Gericht: Herausgabe von Providerdaten unverhältnismäßig
Es ging um einen von bundesweit vielen tausend Fällen: Eine Anwaltskanzlei erstattete im Auftrag der Musikindustrie Anzeige gegen einen unbekannten Tauschbörsennutzer, weil er rechtswidrig anderen Nutzern Musikdateien zum Download angeboten hat. Ein Mitarbeiter der mit der Anwaltskanzlei zusammen arbeitenden “Promedia Gesellschaft zum Schutz geistigen geistigen Eigentums mbH (Promedia)” hatte als aktiver Teilnehmer einer Tauschbörse ermittelt. Er fand heraus, dass der oder die Unbekannte die beiden Lieder „Have yourself a merry little Christmas“ von Sarah Connor und „Erinnere mich dich zu vergessen“ von Yvonne Catterfield zum Tausch anbot. Beide Lieder sind urheberrechtlich geschützt.
Staatsanwalt will Providerdaten
Der Promedia-Ermittler hielt die IP-Adresse des Tauschpartners und Datum sowie Uhrzeit der Tauschaktion fest. Die Angaben wurden an die Anwaltskanzlei weitergeleitet. Diese erstattete Strafanzeige. Der zuständige Staatsanwalt beantragte bei Gericht, den Provider zu verpflichten, die persönlichen Daten des Nutzers herauszugeben.
Gericht lehnt ab
Anders als in vielen anderen Fällen lehnte das Amtsgericht Offenburg den Antrag der Staatsanwaltschaft ab. In einer umfangreichen Begründung wird dargelegt, dass dieser „offensichtlich unverhältnismäßig“ sei. Das Gericht argumentiert zunächst, dass die Herausgabe der persönlichen Daten nur auf Grundlage der Paragrafen 100g und 100h der Strafprozessordnung in Frage käme. Bei den identifizierenden Informationen zu einer dynamischen IP-Adresse handele es sich nämlich „um Verkehrsdaten, und nicht um Bestandsdaten“; und „[i]nfolge dessen unterliegen sie dem Fernmeldegeheimnis.“
An Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis stellt die Strafprozessordnung hohe Anforderungen: „Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von erheblicher Bedeutung […] begangen […] hat, darf angeordnet werden, dass diejenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, unverzüglich Auskunft über die […] Telekommunikationsverbindungsdaten zu erteilen haben, soweit die Auskunft für die Untersuchung erforderlich ist.“ (§ 106g StPO)
„Bagatellkriminalität“
Das Gericht sah in dem Tauschangebot der beiden Lieder keine „Straftat von erheblicher Bedeutung“. Vielmehr handele sich um eine Tat, „die der Bagatellkriminalität zuzuordnen ist“, weil „[e]in strafrechtlich relevanter materieller Schaden […] nach dem Vorbringen der Anzeigeerstatter nicht eingetreten“ sei. Das Gericht verweist zur Begründung dieser Einschätzung auf das Beispiel „eines Diebes, dem die Entwendung eines Kaugummis im Wert von 30 Cent angelastet wird“. Dort sei es ja auch nicht gerechtfertigt, „eine Maßnahme gemäß § 100g, h StPO in Betracht zu ziehen“ um des Diebes habhaft zu werden.
Ob durch das Tauschangebot ein nennenswerter Schaden angerichtet wurde, wie in dem Antrag der Staatsanwaltschaft behauptet, zieht das Gericht grundsätzlich in Zweifel. Es verweist auf eine vom Staatsanwalt selbst erwähnte Studie der Harvard-Universität von 2004, in der die Autoren zu dem Schluss kommen, dass „der Einfluss von Downloads auf Verkäufe [von Musik] statistisch gegen Null geht“. Darüber hinaus erzielte der Täter „keinerlei finanzielle Vorteile“, was in den Augen des Gerichts ebenfalls für die Geringfügigkeit der Tat spricht.
Unabsichtliche Urheberrechtsverletzung?
Weiterhin bezweifelt das Gericht die Vorsätzlichkeit der Urheberrechtsverletzung. Nach den Paragrafen 106 und 108 des Urheberrechtsgesetzes sind nur vorsätzlich begangene Urheberrechtsverletzungen strafbar. Es sei jedoch beim Filesharing „nicht oder in ganz seltenen Ausnahmefällen“ nachweisbar, dass der Upload absichtlich erfolgt sei, stellt das Gericht fest. Wie durch eine Studie des US-Patentamtes bekannt sei, enthielten viele Filesharing-Programme Funktionen „die einen Zwangsupload zur Folge haben, ohne dass der jeweilige Nutzer, der im vorliegenden Fall als Täter anzusprechen wäre, dies erkennen könne.“ Ohne Geständnis eines Täters sei aber „der Nachweis, er sei nicht auf die teils verborgenen und schwer entdeckbaren Redistributionsprogrammteile hereingefallen, kaum zu führen“.
Motive der Rechteinhaber
Schließlich berücksichtigt das Gericht die Motive der Rechteinhaber. Mit ihrem Vorgehen, in bundesweiten Massenanzeigen gegen Tauschbörsen zu erstatten, verfolgten die Rechteinhaber „ersichtlich den Zweck […],den über die Ermittlungen festgestellten Anschlussinhaber später zivilrechtlich […] auf Zahlungen hohen, meist unberechtigten Schadensersatzes in Anspruch zu nehmen.“ Dass zum Erreichen dieses Ziels das Strafrecht herhalten soll, wo der Gesetzgeber einen Auskunftsanspruch im Zivilrecht „bewusst versagt hat“, berücksichtigt das Gericht ebenfalls und kommt unterm Strich zu der eindeutigen Entscheidung, dass „die von der Staatsanwaltschaft beantragte Ermittlungsmaßnahme wegen offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit abzulehnen“ ist.
Streitpunkt Bagatellklausel
Der Beschluss aus Offenburg ist zwar für andere Gerichte nicht bindend, dürfte aber bundesweit für Aufsehen sorgen. In vielen Städten sehen sich die Staatsanwaltschaften mit Massenanzeigen der Musikindustrie konfrontiert. Deren Bearbeitung bindet Personal, das bei der Verfolgung wesentlich schwerer Straftaten gebraucht wird. Wiederholt hatten sich Experten daher dafür eingesetzt, eine Bagatellklausel für geringfügige Urheberrechtsverletzungen einzuführen. Eine solche Bagatellklausel war im ursprünglichen Referentenentwurf für den zweiten Korb der Urheberrechtsnovelle vorgesehen, wurde aber auf Druck insbesondere von Filmverbänden und aus Teilen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wieder gestrichen.
Die Streichung der Bagatellklausel wurde von vielen Seiten kritisiert und eine Kriminalisierung der Schulhöfe vorhergesagt. Selbst aus der SPD-Fraktion wurden Forderungen laut, die Bagatellklausel wieder in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Am Ende setzten sich aber die Gegner der Bagatellklausel durch und der Bundestag verabschiedete Anfang Juli das Gesetz ohne eine solche.
Streitpunkt Auskunftsanspruch
Mit der anstehenden Umsetzung der so genannten Durchsetzungsrichtlinie (IPRED 1) will der Gesetzgeber darüber hinaus die Position der Rechteinhaber weiter stärken und einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch einführen, der gegen Internetprovidern geltend gemacht werden kann, um persönliche Daten von Internet-Nutzern herauszuverlangen. Umstritten ist dabei, ob zunächst ein Richter darüber entscheiden muss, ob der Anspruch besteht. Derzeit ist ein solcher “Richtervorbehalt” im Gesetzesentwurf vorgesehen, Vertreter der Musik- und Filmindustrie verlangen jedoch, hierauf zu verzichten, um das Verfahren kostengünstiger und einfacher zu gestalten.
Der Europäische Gerichtshof könnte die Karten allerdings demnächst komplett neu mischen. In einem Verfahren zwischen dem Verband der spanischen Musikproduzenten (Promusicae) und dem Telekomkonzern Telefonica hatte Juliane Kokott, Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, kürzlich erklärt, dass es derzeit keine europäische Rechtsgrundlage für die Herausgabe personenbezogener Daten an Rechteinhaber gibt. Nur in Strafermittlungsverfahren sei eine Weitergabe der Providerdaten europarechtlich zulässig und auch nur an staatliche Ermittler.
Verhältnismäßigkeit wahren
Kokott will auch ausdrücklich die Verhältnismäßigkeit zwischen Tat und Maßnahmen gewahrt wissen, denn, so erklärte sie vor einigen Tagen, „die Schutzpflichten des Staates gehen nicht so weit, dass dem Rechtsinhaber unbeschränkte Mittel zur Aufklärung von Rechtsverletzungen zur Verfügung gestellt werden müssten. Vielmehr ist es nicht zu beanstanden, wenn bestimmte Aufklärungsrechte staatlichen Stellen vorbehalten bleiben oder überhaupt nicht zur Verfügung stehen.“ (siehe Linkliste, Artikel bei Golem.de)
Was sagen Sie dazu?