Musikindustrie will Nutzerdaten von Internet-Providern
Das laufende Gesetzgebungsverfahren dient dazu, eine Reihe von EU-Vorgaben umzusetzen. Die EU-Richtlinie „über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums“ legt fest, welche „Maßnahmen und Verfahren…zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums erforderlich sind.“ Darin enthalten ist ein Auskunftsanspruch gegen Dritte, der auch gegen Internet-Provider gerichtet werden kann: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag…die Vorlage dieser Beweismittel durch die gegnerische Partei anordnen können, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird.“
Im Fall von illegalen Filesharing-Aktivitäten sollen Plattenfirmen auf diese Weise die Möglichkeit erhalten, von Internet-Zugangsprovidern die persönlichen Daten der Nutzer zu erhalten, die sich hinter einer bestimmten IP-Adresse verbergen. Dafür ist nach dem Wortlaut der Richtlinie noch nicht einmal zwingend Voraussetzung, dass die Dateien gewerbsmäßig getauscht werden. Es ist den Mitgliedstaaten freigestellt, in ihre Gesetze zu schreiben, dass es ausreicht, dass die Rechteinhaber „eine angemessen große Auswahl aus einer erheblichen Anzahl von Kopien eines Werks oder eines anderen geschützten Gegenstands“ als „Beweis“ vor Gericht vorlegen.
Die „zweite Durchsetzungsrichtlinie“ (IPRED2) „verpflichtet die Mitgliedstaaten, jede vorsätzliche Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums strafrechtlich zu ahnden, sofern die Verletzung in gewerbsmäßigem Umfang begangen wird. Dies gilt auch für den Versuch, die Beihilfe und die Anstiftung zu solchen Rechtsverletzungen.“ Die vorgesehenen Strafen reichen von Geld- bis zu Haftstrafen von höchstens vier Jahren. Rechteinhaber sollen künftig „an den von gemeinsamen Ermittlungsgruppen geleiteten Untersuchungen von Straftaten…mitwirken können.“
Auskunftsanspruch mit oder ohne Richtervorbehalt?
Die EU-Richtlinie stellt den Auskunftsanspruch gegen Provider ausdrücklich unter einen richterlichen Vorbehalt. Das bedeutet, dass die Rechteinhaber einen richterlichen Beschluss beantragen müssen, um von den Providern die Daten der Nutzer zu bekommen. Die deutschen Vertreter der Medienindustrien, besonders der Musikindustrie, wollen diesen Richtervorbehalt aus der EU-Richtlinie und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung kippen und finden dabei Unterstützung in der CDU und durch den Bundesrat.
Peter Zombik vom Bundesverband der phonographischen Wirtschaft (deutsche Landesgruppe der IFPI), Heiko Wiese von der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und Anne-Katrin Leenen vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels sprachen sich in der Anhörung ausdrücklich dafür aus, den Richtervorbehalt abzuschaffen. Zur Begründung verwiesen sie auf die Kosten, die mit dem Verfahren verbunden sind und die sich bei der Vielzahl der Verfahren zu untragbaren Summen addieren würden. Peter Zombik nannte dabei die Zahl von 374 Millionen Musikstücken, die im Jahr 2006 seiner Ansicht nach „illegal“ aus Tauschbörsen heruntergeladen wurden und fast 3,7 Millionen Bürger, die Tauschbörsen für illegale Angebote genutzt hätten.
Bei einem Richtervorbehalt müssten die Rechteinhaber die anfallenden Kosten im Vorfeld übernehmen. Wenn sie scih durchsetzen, könenn sie vom Gegner die Gebühren auf zivilrechtlichem Wege zurückfordern. Auf diese Weise würde Massenverfahren gegen Internet-Nutzer unattraktiv, wie etwa bei geringfügigen Delikten wie dem gelegentlichen illegalen Upload. Allein in diesem Jahr wurden von der Musikindustrie bereits mehr als 25.000 Verfahren wegen Urheberrechtsverletzungen eingeleitet. Einige Staatsanwaltschaften und Gerichte beklagen, dass sie durch derartige Massenverfahren überlastet würden.
Anzeigenmaschine
Die schweizerische Logistep AG etwa hat sich darauf spezialisiert, im Auftrag von Rechteinhabern Tauschbörsen automatisch nach illegalen Kopien urheberrechtlich geschützter Werke zu durchsuchen, die festgestellten IP-Adressen der Verursacher zu ermitteln und an eine Anwaltskanzlei zu übermitteln. Die Kanzlei erstellt daraus Strafanzeigen in großem Umfang. Darüber hinaus stellt die Kanzlei den vermeintlichen Urheberrechtsverletzern kostenpflichtige Abmahnungen und Schadensersatzforderungen in Rechnung. Die IP-Daten werden darüber hinaus zusammen mit einem Zeitstempel an den zuständigen Internet-Provider geschickt und dieser zur Beweissicherung aufgefordert.
Die betroffenen Staatsanwaltschaften sehen sich durch die Vielzahl der Anzeigen erheblich in ihrer Arbeit beeinträchtigt. So erklärte der Osnabrücker Staatsanwalt Jürgen Lewandrowski 2005 gegenüber dem Magazin Focus, „die Bearbeitung schwererer Vergehen könnte in Zukunft unter diesem erheblichen Mehraufwand leiden“. Um das zu verhindern und die Flut der Anzeigen einzudämmen, sprechen sich die staatsanwaltschaftlichen Ermittler für eine Bagatellklausel aus, nach der geringfügige Urheberrechtsverletzungen nicht verfolgt würden. Darauf hat die Bundesregierung verzichtet, nicht zuletzt auf Druck der Kulturstaatsminister und des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann.
Expertenmehrheit für Richtervorbehalt
Die Mehrheit der geladenen Experten – Verbraucherschützer, Internet-Provider und Hochschuljuristen – lehnten es in der Anhörung allerdings ab, auf den Richtervorbehalt zu verzichten.
Edda Müller vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) erklärte: “Der Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen rechtfertigt keine hemmungslose Preisgabe privater Nutzerdaten”. Zwar sei es problematisch, das Urheberrechtsverletzungen zunähmen. Sie müssten effektiv bekämpft werden, „es geht jedoch entschieden zu weit, das Grundrecht auf Datenschutz ins freie Belieben ganzer Branchen zu stellen“.
Unterstützung fand Müller beim Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Er verwies darauf, dass die IP-Adressen seiner Einschätzung nach dem grundgesetzlich geschützten Fernmeldegeheimnis unterliegen. Die Ermittlung von Nutzerdaten zu IP-Adressen stelle daher einen schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte dar, zu dem die Provider ohne richterliche Anordnung nicht befugt seien. Energisch wandte sich Schaar gegen die Absicht des Bundesrats, die Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten, die eingeführt wurde, um Terrorismus und organisierte Kriminalität zu bekämpfen, nun dazu zu nutzen, Urheberrechtsverletzungen zu verfolgen. Sollte das geschehen, würden sich „die schlimmsten Befürchtungen“ der Datenschützer erfüllen.
Für den Verband der deutschen Internetwirtschaft, eco, machte Oliver Süme klar: „Der Richtervorbehalt ist für uns das entscheidende Kriterium.“ Nur so seien für die Provider der Aufwand und die Haftungsrisiken, die mit der Ermittlung von Nutzerdaten verbunden sind, angemessen zu begrenzen.
Schließlich wies Volker Kitz vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum auf ein Paradoxon hin, sollte der Richtervorbehalt fallen: „Bei Kinderpornographie im Internet kommt man nur mit Gerichtsbeschluss an die Verbindungsdaten. Dass sie leichter zu haben sein sollen, wenn jemand ein geschütztes Musikstück herunterlädt – das wäre niemandem zu vermitteln.“
Abmahnkosten begrenzen
Einen zweiten Schwerpunkt der Diskussion bildete das Vorhaben der Bundesjustizministerium Brigitte Zypries, die anwaltlichen Abmahnkosten zu begrenzen. Heute setzen von Rechteinhabern beauftragte Anwaltskanzleien den Streitwert bei Urheberrechtsverletzungen weitgehend willkürlich und oft sehr hoch fest. Aus dem Streitwert leiten sich dann entsprechend hohe Anwalts- und Abmahngebühren ab, die von vermeintlichen Urheberrechtsverletzern verlangt werden – nicht selten geht es um mehrere tausend Euro.
Dem will Zypries schon seit geraumer Zeit einen Riegel vorschieben und die Gebühren in der Höhe deckeln. Auf dem 57. Deutschen Anwaltstag im Mai 2006 hatte sie angekündigt, die Gebühren für Erstabmahnungen in geringfügigen, nicht gewerblichen Fällen der Urheberrechtsverletzung auf 50 Euro begrenzen zu wollen.
Der Plan wurde von Verbraucherschützern ausdrücklich begrüßt. Patrick von Braunmühl vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) sprach sich sogar dafür aus, die erste Abmahnung für die Verbraucher kostenlos zu machen. Winfried Tilmann, der Vertreter des Anwaltsvereins, dessen Mitglieder bei einer Deckelung von Streitwert und Abmahngebühren Einnahmen einbüßen würden, wehrte sich gegen diese Vorschläge. Tilmann verwies darauf, dass die existierenden Gesetze bereits ausreichend seien, um die Verbraucher vor überhöhten Abmahngebühren zu schützen.
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