Tauziehen um Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen
Die Agentur des PR-Beraters Eric Dezenhall ist laut einem Artikel der Fachzeitschrift Nature von mehreren großen Fachverlagen in den USA damit beauftragt worden, in der Öffentlichkeit Stimmung gegen die Open-Access-Bewegung und die Unterstützer eines freien Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen zu machen. In E-Mails, die Nature zugeleitet wurden, empfiehlt Dezenhall – der im Nature-Artikel als „PR-Pitbull“ bezeichnet wird – den Verlagen, „öffentlichen Zugang mit staatlicher Zensur zu vergleichen“ und „Peer Review mit dem traditionellen Verlagsmodell gleichzusetzen“. Nach Meinung des Nature-Autors Jim Giles zeigt der Auftrag an die Dezenhall-Agentur, wie sehr die Verlage durch die Open-Access-Bewegung unter Druck geraten sind.
Fachzeitschriften – Ein profitables Geschäft
Das wissenschaftliche Publikationswesen ist eine hoch profitable Branche. Gewinne von 30 Prozent und mehr sind keine Seltenheit. Erwirtschaftet werden diese zu einem großen Teil mit dem Verkauf von Fachzeitschriften, deren Abonnementpreise in den letzten 10 Jahren zwischen 200 und 400 Prozent gestiegen sind. Ähnlich wie in der Film- oder Musik-Branche dominieren wenige große Anbieter den Markt: Reed Elsevier, Thomson, Wolters Kluwer und Springer haben zusammen einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent; die acht größten Verlagsunternehmen decken zusammen zwei Drittel ab (siehe Linkliste, Report „Scientific Publications: Free for all?“).
Steigenden Umsätzen und Gewinnen auf der Seite der Verlage stehen stagnierende oder sinkende Budgets in öffentlichen Bibliotheken gegenüber. Immer weniger Universitäten und Hochschulen können die teuren wissenschaftlichen Fachzeitschriften bezahlen. Einen Ausweg aus der Krise sehen viele von ihnen in der Förderung von elektronischen Open-Access-Publikationen, bei denen die kostspieligen Verlage umgangen werden. Die Finanzierung der wissenschaftlichen Qualitätssicherung, des so genannten „Peer Review“-Verfahrens, erfolgt dabei in der Regel durch die Institutionen, an denen die jeweiligen Wissenschaftler arbeiten. Für die Leser der Artikel ist der Zugriff auf solche Publikationen kostenlos.
Open-Access-Zeitschriften können Geld sparen
Durch die rein elektronische Archivierung und Bereitstellung sowie den Verzicht auf gedruckte Ausgaben können Open-Access-Zeitschriften vergleichsweise preiswert produziert werden. Der britische Wellcome Trust, einer der größten Forschungsförderer weltweit, geht davon aus, dass mit Open-Access-Publikationen bis zu 30 Prozent Kosten gespart werden können. In diesem Sinne hat der Wellcome Trust Open-Access-Klauseln in seiner Förderrichtlinien aufgenommen. Das Beispiel macht Schule. Weltweit unterstützen immer mehr Forschungsförderer und Forschungseinrichtungen Open-Access-Publikationen von Wissenschaftlern.
EU-Kommission sieht Handlungsbedarf
Auch die EU-Kommission hat in diesem Bereich Handlungsbedarf erkannt. Eine von der Kommission in Auftrag gegebene und im Januar 2006 vorgestellte „Studie zu den wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen der Märkte für wissenschaftliche Publikationen in Europa“ (siehe Linkliste) stellt beispielsweise fest, dass die Durchschnittspreise bei profitorientierten Zeitschriften dreimal so hoch ausfallen, wie bei nicht profitorientierten Zeitschriften – bei vergleichbarer Qualität. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass die Verlage ausreichend „Marktmacht“ besitzen, um Einfluss auf die Preise zu nehmen. Die Gesellschaft bezahlt dafür die Rechnung nicht nur in Form „hoher Zeitschriftenpreise“ sondern auch in Form von „Beschränkungen bei der Wissensverbreitung“. An die Politik gerichtet empfehlen die Forscher, dafür zu sorgen, dass „im Markt ausreichend Wettbewerb herrscht“ und dass der Markt „verbreitungsfreundlich“ funktioniert.
Die EU-Kommission beabsichtigt, noch in diesem Jahr zu handeln. Für Mitte Februar ist eine offizielle Stellungnahme angekündigt, die Empfehlungen an die Mitgliedstaaten aussprechen wird. „Wir bemühen uns gegenwärtig darum, eine Balance zwischen den akademischen Interessen auf der einen Seite und den Unternehmen, die ihr geistiges Eigentum investieren, auf der anderen Seite zu finden“, erklärte die Sprecherin von Wissenschaftskommissar Janez Potocnik dem Onlinemagazin „EU Observer“. „Ein Vorschlag sieht vor, dass Forschungsarbeiten sechs Monate nach Erscheinen öffentlich zugänglich gemacht werden können.“
Verlage beunruhigt
Solche Vorstellungen wecken bei den Fachverlagen Befürchtungen. Sie verweisen darauf, dass „dem Urheberrecht die Rolle zukommt, den Forscher und die Unternehmer zu schützen“. Das erklärte Michael Mabe, Direktor des internationalen Verbandes der wissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachverlage (STM) dem EU Observer. Michael Mabe argumentiert weiter: „Die europäische Kommission sollte anerkennen, dass sie es hier mit einer europäischen Erfolgsgeschichte zu tun haben. Dieser Sektor bietet 42.000 Leuten Arbeit, steuert 3 Milliarden Euro zur Handelsbilanz bei und ist weltweit führend.“ Er verwies darauf, dass STM UN-Programme zur Bereitstellung von Forschungsergebnissen für Ärzte in Afrika unterstützen würde und empfahl der EU, sich lieber in diesem Bereich stärker zu engagieren.
Harmonie in Deutschland
Währenddessen scheint in Deutschland der Streit zwischen Bibliothekaren und Verlagen um den finanzierbaren Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen beigelegt zu sein. Auf Initiative von Bundesbildungsministerin Annette Schavan wurde ein Kompromisspapier erarbeitet, demzufolge einem marktwirtschaftlich orientierten Ansatz Vorrang vor gesetzlichen Eingriffen im Rahmen der Urheberrechtsnovelle eingeräumt werden soll. „Wenn wir Bildung und Wissenschaft auf hohem Niveau wollen, muss das Urheberrecht Anreize für marktwirtschaftliche Lösungen mit Garantien für umfassende Versorgungsangebote der Bibliotheken verbinden. Das ist die Kernbotschaft, die Bibliothekare und Verlage mit ihrem Papier aussenden“, sagte dazu Gottfried Honnefelder vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels in einer Pressemitteilung.
In der gemeinsamen Stellungnahme des Deutschen Bibliothekenverbandes und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist von Open Access keine Rede. Dafür sind sich beide Parteien darüber einig, dass im Rahmen der Urheberrechtsnovelle „durch die Regelungen des Paragraphen 52b keine Absatzminderungen eintreten dürfen“.
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