Musikindustrie drängt Bundeskanzlerin zu Urheberrechtsverschärfung
Am Dienstag traf Bundeskanzlerin Merkel zusammen mit Schlagersänger Udo Jürgens den Weltvorstand der Internationalen Vereinigung der Musikindustrie (IFPI), um über die veränderten Rahmenbedingungen „der Musikindustrie als eine der tragenden Säulen der Kreativwirtschaft“ zu sprechen. Die Bundeskanzlerin ist zu einer Zeit, wo sie zugleich Vorsitzende des EU-Rates und für die Organisation des G8-Gipfel zuständig ist, eine besonders interessante Ansprechpartnerin für die Industrievertreter und den Sänger. Beide wünschen sich eine Ausweitung ihrer geistigen Eigentumsrechte und eine Beschneidung der Rechte der Öffentlichkeit und der Verbraucher. „Konkret ging es um einen verbesserten Schutz der Rechte und Interessen von Künstlern und Tonträgerherstellern vor Internet-Piraterie und Raubkopien sowie die Frage der Schutzfristen“, heißt es dazu in der Presseerklärung der deutschen Landesgruppe der IFPI.
Urheberrecht soll verschärft werden
Auf dem Treffen mit der Bundeskanzlerin haben die IFPI-Vorsitzenden, darunter Lucian Grainge von der Universal Music Group und Rolf Schmidt-Holtz von Sony-BMG, eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, wie Angela Merkel die Interessen der Musikindustrie umsetzen könnte. Konkret umfasst die Wunschliste folgende Punkte:
- Internet-Service-Provider sollten verpflichtet werden, den Service-Vertrag mit Kunden, die Urheberrecht verletzende Inhalte online stellen, zu kündigen.
- Privatkopien sollten nur noch von eigenen, legal erworbenen Originaldatenträgern zulässig sein. Das Herstellen von Kopien durch Dritte sollte verboten werden.
- Der gegenwärtig diskutierte Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Durchsetzungsrichtlinie sollte „verbessert“ werden, um „angemessene Werkzeuge für den Kampf gegen die Piraterie bereit zu stellen.“
- Die EU sollte eine aktive Rolle in der Auseinandersetzung der WTO mit China in der Frage der Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte und des Marktzugangs spielen.
- Deutschland sollte die tschechische Regierung dazu drängen, „die riesigen Piratenmärkte“ an der Grenze zu Deutschland zu schließen.
- Und schließlich sollte die Bundeskanzlerin die „Verbesserung der in der EU vorgesehenen Schutzfristen für Musikaufnahmen unterstützen, um das US-amerikanische Schutzniveau zu erreichen“.
Udo Jürgens und Paul McCartney für Verlängerung der Schutzfrist
Nach geltendem Recht erlischt das exklusive Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht für Aufnahmen 50 Jahre nach deren Erscheinen. Die Verlängerung der gesetzlichen Schutzfrist für Musikaufnahmen von derzeit 50 Jahren nach der Veröffentlichung auf 95 Jahre – wie in den USA – ist auch ein persönliches Anliegen von Schlagersänger Udo Jürgens. „Immer mehr Künstler müssen die bittere Erfahrung machen, dass ihre frühen Aufnahmen und ihr geistiges Eigentum ohne ihr Wissen, ihren Einfluss und ohne eine Entschädigung veröffentlicht und kommerziell ausgewertet werden“, sagt er in der Musikwoche.
In den kommen Jahren erlischt die Schutzfrist für viele Aufnahmen aus der Nachkriegszeit und den frühen Jahren des Rock. Betroffen ist davon nicht nur Udo Jürgens; auch die noch verbliebenen Beatles, deren Alben bis heute Bestseller sind, sehen dem Ende der Schutzfrist für ihre frühen Aufnahmen entgegen. Zusammen mit Musikerkollegen wie U2, PJ Harvey, Pete Townsend und Paul Simonon kämpft deshalb auch Paul McCartney, dessen Vermögen sich auf über eine Milliarde Euro beläuft, schon seit längerer Zeit für eine Verlängerung der Schutzfristen auf 95 Jahre.
Kritiker: Forderungen der Musikindustrie sind nicht berechtigt!
Kritiker der Verlängerung wie der amerikanische Rechtsprofessor James Boyle, halten das Ansinnen für einen „Vertragsbruch“ mit der Öffentlichkeit. Sein Argument: Die Musiker und Musikfirmen wussten seinerzeit, worauf sie sich einließen, als sie die Aufnahmen machten – 50 Jahre Schutz und nicht mehr. Mit dieser Schutzfrist wurden die Preise für die Tonträger kalkuliert, die die Verbrauchern bezahlt haben. Im Gegenzug würden die Aufnahmen nach Ablauf der Schutzfrist ohne Erlaubnis vervielfältigt und verbreitet werden dürfen, wobei Komponisten und Texter auch dann über Abgaben an die Verwertungsgesellschaften an den so erzielten Einnahmen beteiligt sind.
Boyle moniert, dass jetzt, wo der Ablauf der Schutzfrist droht, Musikfirmen und Musiker „im Nachhinein die Vertragsbedingungen ändern“ wollten – zu Ungunsten der Verbraucher. Boyles Argument: „Viele Aufnahmen gibt es schon 20 Jahre nach Erscheinen überhaupt nicht mehr zu kaufen und nach 50 ist es nur noch ein verschwindend geringer Teil. Deren Rechteinhaber zu finden, ist extrem schwierig… Das sind ‚verwaiste Werke‘ – eine Kategorie, die den größten Teil der kulturellen Artefakte des 20. Jahrhunderts umfasst.“ Nach 50 Jahren könnten alle diese Aufnahmen rechtmäßig wieder in Verkehr gebracht werden, ohne dafür erst eine Erlaubnis einholen zu müssen. Würde man die Schutzfrist jetzt verlängern, so „verliert das Publikum ein zweites Mal“ und „wir sperren auch weiterhin fast 100 Prozent unserer aufgenommenen Kultur weg“.
Ökonomen gegen Verlängerung
Auch ein im vergangenen Jahr im Auftrag der britischen Regierung erstellter Bericht zur Lage des geistigen Eigentums, der Gowers-Report, kam zu dem Schluss, dass eine Verlängerung der Schutzfrist, insbesondere eine rückwirkende Verlängerung wie von der Musikindustrie gefordert, unangebracht sei. Dafür handelte sich der Leiter der Untersuchungskommission und ehemalige Chefredakteur der Financial Times, Andrew Gowers, heftige Kritik von Seiten der Musikindustrie ein. In einer Anzeigenkampagne, in der verstorbene Musiker als Unterzeichner geführt wurden, forderte die Industrie Gerechtigkeit und „fair play for musicians“. In einem Interview mit dem Magazin Out-Law erklärte Gowers dazu, dass es in seinen Augen durchaus gerechtfertigt gewesen wäre, „basierend auf wirtschaftlichen Argumenten, für eine Verkürzung der Schutzfrist zu plädieren“ – worauf er aber verzichtet habe. Mit seinem Vorschlag, die bestehende Schutzfrist beizubehalten, hätte er sich stattdessen „für den politisch weisen Weg“ entschieden.
Gegen eine Verlängerung der Schutzfristen plädierte der US-Ökonom Hal Varian im Interview (siehe Linkliste: „Das Urheberrechtssystem ist skandalös ineffizient“ – Interview mit Berkeley-Professor Hal R. Varian, 20.09.2006): „Eine nachträgliche Verlängerung ist ganz sicher nicht sinnvoll. Was zählt, sind doch die Anreize zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Werk entsteht. Künstler wie Elvis oder die Beatles wussten doch damals nicht, wie viel Geld man mit ihrer Musik verdienen kann. Sie hatten damals aber ganz offenbar genug Anreize, Musik zu machen. Es ist nicht sinnvoll, diese Anreize im Nachhinein zu erhöhen.“ Zusammen mit weiteren namhaften Ökonomen wie Georg Akerlof, Kenneth Arrow, James M. Buchanan, Ronald Coase und Milton Friedman legte er in einer „Stellungnahme an den Obersten Gerichtshof der USA“ dar, dass eine Verlängerung des Urheberrechts um 20 Jahre den Wert der Rechte für die Verwerter lediglich um 0,33 Prozent erhöhen würde.
Musikwirtschaft weiter in der Krise
Für die Tonträgerhersteller laufen die Geschäfte insgesamt nicht gut. Die Lage des deutschen Tonträgermarktes hat sich auch im vergangenen Jahr nicht entspannt. Aus der aktuellen GEMA-Bilanz geht hervor, dass die Umsätze mit Tonträger 2006 um rund 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken sind. Die gleichzeitige Zunahme des Online-Geschäfts mit Musik konnte die entstandenen Einnahmeverluste trotz des rasanten Marktwachstums nicht kompensieren, da laut einer aktuellen GfK-Studie „2006 allein in Deutschland 374 Millionen Songs illegal aus dem Internet heruntergeladen und Musik im Gegenwert von 486 Millionen Alben als Privatkopie auf CD- und DVD-Rohlinge gebrannt werden“. Im April 2007 zwischen IFPI und Verwertungsgesellschaften neu vereinbarte Lizenzmodelle sollen es in Zukunft erleichtern, Musik grenzüberschreitend online zu vermarkten. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen diese Vereinbarungen auf die Umsätze im Musikmarkt haben werden.
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