Neue US-Studie zu den Folgen der „Musikpiraterie“
Der Gesamtschaden durch „Piraterie“ (in der Studie ebenfalls mit Anführungszeichen geschrieben) soll sich den Experten des IPI zufolge auf 12,5 Milliarden US-Dollar beziffern lassen. Darin eingeschlossen sind neben den entgangenen Profiten der Rechteinhaber auch 2,7 Milliarden US-Dollar für Lohnzahlungen, die Arbeitern verloren gehen sollen. Davon würden der Studie zufolge 1,1 Milliarden auf Arbeitskräfte in der Musikindustrie und 1,6 Milliarden auf Arbeiter und Angestellte „in anderen US-Industrien“ entfallen. Für die Regierungen auf Staats- und Bundesebene summieren sich die daraus resultierenden Steuermindereinnahmen auf 422 Millionen US-Dollar.
Alle diese auf den ersten Blick beeindruckenden Zahlen lassen sich der Executive Summary der 32-Seiten-Studie entnehmen. Erst weiter hinten werden die Leser, die bis dahin vorgestoßen sind, darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um Schätzungen des IPI handelt. Die Grundlage der IPI-Berechnungen bilden nicht etwa amtliche Zahlen wie beispielsweise die statistischen Erhebungen des US-Zensus. Die wichtigste Quelle des IPI war nach eigenen Angaben vielmehr der Bericht „2006 Global Recording Industry in Numbers“ – herausgegeben vom Internationalen Verband der phonographischen Industrie (IFPI).
Offizielle Zahlen zeigen anderes Bild
Ein Blick in die amtlichen Zahlen des US-Zensus für die Jahre 1997 und 2002 lässt Zweifel darüber aufkommen, ob die IFPI-Zahlen auch nur annähernd ernst zu nehmen sind. Der US-Zensus untersucht in regelmäßigen Abständen durch Fragebogenaktionen den Zustand der US-Wirtschaft.
Aus den Zensus-Daten für das Jahr 2002 geht hervor, dass 3468 Unternehmen der Musikbranche zuzurechnen waren, die einen Umsatz von rund 15,5 Milliarden US-Dollar erwirtschafteten. Rund 2,3 Milliarden US-Dollar wurden als Gehälter an knapp 33.000 Angestellte gezahlt. Ein Vergleich mit dem Jahr 1997 – also mit der Zeit vor Napster & Co. – zeigt folgende Zahlen: 2935 Unternehmen in der Musikbranche mit rund 12,5 Milliarden US-Dollar Umsatz. (Der Umsatz für 1997 enthält auch Schätzdaten.) Man sieht, dass die US-Musikindustrie in der Zeit vor Napster deutlich kleiner war und deutlich geringere Umsätze erwirtschaftete.
„Napster-Effekt“: Negativ oder positiv?
Das Jahr 2000 war das Jahr, in dem Napster in den USA populär wurde. Wie erging es der Musikindustrie in der Folge?
Die Umsätze sehen für die Folgejahre so aus: 14,08 Milliarden US-Dollar (2000); 13,61 Milliarden US-Dollar (2001); 13,94 Milliarden US-Dollar (2002). (Die Abweichungen zu den oben angegeben Zahlen ergeben sich aus einer geänderten Berechnungsgrundlage des US-Zensus für die jüngeren Jahren.)
Man kann zwar geringfügige Schwankungen im einstelligen Prozentbereich erkennen, aber durch „Piraterie“ ausgelöste Verluste der Größenordnung von -zig Prozent, wie von der IPI „errechnet“, lassen sich in den amtlichen Zahlen nicht finden. Die angeblich in der Musikindustrie verloren gehenden 26.860 Arbeitsplätze würden in etwa der (geschätzten) Gesamtzahl der Arbeitsplätze in der US-Musikindustrie in den 90er Jahren entsprechen. Anders gesagt: Ausgehend von den IPI-Zahlen hätte sich die US-Musikbranche in rund zehn Jahren der Größe nach verdoppeln müssen und nur die „Piraterie“ hat das verhindert. Noch anders gesagt, hätten die US-Bürger ihren CD-Konsum binnen zehn Jahren vervielfachen müssen, denn um ein paar mehr CDs zu pressen benötigt man ja nicht gleich fast 27.000 neue Arbeitsplätze. Und Ausgaben für Live-Konzerte und Merchandising-Artikel sind dabei in den Zensus-Zahlen überhaupt nicht berücksichtigt.
Richtet also die „Musikpiraterie“ den immer wieder behaupteten Milliardenschaden für die US-Wirtschaft an? Mit den amtlichen Zahlen ist das jedenfalls nicht zu belegen. Im Gegenteil, der Vergleich der US-Zensus-Zahlen von 2002 mit denen von 1997 könnte sogar den Schluss nahe legen, dass MP3, Napster & Co. der Musikindustrie zu Beginn der 2000er Jahren zu einem Aufschwung verholfen haben.
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