Fundstücke zur Kreativwirtschaft
Hendrik Werner wundert sich in der „Welt“ über „Merkwürdige Methoden bei der Google-Buchsuche“, Mike Skinner (The Streets) ist überzeugt, daß „die Musikindustrie … ihren Kollaps schon hinter sich“ hat und die Weltzollorganisation will sogar ihre Terminkalender urheberrechtlich geschützt wissen.
Google hat sich bekanntlich in den USA mit den Buchverlegern über die Nutzung urheberrechtlich geschützter Bücher für seine Online-Buch-(Durch-)Suche geeinigt. Hier erklärt Google selbst, was es damit auf sich hat.
Der Holtzbrinck-Geschäftsführer Rüdiger Salat zeigte sich von der Einigung sehr angetan: „Die Vereinbarung könnte einen wesentlichen Beitrag zur Integration der Interessen von Autoren, Verlagen, Bibliotheken und Internetplayern bei der Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle in der digitalen Welt leisten.” In Deutschland steht eine vergleichbare Einigung noch aus.
Hendrik Werner machte nun die Probe aufs Exempel und berichtet über seine Erfahrungen in der gestrigen Ausgabe der Welt. Und er fand: seine Dissertation, die er 2001 im Verlag Königshausen & Neumann veröffentlichte. Werner ist alles andere als begeistert: „Zum einen hat mich niemand über diesen Schritt informiert, geschweige denn um Erlaubnis gefragt. Nicht der Verlag. Nicht jene deutsche Bibliothek, aus deren vom Kooperationspartner Google digitalisierten Beständen der online gestellte Text stammen muss. Und Google selbst hat auch nicht bei mir angerufen.” Als „besonders problematisch” empfindet Werner, daß es möglich ist, „sich unter dem Menüpunkt ‚Dieses Buch durchsuchen’ mit Hilfe gezielter Suchbegriffe von ‚Stalin’ über ‚Hand’ bis ‚Gespenst’ sukzessiv fast jede einzelne Seite aufzurufen – und diese auszudrucken.” Er ist überzeugt: „Das kommt bei Fachliteratur billiger als der Erwerb des Werks über einen der am Seitenrand aufgelisteten Internet-Buchhändler, die für mein Opus zwischen 30 und 45 Euro haben wollen.”
Halbwegs repräsentativ für die gegenwärtige Diskussion über Urheberrechtsfragen sind die Kommentare der Leser des Artikels von Werner. So schreibt etwa der Kommentator Dirk Gaber:
„Wer die Zeit dazu hat, mit Hilfe gezielter Suchbegriffe jede einzelne Seite aufzurufen, um diese dann auszudrucken, der hat das sicherlich auch nötig. Zudem wird der Stellenwert des eigenen Werkes von vielen Autoren – und es gibt, vorsichtig ausgedrückt, wirklich ‚viele’ ‚Autoren’ – schlicht überschätzt.”
Derlei Bemerkungen findet der Nutzer Heinz Hard unangebracht:
„Ich finde es immer wieder erstaunlich, mit welcher Dreistigkeit der Diebstahl geistigen Eigentums schöngeredet wird. Wie wär’s, wenn die Kommentatoren hier einfach mal ihre Adresse veröffentlichen: mal sehen ob sich ihre Meinung ändert, wenn es sie selbst trifft oder betrifft.”
So hat jede Medaille ihre zwei Seiten…
Ralf Krämer hat sich für Jetzt.de (von der Süddeutschen Zeitung) mit dem britischen Musiker Mike Skinner unterhalten. Unter anderem hat er Skinner auch zur Lage der Musikindustrie und der Musiker befragt:
Krämer: Vor einiger Zeit habe ich in Berlin auf der Straße einen Flyer gefunden. Auf ihm stand: „The Streets, live und umsonst, heute auf der Baustelle der O2-Arena”. Ich bin nicht hingegangen, weil ich keine Lust hatte, auf einer Werbeveranstaltung für einen Handy-Anbieter zu tanzen. Wie stehst du dazu?
Skinner: Es klingt gut, zu sagen: Musik sollte frei und unabhängig sein. Aber allein der physikalische Akt, eine Band von England nach Deutschland zu transportieren, kostet sehr viel Geld. Das ist nicht mit ein paar hundert Eintrittskarten zu finanzieren. Es war mal die Aufgabe der Plattenfirmen, diese Kosten zu übernehmen, aber die CD-Verkäufe sind geradezu irrelevant geworden. Die Plattenfirmen finanzieren kaum noch Tourneen, also macht es eben O2. Es ist eine sehr heuchlerische Haltung, vor allem von Konsumenten aus der Mittelschicht, diese Tatsachen außer Acht zu lassen.
…
Krämer: Also ist es der konsequente, moderne Weg, sich Musik von Sponsoren bezahlen zu lassen?
Skinner: Ja. Zum Beispiel.
Das ist, finde ich, ein sehr interessantes Beispiel für den Strukturwandel in der Musikwirtschaft. Einerseits macht sich ein Musiker wie Skinner keinerlei Illusionen. Tourneen müssen finanziert werden und es kommt für die Qualität der Musik nicht auf die konkrete Geldquelle an. Andererseits zeigt sich die Schwerfälligkeit der Plattenfirmen. Statt Musik in jeder Form zu verkaufen, auch in Form von Live-Konzerten, wollen sie in erster Linie Tonträger verkaufen. (Seit einiger Zeit ja immerhin auch Musikdateien.) Die sich öffnende Lücke schließen dann eben andere Unternehmen. Mit anderen Worten: Die Musikwirtschaft ist dabei, in der Marktwirtschaft anzukommen. Der damit einhergehende Strukturwandel führt zu einer Reorganisation de Verwertungskette bei der alte Akteure verlieren und neue Akteure gewinnen.
Das klassische Verlagssystem mit dem die Plattenfirmen bisher operierten stammte ja konzeptionell noch aus der Zeit des Frühkapitalismus (der Renaissance) als Handwerker in Zünften organisiert waren. Dazu sagt Georg Droege in seiner Deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte (3. Aufl., Ullstein, 1979):
„Insgesamt trugen zur Entstehung des Verlagssystems also mehrere Gründe bei, Finanzierungsprobleme innerhalb des Handwerks und des Montangewerbes, Absatzprobleme, die nicht mehr vom einfachen Handwerksmeister zu lösen waren, Kostenprobleme zur Verbilligung der Herstellung.” (S.91/92)
Die Verleger schossen für die Produktion Geld vor – „legten es vor” – und sicherten sich so den preiswerten Zugriff auf die Produkte. Zugleich monopolisierten sie den Zugang zu den Quellen und konnten beim Verkauf der Waren Mengen, Qualitäten und Preise kontrollieren. In den meisten Wirtschaftszweigen wurde das Verlagssystem in den späteren Jahrhunderten im Zuge der weiteren Entwicklung des Kapitalismus abgelöst. Lediglich im Buchgewerbe – und davon ausgehend dann mit der Institutionalisierung des Urheberrechts in der Musikwirtschaft, der Filmwirtschaft und der Softwarewirtschaft – wurde das Verlagssystem weitgehend beibehalten. Exklusive Rechte zur Vermarktung von einzelnen Waren und die damit verbundene Möglichkeit des Preisdiktats entzog Waren wie Musikstücke, Texte und Filme weitestgehend dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb.
Die durch die exklusive Kontrolle der Menge von Waren zu erzielenden Preise garantierten den Plattenfirmen, Verlagen und Filmstudios hohe Profite, die sie zielgerichtet auch dazu einsetzten (und einsetzen), das für sie so lukrative System zu manifestieren. Welchen Einfluß die Lobby der Verwerter noch immer hat, läßt sich gut daran ablesen, daß die EU-Kommission wider alle wirtschaftliche Vernunft die Schutzfrist für Musikaufnahmen massiv verlängern will.
Im Zuge der Digitalisierung der Medienreproduktion und des Medienvertriebs ist nun aber der Fall eingetreten, daß sich die „Finanzierungsprobleme innerhalb des Handwerks”, „Absatzprobleme” und „Kostenprobleme zur Verbilligung der Herstellung” – um noch einmal auf Droege zurückzukommen – erheblich vereinfacht haben. Der PC ist zum Tonstudio, zum Vervielfältigungsgerät und zum Vertriebsinstrument geworden, das sich auch ohne Verlagssystem finanzieren läßt.
So banal es klingen mag, kann man es doch nicht oft genug wiederholen: Veränderte Kosten ermöglichen veränderte Strukturen. Und im Kapitalismus, wo Kostenvorteile immer auch Wettbewerbsvorteile darstellen, erzwingen veränderte Kosten veränderte Strukturen. Wer dem Wettbewerb nicht standhält, verschwindet vom Markt – so funktioniert nun einmal das System. Die derzeit in der Kreativwirtschaft zu beobachtenden Strukturveränderungen sind die unmittelbare Folge der Kostenveränderungen bei Produktion, Reproduktion und Distribution der von Kreativen produzierten Waren. Den Kreativen wird die Anpassung bei allen Schwierigkeiten gelingen, da bin ich mir sicher. Das war schon immer so, sie haben ja schließlich etwas anzubieten. Unternehmen aber, die am Verlagsmodell festhalten – koste es, was es wolle -, werden den Strukturwandel höchstens in Nischen überstehen. Die Angebote, die sie den Produzenten der von ihnen exklusiv verkauften Waren machen können, werden immer unattraktiver.
An neuen Texten, Bilder, Musikstücken usw. usf. wird es dennoch nicht mangeln. Denn, um noch einmal Mike Skinner zu Wort kommen zu lassen:
Krämer: Würdest du dann auch noch Musik machen, ohne Publikum?
Skinner: Ja, das würde ich wohl. Aber das ist dann wieder der große Vorteil des Internets: du kannst deine Musik sehr schnell weltweit verbreiten. Ein Publikum zu haben oder nicht, ist also nicht das Problem.
Last but not least ein Kuriosum (via Intellectual Property Watch). Die Weltzollorganisation (WCO) nimmt das Urheberrecht auf alle Dokumente in Anspruch, die von ihr produziert werden: „Copyright © 2008 World Customs Organization. All rights reserved. Requests and inquiries concerning translation, reproduction and adaptation rights should be addressed to copyright@wcoomd.org.” Das betrifft sogar die Tagesordnungen für die Treffen der Arbeitgruppen!
Was sagen Sie dazu?