Anonymous Warhol Flowers: Urheberrecht als Material und Gegenstand der Kunst
Wie so oft in der Kunst stand am Anfang der Zufall. Dass ich mich als Künstlerin nun seit über sechs Jahren mit Urheberrecht und geistigem Eigentum beschäftige, war so nicht geplant. Das Thema ist mir auch nicht plötzlich „eingefallen”, vielmehr hat es sich mir aufgedrängt, es ist mir sozusagen „auf den Kopf gefallen” – in Form einer Ausstellungsabsage.
Geplant war eine Ausstellung im Herbst 2004 im Forum für Neue Medien plug.in in Basel. Im Zentrum der Ausstellung sollte der net.art generator stehen, ein von mir entwickeltes Computerprogramm, das online und über eine Website für jedermann zugänglich nach Eingabe eines Suchbegriffes automatisch Collagen erstellt. Grundidee des Projekts ist, eine typische Bild- und Diskursproduktion in einer vernetzten Kultur zu erforschen. Die Programmversion nag_05, die ausschließlich mit Bildern arbeitet, stellte sich als besonders geeignet heraus, um Collage-Techniken – wie sie Kubismus und Dadaismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervorgebracht haben – im digitalen und vernetzten Zeitalter fortzuschreiben. In einem Netzwerk entstehen Bilder, die für mehr stehen als nur für sich selbst: Sie stehen für die Art ihrer Entstehung, für ihre Einbettung in Prozesse von Dialog und Austausch, für dynamische Verbindungen und für einen kontinuierlichen Datenstrom.
Da die neuen Bilder mit Hilfe des von mir konzipierten und von einem Programmierer realisierten Computerprogramms erstellt werden, das mit Zufallsprinzipien arbeitet und zurückgreift auf im Internet abrufbare Bilder, die durch die Eingabe eines Suchbegriffes durch einen Nutzer in Gang gesetzt werden, stellt sich die Frage, wer sich eigentlich als Urheber einer solchen Collage bezeichnen kann. Es ist nicht möglich, mit dem nag_05 zweimal die gleiche Collage herzustellen; jedes Ergebnis ist also ein Original. Aber wie original kann ein Bild sein, das sich lediglich aus Teilen anderer Bilder zusammensetzt, hinter deren Auswahl und Komposition nicht ein nach ästhetischen Kriterien ordnender menschlicher Geist steht, sondern ein Computerprogramm? Derlei Fragen trieben meine ästhetischen Experimente voran. In deren Zentrum sich – wiederum vollkommen zufällig – ein bestimmtes Motiv geschmuggelt hatte, die berühmten Flowers von Andy Warhol.
Plötzlich waren sie da und in ihrer Ikonenhaftigkeit nicht zu übersehen. Auch wenn es nur Teile davon waren, als zentrales Motiv der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts besitzen sie eine Art unverwüstlichen Wiedererkennungswert; weder kleine Formate, eine web-bedingte niedrige Bildqualität noch digitale De- und Rekonstruktion schaffen es, das Motiv unkenntlich zu machen. Die Recherche zu dem Motiv machte auch deutlich, dass es nicht nur symbolisch für die von Warhol perfektionierte überindividuelle Bildproduktion steht. Durch die Geschichte der mehrfachen Aneignung trägt es den Diskurs der künstlerischen Störung von Originalitäts- und Autorschaftskonzepten in sich eingeschrieben und wurde so zum idealen Motiv für meine ästhetischen Experimente.
Was in Basel gezeigt werden sollte, war meine Auseinandersetzung und Fortführung der Kunst des Pop-Art-Protagonisten Andy Warhol im digitalen Zeitalter. Er war nicht nur einer der ersten Künstler, die eine künstlerische Aneignung (appropriation) von Bildern aus Popkultur, Kunst und Werbung betrieben; zusätzlich praktizierte er auch – zumindest dem Mythos nach – eine von seiner Person losgelöste Herstellung der Werke, indem er Assistenten mit dem Drucken „seiner” Bilder beauftragte. Maschinelle und serielle Produktion sowie Automation sind weitere Verfahren, mit denen Warhol sein Leben lang experimentierte und in deren Tradition ich ebenfalls meinen net.art generator verorte. Und nicht zuletzt schreibt sich Warhols Liebe zum maschinistischen, unpersönlichen und leidenschaftslosen Kunstmachen gerade auch fort im Motto meiner Netzkunstgeneratoren: „A smart artist makes the machine the work.” Mein Werkzeug ist der Computer und als unerschöpfliche Quelle für Bildmaterial nutze ich das Internet.
Warhol stellte die beiden zentralen Kategorien der Kunst – das originale Werk und dessen Autor – nicht nur infrage, sondern wollte sie zerstören, zumindest aber erheblich stören. Wie wenig erfolgreich er letztlich mit seinem Ansinnen war, wie sehr Warhol sich „einen Namen gemacht hat” gerade als Urheber von Kunstwerken, deren Urheberschaft eigentlich unklar ist und die alles andere als ein originales Werk im herkömmlichen Sinn darstellen, wurde spätestens in dem Moment klar, als mir die Leiterin des Ausstellungsortes die Nachricht übermittelte, dass sie meine geplante Ausstellung aufgrund der drohenden Urheberrechtskonflikte nicht durchführen könne. Sie bzw. ihr juristischer Berater befürchteten, Probleme mit den Rechteinhabern zu bekommen, die die Interessen von Warhol in der Schweiz vertreten. Meine Experimentierfreude fand ein jähes Ende. Meiner künstlerischen Freiheit war eine Grenze gesetzt worden – aufgrund befürchteter Verstöße gegen das Urheberrecht.
Eine juristische Perspektive
Um das Urheberrecht und seine von mir als Begrenzung erfahrenen Auswirkungen besser verstehen zu lernen, beschloss ich, meinen „Fall” mehreren Experten zur Prüfung vorzulegen. Ich befragte vier Fachanwälte zur Urheberschaft der digitalen Flowers-Collagen und bat sie um ihre Einschätzung bezüglich der Rechtmäßigkeit von Produktion und Ausstellung der Bilder (Dank an die mitwirkenden Anwälte: RA Peter Eller, München; RA Jens Brelle, Hamburg; Dr. Rolf auf der Maur, Zürich; Dr. Sven Krüger, Hamburg). Keiner der Spezialisten vermochte zu klären, wer – aus juristischer Sicht – als eindeutiger Urheber eines neu entstandenen Blumenbildes bezeichnet werden kann. Und zu der Frage, ob ich die digitalen Collagen ausstellen darf, kamen die Experten zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen. Es wurde das „Recht auf freie Meinungsäußerung” angeführt sowie die grundgesetzlich verankerte „künstlerische Freiheit” (Art. 5 Abs. 3 GG) – beides als mögliche Strategien, um für die Rechtmäßigkeit des Ausstellens der digitalen Collagen zu argumentieren. Die beiden anderen Anwälte zeigten sich besorgter und rieten mir sowohl von dem Ausstellen als auch dem Veröffentlichen auf der Website ab.
Für mich ergaben sich aus diesen Gesprächen zwei Erkenntnisse. Erstens: Die Nutzung vorgefundener Bilder als Ausgangsmaterial für eine künstlerische Bearbeitung führt in der Regel in eine juristische Grauzone. Die im Urheberrecht angeführte Unterscheidung zwischen einer „abhängigen” oder „erlaubnispflichtigen ” und einer „freien” Bearbeitung ist im Einzelfall oft uneindeutig und unterliegt somit dem Ermessen eines Richters. Daraus folgt die zweite Erkenntnis: Keine juristische Beratung kann mit Sicherheit angeben, ob im Einzelfall die künstlerische Freiheit oder das ebenfalls gesetzlich verbürgte Recht der Urheber bzw. ihrer Rechtsnachfolger mehr Gewicht hat zu bestimmen, was mit dem Werk geschehen darf. Das heißt, um zu einer eindeutigen Entscheidung zu kommen, ist ein Richterspruch notwendig. Bestehe ich als Künstlerin auf meinem Recht der Kunstfreiheit, muss ich also bereit sein, mir dieses vor Gericht zu erstreiten. Dass viele Künstler/innen vor den damit verbundenen Kosten und Risiken zurückschrecken und sich im Zweifelsfall in Selbstzensur üben, ist mehr als wahrscheinlich. Das mag auch einer der Gründe dafür sein, dass verhältnismäßig wenige derartige Streitfälle vor Gericht ausgetragen werden.
Meine Gespräche mit den Anwälten wurden auf Video aufgenommen und in Basel als Installation mit dem Titel Legal Perspectivegezeigt; – als Alternative zur ursprünglich geplanten Ausstellung. Das gesamte Material ist auch im Internet abrufbar.
This is not by me
Obwohl die rechtliche Situation also weiterhin unklar war, brachte der damalige Leiter des Kunstvereins Hildesheim, Thomas Kaestle, den Mut auf, mich im Jahr 2006 zu einer Einzelausstellung einzuladen. In dieser wollte er nicht nur die Video-Interviews mit den Anwälten zeigen, sondern auch erstmals großformatige Drucke des bearbeiteten Blumenmotivs. Er war sich der Situation bewusst, dass er im Falle einer Abmahnung auch die Folgen mitzutragen haben würde.
Um die Arbeit inhaltlich weiterzutreiben, hatte ich in der Zwischenzeit ein Konzept entwickelt, das der Rechtsunsicherheit entgegenwirken sollte: Ich wollte mir in einem Gespräch mit Andy Warhol einfach sein Einverständnis zusichern lassen. Als neue Arbeit sollte dann in Hildesheim die Video-Dokumentation unserer Unterhaltung zu sehen sein. Da Warhol zu dem Zeitpunkt bereits annähernd 20 Jahre tot war, musste ich erneut auf ein Collage-Verfahren zurückgreifen und montierte Ausschnitte alter Film-Interviews mit ihm und neue Aufnahmen mit mir als Fragestellerin zusammen.
Der Künstler zeigte sich in dem Gespräch gewohnt wortkarg. Die Diskussion über unsere vergleichbaren ästhetischen Strategien, vorgefundenes Material zu bearbeiten, sowie unsere gemeinsame Leidenschaft für automatisierte, Maschinen- oder Software-basierte Kunstproduktion musste hauptsächlich ich bestreiten. Lediglich wenn es dazu kam, sich über traditionelle Vorstellungen von Kreativität und Originalität lustig zu machen, engagierte sich der Pop-Art- Künstler etwas mehr. Nicht zuletzt sprachen wir über seine eigenen Zensurerfahrungen. Wie fast alle „seiner” Bilder, sind auch seine Flowers nicht von ihm. Die Zeitschrift Modern Photography hatte die Abbildungen von Hibiskus-Blüten der Fotografin Patricia Caulfield 1964 abgedruckt. Dort hat sie Warhol entdeckt und anschließend zu seinen Siebdrucken weiterverarbeitet. Diese Appropriation der Flowers brachte ihm seine erste Klage ein. Doch für Warhol, der, wie er selbst erläutert, nicht versteht, warum er beim Kauf einer Zeitschrift nicht automatisch auch das Recht erwirbt, die darin abgebildeten Bilder zu verwenden, bleibt das Konzept des geistigen Eigentums abstrakt. Folglich ließ ihn meine Bitte um Erlaubnis auch etwas ratlos zurück. Überzeugt von meiner Demonstration des net.art generator konnte ich ihn dann doch noch überreden, mir die Nutzung der Flowers zu erlauben. Damit schien das Problem – erst einmal – gelöst. Sowohl die farbenprächtigen Drucke der digitalen Collagen als auch die Video-Installation mit den Anwälten sowie mein Gespräch mit Warhol sind seitdem an mehreren Ausstellungsorten – ohne Probleme – gezeigt worden.*
Doch die Geschichte ist damit längst nicht zu Ende, denn auch die für das Warhol-Interview verwendeten Filmschnipsel haben einen Urheber, der seine Rechte wahrnahm und intervenierte, als ich das Video veröffentlichte. Diesen Fall konnten wir allerdings unter uns, unter Künstlerkollegen regeln, ohne juristischen Beistand.
Im Interesse der Künstler/innen?
Was mich nachhaltig an dem Thema Urheberrecht interessiert und mich letztendlich sogar dazu bewogen hat, mich wissenschaftlich in Form einer Dissertation damit zu beschäftigen, ist die Frage nach dem Ineinandergreifen von Urheberrecht und ästhetischer Theorie. Wie der Philosoph Eberhard Ortland ausführt, könne das europäische Urheberrecht, das die Person des Urhebers als Schöpfer ins Zentrum stellt und insbesondere auch dessen ideelle Beziehung zum Werk berücksichtigt, ohne den Rekurs auf bestimmte Vorstellungen vom Kunstwerk und vom künstlerischen Schaffen nicht bestehen. (Ortland 2004: 775) Gleichzeitig haben sich Generationen von Künstler/innen an der Unterwanderung von Autorschaft und Werkbegriff abgearbeitet. In welchem Verhältnis stehen dann diese Entwicklungen zum Urheberrecht?
Zusätzlich liefert der Widerspruch innerhalb des Urheberrechts, der sich für mich in der Praxis gezeigt hat, dass es nämlich einerseits auf der Idee ästhetischer Autonomie beruht, dieses andererseits aber immer weiter beschränkt, Fragestellungen für eine wissenschaftliche Untersuchung. Ohne an dieser Stelle wirklich ins Detail gehen zu können, möchte ich abschließend dennoch die aktuellen Entwicklungen – die strikteren Gesetze, deren verschärfte Durchsetzung und insbesondere die durch diverse Kampagnen der Medienindustrie ausgelöste allgemeine „Copyright-Panik” – in einen Zusammenhang stellen mit der globalen ökonomischen Entwicklung. Geistiges Eigentum ist die Grundlage der „Knowledge Economy”. Nur durch eine weltweite Durchsetzung von Intellectual Property Rights – das Grundanliegen des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen) – sehen globale Konzerne ihre Investitionen und Gewinne gesichert. In diesem Gesamtszenario spielen Künstler/innen eine eher untergeordnete Rolle.
Die Internationalisierung der geistigen Eigentumsrechte hat eine Entwicklung eingeleitet, in der das Konzept des geistigen Eigentums in seiner Bedeutung sich wieder seinen Anfängen nähert, einem von Urheber/innen unabhängigen Regulativ für Wettbewerb. Die Persönlichkeitsrechte im europäischen Urheberrecht werden in diesem Kontext immer mehr zum Störfaktor im reibungslosen globalen Handel. Eine wichtige Rolle kommt den Künstler/innen dennoch zu. Die angebliche Verteidigung ihrer Interessen eignet sich hervorragend zum Erlass härterer Gesetze. Dass die Künstler/ innen damit lediglich als Vorwand zur Durchsetzung ganz anderer Interessen dienen, scheint den meisten bisher noch nicht aufgefallen zu sein. Vor diesem Hintergrund betrachte ich meine Arbeit als das Bemühen um eine emanzipierte künstlerische Position in der Diskussion um geistiges Eigentum.
*Auswahl: mag:net gallery, Manila (2006), FRISE, Hamburg (2007), Medienkunstverein Dortmund (2008), Mejan Labs, Stockholm (2009), hub:kunst.diskurs, Hannover (2009).
Links und Literatur
- net.art generator
- Cornelia Sollfrank (2004): net.art generator,Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg.
- Cornelia Sollfrank (2009): expanded ORIGINAL, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern.
- Eberhard Ortland (2004): „Urheberrecht und ästhetische Autonomie”, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 52:5, S. 773-792.
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Cornelia Sollfrank arbeitet als Künstlerin und Forscherin praktisch und theoretisch zum Thema Kunst und Urheberrecht. Neben der Werkreihe zu Warhols Flowershat sie zu Wiederholung und Reenactment gearbeitet sowie zu Reproduktion und Bildrechten. Auf der Konferenz WizardsofOS4 (2006) gestaltete sie eine Podiumsdiskussion zum Thema künstlerische Freiheit. Siehe auch:artwarez.org
Dieser Beitrag gehört zur Reihe „Copy.Right.Now! – Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht”, die auch als gedruckter Reader erschienen ist. Er steht unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND.
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