US-Firma verklagt Internet Archive
Das Internet Archive, vielen Web-Nutzern einfach unter der Web-Adresse „Archive.org“ bekannt, wurde 1996 vom Unternehmer Brewster Kahle gegründet mit dem Ziel – so die Selbstbeschreibung des Projekts – eine „Bibliothek des Internets“ aufzubauen. Damit soll das Archiv Forschern, Historikern und Akademikern einen dauerhaften Zugang zu elektronischen Daten ermöglichen.
Das Archiv archiviert keine Seiten, deren Urheber das nicht wünschen. Technisch wird dieser Ausschluss durch die so genannte robots.txt-Datei ermöglicht. Diese Datei liegt auf dem Server des Anbieters und legt fest, welche Inhalte einer Website von Suchmaschinen durchsucht oder gespeichert werden dürfen. Es gibt keine gesetzliche Pflicht sich an die Anweisungen in der robots.txt-Datei zu halten, die meisten Betreiber von Suchmaschinen und das Internet Archive haben sich aber freiwillig dazu verpflichtet. Das Internet Archive gestattet auch eine rückwirkende Sperrung: Sollte ein Betreiber es verlangen, werden frühere Webseiten den Nutzern des Dienstes nicht mehr angezeigt.
Die Firma Healthcare Advocates wirft nun dem Internet Archive vor, gespeicherte Webseiten der Firma nicht effektiv genug gesperrt zu haben. Die Anwälte der Kanzlei eines Konkurrenzunternehmens, Health Advocate, mit dem sich Healthcare Advocates in einem Rechtsstreit befindet, hätten auf diese Seiten zugegriffen, obwohl die robots.txt-Datei das verbiete. Das sei geschehen, indem sie in schneller Folge wiederholt versucht hätten, die Seiten aus dem Internet Archive abzurufen, so dass sie schließlich angezeigt wurden. Dabei sei die robots.txt-Datei ausgehebelt worden, was als Umgehung eines Kopierschutzes anzusehen sei.
Dabei beruft sich Healthcare Advocates auf den Digital Millennium Copyright Act (DMCA), der in seinem Paragrafen 1201 – analog zu Paragraf 95a des deutschen Urheberrechts – verbietet, technische Schutzmaßnahmen, also etwa Kopierschutzsoftware, zu umgehen. Die robots.txt-Datei sei als technische Schutzmaßnahme im Sinne des DMCA anzusehen und deshalb habe die Anwaltskanzlei des Konkurrenzunternehmens durch das Aufrufen der Seiten das Gesetz gebrochen.
Die Anklage gegen das Internet Archive hat nur mittelbar mit dem DMCA zu tun und folgt aus den dargestellten Anschuldigungen. Healthcare Advocates wirft dem Projekt unter anderem Vertragsbruch, Bruch der Fürsorgepflicht (breach of fiduciary duty) und Fahrlässigkeit vor, weil die robots.txt-Datei nicht zuverlässig funktioniert habe.
William Patry, ehemaliger Urheberrechtsberater des US-Repräsentantenhauses, hält jedoch eine derartige Interpretation des DMCA und anderer Gesetze im Hinblick auf die robots.txt-Datei für unsinnig. In einer ausführlichen Einschätzung des Falles in seinem Weblog geht er so weit, Healthcare Advocates Missbrauch des Rechtsweges vorzuwerfen, was selbst als Rechtsbruch verfolgt werden kann.
Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) kritisiert seit langem den US-Gesetzgeber dafür, den DMCA zu unklar formuliert zu haben. Dadurch könnten ihn viele Unternehmen für strategische Klagen nutzen, um gegen Konkurrenten vorzugehen. „In der Praxis werden die Nichtumgehungsklauseln genutzt, um etliche legitime Aktivitäten zu unterbinden, statt Urheberrechtsverletzungen zu stoppen“, heißt es im Dokument „Unbeabsichtigte Folgen: Vier Jahre DMCA“.
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