Zwanzig Jahre Software-Richtlinie: Eine Bilanz
Bietet der zwanzigste Geburtstag der Computerprogramm-Richtlinie 91/250/EWG (PDF) vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, jetzt 2009/24/EG (PDF) überhaupt Anlass zum Feiern? Jedenfalls kann das Datum zum Anlass genommen werden, die Regelungen der Richtlinie einer eingehenden Bilanz zu unterziehen.
Dies tat das Institut für Rechtsinformatik (IRI) der Universität Hannover unter der Leitung von Nikolaus Forgó sowie Axel Metzger und lud am 12. Mai 2011 zur Konferenz „Zwanzig Jahre Software-Richtlinie: Eine Bilanz“. Eingangs der Konferenz war es an Wolfgang Kilian, dem ehemaligen Leiter des IRI, anekdotenreich den Weg der Rechtsentwicklung hin zu eben jener Computerprogramm-Richtlinie zu skizzieren. Er berichtete von frühen Auseinandersetzungen, um die Frage, welchem Regelungsregime eigentlich Computerprogramme unterliegen sollten: Bedurfte es einem Schutz sui generis oder konnte Software als Gegenstand des Urheberrechts Berücksichtigung finden?
Auch erinnerte Kilian an die berühmte Inkasso-Entscheidung des BGH (NJW 1986, 192-197 – Inkasso-Programm) aus den 1980er Jahren, in der das Gericht erstmals ausdrücklich zu den Schutzvoraussetzungen für Computerprogrammen Stellung bezog. Der BGH stellte bei der Schutzfähigkeit von Computerprogrammen darauf ab, dass ein Computerprogramm auf einer geistigen Leistung beruhen müsse, die die eines Durchschnittsprogrammierers bei Weitem übersteige (vgl. BGH aaO, Rdnr. 83). Nicht zuletzt diese Tendenz in der Rechtsprechung, Computerprogrammen nur einen eingeschränkten urheberrechtlichen Schutz zu gewähren, führte somit zur Notwendigkeit, das Schutzniveau einheitlich zu bestimmen.
Ende des Dornröschenschlafes
Aber konnte die Computerporgramm-Richtlinie in den vergangenen zwanzig Jahren die mit ihrem Erlass bezweckte Wirkung entfalten? Es erstaunt schon allein die Tatsache, dass die europäische Rechtsprechung fast eben jene zwanzig Jahre benötigte, um sich zu ausdrücklich und inhaltlich zu den Regelungen der Richtlinie zu äußern. So sprach Christian Heinze vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in seinem Vortrag diesbezüglich von einem Dornröschenschlaf der Richtlinie, der mit der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-393/09 – Bezpenostní softwarová asociace) zur Schutzfähigkeit von grafischen Benutzeroberflächen als Software beendet worden ist. In dieser Entscheidung hat sich der EuGH zum einen erstmals mit den Schutzvoraussetzungen für Computerprogramme eingehend auseinander gesetzt.
Nach Auffassung des Gerichts sei zum Beispiel
das Kriterium der Originalität dann nicht erfüllt, wenn der Ausdruck dieser Komponenten [einer grafischen Benutzeroberfläche] durch ihre technische Funktion vorgeben ist, denn die verschiedenen Möglichkeiten der Umsetzung einer (nicht schutzfähigen) Idee sind so beschränkt, dass Idee und Ausdruck zusammenfallen.
Hier verwies Heinze auf mögliche Konsequenzen der EuGH-Entscheidung für das allgemeine Urheberrecht z.B. im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie 2001/29/EG (sog. InfoSoc-Richtlinie, die ihrerseits mittlerweile ihr Zehnjähriges feiert).
Zum anderen zeigte er auf, dass der EuGH in seiner Entscheidung beim Umfang der Verwertungsrechte auf die Regelungen der InfoSoc-Richtlinie Bezug nimmt und diese Software-spezifisch auslegt. So komme eine Verletzung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe (Art. 3 Abs. 1, Richtlinie 2001/29/EG) nicht in Betracht, wenn die Software in dem Sinne der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird, dass die Personen, aus denen sich diese zusammensetzt, Zugang zu dem wesentlichen Merkmal der Schnittstelle haben, nämlich der Interaktion mit dem Benutzer. Damit bestimme der Umfang der Funktionalität von Software auch die Reichweite der jeweiligen Verwertungsrechte.
Auch wies Heinze in diesem Zusammenhang gleich auf mehrere Verfahren hin, die mittlerweile vor dem EuGH anhängig sind. So wird sich die Rechtssache SAS Institute (C-406/10) mit dem Schutz von Programmiersprachen, Schnittstellen und Funktionalitäten befassen. In der Rechtssache Usedsoft hatte der BGH jüngst die Frage zum Umfang des Erschöpfungsgrundsatzes bei Software dem EuGH und damit die Frage nach der Reichweite des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie vorgelegt.
Unerschöpfliches
Die letztgenannte Frage zum Erschöpfungsgrundsatzes ist vor allem für Praxis von besonderem Interesse. So nahm Nicholas Storm, Senior Legal Counsel bei SAP, den Ball auf und widmete seinen Vortrag dieser Frage. Im genannten Vorlageverfahren in Sachen „gebrauchter Software“ stellt der BGH unter anderem die Frage, ob sich das Verbreitungsrecht an einer Kopie auch dann erschöpft, wenn der Erwerber mit Zustimmung des Rechteinhabers durch das Herunterladen des Programms aus dem Internet auf einen Datenträger angefertigt hat.
Dies betrifft letztlich das Verhältnis zu Verbreitungsrecht und Erschöpfung sowie Vervielfältigungsrecht und die Frage, inwieweit die Erschöpfung tatsächlich nur auf die Verbreitung einer rechtmäßig in Verkehr gebrachte Vervielfältigungsstücks Bezug nimmt oder aber, ob auch die Erschöpfung Auswirkung auf die Vervielfältigungsrechte in Bezug auf die Erstellung eigener rechtmäßiger Kopien haben kann. Insoweit waren sich die Diskutanten einig, dass eine Entscheidung des EuGH über die Reichweite des Verbreitungsrechts bei Software einen entscheidenden Einfluss über die Ausgestaltung zukünftiger Vertriebswege von Software habe dürfte.
Die zu beobachtende Tendenz der Zunahme der Kontrollmöglichkeiten durch den Softwarehersteller nahm Walter Blocher von der Universität Kassel zum Anlass, softwarerechtliche Verbotsrechte und Schranken bei Computerprogrammen zu beleuchten. Im Hinblick auf die bereits erwähnte Usedsoft-Entscheidung und die Half-Life 2-Entscheidung des BGH führte er in die Probleme um die Reichweite der Artikel 4 und 5 der Computerprogramm-Richtlinie ein.
Hier existiert mittlerweile eine breite Palette ungeklärter Fragestellungen bei der Verbreitung von Software: So könnten beispielsweise mit entsprechender Software erworbene Hardware bei Onlines-Softwareupdates streng genommen nur mit der Ausgangsversion der Software weiterveräußert werden, da sich das Verbreitungsrecht an den Updates in der Regel nicht erschöpft habe. Auch sprach Blocher in seinem Vortrag von einem digitalen Feudalismus, den sich die Rechteinhaber zu Nutze machen, um die konkrete Benutzung von Soft- und Hardware zu beschränken. Hier skizzierte er mögliche Lösungsansätze, wie die Interessenlage von Herstellern und Nutzern einen angemessenen Ausgleich finden und die Nutzungsinteressen nicht durch technische Gegebenheiten und die rechtliche Ausgestaltung der Lizenzierung einseitig beschränkt werden könnten.
Vor diesem Hintergrund ist ebenso erstaunlich, dass die Regelungen der Computerprogrammrichtlinie in den vergangenen zwanzig Jahren nahezu unverändert geblieben sind, während hingegen die Regelungsmaterie selbst einem enormen technischen Wandel unterlegen ist. Betrachtet man den Inhalt der Regelungen selbst, wird aus der Rückschau deutlich, dass die Regelungen in ihrer Tendenz die Stärkung des Urhebers bzw. des Rechteinhabers in den vergangenen Jahren, z.B. durch die InfoSoc-Richtlinie, schon vorweggenommen haben.
Programmierer und Nutzer
Daran anknüpfend beleuchtete Thomas Dreier vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die Regelungen der Richtlinie unter dem Stichwort Rechtsinhaberschaft und „work-made-for-hire“. Zwar sehe die Richtlinie ausgehend vom Schöpfer-Grundsatz eigene Bestimmungen vor, wem die rechtlichen Befugnisse an der Software ursprünglich zustehen. Jedoch bilden diese Vorgaben insoweit lediglich einen rudimentären Anhaltspunkt, da die Ausgestaltung dieser allgemein gehaltenen Regelungen den nationalen Rechtsordnungen vorbehalten bleibe und die Richtlinie insoweit einen sehr weiten Spielraum eröffne. So seien die zentralen Begriffe wie der des Kollektivwerkes oder der des Arbeitnehmers in diesem Zusammenhang nicht harmonisiert. Auf der anderen Seite bleibe den nationalen Rechtsordnungen aber ein Spielraum für eigene dogmatische Konstruktionen sowie wie für vertragliche Lösungen der Rechtsinhaberschaft.
Der Maßstab der Nutzerinteressen bildete die Grundlage des Vortrages von Malte Grützmacher, Partner der Sozietät CMS Hasche Sigle. Die Bedürfnisse der Nutzer wie Kompatibiliät und Datenaustausch, Verkehrsfähigkeit der erworbenen Software oder die Absicherung der bestimmungsgemäßen Softwarenutzung können aufgrund der technischen Entwicklung durch die Richtlinie nur noch unzureichend gewährleistet werden. In vielen Bereichen, z.B. bei projektbasierten Softwareentwicklung, spiegelt die durch die Richtlinie vorgegebene Rechtslage, die Interessen der Beteiligten nicht mehr angemessen wider. Auch hier kamen wieder die eingeschränkte Erschöpfung zur Sprache, oder die Frage, wie eigentlich eine bestimmungsgemäße Benutzung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt werden könne.
Daran thematisch anschließend gab Carsten Schulz von der Sozietät Taylor Wessing einen Praxiskommentar aus Sicht der Open Source Gemeinschaften. Hier war zu konstatieren, dass die Vorgaben der Computerprogramm-Richtlinie in Bezug auf Open Source Software letztlich keine besonderen Vor- oder Nachteile hervorgebracht haben. Allerdings stellen sich bei kollaborativ erstellter Software eine Vielzahl ungelöster Fragen im Zusammenhang mit der Rechtsinhaberschaft daran, was vor allem Fragen bei der Rechtsdurchsetzung aufwirft. Dies stellt jedoch kein richtlinienspezifisches Problem dar, sondern ergibt sich aus den allgemeinen Zuweisung der Rechtsinhaberschaft durch das Urheberrecht.
Dekompiliertes
Das Ziehen einer Bilanz beinhaltet aber auch eine Analyse, inwieweit sich die vom Richtliniengeber prognostizierten Problemstellungen tatsächlich realisiert haben. Hier konstatierten einige der Vortragenden, dass gerade die an Details reichen Regelungen bis heute in der rechtlichen bzw. gerichtlichen Praxis so gut wie keine Bedeutung besitzen. Zu nennen sind hier beispielsweise die Vorschriften zur Dekompilierung (Art. 6 der Richtlinie). So wies Andreas Wiebe von der Universität Göttingen in seinem Vortrag darauf hin, dass Streitigkeiten um die Auslegung dieser Vorschrift und ihrer entsprechenden Umsetzung im deutschen Urhebergesetz (dort § 69 e UrhG) keine nennenswerte Rolle spielen.
Vielmehr werde der durch diese Vorschrift bezweckte Schutz spätestens seit dem Microsoft-Kartellverfahren durch das Kartellrecht sichergestellt. Denn dadurch werde nicht nur, wie in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie verlangt, eine Duldung der Dekompilierung zur Herstellung von Interoperabiliät, sondern eine Pflicht zu Offenlegung entsprechender Schnittstelleninformationen statuiert. Dementsprechend seien die Regelungen zu den Freiheiten bezüglich einer Programmkompilierung eher kartell- denn urheberrechtlicher Natur. Im Übrigen sprach Wiebe im Hinblick auf Interoperabilität für eine Freigabe des Reverse Engineering zu Gunsten weiterer Zwecke wie Forschung und Entwicklung aus. Auch insoweit sei der Schutz des Wissenvorsprungs auf Grund etwaiger programmtechnischer Innovationen nicht Aufgabe des Urheber-, sondern des Wettbewerbsrechts.
Ausblick
Was bleibt also als Fazit der vergangenen zwanzig Jahre? Es zeigt sich, dass viele rechtliche Probleme im Zusammenhang mit Software durch die Richtlinie mittlerweile nur unzureichend erfasst und gelöst werden. Zum Abschluss der Konferenz zeigte hier Gerald Spindler von der Universität Göttingen die unterschiedlichen Einflüsse von InfoSoc-Richtlinie und der Computerprogramm-Richtlinie auf die Urheberrechtsordnungen der einzelnen Mitgliedsstaaten auf. An vielen Stellen wie z.B. Schrankenregelungen, Urhebervertragsrecht bestehe erheblicher Harmonisierungsbedarf.
So spiegelt der Umfang der Rechteeinräumung und dementsprechend die Reichweite der softwarerechtlichen Schrankenbestimmungen nur noch teilweise den technischen Möglichkeiten und die entsprechenden Nutzungsinteressen wider. Dies wird vor allem bei aktuell aufgeworfenen Fragen zu Softwarevertriebsmodellen und dem Erschöpfungsgrundsatz sehr deutlich.
Damit einher geht die grundsätzliche Frage, in welchem Umfang der Softwarenutzer den Einsatz und die Benutzung der von ihm rechtmäßig erworbenen Software selbst bestimmen kann oder inwieweit rechtmäßige Benutzung der Software ausschließlich vom Softwarehersteller bestimmt werden kann und darf. Da auch erst seit jüngster Zeit sich dem EuGH die Gelegenheit bietet, eine einheitliche Auslegung der Richtlinie vorzunehmen, dürften der Computerprogramm-Richtlinie somit wohl wesentlich spannendere zwanzig Jahre als die vergangenen bevorstehen.
Stefan Labesius, Jahrgang 1980, studierte Rechtswissenschaften in Osnabrück und Freiburg i. Brsg. sowie Osteuropastudien mit Schwerpunkt Russisches Recht an der FU Berlin. Referendarsexamen 2006 in Freiburg; M.A. (Osteuropastudien) 2010 in Berlin. Rechtsreferendariat in Berlin und St. Petersburg; Assessorexamen 2011 in Berlin. Er ist Mitglied des Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software (ifrOSS).
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