nur um weitere internationale Normen, sondern auch um den Dialog und die technische Zusammenarbeit. Hier spielt die WIPO eine wichtige Rolle, etwa wenn es darum geht, die Hintergründe und das Ausmaß von Rechtsverletzungen zu analysieren. Ganz wichtig ist auch die ganz praktische technische Zusammenarbeit, die die WIPO Entwicklungs- und Schwellenländern anbietet. Hier gibt es eine stetig wachsende Nachfrage.
Im Übrigen werden in der WIPO durchaus auch normative Verhandlungen über internationale Verträge im geistigen Eigentum geführt. Im Sommer wird zum Beispiel eine diplomatische Konferenz über den internationalen Schutz ausübender Künstler stattfinden.
Herausforderung für den Multilateralismus
iRights.info: Gestaltet sich eine gemeinsame Rechtssetzung für das digitale Umfeld innerhalb der WIPO auch deshalb schwierig, weil die Interessen der westlichen Industriestaaten und der Entwicklungs- und Schwellenländer so weit auseinander liegen?
Johannes Christian Wichard: Sie haben recht, wir sind ein multilaterales Forum mit 185 Mitgliedstaaten und entscheiden im Konsens. Das heißt, man verhandelt so lange bis kein Mitgliedstaat mehr widerspricht. Das dauert natürlich länger. Aber dieses Problem haben alle multilateralen Foren. Da ist die WIPO nicht allein. Die große Herausforderung für den Multilateralismus ist, bei der Normsetzung mit dem Tempo der technologischen Entwicklungen Schritt zu halten, die das geistige Eigentum vor neue Herausforderungen stellen.
Aber die Normsetzung ist ja nicht alles. Neben dem Dialog und der technischen Zusammenarbeit sind es auch ganz praktische Beiträge, die wir als WIPO leisten können. Beispielsweise wird unter Mitwirkung der WIPO über ein internationales International Music Registry (IMR) nachgedacht. Das wäre eine Art Clearinghouse für Musik-Rechte auf internationaler Ebene. Wenn es das gäbe, wäre es viel leichter, legale Geschäftsmodelle mit Musik aufzubauen. Nischenanbieter hätten es viel leichter, wenn über die weltweiten Musikrechte Klarheit herrscht. Bei solchen praktischen Fragen kann die WIPO helfen.
Wahrscheinlich hat noch kein Staat den Königsweg gefunden
iRights.info: Das Internet kennt im Grunde keine Landesgrenzen. Wäre es da nicht wünschenswert, dass die WIPO die zentrale Institution ist, die global die Regeln für das geistige Eigentum im digitalen Umfeld festlegt?
Johannes Christian Wichard: Man kann sagen, das wäre wünschenswert. Fragen des Internets sind immer international, während Rechte des geistigen Eigentums typischerweise nur in einzelnen Staaten geschützt werden. Aber eine umfassende Diskussion um den Schutz des geistigen Eigentums im Internet gibt es im Rahmen der WIPO noch nicht. Über die Gründe kann man nur spekulieren.
Wahrscheinlich ist es so, dass noch kein Mitgliedstaat abschließend sagen kann, er habe einen Königsweg gefunden, wie die verschiedenen Interessen der Urheber, Verwerter, Nutzer und Bürger auszutarieren sind. In einer solchen Situation ist es schwierig, die sowieso komplexe Diskussion, die auf nationaler oder etwa europäischer Ebene stattfindet, auf einer internationalen Ebene zu führen, wo es noch komplizierter und noch unbeherrschbarer wird. Möglicherweise ist das ein Hintergrund, warum wir uns noch nicht damit befassen, umfassende Regeln für das geistige Eigentum im Internet zu entwickeln.
Aber es wäre sicher interessant, wenn die WIPO ein Forum bieten könnte, wie man die Finanzierung kreativer Arbeit im digitalen Umfeld sicherstellen kann. Der berühmte Rechtswissenschaftler und Gründer der Creative-Commons-Initiative, Lawrence Lessig, hat 2010 eine solche offene Debatte in einem Vortrag bei der WIPO angeregt. Große Denker sollten sich diesen Fragen auf internationaler Ebene widmen und eine Studie ausarbeiten. Wir können so etwas aber nicht einfach in Auftrag geben, ohne dass uns die Mitgliedstaaten dazu bevollmächtigen.
“Die WIPO kommt auch wieder zurück in die Normsetzung”
iRights.info: Sie sagen, die WIPO kann ein Dialogforum sein. Wie viel kann der Dialog politisch bewirken?
Johannes Christian Wichard: Man darf den Dialog nicht unterschätzen. Das ist nicht nur Gerede. Es gibt zum Beispiel wenige tragfähige Statistiken über das Ausmaß von Urheberrechts- und Markenrechtsverletzungen weltweit. Es gibt aber auf nationaler Ebene Ansätze, diese Datenlücke zu füllen. Man will sich nicht nur auf Industriestatistiken verlassen, sondern selber methodisch sauber eine Datengrundlage erarbeiten. Im nächsten Schritt könnte die WIPO als Clearinghaus diese nationalen Ansätze verfügbar und die Daten vergleichbar machen. Diese Klarheit würde auch der politischen Entscheidungsfindung dienen.
iRights.info: Wie schätzen Sie die politisch-institutionelle Bedeutung der WIPO heute ein?
Johannes Christian Wichard: Wir haben mit Francis Gurry seit 2008 einen Generaldirektor, der Reformen der WIPO vorantreibt und sie programmatisch neu aufstellt. Das beginnt Früchte zu tragen. Wir veranstalten wie gesagt demnächst eine diplomatische Konferenz, die einen internationalen Vertrag über den Schutz der ausübenden Künstler, also der Kulturarbeiter, verhandeln und verabschieden wird. In Vorbereitung ist außerdem ein Vertrag über Senderechte. Stück für Stück kommt die WIPO auch wieder zurück in die Normsetzung.
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